Protokoll der Sitzung vom 29.05.2008

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Die Berliner Regelung ist anders als in vielen anderen Bundesländern, aber sie ist nicht weniger zulässig oder legitim und sie steht nicht weniger auf dem Boden des Grundgesetzes. Sowohl die Regelung nach Artikel 7 Abs. 3 GG, die den ordentlichen Religionsunterricht regelt, als auch Artikel 141 GG, die sogenannte Bremer Klausel, unter die die Berliner Regelung fällt, sind Ausdruck eines historischen, politischen und rechtlichen Kompromisses bei der Verabschiedung des Grundgesetzes. Es steht nicht etwa das eine über dem anderen, sondern das eine hätte es ohne das andere nicht gegeben.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Die Berliner Regelung wurde vor 60 Jahren im Berliner Schulgesetz von 1948 beschlossen. Damit wurde damals mit den Stimmen von Sozialisten, Sozialdemokraten und Liberalen eine klare Trennung von Staat und Kirche vollzogen. Sie gründet sich im demokratischen Neubeginn nach dem Zweiten Weltkrieg und trägt in besonderer Weise der säkularen Realität in Berlin Rechnung. Diese Regelung erweist sich auch 60 Jahre danach als Glücksfall für die multikulturell und multireligiös gewordene Stadt.

Vielfalt der Religionen erfordert Flexibilität und Gleichbehandlung. Die Berliner Regelung ist dafür weitaus besser geeignet als andere. Der Religions- und Weltanschauungsunterricht ist völlig zu Recht ein Bekenntnisunterricht. Deshalb muss er in Übereinstimmung mit den Zielen und Lehren der Religions- und Bekenntnisgemeinschaften erteilt werden. Deshalb muss es eine Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Religionen und Weltanschauungen geben – so, wie es in Berlin ist. Es wäre auch

falsch, einen solchen Bekenntnisunterricht zu verstaatlichen. Aber: Der Bekenntnisunterricht kann nicht die Aufgabe des gemeinsamen Ethikunterrichts übernehmen. Es ist etwas grundsätzlich anderes, ob man gegenseitiges Verständnis einüben möchte oder ob man sich des eigenen Bekenntnisses vergewissern will. Es ist sichtbar etwas anderes, ob sich Christen untereinander über die Verständigung mit Muslimen unterhalten oder ob Muslime und Christen dies gemeinsam üben müssen. Das ist ungemein schwieriger, aber genau das brauchen wir, das brauchen wir auch in der Berliner Schule.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das Berliner Modell des Religionsunterrichts hat sich bewährt, es soll so bleiben. Wir wollen keinen Kulturkampf. Wir rufen alle dazu auf, ihn zu vermeiden. Ich bitte deswegen alle zu bedenken, dass Slogans wie „Werte gibt es nur mit Gott“ durchaus zu Kränkung und Empörung in der zu großen Teilen säkularen Berliner Bevölkerung führen. Wir wollen Ethik erhalten als gemeinsamen Unterricht, weil dieses Fach wichtig und nötig ist für die Schülerinnen und Schüler, für die Schule und für die Vielfalt und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Das will die Koalition, das wollen auch die Grünen, das will die Initiative „Pro Ethik“, und das wollen 84 Prozent der Berlinerinnen und Berliner. Das ist eine gute Grundlage, um den Ethikunterricht weiter zu entwickeln und darüber auch zu einer besseren Schule für Berlin zu kommen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zillich! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Herr Abgeordnete Mutlu das Wort – bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich eines festhalten: Wir sind nicht gegen die Kirchen. Ganz im Gegenteil, wir schätzen sie als eine wichtige gesellschaftliche Institution und als Kooperationspartnerin in vielen verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen, zum Beispiel in der Flüchtlingsarbeit.

[Beifall bei den Grünen]

Einen Kirchenkampf, wie von manchem in diesem Haus gewollt oder intendiert – Herr Gaebler wird wissen, was ich meine –, lehnen wir ab.

[Beifall bei den Grünen]

Wir sind auch nicht gegen den Religionsunterricht. In Berlin wird seit Jahrzehnten Religionsunterricht im Rahmen des sogenannten Berliner Modells als freiwilliges Fach angeboten. Im laufenden Schuljahr besuchen ca. 50 Prozent der Berliner Schülerschaft dieses freiwillige Fach, in der Grundschule mehr als in der Sekundarschule. Daran haben wir nichts auszusetzen. Das ist in Ordnung so. Wir stellen aber auch fest, dass die Einführung des

Pflichtfaches Ethik im Jahr 2006 entgegen anders lautender Aussagen auch heute nicht zu einem dramatischen Rückgang der Schülerzahlen des Religionsunterrichts geführt hat. Ganz im Gegenteil: Seit Jahren ist die Teilnahme am Religionsunterricht rückläufig. Die Kirchen müssen sich fragen, weshalb das so ist.

