Protokoll der Sitzung vom 10.04.2008

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Abgeordnete Melzer. – Bitte, Herr Kollege!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Jahnke! Sie haben gerade eine sehr sachliche Darstellung gegeben. Ihr Koalitionspartner, die Linksfraktion, hat in den letzten Tagen eher auf die Kampfrhetorik der Partei abgestellt und den Europäischen Gerichtshof beschimpft. Der Chef der Linken, Lederer, hält das Urteil für einen politischen Skandal und kritisiert die marktradikalen Ordnungsvorstellungen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Herr Senator Wolf! Sie haben den Richterspruch als neoliberal gegeißelt und nennen ihn „ein skandalöses Urteil“.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD] ]

Man kann davon ausgehen, dass der Europäische Gerichtshof – auch wenn Ihnen dieses Urteil nicht gefällt – gut geprüft und wohlabgewogen hat. Deshalb stelle ich fest: Weniger Richterschelte und mehr Demut vor der Gerichtsbarkeit hätte Ihnen an dieser Stelle sehr gut getan.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Gerichte zu loben, wenn die Entscheidungen genehm sind, und sie zu beschimpfen und zu verunglimpfen, wenn man politisch eine andere Auffassung vertritt, das ist nicht die Geisteshaltung der CDU, aber offensichtlich Ihre. Fest steht – ich komme gleich zu der Entscheidung –: Wir müssen mit dem Urteil der höchsten europäischen Kontrollinstanz umgehen und die richtigen Konsequenzen ziehen, ob wir das gut finden oder nicht.

Das Urteil stellt für Berlin und sieben weitere Bundesländer einen Bruch mit der bisherigen Vergabepraxis dar, und zwar weitestgehend unabhängig von der politischen Farbenlehre in den Regierungskoalitionen der Länder. Wir sind uns dessen bewusst. In diesem Sinne verstehen wir den Richterspruch auch als Auftrag der Gesetzeskontrolle an den Gesetzgeber, gemeinschaftlich nach Lösungen zu suchen. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist deshalb auch eine Chance für uns als Landesparlament, rechtlich einwandfreie Vergaberegelungen zu erlassen. Im Namen der CDU-Fraktion biete ich unsere erneute Bereitschaft zur konstruktiven Mitarbeit an. Wir arbeiten gern mit an einem Vergabegesetz, das rechtssicher ist, Lohndumping verhindert und den Jobmotor Mittelstand unterstützt. Berlin braucht ein neues und sinnvolles Vergabegesetz.

[Beifall bei der CDU]

Aber Berlin unterscheidet sich auch von den anderen Bundesländern. Der rot-rote Gesetzentwurf hat die eben genannten Kriterien nicht erfüllt und ist grandios gescheitert. Der Mindestlohn hat nur wenige Tage gehalten. Am 13. März hat die Koalitionsmehrheit das Berliner Vergabegesetz novelliert, am 31. März ist die Neufassung in Kraft getreten, und schon am 3. April ist das Gesetz durch den Entscheid des Europäischen Gerichtshofs wieder hinfällig geworden. Nur drei Tage hat das Vergabegesetz

gehalten. Deshalb stelle ich fest: Die Halbwertzeit rotroter Regierungspolitik ist so gering wie nie zuvor.

[Beifall bei der CDU – Stefan Liebich: Das ist doch lächerlich!]

Natürlich stellt sich auch die Frage: Ist die zeitliche Nähe von Gesetzesbeschluss und EuGH-Urteil tatsächlich Zufall? – Tatsache ist: Seit Mitte 2006 beschäftigt sich der Europäische Gerichtshof mit der Vergabeklage aus Niedersachsen. Das Urteil ist also nicht – wie behauptet wurde – vom Himmel gefallen, sondern es war zumindest absehbar, dass der Richterspruch zeitnah erfolgen würde. Experten hatten im Vorfeld erhebliche Rechtszweifel geäußert und ihre Bedenken nicht zuletzt im Wirtschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses deutlich gemacht. Der anerkannte Vergabeanwalt Dr. Clemens Antweiler stellte im Vorgriff auf das Urteil Mitte März in der „FAZ“ fest:

Die Berliner Vorschrift stellt einen Verstoß gegen die europäische Vergaberichtlinie dar.

Diese Rechtsunsicherheit wurde von Ihnen bewusst in Kauf genommen, um den Marketinggag Mindestlohn wenigstens noch für ein paar Tage in das Vergabegesetz zu pressen. Das unterscheidet die Koalition in Berlin von allen anderen Landesregierungen. Rot-Rot hat die erheblichen und berechtigten Zweifel weggewischt und grob fahrlässig gehandelt.

[Beifall bei der CDU]

SPD und Linke sind meilenweit von einer verantwortungsvollen Regierungspolitik entfernt.

