Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die SPD freut sich darüber, dass es uns gelungen ist, in diesem Haus über alle fünf Fraktionen hinweg ein groß angelegtes Gesetzgebungsverfahren, das mit der Gesetzgebung über die Bürgerbegehren und Bürgerentscheide auf Bezirksebene begonnen hat, im Konsens zum Abschluss zu bringen. Es ist eine Leistung, dass wir ein Gesetzgebungsverfahren, das darauf angelegt war, die politische Kultur in Berlin insgesamt zu verändern, und das sie jetzt schon verändert hat – das ist vom Kollegen Kluckert völlig zu Recht beschrieben worden –, im Konsens beschlossen und gesagt haben: Das wird wirklich von allen demokratischen Parteien, die auf parlamentarischer Ebene vertreten sind, getragen und für richtig gehalten.
Wenn man in die Details geht, dann ist es so, dass die freie Sammlung, Herr Kluckert, bereits Konsens gewesen ist, auch bei den Beratungen über die Verfassungsänderungen in der 15. Wahlperiode. Gestritten haben wir uns über die Frage, ob man, um die freie Sammlung vor Missbrauch zu schützen, verlangen sollte, einen Personalausweis zu zeigen. Die SPD war ursprünglich dafür, hat sich dann in den Beratungen mit den anderen Fraktionen und in der Auswertung der Anhörung im Rechtsausschuss eines anderen belehren lassen. Das Positive an einem solchen gemeinsamen Beratungsprozess ist, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich bewegt haben, sondern uns war ein anderer Punkt sehr wichtig. Es stand die Forderung im Raum – vorgebracht unter anderem von der FDP, aber auch von den Grünen und der CDU –, dass ein erfolgreiches Volksbegehren das Abgeordnetenhaus und den Senat
daran hindern sollte, in der gleichen Sache eigene Beschlüsse zu fassen und möglicherweise so etwas wie vollendete Tatsachen zu schaffen.
Auch da haben wir uns alle aufeinanderzubewegt. Wir waren immer der Auffassung, dass das schlicht deswegen nicht geht, weil das wertvolle Verfassungsinstitut direkte Demokratie, Volksbegehren, Volksentscheid gleichberechtigt neben den Verfassungsorganen Senat und Abgeordnetenhaus steht und diese sich nicht gegenseitig blockieren können dürfen.
Aber verehrter Kollege Lux! Sie brauchen doch jetzt gar nicht dazwischenzureden. Sie haben sicher gleich noch Gelegenheit, sich dazu zu äußern. – Es ist doch so, dass sich auch da bei Ihnen etwas bewegt hat und Sie gesehen haben, dass das einfach nicht geht, dass man dazu, wenn man es überhaupt wollte, an die Verfassung heran müsste, dass wir das aber alle gar nicht wollen. Man muss dagegen lernen, die unterschiedlichen Organe und Institute in ihrem Recht bestehen zu lassen und ihnen auch die Fähigkeit und den Spielraum geben muss, sich mit der nötigen Flexibilität aufeinander einzustimmen. Das finde ich auch sehr gut.
Die Behandlung der Kostenentschädigung wird kritisiert. Es ist in der Tat so, dass die SPD der Auffassung ist, dass eine Kostenentschädigung für die Träger von Volksbegehren und Volksentscheiden nicht angebracht ist. Wie kommen wir zu dieser Auffassung? – Zunächst einmal, lieber Kollege Kluckert, stelle ich fest, dass es eine Auffassung ist, die von neun anderen Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland geteilt wird, insofern nicht singulär ist. Wir sind der dezidierten Meinung, dass es nicht angeht, dass wir, wenn wir durch eine Kostenentschädigung den Prozess der politischen Meinungsbildung fördern und unterstützen wollen, ihn nicht wirklich gerecht ausgestalten können. Denn es ist so, dass jedes Volksbegehren und jeder Volksentscheid bestimmten Interessen verpflichtet ist und dass es Gegeninteressen gibt, die ebenfalls vertreten werden von Personen und Initiativen, die sich im politischen Raum bewegen und die ihrerseits versuchen, im Rahmen der Diskussion ihre Position deutlich zu machen. Diese Gegner können aber nicht für ihren Einsatz entschädigt werden. Insofern ist eine Kostenentschädigung immer einseitig und kann niemals gerecht ausgestaltet werden. Das war für die SPD der entscheidende Punkt zu sagen, das machen wir nicht, das ist ein Punkt, an dem wir nicht zuzustimmen bereit sind. Das muss zugestanden sein, dass eine Fraktion eine eigene Meinung behauptet.
