Wie man die Möglichkeiten, die sich aus der modernen Medizin am Beginn oder am Ende des Lebens – Stichworte: PND oder Sterbehilfe – ergeben, oder die Erkenntnisse der Neurobiologie nutzt, kann man allein mit wissenschaftsbasiertem Wissen nicht entscheiden. Wissenschaft kann höchstens die unterschiedlichen Konsequenzen prognostizieren, die sich aus einer Grundsatzentscheidung ergeben. Diese Richtungsentscheidungen können nur durch die Gesellschaft selbst auf der Grundlage gemeinsamer Werte getroffen werden.
Hierbei kommt der Schule eine entscheidende Rolle zu. Schule ist glücklicherweise nicht nur PISA, sondern Schule ist auch – und nicht zuletzt – Wertevermittlung. Dies gilt im besonderen Maß für eine Metropole wie Berlin. Gemeinsame Werte wird es aber nur geben, wenn man sich – erstens – gemeinsam mit Werten beschäftigt, sich versteht, aber auch – zweitens – darüber nachdenkt, woher man kommt, das heißt, sich seiner eigenen kulturell-religiösen Hintergründe und seines Wertesystems bewusst ist.
Im Zusammenhang mit der Wertevermittlung und dem Religionsunterricht bedeutet das, dass der Staat für die Zusammenarbeit, den Zusammenhalt Sorge tragen muss und gleichzeitig den Religionsgemeinschaften Möglichkeiten eröffnen muss, sich einzubringen. Es ist aber auch eine Verantwortung der Religionsgemeinschaften, sich in diesen Wertekonsens einzubringen, und Sorge machen mir dabei nicht die christlichen Kirchen.
Vor diesem Hintergrund ist der dreistufige Berliner Weg konsequent und folgerichtig. Erstens: freiwilliger Religions- und Weltanschauungsunterricht in der Grundschule. Nach Auffassung des Grundgesetzes ist die religiöse und weltanschauliche Erziehung in dieser Lebensphase das
Erziehungsrecht der Eltern. Das Land Berlin unterstützt die Eltern u. a. durch die weitgehende Finanzierung des Religions- und Weltanschauungsunterrichts, die Bereitstellung von Schulräumen und durch Vorgaben für die Einordnung in den Stundenplan.
Ich liebe Diskussionen, aber dieses ist ein so wichtiger Punkt, dass man einen roten Faden konsequent zu Ende führen sollte.
[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Sie haben Angst vor der Frage, die ich stellen will!]
Da der Religions- und Weltanschauungsunterricht allen Schülerinnen und Schülern offensteht, haben die Eltern die Wahl, an welche Traditionen sie ihre Kinder unter authentischer Vermittlung heranführen möchten. Dieses Angebot wird von 75 Prozent der Schülerinnen und Schüler in der Grundschule wahrgenommen.
Zweite Stufe – verpflichtender Ethikunterricht – ich betone: verpflichtender – für alle Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe I und dazu parallel freiwilliger Religions- und Weltanschauungsunterricht verbunden mit einem Kooperationsangebot des Ethikunterrichtes mit den Trägern der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Verantwortung der Schule zu einzelnen Themen: Mit der Religionsmündigkeit am Ende des 14. Lebensjahres entsteht bei vielen Schülerinnen und Schülern das Bedürfnis, die früheren Vorgaben der Eltern zu überprüfen. Einerseits führt die zunehmende Weltoffenheit dazu, dass sie andere Sinnangebote kennenlernen und in neue Lebenszusammenhänge vordringen, in denen sie andererseits auch mit möglichen Konflikten konfrontiert sind, die sich aus unterschiedlichen Wertvorstellungen, Verhaltensmustern und Überzeugungen ergeben.
Der Ethikunterricht selbst ist weltanschaulich und religiös neutral. Darin üben die Schülerinnen und Schüler, zwischen unterschiedlichen Kulturen und Lebensentwürfen zu sprechen und sich zu verständigen. Indem das friedliche, gleichberechtigte Zusammenleben zu einer gemeinsamen Aufgabe wird, kann das Fach Ethik einen Beitrag zur gegenseitigen Akzeptanz und zu einer friedlichlebendigen Demokratie leisten.
Ziel des Ethikunterrichtes ist also die Förderung der Reflektions- und Dialogfähigkeit, der Fähigkeit, über grundlegende Orientierungsfragen des individuellen und gesellschaftlichen Lebens überhaupt nachzudenken, und der
Fähigkeit, sie auch Andersdenkenden zu vermitteln. Dazu muss man den Andersdenkenden vor sich haben.
wenn unterschiedliche Überzeugungen das auf den ersten Blick zu verhindern scheinen! Diese Aufgabe kann nur gemeinsam erfüllt werden.
Das bisherige Angebot des freiwilligen Religions- und Weltanschauungsunterrichts bleibt dabei erhalten. Dabei ist mir durchaus bewusst, dass durch die Verkürzung des gymnasialen Bildungsganges auf 12 Jahre bis zum Abitur zeitliche und inhaltliche Anforderungen auf die Schülerinnen und Schüler zukommen, die die Wahrnehmung zusätzlicher Angebot erschweren. Die Antwort darauf liegt jedoch auf einem völlig anderen Feld. Wir müssen auch aus diesem Grund unsere Ganztagsangebote kontinuierlich auch in der Sekundarstufe I weiter ausbauen.
