Protokoll der Sitzung vom 21.06.2007

Beschlussempfehlung BildJugFam Drs 16/0608 Antrag der CDU Drs 16/0239

c) Beschlussempfehlung

Bessere Bildung: individuelle Förderung der Kinder in der Schulanfangsphase sichern – verpflichtende Einrichtung der jahrgangsgemischten Lerngruppen gründlich vorbereiten

Beschlussempfehlung BildJugFam Drs 16/0609 Antrag der Grünen Drs 16/0326

d) Beschlussempfehlung

Verlässliche Rahmenbedingungen für die Schulanfangsphase schaffen – Einrichtung jahrgangsgemischter Lerngruppen an allen Grundschulen ab 2008/09 sichern

Beschlussempfehlung BildJugFam Drs 16/0610 Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/0469

Das ist die Priorität der Fraktion der CDU unter dem Tagesordnungspunkt 13. – Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der CDU. Herr Kollege Steuer hat das Wort. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Abstimmungsverhalten der Koalition zu den vorliegenden Anträgen zeigt zum wiederholten Mal, dass Ihre Bildungspolitik ausschließlich ideologisch motiviert ist.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]

Zum Schuljahr 2008/09 haben Sie die Schulanfangsphase verpflichtend für alle Schulen eingeführt, obwohl sich etwa 60 Prozent der Schulen jetzt nicht in der Lage sehen, diese Schulreform vernünftig umzusetzen. Mehr als die Hälfte aller Grundschulen haben daher einen Antrag zur Verschiebung der flexiblen Schulanfangsphase gestellt. Hinzu kommen zahlreiche Schulen, die den Antrag nach der Frist gestellt haben.

[Unruhe]

Entschuldigung, Herr Kollege Steuer! – Ich bitte darum, dass die Abgeordneten, die hier Gespräche führen, diese draußen oder nach Schluss der Sitzung führen. Nicht nur mit dem Senat, auch die anderen nicht, denn dann können sie viel besser zuhören. Auch der Kollege Hillenberg! – Bitte nehmen Sie Platz, ansonsten führen Sie die Gespräche draußen! – Bitte schön, Herr Kollege Steuer, fahren Sie fort!

Vielen Dank! Dafür hätte ich gerne 20 Sekunden gutgeschrieben. – Herr Senator Zöllner! Ich habe heute eine Antwort von Ihnen auf meine Frage erhalten, wie viele Schulen nach dem Ablauf der Frist noch beschlossen haben, dass sie die flexible Schulanfangsphase zum nächsten Schuljahr nicht einführen wollen. Sie sagten: Der Eingang der Beschlüsse der Schulkonferenzen wurde weder bei der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung noch bei den Außenstellen statistisch erfasst. Die einzelnen Daten wären nur durch eine Umfrage mit einem erheblichen Zeit- und Personalaufwand zu ermitteln. Daher wurde davon abgesehen. – Wenn eine Schulkonferenz einen Beschluss fasst, die flexible Schulanfangsphase nicht einzuführen, dann leitet sie diesen Beschluss an die zuständige Außenstelle weiter. Insofern bitte ich Sie herzlich, meine Frage zu beantworten. Es handelt sich um zwölf Bezirke. Sie werden wohl in der Lage sein, bei zwölf Bezirken abzufragen, welche Schulen es sind. Ich vermute, Sie haben Angst davor, dass die 51 Prozent der Schulen, die diese Beschlüsse fristgerecht gefasst haben, wahrscheinlich durch zusätzlich mindestens 10 Prozent zu 60 oder 65 Prozent werden. Das würde deutlich machen, dass die Schulen diese flexible Schulanfangsphase nicht wollen, und deshalb haben Sie Angst davor.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Ihnen ist es schlichtweg egal. Sie wollen Ihre Reform durchsetzen, weil Sie glauben, dass alle Kinder in der ersten Klasse dieselben Fähigkeiten und Möglichkeiten haben.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Eben nicht!]

Sie glauben nicht an die Unterschiedlichkeit der Menschen. Sie glauben, wenn man Fünfeinhalbjährige neben Siebenjährige setzt, weit entwickelte Kinder neben lernbenachteiligte Kinder, wird schon alles gut.

