Protokoll der Sitzung vom 10.05.2007

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Der große Einsatz im Bereich Ehrenamt und bürgerschaftlichem Engagement von älteren Menschen ist nicht hoch genug einzuschätzen. Wir müssen dies auch von politischer Seite her fördern. Die Rahmenbedingungen sind dafür sehr wichtig. Ich freue mich, dass wir in der letzten Legislaturperiode im Bereich Ehrenamt mit dem Versicherungsschutz schon einiges verbessert haben. Es muss untersucht werden, was wir noch verstärkt an Verbesserungen einbringen können.

Der Verbraucherschutz ist in dem Gesamtkomplex der älter werdenden Menschen enorm wichtig. Hier wird sehr viel Schindluder getrieben. Wir müssen aufpassen und mehr Informationen insbesondere über Pflege und Wohnen vermitteln. Das ist ein gewaltiger Markt. Hier müssen

ältere Menschen gute und solide Informationen bekommen. Es ist gut, dass im Bereich Wohnen im Alter vonseiten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung schon einiges an sehr fortschrittlichen Veränderungen erreicht worden ist. Die Gespräche mit der Wohnungswirtschaft sind sehr wichtig, und es ist wichtig, dass dort eine Stelle mit besserer Beratung erweitert wird. Insgesamt müssen wir ein besonderes Augenmerk auf den Verbraucherschutz legen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Politik für ältere Menschen heißt auch, ihre Mitwirkung in der Gesellschaft und Mitgestaltung der Gesellschaft auszubauen. Ich freue mich, dass wir bundesweit als erstes Bundesland die Seniorenmitwirkung verankert haben. Wir haben hier erste Erfahrungen gemacht.

Wir müssen diese auswerten und schauen, ob wir ggf. nachbessern. Ich freue mich, dass zumindest in zwei Bezirken Menschen mit Migrationshintergrund in die bezirklichen Seniorenvertretungen gewählt wurden. Ich hätte mich gefreut, wären es mehr gewesen, aber ich sehe, dass wir an der Öffnung noch arbeiten müssen.

Kürzlich ist der Seniorenbeirat ernannt worden; ich wünsche ihm in diesem Zusammenhang ein gutes Schaffen, auf gute Zusammenarbeit! – Mit den Landesseniorenvertretungen haben wir eine gute Zuarbeit für die Politik für ältere Menschen, die wir als Partner ansehen und mit denen wir gemeinsam an der Gestaltung der Politik arbeiten werden.

Die interkulturelle Öffnung ist uns insgesamt wichtig, im Bereich der Altenhilfe ist sie uns aber ganz besonders wichtig. Hier kommt eine große Zielgruppe auf die Altenhilfesysteme zu. Mit dem Kompetenzzentrum, das aus dem Projekt „Älterwerden in der Fremde“ entstanden ist, sind wir gut aufgestellt. Es läuft seit über fünf Jahren; es ist also nicht so, als liefe hier gar nichts, das will ich noch einmal in Richtung der CDU betonen. Ich wünsche mir aber eine noch weitergehende Entwicklung, wobei es notwenig ist, dass wir noch mehr Informationen an Menschen mit Migrationshintergrund weitergeben müssen. Das Kompetenzzentrum leistet in diesem Zusammenhang sehr gute Arbeit.