Dritte Stufe – die gymnasiale Oberstufe mit Philosophie als Wahlfach: Die gymnasiale Oberstufe ist vor allem wissenschaftspropädeutisch ausgerichtet. Durch Schwerpunktsetzung innerhalb eines allgemeinbildenden Rahmens können sich die Schülerinnen und Schüler ihren Begabungen und Neigungen entsprechend Schwerpunkte setzen und sich damit auch im Hinblick auf die Studienfachwahl erproben und grundlegende Fähigkeiten erwerben. An etwa 70 gymnasialen Oberstufen in Berlin wird das Fach Philosophie angeboten, das interessierten Schülerinnen und Schülern eine Vertiefung der ethischen Grundbildung ermöglicht und diese in philosophische Grundfragen einbettet.
An dieser Stelle – und es ist ein Gesamtangebot an unsere jungen Menschen in Berlin – sollte aber auch berücksichtigt werden, dass Religion an konfessionellen Schulen Pflichtfach ist und als Prüfungsfach im Abitur gewählt werden kann.
Die praktische Umsetzung der Einführung des Faches Ethik macht ohne Zweifel Kraftanstrengungen auf vielen Ebenen erforderlich. Der Rahmenlehrplan, Unterrichtskonzepte, Handreichungen und ein Weiterbildungskonzept mussten erstellt, Lehrkräfte weitergebildet und Studiengänge an den Universitäten vorbereitet werden. Dieser Prozess ist weitgehend abgeschlossen und erfolgreich bewältigt worden. Trotz der erst zweijährigen Erfahrung, die wir bisher haben, ist mein Eindruck, der sich auf Berichte aus den Schulen stützt, dass sich dieses Berliner Modell bewährt hat. Die Schülerinnen und Schüler der 7. und 8. Jahrgangsstufe haben es angenommen, und es ist ihnen inzwischen selbstverständlich geworden, über
grundlegende Probleme ihres individuellen Lebens und der gegenwärtigen Gesellschaft offener, und zwar miteinander zu sprechen, ihre Überzeugungen zu begründen – sie sind nicht mehr sprachlos über sich selbst und die Werte –
und das Gespräch mit der Andersdenkenden zu suchen. Diesen Berliner Weg sollten wir weitergehen, und wir sollten ihn weiterentwickeln. – Ich bedanke mich!
Wir treten in die zweite Rederunde ein. Für die SPDFraktion hat nun Frau Abgeordnete Dr. Tesch das Wort. – Bitte!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Steuer! Ich muss noch einmal auf Sie Bezug nehmen, weil Sie offensichtlich die Zahlen nicht lesen. Ich habe vorgetragen – und bitte Sie, das noch einmal nachzulesen –, dass die Abmeldungen vom Religionsunterricht wieder zurückgegangen sind. Das heißt, es nehmen wieder mehr Schüler und Schülerinnen am Religionsunterricht teil, und das ist über die Jahre relativ konstant geblieben.
Sie wissen offensichtlich als Einziger, was die Berlinerinnen und Berliner wollen. Ich muss Ihnen und auch Frau Senftleben Folgendes entgegnen: Objektiver als mit dieser Fragestellung von Forsa geht es doch gar nicht. Sie bringen die Mogelpackung.
Sie reden immer von Wahlfreiheit, was im Grunde eine Abwahl ist. Die Fragestellung hier war: „Wollen Sie, liebe Berlinerinnen und Berliner, ein gemeinsames Wertefach für alle – ja oder nein?“ – Und das wollen die Berlinerinnen und Berliner. Die Berlinerinnen und Berliner sind positiver als Sie. Sie malen alles in dieser Stadt in einem schwarzen Licht. Es ist aber nicht so. Die Berlinerinnen und Berliner wollen Multikulti und eine Multireligiosität, und sie wollen, dass die Kinder voneinander lernen und miteinander sprechen. Das wollen wir auch, und deswegen haben wir die Initiative „Pro Ethik“ gegründet. Wir sind für dieses gemeinsame staatliche Fach.
Ich sage es noch einmal: Wir sind nicht gegen einen Religionsunterricht. Frau Senftleben! Ich weiß nicht, was Sie sich da in Ihrem kleinen Köpfchen zurechtlegen.
Wir haben es hier oft wiederholt – in jeder Rederunde. Wir beide sitzen auch sehr oft zusammen auf dem Po
dium. Ich werde nicht müde, es zu wiederholen: Wir geben viel Geld für Religionsunterricht aus. Er liegt uns am Herzen. Aber der Besuch soll weiterhin freiwillig bleiben, damit Kinder beides nutzen können, den freiwilligen Religionsunterricht je nach dem Bekenntnis, das sie möchten, und den gemeinsamen Werteunterricht, der sie zusammenführt und voneinander lernen lässt. – Ich danke Ihnen!
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Tesch! Offensichtlich sind Sie sich Ihrer Sache selbst nicht ganz sicher, denn so kleinlaut, wie Sie hier vorn sprechen, sollten Sie sein, wenn Sie im Publikum sitzen und zuhören. Diese Umfrage, die gestern veröffentlicht wurde, ist manipulativ, und das wissen Sie ganz genau.
Es wird die Frage gestellt: „Sind Sie dafür, dass ein Kind, das an einem Religionsunterricht teilnimmt, sich vom Ethikunterricht abmelden kann?“ – Sie sind sicherlich bei mir, dass das eine qualitativ andere Frage als die ForsaUmfrage vom Januar ist, in der gefragt wurde: „Sind Sie für die Wahlfreiheit, dass ein Kind innerhalb einer Unterrichtsstunde entscheiden kann, ob es am Ethikunterricht oder am Religionsunterricht teilnehmen möchte?“ – Dafür sind 55 Prozent der Berlinerinnen und Berliner, und das ist die Mehrheit.
[Beifall bei der CDU – Steffen Zillich (Linksfraktion): Es heißt „muss“! – Christian Gaebler (SPD): Ich weiß nicht, was Sie wollen! – Weitere Zurufe von der SPD]