Herr Kollege Steuer! Sie sagen, dass durch den Ethikunterricht der Religionsunterricht an den Rand gedrängt wurde und dass die Schülerinnen und Schüler aus diesem vertrieben wurden. Können Sie mir darlegen, wie viele Schülerinnen und Schüler in den letzten Jahren den Religionsunterricht abgewählt haben? Können Sie dies bitte einordnen in die Gesamtentwicklung des letzten Jahrzehnt; gibt es einen signifikanten Rückgang, gemessen an den Schülerzahlen?
[Frank Henkel (CDU): Kannst du das bitte noch ins Verhältnis setzen zu den europäischen Nachbarn? – Heiterkeit bei der CDU und der FDP]
Herr Oberg! Sie wissen sicherlich so gut wie ich, dass vor allen Dingen die Evangelische Kirche viel Religionsunterricht in der Berliner Schule anbietet und der Rückgang dort auch am größten ist, während die Zahlen bei der Islamischen Föderation zunehmen und bei dem katholischen Religionsunterricht in etwa stabil geblieben sind. Der Rückgang der Teilnahme am Religionsunterricht ist vorhanden, und möglicherweise sind wir unterschiedlicher Auffassung über die Gründe, das mag sein, aber den Rückgang können Sie nicht bestreiten.
Es gehört Freiwilligkeit dazu, wenn man Werte aufnehmen können soll. Dies können Glaubensgemeinschaften, weil sie authentisch Werteunterricht vertreten. Dies kann der Staat nicht nur nicht, sondern er darf es auch nicht. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Ernst Wolfgang Böckenförde, hat diesen Sachverhalt sehr treffend wie folgt beschrieben: „Der freiheitlichsäkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“ So ist das, was wir unseren Kindern vermitteln müssen: vorstaatlich. Werte, Verhaltensweisen, Tugenden – jenseits der staatlichen Zuständigkeit und vor allem jenseits der staatlichen Möglichkeiten. Dafür brauchen wir die Religionen, aber das Religionsverständnis der Linken ist ein anderes. Sie wollen mit dem staatlichen Ethikunterricht etwas durchsetzen, was der Religion grundsätzlich zuwiderläuft. Wie sonst ist es zu erklären, dass der Vorsitzende der Humanistischen Union als vehementester Vertreter des Ethikunterrichts in der vergangenen Woche im Schulausschuss erklärt hat:
Wissenschaftlich begründbare Werte gibt es nicht, Gott sei Dank, damit haben wir in Deutschland genug Erfahrung gemacht!
Die Werte, die hier vertreten werden müssen, sind nicht wissenschaftlich begründbar und nicht staatlich zu verordnen, sie sind die Grundlage des menschlichen Zusammenlebens, unabhängig vom Staat.
Wir wollen den Menschen die Freiheit geben, ihre Werte zu erleben und zu leben, ohne sie staatlich zu bevormunden. Wir wollen kein Gegeneinander, wir wollen ein Miteinander. So soll jeder selbst entscheiden, an welcher Form von Wertevermittlung er teilnehmen möchte. Natürlich ist ein konfessioneller Religionsunterricht für einen Gläubigen so sinnvoll wie ein säkularer Unterricht mit Wertinhalten für einen Atheisten. Niemand kann und darf gezwungen werden, Herr Gaebler, um auf Ihre Frage von vorhin zu antworten, an einem der beiden Fächer teilzunehmen.
In den letzten Tagen hat die Debatte durch die Linken leider an Schärfe massiv zugenommen. Sie haben sich – offensichtlich aus Angst vor der zweiten Stufe des Volksbegehrens „Pro Reli“ – einen perfiden Plan ausgedacht:
Erstens sollen die Kirchen in eine schwierige Situation gebracht werden. Wenn sie das Volksbegehren unterstützen, dann überlegen Sie, Ethikunterricht auch auf die Grundschulen auszudehnen. Diese Strategie hat Frau Bluhm für die Koalition zusammengefasst: „Berliner Kinder sollen lernen, ihre Herkunftsreligion zu relativieren.“ Deutlicher kann man es nicht ausdrücken, das ist genau das Gegenteil dessen, was wir für richtig halten.
