Die von der Regierung und den Bündnis-Grünen vorgelegte Novellierung verfolgt sogar das Gegenteil eines Schlussstrichs. Sehr bewusst hatten sich die Parlamentarier bei der Verabschiedung des Stasi-Unterlagengesetzes vor 15 Jahren dafür eingesetzt, dass die Überprüfungen in Analogie zu den Verjährungsfristen des Strafgesetzbuches irgendwann einmal auslaufen müssten. Der jetzt von der Tagesordnung genommene Gesetzentwurf sollte sicherstellen, dass Überprüfungen auf eine StasiTätigkeit weiter vorgenommen werden können. Nur 17 Jahre nach dem Untergang der DDR sollte der massenhafte Regelfall durch den selteneren Verdachtsfall ersetzt werden, und dafür ist es höchste Zeit, auch wenn die Kritiker der Novellierung das nicht wahrhaben wollen.
durch die Neufassung des Stasi-Unterlagengesetzes das Prinzip der offenen Aufarbeitung des DDR-Unrechts nicht gefährdet. Die Masse der Überprüfungen des öffentlichen Dienstes in Ostdeutschland ist erledigt,
Gestatten Sie mir noch, etwas zur Debatte im Bundesrat zu sagen. Den Vertretern des Landes Berlin war es wichtig, den Antrag Thüringens zu ändern, und zwar in einem anderen Punkt: Wir wollten, dass die Antragsfristen zur Rehabilitation von Opfern um drei Jahre verlängert werden. Das ist die Debatte, die mir wichtiger ist, und deshalb finde ich es gut, dass wir uns mit der SPD im Koalitionsvertrag darauf verständigt haben, nicht nur die Arbeit des Landesbeauftragten als weiterhin bewährt zu bezeichnen, sondern auch eine Bundesratsinitiative zur Verbesserung – –
Vielen Dank! – Herr Liebich, ich höre sehr wohl, dass Sie diesen Bundestagsentwurf sehr hoch loben, aber wenn ich das richtig verfolgt habe, hat der rot-rote Senat im Bundesrat doch schon dem Thüringer Antrag zugestimmt. Das passt nicht so ganz mit Ihrer Rede zusammen.
Gute Frage, Herr Ratzmann, aber ich war gerade an der Stelle wo ich erläutert habe, warum sich das Land Berlin im Bundesrat wie verhalten hat, und das müssten Sie sich zu Ende anhören,
weil wir einen Änderungsantrag eingereicht haben, wo es um die Verlängerung der Antragsfristen für die Rehabilitation von Opfern geht. Das ist uns wichtiger. Diese Debatte nehmen wir auch im Koalitionsvertrag auf, und dort haben wir auch – das habe ich vorhin gerade begonnen zu sagen, als Sie die Frage gestellt haben – eine Bundesratsinitiative zur Verbesserung der Opferentschädigung verankert. Weil sich dieser Änderungsantrag durchgesetzt hat, hat das Land Berlin im Bundesrat dem Antrag von Thüringen zugestimmt.
Gleichwohl ist die Debatte weiterhin notwendig. Ich finde es gut, dass die Debatte jetzt weitergeführt wird, und ich finde, dass wir uns in dieser Debatte in unseren Parteien beteiligen sollten. Ich glaube, dass der Schwarz-WeißAntrag der FDP in dieser Debatte nicht nützt, sondern schadet, und deshalb schlage ich vor, dass wir den Antrag der FDP ablehnen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen will keinen Schlussstrich, und wir wollen, dass es weiterhin eine Behörde mit einem Archiv gibt, das unter ganz bestimmten Kriterien und für ganz bestimmte Zwecke genutzt werden darf.
In einem zeithistorischen Seminar hat mir ein Student aus dem Südwesten Deutschlands, der das erste Mal in Berlin war, erklärt, er hätte die Verfassung der DDR studiert und festgestellt, dass darin umfangreiche Rechte für die Bürgerinnen und Bürger festgeschrieben sind, und er fand das gut. Ich habe ihm gesagt: Da haben Sie unrecht. Was nützt es in einem Staat wie der DDR, eine Verfassung zu haben, worin alles Mögliche steht, wenn aber in der Pra
An diesem Beispiel wird sehr deutlich, wie wenig auch 15 Jahre nach dem Ende der DDR die politischen Strukturen dieses Staates bekannt sind und wie wenig sich historisches Bewusstsein in ganz Deutschland bisher entwickelt hat, denn dafür war die Zeit bisher einfach zu kurz. Das müssen wir heute so konstatieren.
Das Gesetz über die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR – das ist der vollständige Begriff für das abgekürzte StUG – ist ein sehr vorbildliches Gesetz, um das uns viele Länder im ehemaligen Ostblock beneiden. Selbst in Südamerika hat man sich dafür interessiert, und es gibt einige Staaten, die erwägen, Ähnliches in Gang zu setzen, um mit ihren geheimdienstlichen Strukturen aus Diktaturen umzugehen. Das Gesetz ermöglicht die Erforschung der Herrschaftsmechanismen. Es kann helfen, Unrecht an Gruppen und Einzelnen aufzuklären, und es bietet die Chance, sich mit Personen und ihrer Vergangenheit direkt auseinanderzusetzen, eine Chance, die jedem Einzelnen gegeben ist und die von Institutionen genutzt werden kann. Eine solche Institution ist auch dieses Parlament.
