Protokoll der Sitzung vom 13.09.2007

[Heiterkeit]

Auch bei privaten Veranstaltungen gibt es eine öffentliche Diskussion über die Verantwortung der Veranstalter im Hinblick auf die Künstler, die sie zu einer solchen Veranstaltung einladen. Dass es mehr als „geschmäcklerisch“ war, Bushido unter dem Thema dieser Veranstaltung auftreten zu lassen, ist – Gott sei Dank! – auch diskutiert worden. Aber Sie dürfen nicht davon ausgehen, dass zu jedem Vorgang in der Stadt immer wieder ein Senatsmitglied oder gar der Regierende Bürgermeister automatisch Stellung nehmen.

[Beifall und Heiterkeit bei der SPD und der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Herr Birk hat noch eine Nachfrage? – Bitte schön, Herr Birk! Entschuldigung!

Es handelte sich bei dem Konzert am Brandenburger Tor, das live bei „Viva“ übertragen wurde, nicht um irgendeinen Vorgang, und im Gegensatz zum Bildungssenator war Ihre Verwaltung im Vorfeld sehr gut informiert und hätte sich äußern können.

Sehen Sie – wie die Polizei – zwischen der derzeitigen Gewalt in den Kiezen und den gewaltträchtigen Texten von sogenannten Gangsta-Rappern, zu denen Bushido gehört, auch einen Zusammenhang?

[Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Herr Regierender Bürgermeister – bitte schön!

Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Wenn solche Thesen – die man in die Welt setzen kann – so einfach zu beantworten wären, wie Sie suggerieren, dann hätte man auch leicht Antworten, um etwas abstellen zu können. Ich finde es viel problematischer, dass Tausende von Jugendlichen – und vielleicht auch Erwachsenen, die dabei waren – dem Sänger offensichtlich zugejubelt haben.

[Dr. Friedbert Pflüger (CDU): Eben!]

Ich unterstelle nicht, dass jeder sich mit den Texten identifiziert – da gibt es eine Diskrepanz, auch in der Jugendkultur; nicht jeder, der die Musik von Bushido gut findet, identifiziert sich mit den Texten oder ist gewaltbereit, ausländerfeindlich oder sonst etwas. Aber es findet offensichtlich keine kritische Reflexion statt. Das ist das Gefährliche an der ganzen Angelegenheit. Wie man dagegen

vorgehen kann, kann man aber nicht bei einer Spontanen Fragestunde abschließend erörtern.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Danke schön, Herr Regierender Bürgermeister! – Jetzt ist aber wirklich Schluss mit der Spontanen Fragestunde.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3:

Aktuelle Stunde

Kein Freispruch für Senatorin von der Aue: Drogenschmuggel, Personalmangel, Anarchie – Herr Wowereit – nutzen Sie endlich Ihre Richtlinienkompetenz!

Antrag der CDU

Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redner aufgeteilt werden kann. Für die Fraktion der CDU spricht der Kollege Rissmann. – Bitte schön, Herr Abgeordneter Rissmann, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Frau von der Aue! Sie entwickeln sich zu einem Dauerbrenner für Aktuelle Stunden in diesem Haus. Vor der Sommerpause mussten wir an dieser Stelle unter der Überschrift „Pleiten, Pech und Pannen – Maulkord statt schonungsloser Problemanalyse in der Berliner Justiz“ mit Ihrem völlig überzogenen Umgang mit den Äußerungen eines Berliner Oberstaatsanwalts ins Gericht gehen. Schon damals stand nicht nur dieser Punkt bei uns im Fokus, sondern auch Ihre bis dahin gebotene Pleitenserie. Jetzt, nach der Sommerpause, müssen wir nicht nur erneut zu dem Instrument der Aktuellen Stunde greifen, um Sie zum Jagen zu tragen, sondern mittlerweile ist auch allen klar geworden, dass Ihre offensichtliche Überforderung im Amt weitaus größere Ausmaße hat, als bisher angenommen.

Wie so oft mussten wir aus den Medien erfahren, dass die Jugendstrafanstalt Plötzensee, ein Ort, der eigentlich der Erziehung junger Menschen dienen soll, zu einem Drogensumpf verkommen ist,

[Gelächter bei der Linksfraktion]

wo Handys, Döner und andere Dinge über die Mauer fliegen und ein Regime von Gewalt unter den Häftlingen herrscht. Das hat Jugendrichter und Staatsanwälte dazu veranlasst, medienöffentlich mitzuteilen, dass sie ernsthaft prüfen, ob sie Jugendliche überhaupt noch in diese Jugendstrafanstalt schicken können. Sie befürchten, dass diese mit mehr kriminellen Erfahrungen herauskommen, als sie hineingeschickt wurden.

Es ist schwierig, Frau von der Aue, eine ordentliche Chronologie zu erstellen, da Sie bisher jede Gelegenheit verpasst haben, einen Sachverhalt abzuliefern, der beständig ist und auf dessen Grundlage man eine belastbare Bewertung der Vorgänge ausführen kann. Aber nach dem, was Sie uns bisher kursorisch mitgeteilt haben, wissen wir, dass Sie im Frühjahr, wohl im März, erfahren haben, dass eine an das Gelände der Jugendstrafanstalt Plötzensee angrenzende Laubenkolonie zum Stützpunkt von Drogendealern verkommen ist, von dem aus diese in schöner Regelmäßigkeit Drogen in die Jugendstrafanstalt befördern. Dass auch Waffen und andere gefährliche Gegenstände dabei waren, wissen Sie nicht, können Sie nicht ausschließen.

