Protokoll der Sitzung vom 24.05.2007

Das ist der ehemalige Tagesordnungspunkt 20. – Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Linksfraktion. – Frau Matuschek, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalition bringt diesen Antrag ein, weil sie das Thema der subjektiven und objektiven Sicherheit im Nahverkehr für überaus wichtig hält – wichtig für das Lebensgefühl in dieser

Stadt, wichtig auch unter dem Aspekt der Gewinnung neuer Fahrgäste für den Nahverkehr und der Verbesserung der Kundenzufriedenheit. Wir sprechen heute nicht über die technische Sicherheit – die ist in Berlin auf Spitzenniveau. Wir sprechen insbesondere darüber, ob die gefühlte Sicherheitslage der Fahrgäste der tatsächlichen Sicherheitssituation entspricht.

Der amtlichen Kriminalitätsstatistik zufolge ging die Zahl der Straftaten im Nahverkehr um 1,6 Prozent zurück. Taschendiebstahl, Sachbeschädigung, Körperverletzung und Drogendelikte sind die häufigsten Delikte. Wenn diese Zahlen – auch im internationalen Vergleich – sehr gering sind, so machen sich viele Fahrgäste dennoch kein richtiges Bild über die Sicherheitslage. Es herrscht eine große Diskrepanz zwischen der sogenannten subjektiven Sicherheit – also dem Sicherheitsempfinden – und den tatsächlichen Fakten. Ein Beispiel: Es wird immer behauptet, Frauen seien besonders gefährdet. Das ist Quatsch, denn 70 bis 80 Prozent der Kriminalitätsopfer sind Männer. Auch die Befürchtung, dass Seniorinnen und Senioren eine Hauptzielgruppe der Kriminellen seien, ist nicht richtig – die meisten Opfer sind jung.

Sicherheit im Nahverkehr wird häufig als Diskussion über Bahnhofspersonal verstanden. Diese wird zwar emotional geführt, aber häufig an den Tatsachen vorbei. Allerdings können wir nicht drumherum reden, dass Vandalismus, Graffiti, Scratching, die Zerstörung von Haltestellen und Sitzen in Fahrzeugen ein ernstes Hindernis für die Gewinnung neuer Fahrgäste und ein ständiges Ärgernis für die zahlenden Kundinnen und Kunden sind. Die Aufwendungen der S-Bahn und der BVG von jährlich weit über 10 Millionen € sind ein betriebswirtschaftlich zu Buche schlagendes Ergebnis einer solchen Entwicklung. Wer für günstigere Fahrpreise eintritt, wie wir es tun, muss sich auch des Vandalismus annehmen. Ein Sicherheits-Cent oder auch 10 Cent – wie andere Verkehrsexperten ab und zu vorschlagen – ist bestimmt nicht die Lösung, die wir anstreben. Vielmehr schlagen wir ein komplexes Maßnahmenpaket vor, bei dem es u. a. darum geht, die Präventionsprogramme, die von Verkehrsunternehmen und Polizei bereits erfolgreich laufen, weiter in die Öffentlichkeit zu tragen, sie auszubauen. Darüber hinaus geht es natürlich auch darum, bauliche Aspekte wie bessere Beleuchtung und übersichtlichere Gestaltung weiter vorzunehmen.

Und selbstverständlich brauchen wir auch qualifiziertes Personal in den Nahverkehrsunternehmen, das flexibel auf verschiedene Situationen reagieren kann, den Kunden bei allen Fragen zur Nutzung des Nahverkehrs offen zur Seite steht und sich nicht in seinem Häuschen versteckt.

Ich bin gar nicht feige, und deshalb noch einige Worte zur Videoüberwachung, weil die CDU die gesamte Diskussion gern auf die Videoüberwachung reduziert:

[Zurufe von Benedikt Lux (Grüne) und Volker Ratzmann (Grüne)]

Keine Videokamera der Welt verhindert Straftaten. Nicht einmal in Großbritannien sind statistisch eindeutig nachweisbare Effekte hinsichtlich der Senkung von Kriminalitätsdelikten nachweisbar.

[Beifall von Benedikt Lux (Grüne) und Volker Ratzmann (Grüne)]

Die medienträchtigen Erfolgsberichte der Videoüberwachung betreffen immer die nachträgliche Aufklärung von Straftaten. Dies ist aber Sache der Polizei und nicht der Verkehrsunternehmen. Selbstverständlich erleichtert es der Polizei die Aufklärung von Straftaten, wenn sie auf Filmmaterial zurückgreifen kann, und manche Menschen, die aus Jux und Dollerei, aus Langeweile oder Aggression die Verkehrsmittel verunstalten, werden sich manchmal zwei Mal überlegen, ob sie es denn tun, wenn sie wissen, dass sie beobachtet werden. Diese Beobachtung geschieht übrigens nicht nur über die Videokamera, sondern vor allem durch die anderen Fahrgäste – möchte man meinen.

