Wir streiten nicht einmal richtig darüber, wie das aussehen könnte, sondern tauschen Argumente aus. Frau Villbrandt, mit Verlaub! Sie haben das Talent, die Senatorin misszuverstehen, Herrn Wowereit falsch zu interpretieren und tun das mit einem ewig nörgelndem Ton, der hier einmal angesprochen werden sollte.
Sie haben offensichtlich die Vorstellung, dass die Senatorin in paternalistischer Art und Weise mit dem Finger schnipst und dann die ganze Stadt danach tanzt, wie wir uns Seniorenpolitik vorstellen. Ich glaube, Sie verkennen dabei die gesellschaftlichen Prozesse, die in dieser Stadt zunächst einmal beginnen müssen. Die Zeit für diese Diskussion ist reif. Die Ansätze liegen vor. Die Akteurinnen und Akteure in der Stadt müssen anfangen zu beraten, wie sie sich das gemeinsame Konzept für die Politik älterer Menschen vorstellen.
Die Folgen des demografischen Wandels sind bekannt. Das ist die größte Herausforderung, vor der diese Stadt steht. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Man kann es auf die Formel reduzieren, dass die Zahl der jüngeren Menschen immer stärker abnimmt und die der älteren immer stärker zunimmt, ohne dabei auf die Kommastelle zu achten. Wir befinden uns in einem Prozess der demografischen Wandlung. Dieser Prozess – darauf hat noch niemand hingewiesen – wird alle Lebensbereiche verändern. Wir haben kein Erkenntnisproblem mehr, sondern wir haben das Problem,
diese Wandlungsprozesse mit konkreten Ideen und Initiativen als Chance zu begreifen und nicht als Risikopotenzial für diese Gesellschaft. Was brauchen wir?
Wir brauchen in Berlin eine Konkretisierung und Lokalisierung dieser Anhaltspunkte. Der Senat hat deutlich gemacht, welche Vorstellungen er von einer Politik für ältere Menschen in Berlin hat. Politik für und mit älteren Bürgerinnen und Bürgern ist eine Querschnittsaufgabe. Aber, um in diesem Bild zu bleiben, es ist auch eine Aufgabe der horizontalen und vertikalen Umdenkungsprozesse in der gesamten Gesellschaft. Das fängt beim Sprachgebrauch an – ich finde den Begriff „Altenreport“ depla
ziert – und hört vielerorts bei der Vorstellung von Seniorenarbeit auf, die immer noch davon geprägt ist – Frau Villbrandt hat darauf richtig hingewiesen –, dass Kaffeefahrten, Busfahrten und Seniorengymnastik das Bild von Seniorenpolitik ausmachen. Die professionell Tätigen sind in diesen Umdenkungsprozess einzubeziehen. Ich sage dies, weil ich viele entsprechende Leute kenne: Dort befindet sich dieser Prozess gerade in den Anfängen und muss fortgesetzt werden.
Welche gesellschaftlichen Herausforderungen haben wir zu meistern? – Erstens: Das gesellschaftliche Umsteuern ist in Gang zu setzen. Wir benötigen ein positiv besetztes Leitbild des aktiven Alterns. Das ist nicht nur dahergesagt, sondern ein Prozess, der vom kleinen Verein, der Angebote unterbreitet, bis hin zum Senat umgesetzt werden muss. Das erst bietet die Chance, Potenziale und Kompetenzen von älteren Bürgerinnen und Bürgern zu nutzen.
Der zweite Punkt: Wir brauchen die Sicherung des notwendigen sozialen Zusammenhalts. Das scheint mir besonders wichtig zu sein, denn in unserer Gesellschaft ist das Zusammenleben der Generationen in einem gemeinsamen Haushalt seltener geworden, und das Altersbild wird immer noch zunehmend von den Medien beeinflusst, die alte Menschen als eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen, gerade im Hinblick auf die sozialen Sicherungssysteme und deren Finanzierung. Hier ist ein Mentalitätswechsel erforderlich.
