Protokoll der Sitzung vom 12.06.2008

Die Zahlen geben uns recht. Im ersten Jahr – Herr Lehmann, ich wiederhole es noch einmal – des Arbeitslosengeld-II -Bezugs ist die Chance, einen Job zu finden, höher als danach. Das zeigen die von Ihnen erwähnten Untersuchungen. Warum Sie diese Zahlen in Frage stellen, müssen Sie mir noch einmal erklären. Das habe ich nicht verstanden. Ich nehme diese Zahlen und Fakten sowie diese Untersuchung als ein Argument für uns.

Unsere Berliner Wohnungsregelung ist erfolgreich. Im bundesweiten Vergleich haben wir mit die geringste Anzahl der Umzüge zu verzeichnen. Mit unseren Richtwerten liegen wir im unteren Mittelfeld. Das finde ich erfolgreich. Mir ist überhaupt nicht klar, warum wir diese Einjahresfrist ändern sollten. Ich halte sie übrigens auch für gesetzeskonform. Erklären Sie doch bitte einmal, warum sie nicht gesetzeskonform sein soll. Sie führen Ihre Kritik auf die Kritik des Landes- und des Bundesrechnungshofs sowie den Beschluss des Rechnungsprüfungsausschusses des Bundes zurück. Das halten wir für zu kurz gegriffen.

Jetzt schauen wir uns noch einmal an, was der Landesrechungshof getan hat. Er hat die AV-Wohnen kritisiert und dabei unterstellt, dass Berlin für die Kosten der Unterkunft 30 Millionen € zu viel zahlt. Diese Zahlen sind nicht belastbar. Diese nicht belastbaren Zahlen wurden vom Bundesrechnungshof übernommen. Wenn Sie das bei Frau Radziwill noch nicht einmal verstanden haben, warum sie nicht belastbar sind, kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen. Man hat die Zahlen aus einem Jobcenter, nämlich aus Friedrichshain-Kreuzberg genommen, sie auf Gesamtberlin hochgerechnet und dann die Mehrkosten festgelegt. Wir alle wissen, dass man zu völlig anderen Ergebnissen gekommen wäre, wenn man ein anderes Jobcenter wie Steglitz-Zehlendorf genommen hätte. Deshalb sind diese Zahlen nicht seriös.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Sie sind überhaupt nicht tauglich als Begründung, die jetzt erfolgreiche AV-Wohnen in irgendeiner Weise zu verschlechtern.

Der Bundesrechnungshof sowie der Bundesrechnungsprüfungsausschuss haben sich mit den Kosten für die Unterkunft befasst. Es ging bundesweit um die Kosten der Unterkunft. In diesem Zusammenhang wurde auch die Berliner Regelung formuliert. Der beschlossene Antrag fordert die Bundesregierung auf, auf Berlin hinzuwirken, die Kostensenkung innerhalb von sechs Monaten zu vollziehen. Ob durch diese Verkürzung eine Kostensenkung herbeigeführt wird, hat noch niemand zeigen können. Aus dem Beschluss ergibt sich, dass sich die Bundesregierung an die zuständige Senatsverwaltung wenden und ihre Fakten und Argumente vorlegen müsste. Ich gehe davon aus, dass es dann eine sachliche und fachliche Debatte über die Frage geben wird. Dafür eignet sich auch die geplante Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die eingerichtet werden soll, in die sicherlich auch die Erfahrungen der einzelnen Bundesländer einfließen, genauso wie die vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. im Verlauf dieses Jahres vorgelegte Empfehlung für die Kosten der Unterkunft. Am Ende dieses bundesweit geführten Diskussionsprozesses sollten wir die Debatte von heute auf seriöser Grundlage wiederholen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat Frau Abgeordnete Pop.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Lehmann! Ich habe mich gefragt, ob neuerdings Herr Lindner Ihre Anträge schreibt, denn bisher sind Sie – mir zumindest – sozialpolitisch nicht unangenehm aufgefallen. Dieser Antrag schien eher aus der Horrorsammlung von Herrn Lindner zu stammen.

[Beifall bei den Grünen, der SPD und der Linksfraktion – Dr. Martin Lindner (FDP): Was?]