Herr Kollege! Es besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage des Abgeordneten Jahnke.

Nein! Ich möchte gern erst einmal meinen Gedanken zu Ende bringen. –

[Daniel Buchholz (SPD): Aber dann!]

Die Konsequenzen aus dem Urteil – Herr Jahnke hatte es angesprochen –: Auch hier geht Berlin einen Einzelweg. Senator Wolf hat angekündigt, dass das Land Berlin bis auf Weiteres auf Ausschreibungen und Vergaben verzichtet. Herr Jahnke sagt, dass wir vergeben müssen. Was gilt denn nun? Gilt das Wort der SPD oder das des Wirtschaftssenators von der Linksfraktion? Herr Wolf! Sie riefen bereits Anfang Februar die Verwaltung auf, bis April keinerlei Vergaben mehr durchzuführen. Jetzt verbieten Sie wieder jede Ausschreibung und verhindern die Auftragsverteilung.

[Zurufe von der SPD]

Ein monatelanger Vergabestopp ist ein schwerer Schlag für Berlin. Er schadet der mittelständischen Wirtschaft der Stadt. Ich fordere Sie auf: Hören Sie auf, die Unternehmen und Arbeitnehmer dafür zu bestrafen, dass Sie sich selbst in eine Sackgasse manövriert haben!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Was bedeutet das Vergabeverbot in der Praxis? – BBI bleibt nur deshalb unberührt, weil das Land Brandenburg zuständig ist und nicht Sie. Man könnte sagen: Glück gehabt! Aber werden die Kindergärten in Berlin nun nicht mehr gereinigt, wenn Säuberungsverträge auslaufen? Können medizinische Gutachten nicht mehr vergeben werden? Werden Schlaglochpisten nicht mehr ausgebessert, weil die Aufträge nicht vergeben werden dürfen? – Diese Fragen müssen Sie, meine Damen und Herren von SPD und Linkspartei, den Berlinern beantworten, und Sie müssen sagen, welche Folgen ihr Vergabestopp tatsächlich hat. Die CDU macht sich diese Position ausdrücklich nicht zu eigen. Unsere klare Botschaft lautet: Wolfs Vergabestopp darf Berlin nicht lahmlegen!

[Beifall bei der CDU]

Wir haben immer wieder auch darauf hingewiesen, dass das Vergaberecht zwei Wirkungsfelder hat: Beschäftigung und Wirtschaftswachstum. Das bewusste Zurückhalten des Berliner Nachfragevolumens – immerhin 4 bis 5 Milliarden € – hat auf beides einen nachhaltigen Einfluss, und zwar einen negativen. Eine Arbeitslosenquote von 14,7 Prozent und ein Wirtschaftswachstum von nur 1,3 Prozent stellen Sie vielleicht zufrieden, aber wir von der CDU wollen mehr.

[Elke Breitenbach (Linksfraktion): Mehr Lohndumping oder was?]

Deshalb sehen wir weiterhin dringenden Handlungsbedarf.

Schauen wir uns doch einmal die anderen Bundesländer an, von denen vielleicht wir etwas lernen können. Unser Eindruck verfestigt sich: In anderen Bundesländern wird schneller, konstruktiver und kreativer reagiert. Es sind acht Bundesländer betroffen, wie zum Beispiel Niedersachsen. Das Land Niedersachsen hat Empfehlungen erarbeitet, die rechtssicher sind und weiterhin Aufträge der öffentlichen Hand ermöglichen. Dabei sind nach dem EuGH-Urteil bei laufenden und neuen Ausschreibungen alle Kriterien, die mit dem europäischen Recht nachweislich unvereinbar sind, in Bekanntmachungen und Ausschreibungen zu entfernen. Diese Übergangslösung gilt in Niedersachsen, bis der Gesetzgeber das Landesvergabegesetz den europäischen Rechtsvorschriften angepasst hat. Auch das Berliner Landesparlament ist hier gefordert, aber bis dahin hat die Landesregierung Niedersachsen bereits reagiert; das muss einem nicht gefallen, ist aber gesetzeskonform.

Das Land Niedersachsen hat damit zwei Ziele erreicht: Aufträge der öffentlichen Hand müssen nicht künstlich zurückgehalten werden, und gleichzeitig besteht keine Gefahr rechtsunsicherer Vergaben mit anschließenden Klagen. Deswegen fordern wir den Senat auf, sich an Niedersachsen zu orientieren, den Vergabestopp aufzuheben und nicht rechtsunsicher zu vergeben.

[Stefan Liebich (Linksfraktion): Wir orientieren uns doch nicht an CDU-Ministerpräsidenten!]

Nun könnte man einwenden – und der Einwand kam auch bereits –, mit diesem Verfahren sei Dumpinglöhnen Tür und Tor geöffnet,

[Burgunde Grosse (SPD): Genau!]

schließlich sei das niedersächsische Landesvergabegesetz und der Bau einer Justizvollzugsanstalt in Göttingen die Grundlage der EuGH-Entscheidung.