Wir müssen auch auf unsere Sprache achten. Wer von Vergreisung der Gesellschaft spricht, braucht sich nicht zu wundern, dass sich die Gräben zwischen den Generationen weiter vergrößern.
Wir brauchen die Potenziale und Erfahrungen der älteren Generation – die dritte wichtige gesellschaftliche Herausforderung, vor der wir auch in Berlin stehen. Die Chancen des Alters hervorzuheben, bedeutet, die Kompetenzen und Potenziale erst einmal offen zu legen und zu achten und Angebote dafür zu machen, dass die Menschen ihre Handlungsspielräume mit ihren Kompetenzen und Chancen einbringen können.
Die älteren Menschen wollen möglichst lange aktiv bleiben und sinnstiftende Aufgaben übernehmen. Das ist die Herausforderung, die wir auch in Berlin zu meistern haben. Der Senat, konkret: die Senatorin, hat hier gute Projekte vorstellt. – Es handelt sich aber um einen Prozess, der nicht von heute auf morgen alle Ergebnisse zeigen kann, die Sie sich wünschen, Frau Villbrandt. Lassen Sie diesen Prozess in Gang kommen, dann werden wir auch viele Leute finden, die sich daran beteiligen.
Ein Problem haben Sie auch angesprochen, das ist die Erwerbsquote älterer Menschen. Das ist wiederum eine Herausforderung, die wir alle gemeinsam meistern müssen. Noch haben wir einen hohen Anteil an Arbeitslosen
auf diesem Arbeitsmarkt, der dadurch gekennzeichnet ist, dass Menschen im höheren Alter ihre Kompetenzen noch nicht einbringen können. Aber das Blatt wandelt sich. Die Erwerbsquote älterer Menschen wird sich in dieser Gesellschaft sehr stark erhöhen. Wir werden dieses Erfahrungswissen erschließen müssen und vor allem dafür sorgen, dass es zu einem Wissenstransfer kommt zwischen der jüngeren und der älteren Generation.
Menschen im höheren Alter sollen Aktivposten der Gesellschaft sein und sich im Gemeinwesen engagieren. Das sind wichtige Voraussetzungen, um diesen Wandel voranzutreiben. Fragen des direkten Beteiligens, des direkten Engagements haben wir in den letzten Jahren in den Diskussionen mit den Akteuren in den Sozialverbänden immer wieder erörtert. Die Erfahrungen, die wir dort gemacht haben, zeigen, dass wir dabei auf dem richtigen Weg sind.
Die sich langsam durchsetzende Wahrnehmung, dass Seniorinnen und Senioren verschiedene Bevölkerungsgruppen bilden und differierende Lebenslagen abbilden, sich mit unterschiedlichen Lebensstilen und Bedürfnissen Vorstellungen von ihrem Leben im Alter machen, zwingt uns geradezu dazu, diese Ideen auch aufzugreifen, von einer homogenen Sicht der Seniorenarbeit abzukommen und diese Menschen einzubeziehen, weil ihre Lebensvorstellungen – vor allem ihre Vorstellungen vom dritten Teil ihres Lebens – so geprägt sind, dass sie ihre Vorstellungen durchsetzen wollen und nicht von uns vorgegeben bekommen, was sie im Alter zu tun und zu lassen haben.
Es bleiben aber noch andere Menschen in unserer Gesellschaft, die im Alter finanziell nicht so gut ausgestattet sein werden, sodass sie unserer Hilfe bedürfen. Wir haben es in diesem Bereich auch mit schwierigen Lebenssituationen von älteren Menschen zu tun, die ihr Alter unter schwierigen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen gestalten müssen.