Letztens war in der „Bild“-Zeitung“ zu lesen, ganz im Sinne dieser „Bild“-Zeitungsgeschichte: Kürzt den Arbeitslosen 30 Prozent der Leistung, dann werden sie schon spuren! – Zu diesen 100 €, die Sie ihnen wegnehmen wollen, soll auch noch die Wohnung weggenommen werden, weil die Unterkunftskosten auch gekürzt werden sollen. Sozialpolitisch ist das Nirwana.

Sie wissen, dass wir diese Debatte schon länger führen. Meine Fraktion hat sich lange für eine Regelung der Unterkunftskosten stark gemacht, die positiv für die Betroffenen ist. Die Berliner Regelung hat Mietobergrenzen, die so angesetzt sind, dass 80 Prozent der Mieten im Berliner Wohnungsbestand durch die AV-Wohnen abgedeckt werden. Das ist erst einmal positiv. Man mag sich auch wundern, weil das erst einmal nach sehr viel klingt. Leuten, die sich in der Stadt nicht auskennen, kann man das nur damit erklären, dass sie in einer Stadt leben, in der die Sozialmieten teilweise höher als die Durchschnittsmieten

sind. Insbesondere unsere Wohnungsbaugesellschaften fallen mit hohen Mieten unangenehm auf. Vor drei Wochen erst stand in der Zeitung: Drei Wohnungsbaugesellschaften – also die Hälfte von allen Berliner Wohnungsbaugesellschaften – liegen mit ihren Durchschnittsmieten über dem Berliner Durchschnitt. Das kann nicht sein. Wir haben es erlebt, dass gerade die Wohnungsbaugesellschaften, die einen sozialen Zweck erfüllen sollen, ihre Mieten in den letzten Jahren unverhohlen auf die Mietobergrenzen der AV-Wohnen, also auf die staatlich garantierten Mindestmieten, erhöht haben. Das finde ich anrüchig, denn die AV-Wohnen ist nicht als Mietpreistreiber oder Subventionsprogramm für die notleidenden Wohnungsbaugesellschaften gedacht gewesen.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU und der Linksfraktion]

Zum aktuellen Streit mit dem Bund: Die Zahlen, über die wir hier sprechen, hat Herr Lehmann schon genannt. Knapp 1,4 Milliarden € haben wir im Jahr 2007 an Unterkunftskosten finanziert. Der Bund übernimmt rund ein Drittel dieser Ausgaben. Nun moniert der Bundesrechnungshof – und der Bundestag hat sich dieser Kritik angeschlossen –, dass Berlin an einer Stelle gesetzeswidrig handelt. Wie eindeutig die juristische Lange ist – die FDP sagt, ganz klar auf ihrer Seite; die Koalition sagt, ganz klar auf unserer Seite –, ist noch nicht eindeutig geklärt. Ich warne vor solch klaren Ansagen wie: Wir wissen jetzt ganz sicher, wie es juristisch geht.

Ich verstehe diese Schnellschüsse auch nicht. Ich verstehe die FDP nicht mit ihrem Antrag, aber ich verstehe auch die Koalition nicht. Ich habe – nachdem ich letztens Frau Petra Merkel vom Haushaltsausschuss des Bundestags in der „Abendschau“ gehört habe – die ernsthafte Sorge, dass Berlin sich in einen Streit mit dem Bund begibt, der auf dem Rücken der Erwerbslosen ausgetragen wird, für die der Streit nicht unbedingt gut enden wird. Der Haushaltsausschuss des Bundestags, inklusive Frau Petra Merkel, droht damit, Berlin die Mitfinanzierung des Bundes, immerhin 400 Millionen €, zu sperren. Diese Sperre hätte dramatische Folgen. Man muss sie verhindern.

[Beifall bei den Grünen – Dr. Martin Lindner (FDP): Dann stimmen Sie unserem Antrag zu!]

Jetzt soll die gesetzeskonforme Überarbeitung der AVWohnen stattfinden, sagt Frau Radziwill. Was gesetzeskonform ist, wird noch ausgedeutet werden müssen. Das werden wir uns anschauen.

Eine Anmerkung kann ich mir nicht verkneifen: Wenn Sie von der Koalition sauer sind, weil die Bundes-SPD Sie ärgert, dann lassen Sie es bitte weder am Landes- noch am Bundesrechnungshof aus. Sie tun nur ihre Aufgabe.

