In diesem Zusammenhang muss man auch auf der rechten Seite des Hauses mal wieder dazu kommen, die gesamtwirtschaftlichen Zusammenhänge zu verstehen. Wir werden weiterhin darauf drängen, dass der gesetzliche Mindestlohn eingeführt wird. Eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt es dafür schon, und es wird sie demnächst auch politisch geben. – Ich danken für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen, meine Herren! – Herr Senator, auf Sie komme ich nachher noch einmal zurück! – Zunächst einmal möchte ich festhalten: Mindestlöhne machen Arme ärmer und Reiche reicher.
Sie sind mit dem Verlust von 1,2 Millionen Arbeitsplätzen und einer Mehrbelastung der öffentlichen Haushalte in Höhe von 9 Milliarden € verbunden. Das ist das Ergebnis der jüngsten Studie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung. An diesen Zahlen kommen Sie nicht vorbei.
Ähnliche Schlüsse lässt auch der aktuelle Wochenbericht des DIW zu. Deshalb lässt sich Ihre Wunschvorstellung, dass der Lohn einer vollzeiterwerbstätigen Person mindestens so hoch sein muss, dass ein Durchschnittshaushalt davon leben kann, weder sozial noch wirtschaftlich begründen.
Demnach muss Ihr Mindestlohn mit der Größe der Durchschnittshaushalte sinken und steigen, ohne dass Sie sagen, wie groß ein Durchschnittshaushalt ist.
Nun zu Ihrer proklamierten Verteilungsgerechtigkeit: Um diese zu gewährleisten, wollen Sie unabhängig von Leistungsfähigkeit und Produktivität eines Arbeiters Mindestlöhne einführen. Hier frage ich Sie, wie Ihr Verteilungsprinzip generell mit der Kritik des Landesrechnungshofs an den hohen Managergehältern in den öffentlichen Betrieben dieser Stadt zusammenpasst. Trotz einer rot-roten Regierung dürften die Manager öffentlicher Betriebe schon von der Reichensteuer erfasst werden. Die Finanzverwaltung führt aus, dass marktübliche Preise gezahlt werden und man gute Manager auch gut bezahlen muss. Diese unterschiedliche Auffassung über Leistungsfähigkeit und Produktivität eines Mitarbeiters und seine Bezah
lung rührt daher, dass in der Finanzverwaltung die Kenntnis vorhanden ist, dass Transferleistungen einen gewissen Lebensstandard absichern.
Immerhin hat auch die Wirtschaftsverwaltung erkannt, dass ein Mindesthaushaltseinkommen durch Transferleistungen gegeben ist. Das heißt, niemand muss ohne Unterstützung mit einem für ihn unzureichenden Lohn auskommen. Wenn Sie als Regierung zukünftig noch ernst genommen werden wollen, müssen Sie sich schon entscheiden, ob Sie Ihrer Ideologie folgend die Gleichmacherei durch staatliche Lohnfestsetzung wollen oder ein System, in dem sich Leistung lohnt, was gesellschaftlichen Wohlstand für viele zur Folge hat.
Schlussendlich gibt es zwei Gruppen von Befürwortern von Mindestlöhnen: Zum einen die Protektionisten, die sich vor unliebsamer Konkurrenz schützen wollen wie z. B. die Post AG, und zum anderen die Gutmenschen, die wie der Senat ohne Einsicht sind, dass Löhne nicht nur Einkommen, sondern auch Kosten bedeuten und dass weniger Arbeitsplätze für Geringqualifizierte angeboten werden.
Auch Ihre Kaufkrafttheorie, wonach höhere Einkommen zu mehr Konsum führen, setzt streng genommen voraus, dass kein einziger Arbeitsplatz – und damit Kaufkraft – durch den Mindestlohn verlorengeht. Genau hier bestehen berechtigte Zweifel.
Im Übrigen fällt gerade bei den Gutmenschen auf, dass viele von ihnen zeitlebens nur aus öffentlichen Kassen alimentiert wurden und nie einen Gedanken daran verschwenden mussten, woher sie ihr Geld bekommen.
Aber Berliner Unternehmer, die meist weniger als zehn Angestellte haben, müssten einen Stundenlohn von 9 € zahlen und sich gleichzeitig überlegen, wie das erwirtschaftet werden soll. Herr Senator! Das ist nämlich die Realität. Wenn Sie die große Litanei anstimmen, wie viele Unternehmen dem Mindestlohn zustimmen, dann müssen Sie auch einmal sagen, welche Größenordnung diese Unternehmen haben. Die weitverbreitete Realität ist nicht das, was Sie gesagt haben, sondern die Realität ist der Unternehmer mit nur neun und weniger Angestellten, aber nicht Unternehmen in einer Größenordnung, wie Sie sie angesprochen haben.
[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Bürgermeister Harald Wolf: Was ist mit den Handwerkern?]
All das lässt nur einen Schluss zu, wobei ich den Managerkreis der Friedrich-Ebert-Stiftung, dem auch die Frau
Der Staat sollte keine Mindestlöhne, sondern durch Lohnergänzungsleistungen Mindesteinkommen garantieren.
Dies rührt sicherlich von der Agenda 2010 her, worin weder SPD noch Grüne einen Mindestlohn forderten.