Letzter Punkt, hier geht es um einen unnötigen Zungenschlag in der gegenwärtigen Diskussion, den ich zurückweisen möchte. Da wird insinuiert, dass die Regierungsmehrheit in diesem Haus und möglicherweise der Senat arrogant umgehe mit der Auffassung, die im Volksbegehren Tempelhof ausgedrückt ist. Von Arroganz, Kollege
Kluckert, kann überhaupt keine Rede sein, wenn sich der Senat und die Regierungskoalition einer Politik verpflichtet fühlen, die im Konsensbeschluss, der damals von Bürgermeister Diepgen ausgehandelt wurde, vor über 10 Jahren festgelegt und durch viele rechtlich vorbereitende Schritte eingeleitet worden und einfach richtig ist. Denn es ist im Interesse der Berlinerinnen und Berliner, die Umweltbelastung und das Unfallrisiko, das von einem innerstädtischen Flughafen ausgeht, auszuschließen und alles aus dem Weg zu räumen, was die positive wirtschaftliche Entwicklung der Stadt verbunden mit dem Ausbau des Flughafens BBI gefährden könnte. Aus diesem Grund ist Arroganz hier der falsche Vorwurf. Nein, wir haben ein gutes Gesetz gemacht, wir haben es gemeinsam gemacht, und wir sollten an dieser Stelle mit dem nötigen Respekt vor der Position des anderen dieses Gesetzesverfahren zu Ende bringen. – Ich danke Ihnen!
Danke schön, Herr Kollege Dr. Felgentreu! – Für die Fraktion der CDU hat nun Frau Seibeld das Wort. – Bitte schön, Frau Seibeld!
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzesentwurf ist ein weiterer Schritt in der langen Geschichte, die in der Änderung der Verfassung im September 2006 mündete. Ich will hier nicht verhehlen, dass gerade die CDU in dieser Geschichte einiges hinzugelernt hat und dass sie im Ergebnis zu einer anderen Grundhaltung zu plebiszitären Elementen geführt hat.
Das Ergebnis dieses Lernprozesses ist es nun auch, dass es gerade die CDU gemeinsam mit der FDP sein wird, die das erste Volksbegehren zum Erfolg führen wird. Denn im Moment sieht es so aus, als wenn, nachdem fast 200 000 Berliner bereits für das Volksbegehren unterschrieben haben, auch der Volksentscheid eine echte Erfolgschance hat.
200 000 Unterschriften, das ist eine Größenordnung, an der selbst Ihre Arroganz, sehr geehrter Herr Wowereit, nicht vorbeikommen wird, denn rechtliche Verbindlichkeit hin oder her, den Mehrheitswillen der Bürger in unserer Stadt kann man auf Dauer nicht ignorieren.
Wenn ein Senat auf Dauer Politik an den Interessen der Berlinerinnen und Berliner vorbei macht, dann gerät er nicht zuletzt aufgrund der neuen Möglichkeiten, die die
Ich habe die Meinungsbildung in der Union beschrieben. Bei der SPD und der Linken scheint der Prozess gerade umgekehrt verlaufen zu sein. Man gewinnt fast den Eindruck, dem rot-roten Senat passe die stärkere Bürgerbeteiligung nun überhaupt nicht mehr ins Konzept. Frau Michels, ich habe deswegen Ihr klares Bekenntnis zur Bürgerbeteiligung erfreut zur Kenntnis genommen. Ich hoffe, es gilt auch für Tempelhof.
Innerhalb der SPD-Fraktion besteht – das wurde bei den Verhandlungen deutlich – mittlerweile erhebliche Skepsis dem Anliegen gegenüber. Das hat sich auch darin gezeigt, dass die Einführung der Kostenerstattung für die Träger von Volksbegehren selbst zur Verwunderung des Koalitionspartners keine Mehrheit mehr gefunden hat. Es ist erstaunlich, wie lange das gedauert hat, bis man endlich in die Beratung über ein Ausführungsgesetz eingetreten ist. Die Verfassungsänderung datiert auf September 2006. Bis heute gibt es hierfür kein Ausführungsgesetz. Das, obwohl SPD und PDS die Stärkung der Elemente direkter Demokratie noch im vergangenen Jahr als politisches Kernanliegen bezeichnet haben.
Ich will niemandem etwas unterstellen, aber es entstand in den letzten Monaten der Eindruck, dass das Volksbegehren Tempelhof eine echte Erfolgschance hat und der Senat deswegen von seiner Bürgerbeteiligung soweit es ging zurückruderte. Bei diesen Vermutungen will ich es auch bewenden lassen, aber interessant war das Verhalten der SPD schon. Der Kollege Lux hat die Situation in der letzten Rechtsausschusssitzung schön zusammenfassend formuliert:
Die SPD in Berlin ist in Sachen direkter Demokratie nicht mehr zu einer sachlichen Betrachtung in der Lage. Sie ist förmlich tempelhofisiert.
Die vorliegenden Anträge wurden im Rechtsausschuss und im Innenausschuss ausführlich diskutiert. Vorausgegangen sind monatelange Verhandlungen aller Fraktionen, die weitestgehend einvernehmlich abgeschlossen werden konnten. Im Ergebnis wurde ein Änderungsantrag aller Fraktionen zum Senatsentwurf erarbeitet, der insbesondere die Einführung der sogenannten freien Sammlung enthält. Nicht einigen konnten sich die Fraktionen, wie schon gesagt, in der Frage der Kostenerstattung.
Trotzdem ist die CDU insgesamt mit dem Ergebnis der Beratungen zufrieden. Wichtig war und ist uns vor allem die Einführung der freien Sammlung. Mit der Einführung der freien Sammlung wird künftig die Unterschriftensammlung zu jeder Zeit und an jedem Ort in der Stadt möglich sein. Auch in diesem Punkt hat die CDU lange mit sich gerungen, bereits während der Verhandlungen zur Verfassungsänderung. Aber es hat sich gezeigt, dass
Man muss sich vor Augen führen, dass trotz der Absenkung der Quoren immer noch hohe Anforderungen bestehen. 170 000 Unterschriften für den Erfolg des Volksbegehrens, über 600 000 Unterschriften bei der Wahl zum Volksentscheid, das sind hohe Hürden, die wir auch für richtig halten. Denn vor diesem Hintergrund kann niemand behaupten, dass nun ständig im Weg direkter Demokratie Regierungshandeln behindert würde.
Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister! Sehr geehrte Regierungskoalition! Man gewinnt fast den Eindruck, dass Sie die Geister, die Sie riefen, nun nicht wieder loswerden. – Danke schön!
Danke schön, Frau Kollegin Seibeld! – Für die Linksfraktion hat nunmehr Herr Dr. Lederer das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute verabschieden wir nicht nur ein Gesetz zur Änderung abstimmungsrechtlicher Vorschriften. Heute findet hier die vorläufige Beendigung eines Prozesses statt, der im Jahr 2005 begonnen hat, nämlich mit der Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden auf bezirklicher Ebene, eines Prozesses, der im Jahr 2006 mit der Verfassungsänderung fortgesetzt wurde, die die Berlinerinnen und Berliner mit großer Mehrheit mittels Volksentscheid angenommen haben – das war im Übrigen der erste wirkliche Volksentscheid, der stattgefunden hat, das fällt hier immer unter den Tisch –, und der jetzt über das Ausführungsgesetz erst einmal beendet wird.
Im Jahr 1996, als die Berliner CDU gegen Sperenberg gekämpft und den Standort Schönefeld präferiert hat, als Eberhard Diepgen und Matthias Wissmann ihre Unterschrift unter den Konsensbeschluss gesetzt haben, der zur Planfeststellung von BBI und damit zur Rechtspflicht der Schließung Tempelhofs und Tegels führte, stand Berlin im bundesweiten Ranking direkter Demokratie auf Platz 16. Im Jahr 1995 wurden in Berlin die Grundsteine zur Verschleuderung öffentlichen Vermögens gelegt, dachte die herrschende Stadtpolitik noch, das Geld des Stadthaushalts käme aus Sparkassenautomaten,
war der Geist des Kalten Krieges noch prägend für manchen Herrn aus der Senatsrunde und traute eine größenwahnsinnige und bald bankrotte Stadtpolitik allen, nur nicht den Berlinerinnen und Berlinern. Heute, gut ein
Jahrzehnt später, sind alle fünf Fraktionen der Überzeugung, dass direkte Demokratie eine Bereicherung für eine lebendige, weltoffenen Stadt Berlin ist und dass die Berlinerinnen und Berliner selbst kompetent sind, über Angelegenheiten zu entscheiden. Berlin – wie hast du dich verändert!