Und nun nimmt eine unglaubliche Posse ihren Lauf. Ihr Amtsschimmel, Frau von der Aue, wiehert verzagt. Man handelt sofort – das sagen nur Sie –, indem man Fenstergitter bestellen will. Das dauert dann etliche Monate. Vor Ort, in der Jugendstrafanstalt Plötzensee, passiert nichts. Der Drogen- und Handyhandel nimmt ungebremst seinen Lauf. Angesichts dieser Tatsache ist es im höchsten Maße lächerlich, wenn Sie sagen, Sie hätten sofort gehandelt.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Erst als Ende August, Anfang September die Öffentlichkeit durch Medienberichterstattungen in Sorge gerät und Druck auf Sie ausgeübt wird, nehmen Sie Kontakt zum Innensenator und zur Berliner Polizei auf, um etwas zu unternehmen. Sie verkünden dann Sofortmaßnahmen: Streifengänge der Polizei und Videoüberwachung. Warum Sie diese Maßnahmen nicht schon sechs Monate zuvor angeordnet haben, bleibt allein Ihr Geheimnis.

In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, welche Rolle der Innensenator und die Berliner Polizei in diesem Zusammenhang gespielt haben. Das ist aber nicht das Thema der heutigen Aktuellen Stunde. Insofern werfe ich nur die Frage in den Raum, warum die Polizei nicht von sich aus gehandelt hat. Man sollte davon ausgehen, dass eine Strafanstalt ein sicherheitsrelevanter Bereich ist. Es gab auch Anzeigen und Meldungen der besorgten Kleingärtner.

Grundsätzlich stelle ich klar: Uns allen ist bewusst, dass es im Justizvollzug zu Fluchten, zu Drogenhandel und zu anderen Fehlerscheinungen kommen kann und auch kommt. Das ist auch nicht das Thema, um das es geht. Das Thema ist, wie Sie damit umgehen, Frau von der Aue.

Deswegen ist es auch nicht das übliche Ritual, das die Opposition betreibt,

[Udo Wolf (Linksfraktion): Nein, das wäre das Letzte!]

wie es die Regierungskoalition behauptetet hat und wahrscheinlich gleich wieder behaupten wird, weil sie sehr berechenbar ist. Es geht hier um Ihr Krisenmanagement, Frau von der Aue, es geht um Ihre Informationspolitik, Ihr Problembewusstsein und letztendlich im Kern um Ihre

Eignung, einer so wichtigen und von Rot-Rot so vernachlässigten Behörde vorzustehen.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Schon in der Vergangenheit sind Sie, Frau von der Aue, durch Deckelung, Verharmlosung und Leugnung von Problemen aufgefallen: Veröffentlichungsverbot von Suiziden in den Haftanstalten, Maulkorb für die Staatsanwaltschaft und dergleichen mehr. Diese Mittel sind nicht nur zweifelhaft, sie sind nach meiner festen Überzeugung auch vollkommen untauglich, die krisengeschüttelte Berliner Justiz in den Griff zu bekommen. Warum haben Sie, Frau von der Aue, den Rechtssausschuss anlässlich seines Besuchs in der JSA Plötzensee am 9. Mai 2007, also zwei Monate, nachdem Sie mutmaßlich Kenntnis von den Geschehnissen in der JSA Plötzensee hatten, nicht informiert?

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Warum haben Sie geschlafen?]

Warum behaupten Sie jetzt noch, im März sofort gehandelt zu haben, obwohl selbst der SDP-Landes- und Fraktionsvorsitzende, Herr Müller, sich mit der Aussage zitieren lässt:

Es ist nicht akzeptabel, dass es von Frühjahr bis Herbst braucht, bis neue Fenstergitter an den Zellen angebracht sind. Bei einem solchen Problem ist das einfach zu langsam.

Noch besser sind SPD und Linke in diesem Haus. Sie haben ihre Aktuelle Stunde heute unter die Überschrift gestellt „Situation in der Jugendstrafanstalt Plötzensee – Sicherungs- und Schutzmaßnahmen zügig umsetzen“.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Das ist lustig, ja!]

Das impliziert wohl Unzufriedenheit, impliziert, dass selbst die eigene Regierungskoalition mit Ihnen nicht mehr zufrieden ist. Besser spät als gar nicht!

[Beifall bei der CDU und der FDP – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Haben Sie selbst noch etwas? – Zurufe von der SPD]

Ich sage, ohne Prophet zu sein, Frau von der Aue: Das Eis für Sie wird dünn. Warum haben Sie die Berliner Polizei erst am 3. September 2007 über die Vorkommnisse informiert, wie es jedenfalls der Polizeipräsident, Herr Glietsch, sagt? Was haben Sie dem Regierenden Bürgermeister erzählt, dass dieser zu der vollkommenen Fehleinschätzung gelangt, ich zitiere:

Man hat reagiert, die Videokontrollen und Wachen verschärft, es ist nicht nichts getan worden.

Wobei Sie, Frau von der Aue, aber am selben Tag sagten:

Seit März haben wir an der Videoüberwachung nichts geändert. Wir überlegen, ob wir einen weiteren Posten einsetzen.

[Zuruf von Dr. Martin Lindner (FDP)]

Sie nennen das Missverständnis. Ich frage Sie: Hat Herr Wowereit nicht zugehört, oder haben Sie ihn falsch informiert?

[Dr. Martin Lindner (FDP): Kann ja nur einer die Wahrheit sagen! – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Wir können ja die Kameras abschalten lassen!]

Nur eines von beiden kann es sein.