In Wien wurde für sage und schreibe 3,7 Millionen € Videotechnik angeschafft, und zwar mit dem Effekt, dass der Schaden durch Vandalismus leider nur um 200 000 € pro Jahr zurückgegangen ist. Das macht deutlich, dass wir hierbei auch eine ökonomische Debatte führen. Es ist unerträglich, wenn die BVG gerade mit dem Hinweis, es sei zu teuer, das wissenschaftliche Begleitprogramm zur jetzigen Videoüberwachung abgebrochen hat.

Die BVG ist keine Sicherheitsbehörde, sondern ein Verkehrsunternehmen. Deswegen brauchen wir für solche Maßnahmen eine eindeutige rechtliche Grundlage, die für alle transparent ist. Ich fühle mich davon bedroht, dass möglicherweise Videomaterial über mich im Internet auftaucht und da jeder machen kann, was er will. Das muss auf der Grundlage einer eindeutigen rechtlichen Regelung ausgeschlossen werden, und das gehört in ein Paket von weiteren Maßnahmen zur Erhöhung der subjektiven Sicherheit. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das Wort für die CDU-Fraktion hat nun der Abgeordnete Ueckert. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Matuschek! Es ist peinlich und heuchlerisch, was Sie hier vortragen. Sie gehen mit der Sicherheit in der Bevölkerung und im öffentlichen Personennahverkehr genauso schlampig um wie mit der Argumentation zu den Verfassungsrechten unserer Bevölkerung.

[Beifall bei der CDU]

Sie wollten zum Schluss noch die Kurve kriegen und auf die Videoüberwachung eingehen. Ich habe mir Ihre Koalitionsvereinbarung zu diesem Aspekt angesehen. Dort steht – ich zitiere –:

Zur Erhöhung der objektiven und subjektiven Sicherheit werden folgende Maßnahmen berücksichtigt: transparente, einfache und einheitliche Regelungen zur Einführung von Videoüberwachung.

Frau Matuschek! Warum finden wir in Ihrem Antrag dazu nichts?

[Marion Seelig (Linksfraktion): Weil wir erst die Rechtsgrundlagen brauchen!]

Dies wäre doch die einfachste und schnellste Methode, um eine höhere Sicherheit im ÖPNV zu gewährleisten. Stattdessen richten Sie Ihre Anstrengungen auf das Be- und Verhindern dieser Maßnahme mit Ausflüchten – wider besseren Wissens. Fragen Sie doch einmal die BVG, welche positiven Erfahrungen sie damit gemacht hat!

Die Wertschätzung des rot-roten Senats für die Sicherheit der Fahrgäste ließ schon in der Vergangenheit zu wünschen übrig. Ich zitiere aus einer Vorlage des Senats vom Februar 2006 – zum Thema: „Organisation des ÖPNV in Berlin und Eckpunkte für den Nahverkehrsplan 2006 bis 2009“. Darin heißt es:

Der ÖPNV ist im Hinblick auf die Unfallgefährdung der Fahrgäste das sicherste Verkehrsmittel.

Und dann – hören Sie bitte zu, denn das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! – geht es folgendermaßen weiter:

Die Gefährdung durch Kriminalität wird in der veröffentlichten Meinung übersteigert und daher in der Öffentlichkeit oft überschätzt. Image- und Akzeptanzprobleme sind die Folge.

Ich wiederhole es noch einmal:

Die Gefährdung durch Kriminalität wird in der veröffentlichten Meinung übersteigert – –

Schuld sind also wieder die Medien. Dort wird demnach alles nicht richtig dargestellt.

[Lars Oberg (SPD): Sie tragen auch ganz schön dazu bei!]

Die gesamten Probleme sind angeblich in Wirklichkeit viel kleiner. Sie reden die Probleme klein. Wie wollen Sie dann aber engagiert an die Probleme herangehen und sie lösen?

[Marion Seelig (Linksfraktion): Fahren Sie eigentlich mit dem öffentlichen Personennahverkehr?]