Herr Kollege Melzer! Herr Jahnke hat den dringenden Wunsch, Ihnen eine Zwischenfrage zu stellen.

Dann soll er sie stellen. – Bitte, Herr Jahnke!

Ich hoffe, dass Ihr Gedankengang so weit beendet ist; ich komme noch einmal zurück auf das, was ich vorhin bereits fragen wollte. Sie sagten, wir hätten kommen sehen müssen, was für ein Urteil der Europäische Gerichtshof treffen würde, und dies sei bereits im Wirtschaftsausschuss diskutiert worden. Ist Ihnen bekannt, wie der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof argumentiert hat und was wir darum erwarten konnten?

Bitte sehr, Herr Kollege Melzer!

Herr Jahnke! Sie haben mich falsch verstanden. Ich habe nicht gesagt, Sie hätten das Urteil wortwörtlich kommen sehen müssen, ich habe gesagt, dass seit Mitte 2006 das Verfahren anhängig war und es klar war, dass es in Kürze ein Urteil geben musste. Es wäre verantwortungsvoll gewesen, dieses Urteil, das einen Präzedenzfall schafft, abzuwarten und dann erst das Vergabegesetz zu novellieren. Das wollten Sie nicht, weil es Ihnen nicht darum ging, rechtssicher zu arbeiten, sondern darum, einen Marketinggag zu machen – nämlich Mindestlohn im Vergabegesetz.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und der Linksfraktion]

Die Konsequenz ist, dass es nur drei Tage gehalten hat und wir nun ein Vergabeproblem und ein Auftragsproblem in Berlin haben, dass die öffentliche Hand nicht mehr vergeben kann. Darüber ärgern nicht nur wir uns, darunter leiden alle Berlinerinnen und Berliner.

[Zuruf von Daniel Buchholz (SPD)]

Zurück zu den Dumpinglöhnen. Die Göttinger Justizvollzugsanstalt wurde bereits angesprochen. Es verärgert natürlich zu Recht, dass ein ausländischer Unternehmer als Subunternehmer auftritt und nur 50 Prozent des Lohns zahlt. Die einen werden durch die Dumpinglöhne schlecht

bezahlt, die anderen kommen nicht zum Zuge und dürfen nicht arbeiten – das ist und bleibt ungerecht. Wir in Berlin haben dafür auch eine besondere Verantwortung. Es lohnt insofern ein Blick nach Nordrhein-Westfalen, dem zweiten Bundesland.

Herr Kollege Melzer! Frau Grosse von der SPD-Fraktion möchte eine Zwischenfrage stellen.

Es hat bereits Herr Jahnke eine Zwischenfrage gestellt, und ich habe geantwortet, das sollte reichen.

In Nordrhein-Westfalen sehen wir einen Schlüssel, um Dumpinglöhne auf Landesebene zu verhindern – die Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen durch die zuständigen Landesminister. Im März 2007 hat NRW-Arbeitsminister Laumann den Tarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe allgemeinverbindlich erklärt, später für das Hotel- und Gaststättengewerbe – 150 000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte profitieren davon. Dumpinglöhne wurden erfolgreich verhindert, insbesondere in den unteren Tarifzonen. Herr Wolf! Sie haben am Montagabend in einem Gespräch mit Herrn Laumann selbst gesagt, dass dies ein Weg sei, über den man nachdenken könne. Auch die EU-Kommission sagt, ein allgemeinverbindlicher Tarifabschluss erfülle die europäischen Vorgaben. Das alte Berliner Vergabegesetz wäre damit rechtssicher. Was in NRW möglich ist, muss auch in Berlin – trotz einer rot-roten Koalition – umsetzbar sein.

[Beifall bei der CDU]

Das rot-rote Vergabegesetz ist gescheitert. Es darf aber nicht zu einem Vergabestau kommen. Der Senat ist in der Verpflichtung, unverzüglich eine rechtssichere Vergabepraxis vorzulegen und anzuwenden; andere Bundesländer machen es vor. Orientieren Sie sich an Niedersachsen und der Allgemeinverbindlichkeitsregelung! Die CDU-Fraktion wird diesen Prozess kritisch-konstruktiv begleiten. Wir wollen ein rechtssicheres Gesetz, das Lohndumping verhindert und endlich mittelstandsfreundlich ausgestaltet ist. Dazu hat die CDU-Fraktion bereits Parlamentsanträge eingebracht. Es ist an der Zeit, die wirkungslose rot-rote Symbolpolitik zu beenden und endlich die Möglichkeiten des Landes Berlin für mehr Beschäftigung und Wirtschaftswachstum auszunutzen. Das ist eine Aufgabe des gesamten Parlaments.