Protokoll der Sitzung vom 09.11.2006

Antrag auf Annahme einer Entschließung

Endlich: Der Ladenschluss wird abgeschafft!

Antrag der FDP Drs 16/0051

Hierzu der Änderungsantrag der Fraktion der FDP Drucksache 16/0015-1; der Änderungsantrag der Fraktion der Grünen Drucksache 16/0015-2 sowie der Entschließungsantrag der FDP „Endlich – der Ladenschluss wird abgeschafft“ Drucksache 16/0051.

Wird der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der 12 Paragrafen zu verbinden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch. Ich rufe auf die Drucksachen

16/0015, 16/0044 sowie die Änderungsanträge Drucksachen 16/0015-1, 16/0015-2. Für die Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu 8 Minuten zur Verfügung. – Zunächst erteile ich das Wort den Grünen. Frau Paus, bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir vor Eintritt in meine Rede, Herrn Busch-Petersen vom Einzelhandelsverband Berlin-Brandenburg zu begrüßen, mit dem wir seit Jahren gegen das Ladensterben in der Stadt ankämpfen. Herr Busch-Petersen, ich begrüße Sie recht herzlich. Ich hoffe, dass es, wenn wir einmal unterschiedlicher Meinung sind, unserer grundsätzlich guten Zusammenarbeit keinen Abbruch tut.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Frau Paus, darf ich Sie unterbrechen? – Das ist eigentlich immer die Aufgabe des Präsidiums. Wir schließen uns natürlich alle an und begrüßen Sie recht herzlich hier in diesem Haus.

[Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Nun ist es also beraten, das Ladenöffnungsgesetz. Dringlich eingebracht, wurde innerhalb von zwei Tagen eine Anhörung aus dem Boden gestampft. Gestern, nur eine Woche später, wurde es zwischen der roten Nummer 0017 – Aufhebung der vorläufigen Hauhaltswirtschaft Bezirk Mitte – und einer Nachfrage zu Seite 11 der roten Nummer 0006 im Hauptausschuss nebenbei abgehandelt. Eine fachliche Beratung fiel vollständig aus, statt dessen oberflächliches Geplänkel. So kann man mit so einem Gesetz nicht umgehen!

[Beifall bei den Grünen]

Den Vogel hat meines Erachtens gestern Herr Goetze von der CDU abgeschossen, als er sich nämlich zu der Aussage verstieg, Shopping an den Adventssonntagen sei vielleicht genau das Richtige, um sozial benachteiligten, zerrütteten Familien zu helfen, indem die Eltern sich sonntags einmal nicht um die Kinder kümmerten; in der Shopping-Mall seien die Kinder besser aufgehoben als auf der Straße.

[Heiterkeit links]

Woher aber gerade diese Kinder und Familien das Geld haben sollen, ihren Frust mit Konsum zu töten, blieb allerdings, wie so vieles, bei der Beratung dieses Gesetzes offen.

Auch wir Bündnisgrünen wollen die Ladenöffnungszeiten in Berlin einer internationalen Tourismusmetropole entsprechend weiterentwickeln. Immerhin geht es hierbei um

einen Wirtschaftszweig, der jährlich 6 Milliarden € zur Bruttowertschöpfung in dieser Stadt beiträgt und in dem zwischen 60 000 und 70 000 Beschäftigte, überwiegend Frauen, ihren Lebensunterhalt verdienen. Aber gerade weil der Handel so wichtig ist, haben wesentliche Änderungen der Rahmenbedingungen eine ordentliche Beratung und keinen Schweinsgalopp verdient.

[Beifall bei den Grünen]

Sie von CDU bis Linkspartei erweisen der Sache einen Bärendienst. Deswegen werden wir diesem Gesetz so nicht zustimmen.

Im Übrigen verfängt der Verweis auf das Weihnachtsgeschäft nicht. Dass der Heiligabend auch in diesem Jahr wieder auf den 24. Dezember fallen würde, war frühzeitig abzusehen. Und genauso verhält es sich mit der Gewissheit, dass die Föderalismusreform noch vor dem Weihnachtsgeschäft rechtskräftig sein und damit ein reines Landesgesetz zur Regelung der Ladenöffnungszeiten beschlossen werden kann. Bereits letztes Jahr im November war mit der Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD auf Bundesebene klar, dass diese Reform noch vor der Sommerpause beschlossen wird. Und deswegen gibt es nur einen Grund, warum wir dieses Gesetz nicht im Frühjahr, nicht im Sommer und auch nicht im August beraten haben, sondern eben erst nach der Wahl und dann in dieser Form bekommen haben. Sie von SPD und Linkspartei.PDS wollten die vermuteten Wählerinnen und Wähler unter den über 60 000 Beschäftigten nicht verprellen, das aber nennt sich schlicht Wahlbetrug.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Quatsch! – Beifall bei den Grünen]

Und der wird schlimmer und nicht besser, wenn hinterher ein schlechtes Gesetz entsteht, weil keine Zeit für eine ordentliche Beratung bleibt.

