Das ist jetzt, wenn Sie so wollen, nicht richtig aktuell, das haben wir als FDP-Fraktion viele Male in diesem Haus und auch in der Öffentlichkeit vertreten. Aktuell ist doch, dass sich die Initiative „Pro Reli“ gegründet hat, dass sie in kürzester Zeit die erforderlichen Unterlagen gesammelt hat und nun einen Volksentscheid anstrebt. Das ist eine Initiative, die vom Volk ausgeht, Eltern, Schüler, Mitglieder von Religionsgemeinschaften einschließt. Als Gegenentwurf – und das ist noch aktueller – gibt es die Initiative „Pro Ethik“, ausgeheckt am politischen Reißbrett.
Schön, Herr Präsident, dass die Argumente der FDPFraktion nun doch letztendlich Früchte getragen haben! Seit gestern wissen wir es alle: Es ist nicht der Präsident, der die Schirmherrschaft übernommen hat, es ist bloß der Abgeordnete Walter Momper. Diese Klarstellung, Herr Präsident, hat etwas zu lange gedauert!
Nein, das war nicht früher bekannt! Es wurde gestern in der Pressekonferenz gesagt, vorher war es nicht bekannt.
Aber zurück zur Aktualität und den bislang durchgeführten Umfragen zum Thema Ethik/Religionsunterricht. Im August 2006 fragt die „Berliner Morgenpost“:
Statt eines neuen Pflichtfaches Ethik, das für alle Schüler verpflichtend ist, sollten die Kinder wäh
Klare Frage, kurze Frage. Klare Antworten wurden möglich. Übrigens haben 70 Prozent mit Ja geantwortet.
Klare Frage, kurze Frage. Wiederum kurze und klare Antworten möglich. Hier entschieden sich 55 Prozent der Befragten für die Wahlmöglichkeiten, bei den Schülern waren es sogar 72 Prozent. Zwei Umfragen, in Auftrag gegeben von Medienunternehmen, neutral gehalten.
Nun zur letzten Umfrage: 84 Prozent sprechen sich bei dieser Umfrage für einen gemeinsamen Ethikunterricht für alle Schüler aus. Was ist passiert? – Auftraggeber ist dieses Mal der Humanistische Verband. Die Fragestellung haben wir noch im Ohr, das heißt, wahrscheinlich nicht mehr, weil sie weder klar noch kurz war. Sie verleitet die befragte Person geradezu dazu, in der gewünschten Art und Weise zu antworten. Diese Methode ist fragwürdig und im empirischen Sinn nicht lauter. Kein Geringerer als der Forsa-Chef selbst, Manfred Güllner, sagt dazu: „Die Umfrage ist verzerrt und somit unbrauchbar.“
Das ist der Forsa-Chef Güllner, der seine eigene Umfrage diskreditiert. Das lassen Sie sich auf der Zunge zergehen! Das nennt man mehr als eine hochnotpeinliche Bauchlandung! Die Jubelchöre von gestern und heute – lassen Sie sie! Packen Sie lieber ein! Ich gebe auf diese Umfrage keinen Pfifferling! Wir alle wissen, die Zustimmung zur Initiative „Pro Reli“ ist nach wie vor hoch.
Natürlich werden wir das sehen –, ich hoffe, mit einer anderen Umfrage, die mit Sicherheit neutraler gehalten sein wird. Solch einen Fehler wird es nicht noch einmal geben!
Wir wollen die Wahlmöglichkeit für Schülerinnen und Schüler. Wir wollen ein Wahlpflichtfach in staatlicher Verantwortung unter der Schulaufsicht, das von Lehrerinnen und Lehrern nach einem Rahmenplan unterrichtet wird, der in Kooperation zwischen dem Staat und der jeweiligen Religionsgemeinschaft entwickelt wurde.
Die Befürworter von „Pro Ethik“ haben eines bis dato nicht verstanden – Kollege Mutlu, Sie haben es eben wieder bewiesen –: In Berlin liegt der freiwillige Religionsunterricht allein in der Hand der Glaubensgemeinschaften. Der Staat hat kaum Einflussmöglichkeiten. Der Religionsunterricht kann durchaus mit den staatlichen Bildungszielen kollidieren. – Ich glaube, da sind wir uns einig. – Das wollen wir nicht.
Ich habe mir schon gedacht, dass das jetzt von Ihnen kommt: dass die Religionsgemeinschaften Einfluss auf das haben, was im Unterricht passiert. Es geht doch! Ich sage Ihnen auch, wo und wie es geht. Beispiel NordrheinWestfalen: Mit Beginn des kommenden Schuljahrs wird es dort einen alevitischen Religionsunterricht geben. Er wird von Muslimen alevitischen Glaubens unterrichtet. Es müssen Lehrer sein, die im Staatsdienst sind.