Es ist absolut notwendig, dass die Leitlinien der Seniorenpolitik fortgeschrieben werden, ebenso ist es wesentlich, dass wir im Bereich der Altenhilfe neue Gruppen von Älteren bilden, nicht nur von Migranten, sondern auch von dementen Menschen, Menschen, die gleichgeschlechtliche Lebensformen bevorzugen, Menschen, die mit Behinderungen leben. Unsere Angebote müssen wir noch passender auf diese Gruppen zuschneiden. Dass wir in Berlin in Sachen Pflege gut aufgestellt sind, haben wir bei der Anhörung im Ausschuss und bei dem Studium des Landespflegeplans festgestellt. Für mich heißt es bei der Neufassung des Heimgesetzes, dass wir nichts an der Qualität verändern dürfen. Wir sind bundesweit sehr gut in unseren Angeboten, wir dürfen uns nicht auf bayerische Verhältnisse herunterstufen lassen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ebenfalls sehr wichtig ist die Transparenz in Sachen Pflege – hier muss, was in den Anfängen bereits sehr gut läuft, eine noch bessere Zusammenarbeit des medizinischen Dienstes und der Heimaufsicht erzielt werden. Kontrollen im Bereich der Heimaufsicht sind weiterhin sinnvoll. Es ist zudem notwendig, bei den Angeboten für Menschen, die alleine leben, die aufsuchende Seniorenarbeit zu stärken. Hier haben wir eine interessante Entwicklung: Die Bezirke sind frei in ihrer Gestaltung, darauf sollten wir unser Augenmerk verstärkt lenken.

Frau Radziwill, Ihre Redezeit ist bereits beendet!

Ich komme zum Schluss meiner Rede. – Das Motto, unter dem wir arbeiten sollten, sollte sein: Starke Junge für schwache Ältere, starke Ältere für schwache Junge! Die Generationen sollten nicht gegeneinander ausgespielt werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Radziwill! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Villbrandt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aufwachen, denn älter werden wir alle, hoffentlich!

[Beifall bei den Grünen]

Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion! Es ist sehr gut, dass Sie unsere Große Anfrage aus 2005 wieder ins Abgeordnetenhaus gebracht haben, denn wir haben weder damals noch heute eine rechte Antwort auf unsere Fragen erhalten, noch hat der Senat in der Zwischenzeit etwas gemacht.

Frau Senatorin! Wenn ich an Ihre Antwort denke, dann macht mich das wirklich wütend. Auch damals haben Sie eigentlich nur einen Vortrag gehalten, gespickt mit einigen Details, sodann schmücken Sie sich mit Sachen, die Sie eigentlich gar nicht unterstützen, wie z. B. die interkulturelle Öffnung, für die Sie die Mittel praktisch um die Hälfte gestrichen haben. Sie wissen ganz genau, dass diese kleinen Projekte, die jetzt noch tätig sind, ihrer Aufgabe gar nicht gerecht werden können.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Die Zeit, in der sich die Politik für ältere Menschen in Kaffee und Kuchen-Veranstaltungen für Auserwählte erschöpfte, ist passé. Das scheint aber bei dem Senat noch nicht so recht anzukommen. Kaffee und Kuchen sind

zwar sehr gut – wenn man sich das gesundheitlich leisten kann –, wir stehen aber in diesem Politikfeld vor wichtigen Herausforderungen, und deswegen darf keine weitere Zeit verschlafen werden. Die Große Anfrage der CDU spricht die Bereiche der Politik für ältere Menschen an, über die wir bereits im Zusammenhang mit den Seniorenleitlinien von Juli 2005, mit unserer Großen Anfrage im September 2005 und im Rahmen des Seniorenmitwirkungsgesetzes gesprochen haben. Das kann aber durchaus erneut wiederholt werden: Es ist höchste Zeit, über die Fähigkeiten, die Potenziale älterer Menschen zu reden. In Berlin haben wir heute bereits 15,6 Prozent ältere Menschen im Rentenalter. 2050 wird jede dritte Person in Deutschland 60 Jahre und älter sein. Die polarisierende Diskussion über die finanziellen Belastungen einer älter werdenden Gesellschaft insbesondere in Bezug auf die sozialen Sicherungssysteme zeigt Hilflosigkeit und ist uneffektiv. Keine Gesellschaft kann es sich leisten, einen so großen Anteil der Bevölkerung einfach zum alten Eisen zu erklären.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Wir werden diesen Personenkreis zukünftig stärker als bisher brauchen, als Träger des bürgerschaftlichen Engagements, als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, als Fachkräfte und auch als Konsumentinnen und Konsumenten.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Und als Arbeitgeber!]

Ja! – Der demografische Wandel kommt langsam in den Köpfen der Bevölkerung und der Politikerinnen und Politiker an. Sogar unser Regierender Bürgermeister hat dieses Thema neuerdings entdeckt – guten Morgen, Herr Wowereit!

