Protokoll der Sitzung vom 14.02.2008

Die Gefahr, dass bildungsferne Schichten von der Wahlfreiheit überfordert sein werden, ist trotz einer begleitenden Beratung offensichtlich. So sind diese Eltern, die quasi Nutznießer dieses neuen Systems sein sollen, aufgrund ihrer finanziellen und sozialen Lage oft weniger mobil und kommen damit oft nicht in den Genuss eventueller Vorzüge, die ein Bildungsgutscheinsystem bietet oder bieten sollte.

Zum anderen wird in der Praxis die Behauptung, es komme zu einer effizienteren Mittelverwendung, nicht bestätigt – in keinem der Bildungsgutscheinsysteme, die weltweit bisher eingeführt worden sind. Die Einführung von

Bildungsgutscheinen erhöht nämlich die Gesamtkosten für das Bildungswesen.

[Zurufe]

Genau! Es ist teurer, viel teurer!

[Mieke Senftleben (FDP): Das stimmt!]

Außerdem muss bedacht werden – und das wissen Sie auch, Frau Senftleben –, dass es weltweit kein gutscheinfinanziertes Schul- oder Bildungssystem gibt, das flächendeckend funktioniert bzw. funktioniert hat. Wir reden von einer Stadt mit 3,5 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Warum sollte ein kostenintensives Modell gerade in diesem armen Pleite-Berlin funktionieren? – Das müssen Sie uns erst einmal erklären.

Ich kann Ihrem Modell nichts abgewinnen. Ich kann Ihnen nur sagen: Berlin braucht keine unzähligen kostspieligen Pilotprojekte. Berlin braucht keine Bürgerschule, unter der scheinbar nur Sie sich etwas vorstellen können, aber niemand sonst. Berlin muss sich endlich den wahren Problemen in der Schule stellen und endlich in die Schulen investieren, die in den sozialen Brennpunkten liegen oder wo es andere Probleme gibt. Auch in Zehlendorf gibt es Probleme. Berlin muss auch dafür sorgen, dass z. B. die Gymnasien reformiert werden. Aber eine neue Schulform brauchen wir wirklich nicht.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Wie kommen jetzt zu der

lfd. Nr. 5:

II. Lesung

Erstes Gesetz zur Änderung des Berliner Ladenöffnungsgesetzes (BerlLadÖffG)

Beschlussempfehlung GesUmVer Drs 16/1148 Antrag der CDU Drs 16/0537

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch.

Ich rufe also auf die Überschrift und die Einleitung sowie die Artikel I und II, Drucksache 16/0537. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen die Ablehnung. Wer dem Antrag der CDU Drucksache 16/0537 dennoch zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Oppositionsfraktionen FDP, CDU und Grüne. Wer ist dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Ich komme nunmehr zu der

lfd. Nr. 5 A:

a) Dringliche II. Lesung

Gesetz für mehr Verständlichkeit von Volks- und Bürgerentscheiden (Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes) (Änderung des Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid)

Beschlussempfehlungen InnSichO und Haupt Drs 16/1179 Antrag der FDP Drs 16/0831

b) Dringliche II. Lesung

Gesetz zur Anpassung abstimmungsrechtlicher Vorschriften und begleitender Regelungen

Beschlussempfehlungen InnSichO und Haupt Drs 16/1180 Vorlage – zur Beschlussfassung – Drs 16/0787

c) Dringliche II. Lesung

Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid

Beschlussempfehlungen InnSichO und Haupt Drs 16/1181 Antrag der FDP, der CDU und der Grünen Drs 16/0690

Zu b liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der CDU, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion der FDP Drucksache 16/1180-1 vor.

Den Dringlichkeiten wird offensichtlich nicht widersprochen.

Ich eröffne die II. Lesung und schlage vor, die Einzelberatung der drei bzw. sechs bzw. zwei Artikel miteinander zu verbinden. – Hierzu höre ich keinen Widerspruch.

Ich rufe also auf die Überschriften und die Einleitungen sowie die Artikel I bis III bzw. I bis VI bzw. I bis II, Drucksachen 16/0831 bzw. 16/0787, und hierzu die Drucksachen 16/1180 und 16/1180-1 sowie den weiteren Antrag, Drucksache 16/0590.

Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der FDP. – Herr Kollege Kluckert! Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heutige Tag ist aus zwei Gründen ein wichtiger und guter Tag für die Stärkung der direkten Demokratie in Berlin und gegen Politikverdrossenheit.

Erstens: Heute Abend wird der Landeswahlleiter bekannt geben, dass mehr als 200 000 Berlinerinnen und Berliner für die Erhaltung des Flughafens Tempelhof in die Bürgerämter gegangen sind.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Mehr als 200 000 Berlinerinnen und Berliner haben erstmalig in der Geschichte unserer Stadt einen Volksentscheid auf den Weg gebracht, weil sie es unerträglich finden, wie dieser Senat und wie dieser Regierende Bürgermeister sie um ihre wirtschaftlichen Chancen bringen und Arbeitsplätze in Berlin vernichten.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Ach! von der SPD]

Zweitens: Heute Abend werden wir es den Bürgerinnen und Bürgern erleichtern, politische Sachentscheidungen zukünftig selbst zu treffen. Als liberale Parlamentsfraktion sagen wir: Wir haben keine Angst vor dem Bürger. Wir sind überzeugt davon, dass der Bürger verantwortlich mit den neuen Instrumentarien, dass er verantwortlich mit Volksbegehren und Volksentscheid umgehen wird.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

In vielen Fragen haben wir uns gemeinsam mit allen Fraktionen geeinigt. Es sind insbesondere die Punkte, die FDP, CDU und Grüne in einem gemeinsamen Antrag auf Drucksache 16/0690 bereits am 26. Juni 2007 im Parlament eingefordert haben. Weil wir diese Kernpunkte heute zusammen mit der Koalition in den Senatsentwurf einfließen lassen können, einfließen lassen werden, können wir unseren „Jamaika-Antrag“ für erledigt erklären.

Ein Kernpunkt, von dem wir die Koalition überzeugt haben, ist die freie Sammlung. Zukünftig müssen nicht mehr 170 000 Bürgerinnen und Bürger in die Bürgerämter laufen, sondern der Träger eines Volksbegehrens kann für sein Anliegen auf der Straße Unterschriften sammeln. Das ist ein wichtiger Beitrag gegen Politikverdrossenheit. Es wird eine ganz neue Dynamik für politisches Engagement aus der Bürgerschaft geben.

Leider nicht einigen konnten wir uns mit der Koalition darauf, eine Kostenerstattungsregelung für Träger eines Volksbegehrens einzuführen. Dabei ging es nicht um üppige Beträge für Träger von solchen Initiativen. Wir finden es schade, dass diese Koalition der direkten Demokratie durch das Versagen einer Kostenerstattungsregelung unnötig Steine in den Weg gesetzt hat. Die politischen Parteien erhalten staatliche Gelder dafür, dass sie an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Wir halten es nur für gerecht, dass auch den Trägern von Volksbegehren, die auch an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken, dafür eine bescheidene finanzielle Unterstützung gewährt wird. Sämtliche Experten im Rechtsausschuss haben sich auch dafür ausgesprochen. Wir finden es unsozial, dass Sie durch Versagen einer Kostenerstattungsregelung es insbesondere nur den Trägern, hinter denen finanzielle Interessen stehen, besonders erleichtern.

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

Sie wollen gerade Volksbegehren auf solche Träger beschränken, Herr Dr. Albers! Die kleinen Träger wollen

Sie gar nicht erst zum Zuge kommen lassen. Ihre Politik ist unsozial!

[Beifall bei der FDP]

Lassen Sie mich abschließend sagen: Volksbegehren und Volksentscheide zu erleichtern ist nur dann sinnvoll, wenn Politiker bereit sind, auch den Volkswillen zu beachten.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Das gilt für eine Rudi-Dutschke-Straße ebenso wie für Parkraumbewirtschaftung und für den Flughafen Tempelhof. Wenn Senatsmitglieder arrogant daherkommen und von vornherein erklären: Uns ist das Ergebnis eines Volksentscheids egal, wir machen danach sowieso nur das, was wir wollen! –, dann muss man sich fragen, wovon man sich trennen muss, von Volksentscheiden oder von solchen Senatsmitgliedern. Wir Liberale haben eine klare Antwort: Solche Senatsmitglieder müssen weg! – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU]