Das rot-rote Vergabegesetz ist gescheitert. Es darf aber nicht zu einem Vergabestau kommen. Der Senat ist in der Verpflichtung, unverzüglich eine rechtssichere Vergabepraxis vorzulegen und anzuwenden; andere Bundesländer machen es vor. Orientieren Sie sich an Niedersachsen und der Allgemeinverbindlichkeitsregelung! Die CDU-Fraktion wird diesen Prozess kritisch-konstruktiv begleiten. Wir wollen ein rechtssicheres Gesetz, das Lohndumping verhindert und endlich mittelstandsfreundlich ausgestaltet ist. Dazu hat die CDU-Fraktion bereits Parlamentsanträge eingebracht. Es ist an der Zeit, die wirkungslose rot-rote Symbolpolitik zu beenden und endlich die Möglichkeiten des Landes Berlin für mehr Beschäftigung und Wirtschaftswachstum auszunutzen. Das ist eine Aufgabe des gesamten Parlaments.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Kollege Melzer! Was Sie einen Marketinggag nennen – 7,50 € Mindestlohn –, ist bares Geld für die Menschen, die arm sind, obwohl sie arbeiten.
Sie finden es ganz falsch, dass wir das tun, und ich werde es gleich noch einmal tun: Wir finden, dass die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ein Rückschritt im Kampf um soziale Mindeststandards ist.
Der Europäische Gerichtshof hat damit – und das bedauere ich ausdrücklich – dem europäischen Gedanken keinen Gefallen getan.
So sagte der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und jetzige Vorsitzende der IG Bauen-Agrar-Umwelt Wiesehügel: „Es ist ein weiterer Schritt hin zum Raubtierkapitalismus, der dazu führen wird, dass die Bürger Europa endgültig ablehnen.“ Das ist auch deshalb sehr ärgerlich, weil damit die positiven Seiten des Vertrags von Lissabon – wie die Ausweitung der Mitentscheidungsrechte des Europäischen Parlaments – in den Hintergrund gedrängt werden. Dabei böte der europäische Binnenmarkt eigentlich auch Möglichkeiten, den Herausforderungen und der Globalisierung mit einer Wirtschaftspolitik zu begegnen, die in der Lage ist, soziale Probleme im Interesse der Menschen zu lösen. Das ist durchaus auch Teil der europäischen Idee. Die europäische Entsenderichtlinie ist eines der Mittel zur Verwirklichung der europäischen Idee, und sie erlaubt den Mitgliedstaaten die Anwendung ihres gesetzlichen Mindestlohns auf ausländische Dienstleistungsunternehmen und deren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, um Sozialdumping zu verhindern. Das hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil auch bestätigt.
Was wird damit deutlich? – Das Sozialdumping, das die Menschen täglich in Deutschland und in vielen anderen EU-Mitgliedstaaten erleben müssen, ist nicht per se Folge der europäischen Integration, sondern in erster Linie hausgemacht. Mit ihrer Weigerung, in Deutschland einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, tragen die Unionsparteien und die FPD die Verantwortung dafür, dass Dumpinglöhne in Deutschland auf der Tagesordnung bleiben.
Deshalb ist es politisch notwendiger denn je, dass die Bundesregierung endlich den Weg zu einem gesetzlichen Mindestlohn freimacht, der als nationale Mitgliedstaatenregelung EU-rechtskonform wäre und den notwendigen minimalen Schutz von Arbeitnehmerrechten und einen fairen Wettbewerb ermöglicht. Die Bundesregierung ist zudem gefordert, die Kriterien zur Aufnahme ins Arbeitnehmerentsendegesetz zu vereinfachen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Melzer, haben Sie vorhin angedeutet, dass die CDU das auch will. Ich weiß nicht, inwieweit Herr Laumann die Mehrheitsposition der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vertritt, aber sollten die Kriterien zur Aufnahme ins Arbeitnehmerentsendegesetz vereinfacht werden, dann ist es dringend notwendig, dass es auch eine Aufhebung des Zwangs zur Einigung zwischen den Sozialpartnern in dieser Frage gibt. Es ist doch ein Witz, dass man erst die Arbeitgeber fragen muss, ob sie zu höheren Löhnen bereit sind, und wenn sie dazu nicht bereit sind, daraus mangelndes Interesse von Branchen zu konstruieren und daraus wiederum abzuleiten, dass es keiner Mindestlöhne bedarf.
Von Arbeit muss man leben können, deshalb braucht Deutschland einen Mindestlohn. Ich gebe Ihnen mal einen Eindruck davon, wie die Mehrheit der Bevölkerung das sieht. Nach einer aktuellen Umfrage wollen 80 Prozent der Bevölkerung den Mindestlohn. Am größten ist die Zustimmung – wen wundert es – bei den Anhängern der Linkspartei mit 91 Prozent, dicht gefolgt von den Wählerinnen und Wählern der SPD mit 86 Prozent und denen der Grünen mit 85 Prozent. Aber auch Union und FDP sollten genauer auf das schauen, was ihre Wählerinnen und Wähler meinen: 75 Prozent der befragten CDU/CSUAnhänger und sogar 68 Prozent der Befragten mit einer Präferenz für die FDP wollen Mindestlöhne. Wir halten daher an den Intentionen des kürzlich beschlossenen Berliner Vergabegesetzes fest, wir stehen hinter jedem Komma. Das Mindeste ist, dass Dumpinglohnzahler keine öffentlichen Aufträge bekommen.
Weil sich der wirtschaftspolitische Sprecher der FDP, Herr Kollege Thiel, im letzten Wirtschaftsausschuss über den Begriff „Dumpinglöhne“ so geärgert hat, sage ich einmal, was ich mit Dumping meine.
Für 4,22 € pro Stunde arbeitet in Berlin eine ausgebildete Friseurin, ein Wachmann bekommt 5,14 € pro Stunde, allerdings nur dann, wenn sie nach Tarif bezahlt werden. Das ist Dumping, Herr Thiel. Von Arbeit muss man leben können,
und von diesen Löhnen kann man nicht leben. Deshalb zahlt der Staat noch oben drauf. Und mit Marktwirtschaft
hat das dann nicht viel zu tun. Deshalb müssen wir eingreifen, und wir sind – daraus haben wir nie ein Hehl gemacht – mit dem Landesvergabegesetz den zweitbesten Weg gegangen, da die Bundesregierung unserer Bundesratsinitiative für einen gesetzlichen Mindestlohn nicht gefolgt ist.
Auch wenn das Urteil des EuGH zunächst eine Einzelfallentscheidung über das niedersächsische Vergabegesetz ist, scheint unseres nun nicht mehr mit dem EU-Recht vereinbar zu sein. Wie tiefgreifend die Auswirkungen auf das Berliner Vergaberecht und die Gesetze anderer Bundesländer sind, bleibt einer rechtlichen Prüfung vorbehalten. Die vom Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr eindeutig akzeptierte Berliner Tariftreueregelung ist jedoch durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs angegriffen. Ich finde es richtig, dass der Senat nicht wie andere Bundesländer sofort das Aufhebungsverfahren für das frisch beschlossene Gesetz begonnen hat, sondern sich zunächst mit anderen Bundesländern abstimmt. Herr Melzer, für die Frage, wer dafür entscheidend ist: Entscheidend ist der Senat, und der hat das genau so entschieden.
Nun haben uns die Bündnisgrünen, mit denen wir in der Sache Mindestlöhne eigentlich einer Meinung sind, kritisiert, dass öffentliche Ausschreibungen auszusetzen keine Lösung sei. Das stimmt natürlich. Völlig zutreffend sind die Bündnisgrünen danach aber auch zu der Einschätzung gekommen, dass es nach Lage der Dinge keine kurzfristige Lösung geben wird. Deshalb möchte ich die Grünen ermuntern, mit uns gemeinsam an der mittelfristigen Lösung zu arbeiten, denn das Luxemburger Urteil ist zwar ärgerlich, aber deswegen werfen wir die Flinte noch lange nicht ins Korn. Wir erwarten vom Senat, dass er eine Bundesratsinitiative startet,
Herr Esser, und da sind dann auch wieder die Grünen gefragt, weil wir dann auch auf Hamburg und Bremen setzen werden –, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, gegenüber der EU-Kommission aktiv zu werden, damit die Europäische Entsenderichtlinie so formuliert wird, wie der Generalanwalt beim EuGH argumentiert hat. Wir freuen uns darauf, dass Hamburg und Bremen gemeinsam mit Berlin und hoffentlich anderen Bundesländern sich dafür einsetzen werden, dass eine Erklärung von Allgemeinverbindlichkeiten von Tarifverträgen erleichtert wird und vor allem endlich ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt werden soll. Wenn uns das gelingen sollte, dann hätte das Urteil am Ende doch noch sein Gutes. Denn Würde hat ihren Wert, und Arbeit hat ihren Preis. – Ich danke Ihnen!
Bevor ich den nächsten Redner aufrufe, begrüße ich sehr herzlich eine türkische Delegation von Kommunalpolitikern aus Zypern. – Seien Sie herzlich willkommen!
Vielen Dank! – Wir fahren fort in der Debatte. Das Wort für die Fraktion der Grünen hat die Abgeordnete Paus. – Bitte schön!
Herzlichen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen und Herren! Dass wir heute bereits wieder über das erst in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses verabschiedete Berliner Vergabegesetz im Rahmen einer Aktuellen Stunde reden müssen, hat niemand – denke ich – erwartet. Ehrlich gesagt, ich war ziemlich fassungslos, als ich von dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs erfuhr. Der 3. April, an dem der EuGH das niedersächsische Tariftreuegesetz für nichtig erklärte und damit dem Kampf gegen Lohndumping europaweit einen schweren Schlag versetzte, war ein rabenschwarzer Tag für alle, die seit Jahren für Mindestlöhne und für eine sozial und ökologisch verantwortliche öffentliche Auftragsvergabe arbeiten.
Wir empfinden deshalb auch keine Schadenfreude darüber, dass die rot-rote Vergabegesetznovelle, kaum in Kraft, schon Makulatur sein könnte, auch wenn wir uns ein handwerklich und inhaltlich noch besseres Vergabegesetz gewünscht hätten.
Der Europäische Gerichtshof hat mit seiner Entscheidung nichts weniger getan, als die gesamte bisherige europäische Politik und Rechtsprechung auf den Kopf zu stellen. Er hat das Arbeitnehmerentsendegesetz umgedeutet von einem Mindeststandard auf einen Höchststandard. Das stellt nicht nur die Vergabegesetze von acht Bundesländern infrage, das schlägt insgesamt eine breite Schneise für Lohndumping, und das lehnen wir ab.
Die unmissverständliche Botschaft des Gerichts lautet: Öffentliche Auftraggeber dürfen keine über das, was mittels Entsendegesetz an Tarifen für allgemeinverbindlich erklärt wurde, hinausgehenden Bedingungen an den Auftragnehmer stellen; und wenn Tarifparteien in Branchen darauf verzichten, ihren Tarif nach dem Entsendegesetz für allgemeinverbindlich erklären zu lassen, dann soll es bei öffentlichen Aufträgen gar keine Möglichkeit mehr geben, überhaupt irgendeine Mindestentlohnung zum Teil der Auftragsbedingungen zu machen. Für den EuGH gilt offenbar: Es gibt keine Arbeitnehmerschutznotwendigkeit in diesem Fall. – Das ist absurd, das ist zynisch, und das steht auch in direktem Widerspruch zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom August 2006 zum Berli
Wir werden alle auch länderübergreifenden Initiativen unterstützen, die dazu beitragen, die Konsequenzen dieses Urteils einzudämmen und wieder umzukehren.
Wie Sie sicherlich wissen, lief am 31. März die Frist für die Beantragung von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen von Branchentarifen nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz ab. Wenn es bei dem derzeitigen Stand bleibt, dann hat sich zwar die Zahl der Branchen von drei auf elf erhöht und die Zahl der Beschäftigten, die unter diese Regelung fallen, gegenüber dem vergangenen Jahr knapp verdoppelt. Dennoch werden auch dann bundesweit gerade mal 10 Prozent der Beschäftigten von der Allgemeinverbindlichkeitserklärung profitieren. Das ist lächerlich wenig.
Man kann deshalb auch das EuGH-Urteil als eine Ohrfeige an die Bundesrepublik Deutschland und ihren mindestlohnpolitischen Flickenteppich verstehen. Dass jetzt erst recht Handlungsbedarf besteht, steht jedenfalls außer Frage. Deutschland ist das einzige Land in Europa, das weder einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn kennt, wie er in 20 von 27 Staaten existiert, noch wenigstens ein System flächendeckender allgemeinverbindlicher Tarifverträge hat, wie es in den skandinavischen Ländern, aber auch in Österreich existiert.
Und das hat Konsequenzen. In Deutschland erhalten zurzeit 6,6 Millionen Menschen einen Niedriglohn. Das sind knapp ein Viertel aller Beschäftigten. Es wird nicht besser, sondern trotz konjunktureller Erholung stieg allein zwischen 2004 und 2006 die Niedriglohnbeschäftigung um 10 Prozent. Die durchschnittlichen Stundenlöhne sind sogar absolut gesunken; im Westen von 7,25 € auf 6,89 € und im Osten von 5,48 € auf 4,86 €.
Deswegen haben wir Grünen bereits zu rot-grünen Zeiten für eine allgemeine Mindestlohnregelung gestritten, wir sind damals an der SPD gescheitert. Noch im vergangenen Jahr haben wir die Berliner Unterstützung für eine Bundesratsinitiative mit diesem Ziel initiiert. Wir werden auch weiterhin dafür eintreten, denn es spricht einfach alles dafür, lieber Herr Lindner von der FDP und liebe CDU. Die Betroffenen brauchen ihn dringend, um existenzsichernde Löhne zu erhalten, die Mehrheit der Bevölkerung und die Mehrheit in den Parlamenten ist dafür, und das EuGH-Urteil fordert nationale allgemeinverbindliche Regelungen ein.
Dieses Urteil wäre nicht nötig gewesen. Das Gericht hätte genauso gut auf der Grundlage der europäischen Verträge und der geltenden Richtlinien, Verordnungen und Gesetze das niedersächsische Vergabegesetz bestätigen können. Das zeigt die Stellungnahme des EU-Generalanwalts
Yves Bot in diesem Prozess. Dieses Urteil ist so auch nicht zu erwarten gewesen, denn der EuGH hat damit diametral entgegengesetzt zum deutschen Verfassungsgericht entschieden und damit einen schweren und meines Wissens erstmaligen Verstoß gegen das bisher stillschweigend geltende Subsidiaritätsprinzip in dieser Frage vollzogen. Deshalb, so enttäuschend das EuGH-Urteil auch sein mag: Es ist nicht nur schrecklich durchsichtig und scheinheilig, wenn Sie von der PDS/Linkspartei das Urteil auszuschlachten versuchen, um antieuropäische Ressentiments zu schüren und als Argument ins Feld zu führen, warum man dem EU-Reformvertrag nicht zustimmen könnte, es ist völlig verfehlt.