[Zurufe von Dr. Felicitas Tesch (SPD) und Elfi Jantzen (Grüne)]

Frau Dr. Tesch! Sie müssen nicht so schreien, Sie sitzen in der ersten Reihe. – Nein! Es wird nichts von allein gut. Menschen sind unterschiedlich. Kinder sind unterschiedlich. In den Grundschulen, in denen Sie die flexible Schulanfangsphase verpflichtend einführen, werden sich Tragödien abspielen, wenn Kinder nicht mitkommen und zurückgelassen werden, weil Sie Lehrer nicht ausreichend fortbilden, weil zu wenig Erzieher da sind. Sie stört das alles nicht, weil Sie Ihr ideologisches Experiment durchsetzen wollen.

[Zurufe von der SPD]

Wir haben eine wissenschaftliche Begleitung der Schulanfangsphase gefordert und hierzu einen Antrag vorgelegt. Aber selbst diesen Antrag haben Sie abgelehnt. Sie wollen keine wissenschaftliche Begleitung der flexiblen Schulanfangsphase. Das sei nicht nötig. Es drängt sich daher der Eindruck auf, dass Sie einfach nicht wissen wollen, was die Defizite Ihrer Schulreform sind. Sie interessieren sich nicht für die Ergebnisse. Sie interessieren sich nicht für die Realität. Sie interessieren sich nur für Ihre Theorie von der irgendwie gearteten intellektuellen Gleichheit aller Menschen. Wenn man sie nur nebeneinandersetzt, wird schon das Gleiche dabei herauskommen. Um es deutlich zu sagen: Wir lehnen dieses ideologische Großexperiment an allen Grundschulen Berlins ab.

[Beifall bei der CDU]

Wir wollen die Freiwilligkeit der flexiblen Schulanfangsphase. Wir wollen nicht, dass eine ganze Generation von Schülern Ihrem Großexperiment flexible Schulanfangsphase zum Opfer fällt.

Ein neues Beispiel für Ihre ideologische Schulpolitik ist auch die Gemeinschaftsschule, mit der Sie einen weiteren Beitrag zur Ideologisierung und Zersplitterung des Schulsystems leisten wollen.

[Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Sie wissen gar nicht, wie diese Gemeinschaftsschule eigentlich aussehen soll. Sie wissen nur, dass sie nicht „Einheitsschule“ heißen soll. Also Gemeinschaftsschule, schön! Sie haben einen Namen, Sie haben eine ideologische Idee. Und so machen Sie Bildungspolitik: keine Ahnung von Inhalten, Definitionen festlegen und ideologische Projekte vorantreiben!

Für die CDU-Fraktion ist klar: Wir wollen eine Bildungspolitik, die den Menschen gerecht wird, nicht den politischen Programmen und ihren Ideologien.

[Beifall bei der CDU – Dr. Felicitas Tesch (SPD): Sie wollen eine Elitebildung!]

Deshalb müssen Sie den Schülern Bildungsangebote machen, die ihren Möglichkeiten und Fähigkeiten gerecht werden. Dazu gehören Rückstellungen von der vorgezogenen Einschulung. Dazu gehören erste und zweite Klassen an den Sonderschulen für die Kinder, deren Eltern das für richtig halten. Dazu gehören das Erkennen von Defiziten und die Anerkennung von Förderbedarf von der ersten Klasse an. Dazu gehören Angebote, die den Hauptschülern gerecht werden, ohne sie einfach abzuschieben. Dazu gehören bedarfsgerechte Erzieher im Ganztagsbereich und keine Personalnot.

Der Amtsantritt von Prof. Zöllner hat viele Hoffnungen in Berlin geweckt – Hoffnungen, von der ideologischen Bildungspolitik der ersten Legislaturperiode von Rot-Rot wegzukommen, und die Hoffnung, dass es keine schlecht vorbereiteten Reformen mehr geben wird, die durchgepeitscht werden sollen.

Es gab die Hoffung, dass die Bedürfnisse von Lehrern, Eltern und Schülern ernst genommen und die Realität anerkannt wird. Viele waren offen für Sie, Herr Prof. Zöllner. Es gab Vorschusslorbeeren, man wollte sich die ersten 100 Tage anschauen. Das Ergebnis aber ist mittlerweile ernüchternd. Mit jedem Tag, an dem Sie keine eigenen Vorschläge machen, wie das Bildungssystem in Berlin verbessert werden kann, mit jedem Tag, an dem Sie sich von der Linkspartei durch ideologische Bildungspolitik treiben lassen, mit jedem Tag, an dem Sie keine Botschaft für die hart arbeitenden Berliner Lehrer haben, denen eine Reform nach der anderen zugemutet worden ist, sinkt Ihr Stern.