Da ist die Politik in der Pflicht, die wirtschaftlichen und finanziell tragfähigen Lösungen zu erarbeiten. Ich nenne hier nur: Rentenversicherung, Pflegeversicherung, die medizinische Versorgung und die Sicherung der für das Alltagsleben älterer Menschen notwendigen Infrastruktur. Hier fehlen die tragfähigen Konzepte der Bundesregierung und des Bundestages. Finanzierung, Qualitätssicherung und Umfang der Leitung, die wir diesen Menschen zur Verfügung stellen, sind Themen, die wir immer wieder anschneiden werden, denn Berlin kann den Handlungsrahmen durch den Senat vorgeben, kann die Moderationsrolle übernehmen, kann Konzepte entwickeln, wie wir uns Seniorenpolitik auf allen Ebenen vorstellen, aber die finanziellen Rahmenbedingungen für die Sicherung genau dieses Teils der Bevölkerung, der im Alter unsere Hilfe und Unterstützung braucht, muss von der Bundesebene kommen. Es gibt eine bundesstaatliche Aufgabenteilung zwischen den unterschiedlichen Akteuren, das möchte ich an dieser Stelle noch einmal betonen.
Alle von der Senatorin vorgestellten Schwerpunkte symbolisieren die Hauptfelder der Politik mit älteren Menschen in dieser Stadt und machen den richtigen Weg deutlich, den wir gemeinsam gehen müssen. – Danke schön!
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Schulze! – Für die FDPFraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Lehmann. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen, meine Herren! Ich begrüße die Große Anfrage der CDU-Fraktion, besonders weil hier mit dem Begriff „ältere Menschen“ auch das große Potenzial dieser Menschen angesprochen wird.
Bislang hörte die Auseinandersetzung meist bei Pflege und Betreuung im Alter auf. Wir fordern schon lange eine Vertiefung der Diskussion. Mittlerweile hat sich auch der Regierende Bürgermeister in einer Grundsatzrede dazu geäußert. Ich hoffe, dass diese durch die Anfrage nun mit Leben erfüllt wird. Gerade im Arbeitsleben können wir es uns nicht länger leisten, Menschen mit über 50 Jahren ins Abseits zu stellen.
Wir müssen begreifen, dass es sich dabei nicht um einen schwer vermittelbaren Personenkreis handelt. Gerade ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verfügen über ein großes Fachwissen und eine langjährige Berufserfahrung. Dieses Potenzial können wir nicht länger ungenutzt lassen.
Sozial und wirtschaftlich gesehen, wäre das ein großer Fehler. Die demografische Entwicklung würde uns in diesem Punkt einholen.
Um die Chancen für Ältere auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern, müssen wir uns vom Zusammenhang von Alter und Verdienst trennen. Vielmehr brauchen wir eine erfolgs- und leistungsorientierte Verdienstkomponente. Auch Fort- und Weiterbildungsangebote müssen sich stärker an den älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern orientieren. Auf diesem Gebiet brauchen wir spezielle Angebote, die vorhandenes Wissen mit aktuellen Anforderungen verbinden.
Auch im Hinblick auf das betriebliche Gesundheitsmanagement müssen wir weitergehen. Hier interessiert mich besonders, was der Senat für die Beamten und Angestellten des Landes Berlin plant und welche Arbeitszeitmodelle er ihnen anbietet, insbesondere, nachdem Herr Wowereit sich auch die „Rente mit 70“ vorstellen kann.
Aber all diese Bemühungen bringen wenig, wenn es nach wie vor an Arbeitsplätzen in unserer Stadt fehlt. Wenn der Senat Investoren endlich einmal den roten Teppich ausrollte, anstatt sie zu vergraulen, wären wir schon ein ganzes Stück weiter.
Auch hier bin ich gespannt, mit wem und welchem Erfolg der Senat Gespräche mit Vertretern der Berliner Wirtschaft geführt hat. Dazu habe ich heute noch gar nichts gehört.
Einen bemerkenswerten Beitrag für unsere Gesellschaft leisten Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren. Das sind vor allem ältere Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt. Gerade die ehrenamtliche Tätigkeit muss fester Bestandteil einer Bürgergesellschaft sein, damit die Übernahme sozialer Verantwortung nicht allein staatlichen Stellen vorbehalten bleibt. Denn diese sind viel weniger in der Lage, die Motivation des Einzelnen zu stärken, als das vorbildhafte Wirken der ehrenamtlich Tätigen. Deshalb werde ich mich nach wie vor dafür einsetzen – das habe ich in der letzten Wahlperiode schon getan –, dass die Preisverleihung zur Würdigung des Ehrenamtes vom Regierenden Bürgermeister vorgenommen wird. Das ist der Leistung dieser Menschen angemessen.