[Beifall bei den Grünen]

Ihre Rede hat uns teilweise sogar gefallen, allerdings haben Sie einige wichtige Dinge vergessen, wie z. B. die Migranten. Sie kommt zudem einige Jahre zu spät. Das Thema hätte mit konkreten Maßnahmen, nicht allein mit warmen Worten, längst angepackt werden müssen. Es ist tragisch und auch peinlich, aber Berlin hinkt anderen Ländern weit hinterher. Schauen Sie sich an, was Ihre Kollegen in Brandenburg auf die Beine stellen! Eine ähnlich schöne Rede wie Herr Wowereit hat Ministerpräsident Platzeck bereits 2005 gehalten, allerdings folgten danach auch einige Projekte, die man sich im Internet gut anschauen sollte.

Fakt ist, dass dem Berliner Senat Strategien und Projekte fehlen. Die Zeche werden wir alle dafür zahlen, ältere Menschen ebenso wie die jüngere Generation. Rot-Rot hat 2005 eine aktive Seniorenpolitik angekündigt. Die Seniorenleitlinien waren ein Schritt in die richtige Richtung, leider hat der Senat nichts auf den Weg gebracht, um die beschriebenen Ziele zu erreichen.

Drei Ausschnitte aus dem Bereich der Seniorenpolitik möchte ich genauer ansprechen. Als erstes das bürgerschaftliche Engagement. Ob im Vereinsleben, in der kulturellen und sozialen Arbeit oder in der Politik: Ältere

Menschen übernehmen zunehmend wichtige Gemeinschaftsaufgaben. Gesellschaftliches Engagement stellt sich jedoch nicht von alleine ein, dazu müssen Seniorinnen und Senioren aktiviert und stimuliert werden. Lippenbekenntnisse helfen nicht weiter. Auch Sie, Herr Regierender Bürgermeister, betonen die Bedeutung bürgerschaftlichen Engagements und haben zugelassen, dass die Mittel für diesen Bereich schmerzlich gekürzt wurden, z. B. bei den Mobilitätshilfsdiensten. Wir benötigen neue Angebote zur Teilhabe für die Berliner Bevölkerung, wir brauchen gute Rahmenbedingungen und eine neue Kultur der Anerkennung, um das Ehrenamt attraktiver zu machen und den Menschen zu zeigen, wie dringend sie gebraucht und wie sie respektiert werden.

[Beifall bei den Grünen]

Investitionen in diesen Bereich sind unverzichtbar und werden der Gesellschaft vielfach zurückgezahlt.

Zum zweiten Schwerpunk, der Situation älterer Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen: Dieses Thema ist schon von einigen Vorrednern angesprochen worden. Die Potenziale der Älteren werden in naher Zukunft auch auf dem Arbeitsmarkt benötigt, gerade angesichts des demografischen Wandels und des drohenden Facharbeitermangels und der Situation unserer sozialen Systeme. Doch noch immer sind die Berufsaussichten für ältere Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen schlecht. Mittlerweile sind nur noch 41 Prozent der über 55-Jährigen erwerbstätig. In Berlin sieht es diesbezüglich noch viel dramatischer aus. Nur 27,6 Prozent der Berlinerinnen und Berliner zwischen dem 55. und 65. Lebensjahr sind sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Dabei belegen neueste Studien, dass im Personalbereich altersgemischte Teams Bestnoten erzielen. 70 Prozent der befragen Unternehmen sagen, dass sie gute bis sehr gute Erfahrungen mit älteren Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gemacht haben. Es lohnt sich also, ins Alter zu investieren. Wir brauchen kurzfristig vor allem Fördermaßnahmen für ältere Arbeitnehmerinnen mit geringer Qualifikation. Hier müssen Sie etwas tun!