Nein! Ich habe nicht mehr viel Zeit. – Der Lehrplan wurde in Kooperation zwischen dem Ministerium und dem Dachverband entwickelt. Der Religionsunterricht in NRW – und nicht nur da – steht unter der Schulaufsicht. Genau das nennt man „ordentliches Lehrfach“. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Ihre Äußerungen sind bewusst irreführend.
Auch Folgendes passt zum Thema: Ich erinnere an die Islamkonferenz von Herrn Schäuble, die im März einberufen wurde. Dort einigte man sich auf einen islamischen Religionsunterricht unter staatlicher Aufsicht in deutscher Sprache. Von allen Beteiligten wurde das als Riesenfortschritt bezeichnet. Der Berliner Senat könnte hierbei durchaus eine Mittlerrolle spielen.
Ein Wahlpflicht Ethik hat eine Daseinsberechtigung. Die Auseinandersetzung mit Werten und grundlegenden Überzeugungen ist wichtige Aufgabe der Schule, aber selbst diese Tatsache wurde von Ihnen lange Zeit ignoriert. – Herr Zillich, Sie sagten es eben selbst. – Erst nach dem Ehrenmord an Hatun Sürücü haben wir hier erstmals ernsthaft über das Thema Werte diskutiert. Nach einer breiten öffentlichen Debatte war auch Ihnen offensichtlich klar, das wertevermittelnder Unterricht notwendig ist. Hierüber herrschte und herrscht Einigkeit.
Wir gehen allerdings einen Schritt weiter. Ethik ist für diejenigen notwendig, die nicht am Unterricht ihrer eigenen Religion teilnehmen wollen. Es gibt jedoch viele Schüler, denen die Unterrichtung in der eigenen Religion wichtig ist, Schüler, die auf das Grundrecht auf Religionsfreiheit pochen. Die sind momentan die Gekniffenen, denn sie haben nicht die Wahl zwischen alternativen Angeboten. Sie haben lediglich die Wahl, zusätzlich zum obligatorischen Ethikunterricht den Unterricht in der eigenen Religion zu besuchen. Sie haben selbstverständlich auch die Wahl, Chinesisch zu lernen oder einen Kochkurs zu besuchen. Es ist falsch, darin eine Wahlmöglichkeit zu sehen. Wir brauchen eine Wahlfreiheit, die als Freiheit zur Wahl zwischen gleichrangigen Alternativen im Kontext des schulischen Unterrichts verstanden wird. Das bedeutet die Wahl zwischen Religions- oder Ethikunterricht.
Ich frage mich manchmal, warum Linke – einige rote und immer mehr grüne – inzwischen so allergisch reagieren, wenn es um Religionsunterricht geht.
Woher kommt dieses totale Misstrauen gegenüber der Religion und ihrem vermeintlichen Einfluss? – Offensichtlich hat sich bei Ihnen die Vorstellung festgesetzt, Religion sei unkontrollierbar und altertümlich, und man müsse sie überwinden.
Ich denke an die Befreiungstheologen in Südamerika. Was halten die Linken davon? Sie halten es lieber mit Diktatoren wie Castro und Chávez. Mit denen gibt es größere Gemeinsamkeiten.
Der Senat ist auf dem Holzweg, wenn er meint, gegen die Religion kämpfen zu müssen. Daran sind schon andere gescheitert.
[Beifall bei der FDP und der CDU – Christian Gaebler (SPD): Das war Ihrer nicht würdig, Frau Senftleben! – Dr. Felicitas Tesch (SPD): Die erzählt doch immer so einen Quatsch!]
Vielen Dank, Frau Senftleben! – Für den Senat hat nun Herr Prof. Dr. Jürgen Zöllner das Wort. – Bitte sehr!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Wissensgesellschaft, Globalisierung und demografischer
Wandel sind keine leeren Schlagworte, sondern sie beschreiben eine Gesellschaft, die weltweit im Umbruch ist, der in Quantität und Qualität nur mit wenigen Epochen der Menschheitsgeschichte vergleichbar ist. Die zentralen Phänomene dabei sind: einerseits die kulturelle Mischung als Folge der Migration und andererseits scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten, die Welt zu verändern und nach unseren Vorstellungen zu gestalten, durch Fortschritte der Wissenschaft. Diese Situation birgt riesige Chancen, bringt aber auch ein Problem mit sich.
Auf die zentrale Frage, wie unsere Gesellschaft gestaltet werden soll, kann nämlich Wissenschaft keine Antwort geben.