Zwei Fraktionen haben sich vom Jahr 1995 noch nicht ganz gelöst. Sie meinen, direkte Demokratie sei ein Spielkasten für städtische Eliten. Noch vor wenigen Jahren hat sich die CDU quergestellt und hat blockiert, noch vor wenigen Jahren war nicht sicher, ob die FDP der Verfassungsänderung bei den bezirklichen Bürgerbegehren über die Zweidrittelhürde hilft, als die CDU bei der Bezirkspolitik den Untergang des Abendlandes witterte. Deswegen, Herr Kluckert: Es ist ganz schön keck, was Sie hier heute erzählen! Ein bisschen mehr Geschichtsbewusstsein in Bezug auf Ihre eigene Truppe wäre nicht schlecht.
Noch mehr konnte man die CDU aufatmen hören, dass die Veröffentlichungspflicht für Spenden erst nach dem heutigen letzten Tag des Tempelhof-Begehrens in Kraft treten wird. Man hat den Stein vom Herzen förmlich plumpsen gehört. Lieber Herr Kluckert! Liebe CDU! Sie hätten Ihre Liebe zur direkten Demokratie und zu Tempelhof zehn Jahre früher entdecken sollen. Ich bin froh, dass unser Koalitionspartner sehr offen war, den Weg die letzten vier Jahre mitzugehen, selbst die von ihm lange abgelehnte freie Sammlung ohne Personalausweispflicht.
Ausdrücklich würdigen will ich den Weg, den die CDU gegangen ist, die sich hier zwar jetzt als Vorkämpfer für Volksbegehren und Volksentscheide aufspielt, dafür gibt es freilich keinen Grund, aber immerhin: Sie sind einen ganz schönen Weg gegangen. Meinen Respekt! – Dass Sie sich jetzt an dieser Kostenerstattungsgeschichte hochspulen, finde ich nicht ganz fair. Sie wissen, von Anfang an hatte die SPD diesen Vorbehalt angemeldet, und Sie wissen auch, wie denkbar knapp die Entscheidung in der SPD ausgefallen ist. Angesichts des Konsenses in den zentralen Fragen, den ich großartig finde, ist das eine Petitesse.
Das heute zu beschließende Gesetz hat nur das abgebunden, was wir in den letzten vier Jahren geleistet haben: einen Beratungsanspruch, die Einzelspendenveröffentlichung, die Möglichkeit eigener Kostenschätzungen, die mit in die Abstimmungsbögen genommen werden, die Möglichkeit der freien Sammlung, die Verlängerung der Öffnungszeiten der Bürgerämter für diejenigen, die noch ins Bürgeramt gehen wollen, und die Möglichkeit, sich den Fragebogen aus dem Internet herunterzuladen. Das ist schon etwas. Aber das war nun wirklich ein letzter, ein sehr kleiner Schritt, und den möchte ich nicht überbewerten. Zu würdigen ist das Ganze, das, was in den letzten Jahren in unserer Stadt passiert ist.
Ich bin stolz, in einer Stadt zu leben, die in nur vier Jahren von sechzehn auf eins in der Topliste direkter Demokratie hochgeklettert ist.
Die Berlinerinnen und Berliner werden nicht noch einmal denjenigen auf den Leim gehen, die öffentliche Gelder in Elitenprojekte mit Dauerzuschuss lenken wollen, wie die derzeitigen Zuschüsse nach Tempelhof. Sie wissen doch ganz genau, dass das nicht anders finanzierbar ist. Und Herr Pflüger, bevor Sie sich gleich wieder aufregen: Mein Name ist nicht Raiko Thal oder Andreas Schneider. Behalten Sie sich einfach im Griff!