Ehrenamtliche Tätigkeit mag vorrangig sozial sein, dennoch zeigt sich ihre Wirkung auch in vielen anderen Bereichen. Wenn wir dies nicht stärker würdigen, werden wir auch dabei Nachwuchsprobleme bekommen. Ich bin auch hier neugierig, welche Bemühungen der Senat unternehmen möchte, um mehr Menschen für diese Arbeit zu gewinnen.
Was die Mitbestimmung von Senioren angeht, haben wir mit dem Seniorenmitwirkungsgesetz ein Zeichen gesetzt. Ich habe mich immer dafür engagiert, dass wir ein Seniorenmitwirkungsgesetz bekommen. Diese Gruppe muss mehr Möglichkeiten zur Einflussnahme haben, damit nicht über sie, sondern mit ihnen ihre Interessen entschieden werden. Aber auch hier kann man so noch nicht zufrieden sein. Mit dem Gesetz konnten nicht alle Probleme gelöst werden. Hier müssen wir weiter aktiv bleiben und die Mitbestimmungsmöglichkeiten weiterentwickeln.
Auch bei der Integrationspolitik müssen wir uns stärker um die Belange von Senioren mit Migrationshintergrund bemühen. Gerade weil ältere Menschen oft nicht mehr uneingeschränkt am gesellschaftlichen Leben teilhaben können, bedarf es hier besonderer Anstrengungen. Deshalb ist es dringend notwendig, diese Menschen auch im Integrationskonzept des Senats zu berücksichtigen.
Ein weiteres Anliegen ist mir immer schon die Verbesserung der Qualität der Pflege in Heimen und ähnlichen Einrichtungen gewesen. Die FDP-Fraktion begrüßt ausdrücklich, dass die Heimaufsicht nun wieder bei der Hauptverwaltung liegt. Das allein wird die Missstände aber nicht beseitigen. Immer wieder geraten Heime und Einrichtungen in den Fokus der Öffentlichkeit, weil die Pflege nachlässig oder sogar gefährlich ist. Hier möchte ich, dass wir über verstärkte und vor allem unangemeldete Kontrollen von Fachkräften reden. Die FDP-Fraktion fordert außerdem, endlich einen Qualitätsvergleich von Heimen durchzuführen und die Ergebnisse auch zu veröffentlichen.
Wir wollen dies schon lange nach dem Mönchengladbacher Modell tun. Wir brauchen endlich einheitliche Qualitätsrichtlinien, damit sich Bewohnerinnen, Bewohner und Angehörige unter den vielen Angeboten besser orientieren können und mehr Wettbewerb in der Pflege entsteht. Vor allem gute Einrichtungen werden dadurch anerkannt und gewürdigt. Für die Bewohnerinnen und Bewohner von Wohnprojekten für Demenzkranke brauchen wir endlich eine gesetzliche Regelung, um auch hier sichere Rahmenbedingungen zu schaffen.
Seniorenpolitik ist nicht nur ein notwendiger Reflex unseres gesellschaftlichen Miteinanders, sondern auch Grundlage für ein bereicherndes Zusammenleben junger und älterer Menschen in unserer Stadt. Es muss darum gehen, den Einzelnen auch im Alter in seiner Eigenverantwortung und Eigeninitiative zu stärken und zu unterstützen und nicht vorrangig Fürsorge zu betreiben. Das bedeutet, dass sich die Politik stärker daran ausrichten muss, dass Menschen so lange wie möglich die Sorge für sich übernehmen können und bei der Durchsetzung ihrer Bedürfnisse die notwendige Unterstützung erhalten, nicht aber bevormundet werden. Das sind die Kernpunkte liberaler Politik. – Vielen Dank!