Aber, das hat jedenfalls auch die Beratung gestern für mich gezeigt, anscheinend sind Sie zu mehr als zu Rumdrucksen in dieser Frage gar nicht in der Lage. Denn der andere Teil der Wahrheit ist ja wohl: Das einzige Argument für dieses Gesetz in dieser Form, das von Ihnen aus der rot-roten Koalition wirklich inhaltlich vertreten wird, lautet: Wowereit will es so, basta!

Aber das, was dann dringlich eingebracht wurde, war dann schon noch einmal eine Überraschung.

Da legte der Senat und die verantwortliche Senatorin Knake-Werner, die sich vorher immer dagegen ausgesprochen hatte, einen Gesetzentwurf vor, der glatt den Entwurf der FDP rechts überholt. Zehn öffnungsfreie Sonntage, inklusive Adventssonntage gesetzlich festgeschrieben, da ist der FDP gar nichts anderes mehr übrig geblieben als ihren Gesetzentwurf eilig für erledigt zu erklären. Dabei hat eine Umfrage des „Tagesspiegels“ am 1. November ergeben,

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Das war keine Umfrage!]

dass 88 % der Umfrageteilnehmer gegen eine Ladenöffnung an den Adventssonntagen sind. Eine verfassungsrechtliche Auseinandersetzung, das hat die Anhörung deutlich gemacht – sollte dieses Gesetz heute so beschlossen werden –, wird wahrscheinlich folgen. Kirchen, Verdi und die Geschäftsstraßengemeinschaften jenseits der großen touristischen Zentren laufen jedenfalls Sturm gegen dieses durchgepeitschte Gesetz.

Wie wird sich der Lebensalltag der Beschäftigten, wie die Nahversorgung der Berlinerinnen und Berliner jenseits der touristischen Zentren, wie der Bedarf für Kinderbetreuung, wie die Anforderungen der Fahrgäste an den ÖPNV verändern? – Wir alle müssen ehrlicherweise sagen: Wie wissen es nicht. Wir Bündnisgrüne sind jedenfalls der Auffassung, wenn das Land Berlin als Gesetzgeber die Öffnungszeiten derart radikal und kurzfristig ändert, dann ist es zumindest in der Verpflichtung, sich und der Öffentlichkeit Rechenschaft darüber abzulegen, welche gesellschaftlichen Auswirkungen es gegeben hat. Dann ist es verpflichtet, für ein entsprechend angepasstes Angebot an Kinderbetreuung sowie an BVG- und SBahn-Verkehr zu sorgen. Dann sollte der Senat zumindest darüber informieren, welche flexiblen Kinderbetreuungsmöglichkeiten – wie Tagesmütter – jetzt bereits vorhanden sind. Aber selbst unser Vorschlag, nach einem halben Jahr über die Wirkung des Gesetzes insbesondere auf den Kinderbetreuungsbedarf der Beschäftigten und die Beanspruchung des ÖPNV zu berichten, wurde gestern von allen anderen Fraktionen abgelehnt.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Oh! Wie gemein!]

Wir kündigen an, dass wir in dieser Frage nicht lockerlassen werden.

[Beifall bei den Grünen]

Das machen wir auch, weil wir wissen, dass die Koalition grundsätzlich auch dieser Auffassung ist. Als wir im Jahr 2004 das erste Mal in den Fachausschüssen darüber gesprochen haben, sagte Harald Wolf, Wirtschaftssenator, mit erweiterten Arbeitszeiten brauche man selbstverständlich auch flexiblere Formen der Kinderbetreuung. Auch die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD, Frau Grosse, hatte damals – das können Sie im Protokoll nachlesen – erheblichen Diskussionsbedarf bei der Kinderbetreuung. Auch der parlamentarische Geschäftsführer der PDS, Herr Doering, vertrat ebenfalls die Auffassung, wenn man über längere Ladenöffnungszeiten rede, müsse man auch über eine adäquate Reaktion des öffentlichen Dienstes, Kitas, Bürgerbüros und anderes mehr nachdenken.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Haben wir gemacht!]

Heute will sich von Ihnen niemand mehr daran erinnern. Selbst unser Berichtsauftrag ist abgelehnt worden.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Ich habe nachgedacht!]

Wir Grüne wollen eine Liberalisierung mit Augenmaß.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Globalisierung mit Augenmaß!]

Deswegen begrüßen wir eine landesgesetzliche Regelung, finden aber, dass Öffnungszeiten montags bis samstags von 8.00 bis künftig 22.00 Uhr in der aktuellen Situation ausreichend sind.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Was sagt die Bundestagsfraktion der Grünen dazu?]