Wir stehen weiterhin zum Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche. Religionsunterricht an den Schulen soll deshalb wie bisher auf freiwilliger Basis erfolgen.

[Beifall bei den Grünen]

Die Verstärkung des Status des Religionsunterrichts durch die Einführung eines sogenannten Wahlpflichtfaches Religion als Alternative zum Fach Ethik oder die Abmeldemöglichkeit vom Ethikfach, wie von den Initiatoren des Volksentscheids „Pro Reli“ gewollt, lehnen wir ab. Wir wollen den Ethikunterricht als gemeinsames Fach für alle Schülerinnen und Schüler in den Klassenstufen 7 bis 10 als Pflichtfach weiterhin erhalten. [Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir sehen uns nach der hier wiederholt zitierten ForsaUmfrage in unserer Auffassung bestätigt, dass das Fach Ethik als nicht abmeldbar beibehalten wird. Wir begrüßen dieses Umfrageergebnis und sehen uns in unserer Auffassung bestätigt. Die Einrichtung eines eigenständigen religiös-weltanschaulich neutralen Pflichtfaches Ethik, in dem sich die Schülerinnen und Schüler mit Werten und Sinnfragen auseinandersetzen können und ein breites Grundwissen über Religionen und Weltanschauungen vermittelt bekommen, ist aufgrund der zunehmend multikulturellen und multireligiösen Bevölkerung Berlins ein richtiger und wichtiger Schritt gewesen. Richtig aber ist auch, dass Wertebildung wesentlich von der Gestaltung schulischer Kontexte abhängt und die Vermittlung von Werten insbesondere Aufgabe der gesamten Schule ist, wie in § 1 Schulgesetz festgehalten. Im Übrigen ist es auch eine Aufgabe der ganzen Gesellschaft. So gesehen kann dies weder auf eine bestimmte Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft delegiert noch auf die Einrichtung eines einzelnen Faches reduziert werden. Ohnehin können Werte nur glaubwürdig vermittelt werden, wenn das schulische Leben und die dort tätigen Erwachsenen diese Werte vorleben und sie fördern.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Christian Gaebler (SPD) und Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Dennoch gibt es in unserer Stadt eben wegen ihrer multikulturellen und multireligiösen Bevölkerung einen wachsenden Bedarf über Informationen über Weltdeutungssysteme, Weltanschauungen und Religionen. Das ist wichtig und dafür muss es Raum in der Schule geben. Das friedliche Zusammenleben in dieser pluralistischen Gesellschaft ergibt sich nicht von allein oder durch einen Automatismus. Daran müssen wir alle arbeiten. Es bedarf der aktiven Erziehung zu gegenseitigem Respekt, zur Anerkennung von Unterschieden und zur Bereitschaft zum Dialog. Die Voraussetzung für den pädagogischen Erfolg des

Faches ist es, dass die Schülerinnen und Schüler miteinander und voneinander lernen, sich austauschen, in den Dialog treten, statt nach Weltanschauungen und Konfessionen getrennt zu werden, Herr Steuer.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Miteinander erzielen Sie nicht dadurch, dass Sie die jungen Menschen nach Konfession und Weltanschauung separieren und dadurch die Andersartigkeit manifestieren. Ich meine, damit das vermeintlich Fremde nicht mehr fremd ist und damit der Fremde aus welchen Gründen auch immer keine Angst hervorruft, brauchen wir diesen Raum, diesen Ort in der Schule, diesen Dialog. Die sogenannte Wahlfreiheit, die von den Initiatoren von „Pro Reli“ suggeriert wird, ist gar keine Wahlfreiheit. Im Gegenteil, sie schränkt die Wahlfreiheit ein. Diese scheinbare Wahlfreiheit ist nicht zielführend, denn die Aufteilung der Schülerinnen und Schüler nach Glauben oder nach Glaubenszugehörigkeit kann keine integrative Wirkung entfalten, sondern sie würde die Abgrenzung weiter verstärken und die Andersartigkeit noch einmal verfestigen. Das wollen wir nicht, und ich glaube, auch die Mehrheit dieses Hauses will dies nicht.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Ich habe damals in meiner Rede an dieser Stelle im Jahr 2006 anlässlich der Einführung des Faches Ethik mein Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, dass die religions- und lebenskundlichen Anteile des neuen EthikFaches zu gering ausgefallen sind. Heute, zwei Jahre danach, ist diese Kritik weiterhin gültig.