Ich darf Ihnen sagen – ich bin erst relativ neu hier –, dass wir uns in dem Bezirksparlament, in dem ich vorher tätig war, gerade in der letzten Wahlperiode einige Male mit Stasi-Unterlagen der Behörde beschäftigen mussten und einige sehr interessante Auseinandersetzungen hatten. Die waren auch notwendig, weil die Leute, um die es ging, sich selber mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen mussten und wir als Bezirksparlament, als Bezirksverordnetenversammlung, uns direkt an sie wenden und direkt mit ihnen darüber diskutieren konnten, und das ist auch 15 Jahre nach dem Ende der DDR nicht überflüssig.
Sehr geehrter Herr Kollege Otto! Ich verstehe Sie also richtig, dass die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in Berlin auf Antrag der FDP möchte, dass der von Frau Künast mitunterzeichnete Gesetzesentwurf auf Bundesebene abgelehnt wird.
Herr Otto! Bevor Sie weitermachen, gestatten Sie auch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brauer?
Ich glaube, eine reicht! – Herr Liebich, Sie haben die Frage gestellt, bevor ich zu diesem Themenkomplex gekommen bin.
Das Gesetz im Bundestag ist von drei Fraktionen eingebracht worden, und diese haben versucht, sich auf einen Kompromiss zu einigen, der ihnen als das weitestgehend Mögliche erschien. In den letzten Tagen gab es viele Diskussionen, viele Initiativen und Betroffene haben sich zu Wort gemeldet und angeregt, noch einmal darüber nachzudenken, ob dieser Entwurf weit genug geht. Deswegen wurden die Beratungen ausgesetzt, und deswegen ist es auch gut, wenn wir als Land Berlin das, was Thüringen vorgelegt hat, unterstützen, und wenn wir hoffen, dass sich daraus ein von möglichst Vielen getragener Kompromiss ergibt. Das ist die Aufgabe und das Ziel, das wir als Bündnis 90/Die Grünen verfolgen.
[Beifall bei den Grünen – Beifall von Christoph Meyer (FDP) – Zuruf von Wolfgang Brauer (Linksfraktion)]
In der Vergangenheit gab es einige erfolgreiche Klagen gegen Presseveröffentlichungen, in denen Mitarbeiter des MfS namentlich genannt wurden, prominente und nicht so prominente. Es gibt die Befürchtung, dass nach Ablauf der Frist von 15 Jahren diese Klagen zunehmen werden. Auch unter diesem Aspekt ist es sinnvoll und richtig, dass die Frist verlängert wird. Wir wollen eine möglichst weitgehende Lösung, die die Nutzung der Akten erlaubt. Es gibt keine Regelanfrage, Herr Liebich hat bereits darauf hingewiesen, sondern es ist ein Gesetz, das vorgibt, was man mit den Akten machen darf und wer sie wofür anfordern darf. Regelanfrage steht dort nicht. Es liegt in der Entscheidung jeder Körperschaft, ob sie Fragen stellt.
Wir wollen eine möglichst weitgehende Lösung, und damit wollen wir erreichen: Rehabilitierung, wo diese noch nicht erfolgt ist, wir wollen die Erforschung des Herrschaftssystems der DDR voranbringen, und wir wollen die Überprüfung von hochrangigen Vertretern in diesem Lande ermöglichen. Deshalb stimmen wir dem Antrag der FDP zu. – Danke schön!
Vielen Dank, Herr Otto! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse über den Antrag abstimmen. Wer für den Antrag stimmt, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Gegenprobe! – Enthaltungen?
[Christian Gaebler (SPD): Das kann doch nicht sein! Da fehlen fünf Leute! – Uwe Doering (Linksfraktion): Was sehen Sie denn da?]
Wir probieren heute – seit langem das erste Mal – den sogenannten Hammelsprung. Das ist vielen Abgeordneten, mir auch, neu. Die linke Tür, vom Präsidium aus gesehen, ist die Ja-Tür. Dorthin bitte ich Frau Abgeordnete Ströver und Frau Abgeordnete Dr. Schulze. Die mittlere Tür ist die Tür für Enthaltungen. Dorthin bitte ich Frau Abgeordnete Hämmerling und Herrn Abgeordneten Scholz. Die dritte Tür ist für die Nein-Stimmen. Zu dieser Tür bitte ich Herrn Abgeordneten Jauch und Frau Abgeordnete Grosse. Nunmehr bitte ich die Damen und Herren, den Saal zu verlassen. Nach Ertönen des Gongzeichens treten Sie bitte einzeln wieder in den Saal.
Wenn die Beisitzer dann so weit sind, bitte ich sie, nach vorn zu kommen und mir ihre Ergebnisse bekanntzugeben. Ich denke, dass jeder die Möglichkeit hatte eintreten zu können, und würde dann die Beisitzer zu mir bitten. – Ich bitte die Damen und Herren Abgeordneten, Platz zu nehmen, damit wir zügig weitermachen können.
Nachdem Sie wieder Platz genommen haben, verkünde ich das Ergebnis. Für den Antrag gab es 70 Ja-Stimmen, 75 Nein-Stimmen und null Enthaltungen. Damit ist der Antrag abgelehnt.