Das haben nicht zuletzt die während der Fußball-WM gemachten durchaus gemischten Erfahrungen bestätigt. Die Adventssonntage sollten wie bisher wie die übrigen Sonntage behandelt werden und arbeitsfrei bleiben. Der Tag der Deutschen Einheit sollte wie andere hohe Feiertage behandelt werden und ebenfalls für die im Einzelhandel Beschäftigten arbeitsfrei bleiben. Deshalb haben wir Ihnen einen Änderungsantrag vorgelegt. Noch ist es nicht zu spät. Selbst die bayrische CDU-Landtagsfraktion hat sich gestern entschieden, nichts zu überstürzen. Deshalb fordern wir Sie auf: Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu und damit einer angemessenen Liberalisierung der Berliner Ladenöffnungszeiten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank Frau Paus! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Abgeordnete Jahnke – bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In diesem Monat könnten wir ein tolles Jubiläum feiern, das 50-jährige Jubiläum des Ladenschlussgesetzes, das genau im November 1956 in Kraft getreten ist. Ich glaube, es ist ein gutes Zeichen, dass wir es hier in Berlin in der Weise begehen, dass wir ein Ladenöffnungsgesetz beschließen, das dieses Ladenschlussgesetz ablöst. Die wirtschaftlichen Bedürfnisse und Möglichkeiten sind nicht mehr die von 1956. Der Ladenschluss, das hat man in den letzten Jahren erlebt, ist durch Tankstellen, Bahnhöfe und Flughäfen ausgehöhlt worden. Deshalb ist das Gesetz immer wieder angepasst worden, zuletzt mit der Öffnungsmöglichkeit werktags bis 20.00 Uhr. Deshalb ist eine gesetzliche Regelung, die eine Liberalisierung an Werktagen vorsieht, die konsequenteste Lösung.

Nun ist uns gerade von Frau Paus vorgehalten worden, wir zögen das hier im Schweinsgalopp durch. Sie selbst aber haben das Argument genannt, das gegen diese Behauptung spricht. Schon im letzten Winter ist eine Änderung des Gesetzes erwartet worden, nur leider ist die Föderalismuskommission gescheitert, sodass es auf Länderebene keine Möglichkeit gab, solch ein Gesetz zu beschließen. Erst seit August 2006 besteht diese Möglichkeit, und wir nutzen sie sofort. Wir sind von den Verbänden – Sie haben den Verbandsvertreter feierlich begrüßt – und der Presse gefragt worden, ob wir es hinbekommen, dass die neuen Öffnungszeiten rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft in Kraft treten. Wir haben es geschafft.

Das neue Gesetz gibt die Ladenöffnungszeiten von Montag 0.00 Uhr bis Sonnabend 24.00 Uhr gänzlich frei. Das ist kein Öffnungszwang. Es wird nicht über die ganze Stadt jeder kleine Laden rund um die Uhr öffnen, das wird je nach Lage gehandhabt. In der Innenstadt, am Kudamm, am Tauentzien, am Alex und in der Friedrichstraße werden die Läden natürlich länger öffnen, was internationalem Standard entspricht. Ob es dann in der Müllerstraße, in der Turmstraße oder in Dahlem und Frohnau auch so sein wird, ist eine ganz andere Frage. Es wird sowohl den Ladeninhabern als auch den Kunden freigestellt, ob sie öffnen beziehungsweise einkaufen wollen. Einen Einkaufszwang haben wir nämlich auch nicht.

So ähnlich wird es auch mit den viel diskutierten Adventssonntagen sein. Berlin, Touristenstadt Nummer 3 in Europa, kann so zusätzliche Kaufkraft generieren. Es mag sein – Sie haben die Umfrage des „Tagesspiegel“ zitiert –, dass 88 % der sich dort geäußert Habenden – das war ja nicht repräsentativ – eine Contrahaltung eingenommen haben. Aber auch diese Leute wissen es zu schätzen, wenn man in Rom, London und Paris offene Geschäfte vorfindet. Für die Touristen ist es auf jeden Fall positiv, wir werden damit Kaufkraft von außerhalb generieren, die wir andernfalls nicht hätten.

Die Sonn- und Feiertage bleiben geschützt. Es ist nicht so, dass sie gänzlich freigegeben sind. Sie sind durch die Verfassung geschützt, und das bleibt auch mit diesem Ladenöffnungsgesetz so. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Kinder unter 12 Jahren haben oder eine pflegebedürftige Person betreuen, müssen nach 20.00 Uhr – also in der Zeit, die jetzt neu hinzukommt – nicht verkaufen. Unser Änderungsantrag zum Gesetzentwurf sieht das auch für die Sonn- und Feiertage vor.

[Michael Schäfer (Grüne): Toll, dann werden sie gar nicht erst eingestellt!]

Das bedeutet: Dieses Gesetz trägt den veränderten Freizeit- und Konsumbedingungen Rechnung. Es gibt insbesondere der Touristenstadt Berlin die Möglichkeit, ihre Chancen national und international als Einkaufsstadt zu nutzen und berücksichtigt dabei schutzbedürftige Arbeitnehmerinteressen. Deshalb bitte ich um Zustimmung.