Wie verblendet muss man in seiner atheistischen Mission sein, um den ohnehin schon an den Rand gedrängten Religionsunterricht und die Sonderregelung in Berlin noch weiter zu verschärfen? – Sie überlegen allen Ernstes, gegen die Kooperation zwischen Religions- und Ethiklehrern juristisch und gerichtlich vorzugehen, um das in Berlin zu stoppen.
Herr Steuer! Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie schon wieder unterbreche, aber ich möchte, dass die Störer die Tribüne bzw. den Saal verlassen. – Ich bitte den Ordnungsdienst zu räumen!
Danke, Frau Präsidentin! – Ich rufe Sie auf: Verwerfen Sie die Idee, gegen die jetzige Kooperation zwischen Ethik- und Religionslehrern vorgehen zu wollen! Setzen Sie auf Kooperation im Rahmen der bisherigen Möglichkeiten statt auf Konfrontation! Dies will übrigens auch die Mehrheit der Berlinerinnen und Berliner. Denn in zwei Umfragen hat sich die Mehrheit der Menschen in Berlin für eine Wahlfreiheit ausgesprochen, das letzte Mal
für eine Wahlfreiheit ausgesprochen, das letzte Mal im Januar dieses Jahres. Entgegen allen Vorahnungen und Behauptungen will auch eine Mehrheit in den östlichen Bezirken eine Wahlfreiheit zwischen Ethik und Religion.
Sie haben gestern eine Umfrage vorgestellt, die ein anderes Ergebnis erbracht hat. Wer sich die Fragestellung dieser Umfrage angeschaut hat, kommt ganz klar zu dem Ergebnis, dass es sich um einen Trick handelt, den Sie angewandt haben.
[Unruhe – Dr. Felicitas Tesch (SPD): Objektiver geht es doch nicht! – Özcan Mutlu (Grüne): Deutsch ist eine schwierige Sache!]
Sie haben nicht gefragt, ob die Berlinerinnen und Berliner eine Wahlfreiheit haben wollen, sondern Sie haben etwas anderes suggeriert, nämlich dass ein Schüler, der am heutigen Religionsunterricht teilnimmt, sich vom Ethikunterricht abmelden können soll. Das fordert weder die CDUFraktion noch „Pro Reli“. Führen Sie die Berlinerinnen und Berliner nicht an der Nase herum!
Was Sie hier machen, ist eine ungeheuerliche Verdrehung des Anliegens von „Pro Reli“ – das Gegenteil von dem, was in dem Gesetzentwurf steht. Und auch das Institut Forsa sagt, man könne diese beiden Umfragen nicht gleichsetzen. Es handele sich um zwei völlig unterschiedliche Sachverhalte.
Lassen Sie mich zu einem letzten Punkt kommen, der auch zu diesem Thema gehört: Zu der „fortschrittlichen“ Berliner Lösung, die Sie durchgesetzt haben, gehört es auch, dass die Islamische Föderation in der Berliner Schule ungestört und unkontrolliert ihren Islamunterricht unterrichten kann. In der Regel sind eindeutige Segregationstendenzen an den Schulen, an denen die Islamische Föderation tätig ist, zu beobachten: Mehr Mädchen muslimischen Glaubens tragen Kopftücher, immer weniger nehmen an Klassenfahrten teil, und sie versuchen, sich vom Sportunterricht abzumelden. Ich sage Ihnen deutlich: Ein unkontrollierter Islamunterricht gehört nicht in die Berliner Schule!