Diese Reform wirkt wie ein Kombilohnmodell oder ein Bürgergeld. Menschen finden wieder Arbeit, und wenn das Einkommen nicht ausreicht, wird es durch den Staat ergänzt. Das ist der richtige Weg, den wir Liberale verfolgen wollen und auch weiter verfolgen werden. – Vielen Dank!
[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Dr. Martin Lindner (FDP): Eine schöne Rede!]
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die FDP hat mit ihrer Großen Anfrage sowie mit ihrem Antrag zur Entschließung und mit Ihrem Redebeitrag, Herr Lehmann, wieder einmal ihre Haltung bzw. ihre Ablehnung zu einem Mindestlohn bekräftigt. Sie sind aber nicht auf dem neuesten Stand. Sie sind nicht auf dem Stand, dass inzwischen die kleinen und mittleren Unternehmen dazu übergegangen sind, dass ein Mindestlohn der richtige Weg ist.
Herr Senator Wolf hat das vorhin ausführlich berichtet. Menschenwürdiges Einkommen will die FDP aber trotzdem sicherstellen. Das haben Sie gerade auch gesagt, Herr Lehmann. Für die FDP ist der richtige Weg, marktgerechte Löhne durch staatliche Mittel aus dem Steuersystem für Arbeitnehmer aufzustocken, um so ein sozial akzeptables Mindesteinkommen zu sichern.
Liebe Kollegin Senftleben, liebe Kollegen der FDP! Gut, dass Sie im Bund und im Land Berlin in der Opposition sind. Da werden Sie auch noch recht lange bleiben.
Alle Mensche, die arbeiten, haben das Recht auf eine Entlohnung, die ihnen eine eigene Existenzsicherung gewährleistet. Deshalb – das sage ich in aller Deutlichkeit – werden wir uns weiter für einen Mindestlohn von 7,50 € einsetzen. Hören Sie doch endlich auf mit der Mär, dass Mindestlohn automatisch Arbeitsplätze vernichtet. Rich
tig ist, dass ein Mindestlohn Lohnarmut verhindert, mehr Nachfrage, mehr Zuversicht und damit auch neue Jobs schafft.
[Beifall bei der Linksfraktion – Christoph Meyer (FDP): Da klatscht nicht einmal Ihre eigene Fraktion!]
Ihrer These, dass durch branchenspezifische Lösungen untere Lohngrenzen gefunden werden können, setze ich entgegen, dass der gesetzliche Mindestlohn zeitnah, unbürokratisch und transparent eine verbindliche Lohnuntergrenze festlegt, die Lohndumping für alle Beschäftigten verhindert. Deshalb ist sie die bessere Lösung. Der DGB hat heute in einer Presseerklärung mitgeteilt, dass in der Region Berlin-Brandenburg 130 000 Beschäftigte nicht von ihrem eigenen Einkommen leben können, sondern aufstockende Leistungen erhalten, die wir Arbeitnehmern zahlen müssen. Das halten Sie für einen richtigen Weg? Na, prost Mahlzeit!
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Henner Schmidt (FDP): Das ist das Ergebnis Ihrer Wirtschaftspolitik]
Der Mindestlohn – was Sie auch immer behaupten – stellt keinen Eingriff des Staates in die Tarifautonomie dar. Der Mindestlohn ergänzt die bestehenden sozialen Mindeststandards. Oberhalb dieses Wertes kann sich Tarifautonomie frei entfalten. Das wird inzwischen auch von sehr vielen Gewerkschaften so gesehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP! Sie behaupten weiter, Niedriglöhne entsprächen dem Marktpreis für geleistete Arbeit. Was ist das für ein Argument? Richtig ist, dass Niedriglöhne das Resultat von Lohndumping sind. Eine gesetzliche Untergrenze ist daher ein notwendiger Eingriff, da der Markt hier versagt und Regeln benötigt. Ein Mindestlohn bewahrt den Arbeitsmarkt im Interesse der Allgemeinheit vor nicht mehr marktgerechter Preisbildung. Ähnlich wie bei der Höchstarbeitszeit, dem Mindesturlaub, der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – das haben wir bereits alles – schafft der Staat den gesetzlichen Rahmen für einen fairen Wettbewerb. Was ist daran so falsch? Stundenlöhne von drei € und weniger offenbaren ein Marktversagen bei der Lohnbildung und gehören endgültig abgeschafft.
Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland glaubt nicht mehr an den Satz: Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es mir auch gut. – Die Menschen verlieren zunehmend das Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft. Das ist die Wahrheit. Ein gesetzlicher Mindestlohn ist nicht der Abschied von der sozialen Marktwirtschaft, sondern ein notwendiges und richtiges Mittel, das Vertrauen der Menschen wieder herzustellen.
Arbeitnehmer müssen die Sicherheit haben, dass ihre Arbeitsleistung einen gerechten Gegenwert durch anständige Löhne erfährt. Das Ziel der SPD bleibt, wir wollen den gesetzlichen Mindestlohn als unterste Grenze, damit Menschen, die Vollzeit arbeiten, von ihrem Lohn leben können. Dazu gibt es kein Wenn und Aber. Wir wollen gleiche Lebenschancen für alle. Das heißt auch, dass wir eine gerechtere Steuerverteilung einfordern müssen. Immer noch tragen die Arbeitnehmer die Hauptlast der Steuern.