Herr Abgeordneter Steuer! Wir sind bereits sehr großzügig gewesen und haben alles berechnet, was Ihnen zusteht. Jetzt ist aber wirklich Schluss!

Das ist sehr nett! – Ich bin bei meinem letzten Satz: Mit jedem Tag, an dem Sie dies alles nicht tun, sinkt Ihr Stern und gleichzeitig die Motivation von Schülern, Eltern und Lehrern. Um es ganz deutlich zu sagen, Herr Senator: So versagt die Bildungspolitik der SPD in Berlin ein weiteres Mal. Das können sich die Schulen in Berlin nicht leisten, das kann sich Berlin nicht leisten.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Das waren vier Sätze! Sie können noch nicht einmal zählen!]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Steuer! – Für die SPDFraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Dr. Tesch – bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte jetzt wirklich auf diese vier Beschlussempfehlungen eingehen und nicht am Thema vorbeireden, so wie es Herr Steuer größtenteils getan hat.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Zunächst zum Antrag der CDU-Fraktion, der auf eine wissenschaftliche Begleitung der Grundschulreform und insbesondere der flexiblen Schulanfangsphase zielt. – Mein lieber Herr Kollege Steuer! Diese wissenschaftliche Begleitung wollen auch wir. Wenn man sich aber die einzelnen Punkte des Antrags genau durchliest, stellt man fest, dass es sich um ein Sammelsurium handelt. Hier der vorgezogene Schuleintritt, dort werden die Zurückstellungen mit einbezogen, die Sprachförderung wird aufgerufen und die sonderpädagogischen Fördermaßnahmen fehlen auch nicht. Hier werden Untersuchungsaspekte miteinander kombiniert, die überhaupt nicht insgesamt bewertet werden können. Auch die Terminvorgabe – Ende des Schuljahres 2006/2007 – ist unrealistisch. Wie wir wissen, beginnen die Schulen erst im kommenden Schuljahr mit der flexiblen Schulanfangsphase und zwar mit circa 50 Prozent.

[Mieke Senftleben (FDP): Das war aber einmal anders geplant!]

Die restlichen 50 Prozent folgen dann im nächsten Schuljahr. Was soll also bis dahin evaluiert werden, meine liebe Kollegin Senftleben?

Herr Steuer! Ich glaube, Sie haben das gesamte Konzept der Schulanfangsphase falsch verstanden. Sie sagen, wir machen hier ein ideologisches Experiment, weil wir der Meinung sind, alle Kinder seien gleich. Das ist vollkommener Quatsch. Wir machen eine flexible – das sagt schon der Name – Schulanfangsphase, weil wir der Meinung sind, dass nicht alle Kinder gleich sind, wenn sie gleich alt sind. Es gibt welche, die sind kognitiv weiter, es gibt andere, die sind motorisch weiter. Die flexible Schulanfangsphase besagt gerade, dass man sie flexibel – ich wiederhole mich hier gebetsmühlenartig – durchlaufen kann, in einem, zwei oder drei Jahren. Was ist daran ideologische Gleichmacherei?

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich bin schon früh dabei gewesen, damals war ich noch gar nicht Mitglied dieses Hauses. Bereits seit 1998 diskutieren wir das, da war Ingrid Stahmer noch Schulsenatorin in Berlin. Die Forderung, so etwas wie die flexible Schulanfangsphase einzuführen, ist von den Grundschullehrerinnen und -lehrern erhoben worden.

[Mieke Senftleben (FDP): Aber jetzt wollen sie es nicht!]

Sie haben nämlich gesehen, dass solche Versuche wie JÜL – jahrgangsübergreifendes Lernen – oder die PeterPetersen-Schule in Neukölln gute Ergebnisse erzielt haben. Damals, Frau Senftleben – ich kannte Sie damals noch nicht, ich weiß nicht, ob Sie das damals verfolgt haben –

[Mieke Senftleben (FDP): Habe ich!]

sollten ursprünglich drei Jahre als Anfangsphase gemacht werden. Jetzt sind wir bei zwei Jahren. Ich weiß nicht, weshalb das nicht flächendeckend umgesetzt werden soll. Alles auf Freiwilligkeit zu setzen, Herr Steuer, das geht nicht.

[Mieke Senftleben (FDP): Doch!]

Es ist richtig, dass man die flächendeckende Einführung um ein Jahr verschoben hat. Wer es jetzt machen will, macht es, die anderen machen es danach.

[Mieke Senftleben (FDP): Aus der Not geboren!]