Ich bitte nun die Zweifler in der SPD und auch bei den Grünen, die guten Argumente ernst zu nehmen und abzuwägen, ob der bisherige Weg, den Sie gegangen sind, richtig ist und er den Berliner Schülerinnen und Schülern hilft oder ob er nicht schadet. Wir bieten Ihnen an, gemeinsam mit uns einen neuen Gesetzentwurf zu erarbeiten, einen fraktionsübergreifenden Antrag auszuarbeiten, der zu einem tatsächlich fortschrittlichen Modell für Berlin führt. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Steuer! – Für die Linksfraktion hat jetzt der Abgeordnete Herr Zillich das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit zwei Jahren gibt es den gemeinsamen Ethikunterricht in der Berliner Schule. Es gibt ihn in den Klassen sieben und acht. Er ist also noch im Aufbau begriffen. Schon jetzt erweist es sich, dass es richtig war, dieses Fach einzuführen. Wenn man sich mit Ethiklehrern austauscht, bekommt man mitgeteilt, dass Ethik zu wirken beginnt, dass das Fach das Klima an der Berliner Schule verändert. Eine aktuelle Forsa-Umfrage zeigt, dass Ethik als gemeinsames Fach akzeptiert wird. 84 Prozent der Berlinerinnen und Berliner wenden sich gegen das Anliegen von „Pro Reli“, dass sich Schülerinnen und Schüler, die am Religions- und Weltanschauungsunterricht teilnehmen, vom Ethikunterricht abmelden müssen.
Herr Steuer! Selbstverständlich ist das Gute an „Pro Reli“, dass ein Gesetzesantrag zugrunde gelegt wird. Da kann man sehr genau nachlesen, dass genau geregelt sein wird, dass derjenige, der am Religionsunterricht teilnimmt, am Ethikunterricht nicht teilnehmen kann. Genau dies ist der Gegenstand des Begehrens von „Pro Reli“. Deswegen bleibt diese Aussage völlig richtig.
Wir hatten in dieser Stadt lange und immer wiederkehrende Diskussionen um Wertevermittlung in der Schule, aus Anlässen wie Kopftuchverbot, Konflikte im Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen bis hin zu schrecklichen Verbrechen wie Ehrenmorden. Dies alles rief nach Reaktionen auch und gerade in der Schule. Diese Diskussionen haben wir mit dem Ethikunterricht aufgegriffen.
Berlin ist eine Stadt der Vielfalt. In ihr leben 3,5 Millionen Einwohner aus über 100 Nationen. Hier treffen verschiedene Religionen, Kulturen und Weltanschauungen aufeinander. Das macht den Reichtum dieser Stadt aus, aber es führt auch zu Konflikten und Missverständnissen. In einer solchen Stadt können wir nicht selbstverständlich darauf vertrauen, dass sich automatisch eine Gemeinsamkeit der Auffassung über Lebensweisen, über Tradition, über Bräuche, über Konventionen des Zusammenlebens im täglichen Leben herstellt. Deshalb ist es eine besondere Herausforderung für die Stadt, besonders für die Schule, das friedliche und solidarische Zusammenleben der Menschen zu gestalten. Wir brauchen darum die gegenseitige Kenntnis über die unterschiedlichen Hintergründe. Wir brauchen Akzeptanz und Toleranz, und wir brauchen die Verständigung über gemeinsam anzuerkennende Grundlagen des Zusammenlebens. Das alles ergibt sich nicht automatisch.
Deshalb soll das Fach Ethik den Jugendlichen in der Schule Raum geben, sich mit verschiedenen Lebensweisen und Vorstellungen bekannt zu machen und auseinanderzusetzen. Es soll für Gemeinsames, aber auch für Unterschiede sensibilisieren. Es soll zum Verstehen des anderen, zum Dialog, zu friedlicher Konfliktlösung befähigen.