Was ist geschehen, seitdem wir unsere Große Anfrage im September 2005 gestellt haben? Damals haben wir sieben Fragen zum Komplex Arbeitswelt gestellt, auch hinsichtlich der Verantwortung für landeseigene Beschäftigte. Der öffentliche Dienst mit 114 000 Beschäftigten gehört zu den größten Arbeitgebern in Berlin. Wie glaubwürdig sind Ihre Leitlinien, wenn dort, wo Sie selbst Verantwortung tragen, nichts passiert?

[Beifall bei den Grünen]

Schreckensmeldungen über die Rente ab 70 in die Welt zu posaunen, ist billig, und sie klingen für Menschen, die schon mit 50 Jahren keine Chance mehr bekommen, wie blanker Hohn.

Zum dritten Schwerpunkt, der Situation älterer Menschen im vierten Lebensabschnitt: Einsamkeit, Krankheit und Pflegebedürftigkeit sind die andere Seite des Alters. Weil mit der Zahl der Hochaltrigen auch die Zahl der Pflege

bedürftigen zunehmen wird, ist die Zukunft der Pflege ein zentrales Thema. Die materielle Situation vieler älterer Menschen in Berlin, vor allem solcher mit Migrationshintergrund, ist besorgniserregend. Weitere Einschnitte in die Rente werden die Teilhabe und soziale Integration dieser Menschen einschränken. Welche politischen Antworten findet die rot-rote Regierung darauf? – Keine.

Sehr geehrte Frau Senatorin! Ihr Umgang mit der Alterspolitik ist symptomatisch für die gesamte Arbeit des Senats. Sie haben es sich in Ihrer ideen- und tatenlosen Politik ziemlich gemütlich gemacht, viel Lyrik, keine konkreten Maßnahmen. Etwas Moderation hier, etwas Pusseln dort, das ist unprofessionell und ungenügend.

[Beifall bei den Grünen]

Die Forderungen der Opposition werden mit den immer gleichen Phrasen vom Tisch gewischt. In Ihrem Fall bedeutet das: Es ist alles schon ganz prima. Es ist alles ganz toll. Es ist unbezahlbar. Oder: Der Haushaltsdruck zwingt uns zum Sparen. – Aber ich bitte Sie, es gibt auch noch eine Zeit nach Rot-Rot. Auch Sie, Frau Senatorin, werden einmal älter. Wenn Sie 90 Jahre alt sind, werden andere 90-Jährige mit dem Finger auf Sie zeigen und sagen: Die hätte Möglichkeiten gehabt zu handeln und hat nichts getan.

[Beifall bei den Grünen]

Sie müssen sehen, was in den kommenden Jahren durch die Alterung der Bevölkerung an zusätzlichen kommunalen Dienstleistungen benötigt wird. Glauben Sie wirklich, dass ein Ressort „Pflege“ mit ein oder zwei Personen den auf sie zukommenden Herausforderungen gerecht werden kann? Wie sieht es in den Bezirken aus, in denen die meisten konkreten Aufgaben erledigt werden müssen?

Frau Villbrandt! Kommen Sie bitte zum Schluss, Ihre Redezeit ist bereits beendet!

Ja, ich komme zum Schluss. – Frau Senatorin! Wachen Sie auf! Kommen Sie endlich aus Ihrer Starre heraus und handeln Sie! Die Berlinerinnen und Berliner haben mehr verdient, als Sie ihnen zurzeit bieten: Mehr Kreativität, mehr Engagement, um heute und künftig älteren Menschen – aber auch allen anderen – gute Lebensbedingungen zu sichern. Das ist eigentlich nicht zuviel verlangt von einer Landesregierung. – Danke!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Villbrandt! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Dr. Schultze das Wort. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube fast, dass die parlamentarische Debatte interessanter wäre, wenn wir die Chance gehabt hätten, mit älteren Bürgerinnen und Bürgern zu diskutieren. Die Form der Großen Anfrage ist wenig geeignet, um unsere Argumente wechselseitig auszutauschen. Vielleicht wäre ein Modellprojekt für eine Zukunftswerkstatt interessant, um mit Menschen, die ihre Zukunft auch im Alter selbst gestalten wollen, darüber zu diskutieren, wie sie sich das eigentlich vorstellen.