Wie schlimm es um die Kriminalitätsbekämpfung bestellt ist, hat eine Kleine Anfrage unseres Abgeordneten Frank Henkel zum Thema: „Sicherheit im Berliner U-Bahnnetz“ vom 17. April dieses Jahres deutlich aufgezeigt. Die große mediale Wirkung und Beachtung in der Öffentlichkeit hat wahrscheinlich erst dazu geführt, dass Sie nun diesen Antrag stellen.

[Lars Oberg (SPD): Da überschätzen Sie sich!]

Machen Sie sich mit solchen Pseudo-Anträgen nicht lächerlich! In dem Antrag fordern Sie, irgendwelche Alibi

maßnahmen zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen. Es geht dabei um Maßnahmen, die schon längst Bestandteil diverser Nahverkehrspläne sind und auch in den zurückliegenden Legislaturperioden immer wieder auf der Tagesordnung des Abgeordnetenhauses standen.

In der Beantwortung dieser Kleinen Anfrage gesteht Innensenator Dr. Körting ein, dass begünstigende Tatgelegenheitsstrukturen für Brennpunkte des Drogenhandels nahezu im gesamten U-Bahnverkehr vorhanden sind.

[Marion Seelig (Linksfraktion): Das liegt im Wesen dieses Verkehrsmittels! – Benedikt Lux (Grüne): Nahverkehr abschaffen!]

Das ist ein Eingeständnis der Unfähigkeit der rot-roten Regierungspolitik insbesondere beim Thema Sicherheit. Wenn Sie die Anzahl der Stammkunden verbessern und auch noch neue Kunden für den ÖPNV hinzugewinnen wollen, müssen Sie ernsthafte Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung und damit zur Verbesserung der Sicherheit im öffentlichen Personennahverkehr ergreifen.

[Beifall bei der CDU]

Lassen Sie mich noch auf einige andere Punkte Ihres Antrags eingehen! Dort finden wir – in Stichworten: Notrufsysteme unter Beteiligung des Datenschutzbeauftragten, verbesserte Zusammenarbeit mit der Polizei, Aufnahme sicherheitsrelevanter Sachverhalte in das Kundenmonitoring. – Aber Sie sparen wiederum Punkte, die wichtig wären, aus. So wollten Sie z. B. für Sicherheit und Sauberkeit im Rahmen des öffentlich geförderten Beschäftigungssektors – ÖBS – sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse schaffen. Auch diese Vereinbarung hat sich bisher nur als Luftnummer herausgestellt. Auf die Servicekräfte, die für mehr Sicherheit sorgen sollten, warten wir bis heute vergeblich.

[Jutta Matuschek (Linksfraktion): Sie sollten öfter im ÖPNV unterwegs sein! – Christian Gaebler (SPD): Fahren Sie überhaupt mal U-Bahn?]

Der rot-rote Senat hat sich seinerzeit auch gegen eine verstärkte Polizeipräsenz in den Verkehrsmitteln und auf den Bahnhöfen des ÖPNV gewendet. Die wirkungsvollen Sicherheitsteams aus Polizei und BVG-Sicherheitspersonal waren durchaus sinnvoll und hocheffizient. Sie plädierten aber dafür, die mit hoheitlichen Befugnissen ausgestatteten Polizeibeamten nicht mehr für diese wichtige Aufgabe zur Verfügung zu stellen. Dabei wissen Sie doch, dass das Servicepersonal der Verkehrsbetriebe ohne diese Befugnisse für diese Zwecke nur in begrenztem Umfang Wirkung entfalten kann. Zudem wissen Sie auch, dass es in der Realität düster aussieht, da weder die Polizei entsprechend präsent ist noch genügend eigenes Servicepersonal der Verkehrsunternehmen zur Verfügung steht, um eine zufriedenstellende Sicherheit zu gewährleisten.

Auch die von Ihnen häufig herangezogenen Notrufsysteme sind letztendlich nur ein fauler Kompromiss, denn es handelt sich dabei bekanntlich nur um ein technisches

Hilfsmittel, das allenfalls unterstützend wirken kann, aber niemals menschliches Aufsichtspersonal ersetzen wird.

Herr Kollege Ueckert, Sie müssen zum Schluss kommen!

Ich bin gleich am Ende meiner Rede. – Meine Damen und Herren! Ich fordere Sie deshalb auf: Machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben! Setzen Sie das, was Sie in diesem Haus bereits seit Jahren zum Gegenstand der politischen Erörterung gemacht haben und fordern, endlich um! Hören Sie auf zu prüfen, handeln Sie endlich!

[Beifall bei der CDU]

Das Wort hat nun die Frau Abgeordnete Hertel. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer erinnert sich noch:

Wurst und Senf in Bahn und Bus bringen oftmals viel Verdruss.