Gültig ist auch meine Kritik, dass die Lehrerinnen und Lehrer, die dieses Fach unterrichten und künftig dieses Fach unterrichten sollen – denn das Fach wächst auf –, auf die Anforderungen und Erwartungen dieses Faches nicht vorbereitet und fort- und weitergebildet worden sind. Hier ist der Senat gefordert, hier muss nachgebessert werden, auch wenn die bisherigen Erfahrungen vor Ort mit den Schülerinnen und Schülern positiv sind.

[Beifall bei den Grünen]

Zwei Sätze noch zur Kooperation. – Wir sind nicht gegen Kooperation, wie es heute in einer Zeitung behauptet wird – im Gegenteil. Das von uns geforderte Fenstermodell sieht Kooperationen mit den Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften explizit vor. Kooperationen mit den Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften sind sogar im Schulgesetz ausdrücklich gewünscht. Allerdings ist es ein Problem, wenn dauerhaft Kooperationen mit nur einer Religionsgemeinschaft geführt werden. Das ist meiner Meinung nach nicht schulgesetzkonform.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

In einer multireligiösen Stadt, in einer multikulturellen Stadt, müssen zeitlich begrenzte Kooperationen mit allen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften durchgeführt werden. Dazu gehören auch die islamischen Religionsgemeinschaften.

[Beifall bei den Grünen]

Immer wieder wird die Islamische Förderation angeführt, eine Institution, die wir nicht in der Schule haben wollen.

[Mieke Senftleben (FDP): Haben wir aber!]

Auch ich will sie nicht in der Berliner Schule sehen. Aber diese Organisation hat sich nach einem zehnjährigen Rechtsstreit durch ein höchstrichterliches Bundesverwaltungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2000 den Status einer Religionsgemeinschaft erkämpft. Weil sie das getan hat, will ich Sie fragen: Wie wollen Sie diese Religionsgemeinschaft aus der Schule heraushalten? – Mit einem Wahlpflichtfach oder einem vom Staat kontrollierten Fach Religion werden Sie das nicht können,

[Mieke Senftleben (FDP): Doch, genau so!]

weil es ein verbrieftes Recht der Religionsgemeinschaften ist, dass der Staat in dem Bekenntnisteil, in allen Fragen, in denen es um Glauben geht, sich nicht einmischen darf. Das ist auch unter Juristen klar und deutlich.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen und der SPD]

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss! – Die Frage der religiösen Orientierung und die Einstellung zum Verhältnis von Kirche und Staat ist eine zutiefst persönliche und individuelle Angelegenheit. Wir wollen deshalb verhindern, dass die Diskussion über den Religionsunterricht in der Schule zu einer Auseinandersetzung wird wie bei dem jüngsten Volksentscheid, den wir in dieser Stadt hatten. Ein parteipolitisch instrumentalisiertes Volksbegehren wie das zum Flughafen Tempelhof darf sich in dieser Frage nicht wiederholen. Darauf kann diese Stadt verzichten!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

In dieser Frage, die die innerste Wertüberzeugung vieler Menschen in Berlin berührt, gleich, ob sie konfessionsgebunden sind oder nicht, wäre eine Entscheidung durch eine knappe Volksentscheidsmehrheit schädlich und das unabhängig vom Ausgang. Deshalb appelliere ich noch einmal an alle: Vermeiden Sie es, Schritte zu unternehmen, die dieser Stadt einen Kirchenkampf bringen! Das hat diese Stadt nicht nötig!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Christian Gaebler (SPD) und Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Mutlu! – Für die Fraktion der FDP hat nun Frau Abgeordnete Senftleben das Wort. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Meine Herren, meine Damen! Die Vermittlung von Werten ist unerlässlich und eine wichtige Aufgabe der Schule, denn ein friedliches Zusammenleben

ist ohne eine gemeinsame ethische Grundlage und Basis nicht möglich.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Ja, genau!]

Die Frage, liebe Frau Dr. Tesch – und Ihr Zuruf war gerade richtig –, um die es immer wieder geht, ist, wer vermittelt diese Werte und auf welcher Grundlage. In Berlin ist es so, dass der Staat den Alleinvertretungsanspruch erhebt, zumindest seitdem vor zwei Jahren das Fach Ethik als Pflichtfach für alle eingeführt wurde. Das lehnt unsere Fraktion ab. Wir plädieren für ein gleichberechtigtes Miteinander der Fächer Ethik und Religion, bei dem sich Familien und Schüler entscheiden können, die Schüler sogar dann völlig selbstbewusst und eigenverantwortlich, wenn sie 14 Jahre alt sind, also mit dem Eintritt in die Religionsmündigkeit.

[Beifall bei der FDP]

Wir wollen, dass die Fächer, die Lehrer, miteinander arbeiten, kooperieren und die Authentizität einerseits und die Gemeinsamkeit andererseits herausarbeiten und darstellen. Das gelingt nur, wenn Ethik und Religion gleichberechtigt nebeneinander stehen.