Ich will mit Genehmigung der Präsidentin Herrn Prof. Michael Bongardt von der FU Berlin zitieren, der in der Anhörung im Schulausschuss die Aufgabe des Ethikunterrichts sehr treffend beschrieben hat:
Sein Anliegen ist es, die Sprachlosigkeit zwischen den verschiedenen Kulturen und Weltanschauungen zu überwinden. Es geht darum, sich kennenzulernen, mehr noch, sich auch dann noch anzuerkennen und zu achten, auch dann noch miteinander zu sprechen, wenn die anderen Ansichten haben, die man selbst nicht teilen will und kann.
Dies kann nur in einem gemeinsamen Lernen geschehen und nicht, wenn nach weltanschaulicher oder religiöser Herkunft getrennt wird.
Die gegenseitige Verständigung kann nur gelernt werden, wenn die, die sich verständigen müssen, dies miteinander üben. Deshalb muss Ethik gemeinsames und verbindliches Fach bleiben. Es wäre falsch, wenn die Schülerinnen und Schüler – wie „Pro Reli“ es fordert – sich zwischen Ethik- und Religionsunterricht entscheiden müssen. Ethik muss deshalb religiös und weltanschaulich neutral sein. Das ist nicht nur ein Verfassungsgebot für die Schule, es ist auch die Voraussetzung dafür, dass die Verständigung gelingt. Akzeptanz und Vielfalt kann nur gewonnen werden, wenn man von der grundsätzlich gleichen Berechtigung der Weltanschauungen und Religionen ausgeht
Ethik ist ein sehr junges Fach. Es versteht sich von selbst, dass es noch Klärungs- und Unterstützungsbedarf gibt. Hier ist zum einen die Aus- und Weiterbildung zu nennen. Es ist gut, dass wir jetzt die grundständige Ausbildung an den Universitäten beginnen. Wir müssen bei der Weiterbildung weiterkommen. Wir wollen die Kooperation des Ethikunterrichts mit den Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften. Es ist gut, wenn im Rahmen des Ethikunterrichts Kirchen, Synagogen Moscheen und Tempel besucht werden, authentisch Religionen und Weltanschauungen erfahren werden. Aber bei der Kooperation muss es im Interesse der weltanschaulichen Neutralität Regeln geben. So darf es keine Bevorzugung bestimmter Religionsgemeinschaften geben, und die Kooperation muss in ihrem Umfang begrenzt sein, um die Neutralität zu wahren. Das ist kein einfaches Feld, und deswegen muss es eine Orientierung der Bildungsverwaltung geben.
Wir haben uns sehr bewusst dafür entschieden, den Ethikunterricht in Klasse sieben beginnen zu lassen, weil es hier durch die Erhöhung der Stundentafel, die ohnehin stattgefunden hätte, einen Spielraum gab. Ich will hier deutlich sagen: Debatten über eine Ausweitung von Ethik
auf die Grundschule haben nicht wir geführt, und sie sind auch nicht geeignet, die Debatte zu versachlichen.
Natürlich ist die Vermittlung der gemeinsamen Grundlagen des Zusammenlebens nicht nur Aufgabe eines Faches. Aber obwohl das Unterrichtsfach noch sehr jung ist und noch wächst, hat es bereits erstaunliches erreicht. Wenn berichtet wird, dass sich durch das Fach das Klima an den Schulen zu verändern beginnt, dass Schülerinnen und Schüler beginnen, gegenseitige Vorurteile zu hinterfragen, dann kann man erahnen, wie wichtig dieses Fach für die Berliner Schule und das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft noch werden kann.
Sie werden bemerkt haben, dass ich bisher nur über Ethik und nicht über Religion gesprochen habe. In der Tat, es geht uns auch um den gemeinsamen Ethikunterricht. Uns geht es in der Frage nicht um die Auseinandersetzung oder gar ein Zurückdrängen des Religions- und Weltanschauungsunterrichts oder gar einen Kulturkampf. Der Religions- und Weltanschauungsunterricht hat als freiwilliger Bekenntnisunterricht an der Berliner Schule seit 1948 seinen festen Platz. Das hat sich bewährt. An diesem Status hat Rot-Rot nichts geändert. Dabei soll es auch bleiben.