[Elke Breitenbach (Linksfraktion) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Leider, Frau Breitenbach, habe ich keine Zeit für die Beantwortung einer Zwischenfrage! Ich möchte noch zu einem Thema jenseits des Streites mit dem Bund kom

men. – Wir wissen alle, dass wir ein riesiges Problem haben, weil die Unterkunftskosten seit Jahren steigen, steigen, steigen. Sie sind in Berlin seit 2005 von durchschnittlich 307 € auf 340 € gestiegen. Damit liegen wir bundesweit auf dem zweiten Platz hinter dem teuren Hamburg. Dieser Anstieg um 10 Prozent zeigt, dass wir ein Problem haben, und zwar mit den Energiekosten. Der massive Anstieg von Energiepreisen wird auch in Berlin zu einem sozialen Problem. Uns Grünen reicht es aber nicht, sich wegen dieses Anstiegs abzuschinden, die Mehrbelastungen zu akzeptieren und im Endeffekt auch zu zahlen. Das ist nicht der richtige Weg. Der beste Schutz gegen steigende Energiepreise ist ein sinkender Energieverbrauch. Deswegen müssen wir zwei Wege gehen – darüber werden wir reden müssen, Frau Breitenbach! –, um in Berlin die Energiekosten für sozial Schwache zu senken.

[Beifall bei den Grünen]

Gerade für einkommensschwache Haushalte müssen wir Energiesparen möglich machen. Wir wissen alle, dass die gesamten Beratungsangebote eher nicht für diese Haushalte gemacht sind. Über diese Energieberatung bis zur energetischen Sanierung von Wohnungen gerade der Wohnungsbaugesellschaften werden wir reden müssen. Und wir brauchen sozial ökologische Strom- und Gaspreise. Wir müssen eine bestimmte Grundmenge Energie günstiger zur Verfügung stellen. Oberhalb dieser günstigeren Grundmenge sollen die Preise mit dem Verbrauch ansteigen.

Frau Kollegin! Sie müssen zum Schluss kommen!

Jetzt kommt mein letzter Satz. – Diese Idee zeigt, dass eine progressive Gestaltung der Energiepreise nicht nur sozial, sondern auch ökologisch sinnvoll sein kann. Darüber werden wir in den nächsten Jahren reden müssen. Sie werden hoffentlich nicht zulassen, dass die Menschen, die einkommensschwach sind, wegen der Energiepreise ihre Unterkunft nicht mehr bezahlen können. Dieser Senat ist in dieser Debatte aber sehr schmalbrüstig, wie wir heute bei den gesamten klimapolitischen Debatten gemerkt haben.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank für den langen Schlusssatz! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die antragstellende FDP-Fraktion hat die sofortige Abstimmung beantragt. Ich komme dann zur Abstimmung. Wer dem FDP-Antrag zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der FDP. Wer ist dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Grünen. Wer

enthält sich? – Das ist die Fraktion der CDU. Damit ist der Antrag abgelehnt.

Die Fraktion der SPD verzichtet auf die Priorität unter der lfd. Nr. 4 d.

Ich rufe nun auf die

lfd. Nr. 4 e:

a) Antrag

Gegen die Zerstörung des Zuschauerraumes der Staatsoper Unter den Linden

Antrag der CDU Drs 16/1497

b) Antrag

Neubau der Rathausbrücke

Antrag der CDU Drs 16/1498

c) Antrag

Beirat und Erhaltungssatzung für eine qualifizierte Entwicklung der historischen Mitte

Antrag der CDU Drs 16/1499

Das ist die Priorität der CDU unter der lfd. Nr. 22.

Für die gemeinsame Beratung stehen den Fraktionen jeweils wieder fünf Minuten zur Verfügung. Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Dr. Juhnke.

Vielen Dank! – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die zentrale Mitte und das klassizistische Erbe Berlins wurden vom Krieg und seinen Folgen stark beansprucht. Viele Gebäude sind in den Kämpfen den Bomben zum Opfer gefallen. Ganze Stadtviertel wurden so ihrer Struktur und Identität beraubt. Die alten Teilstädte Altberlin, Cölln und Friedrichswerder waren bei Kriegsende kaum noch zu erkennen. Fatale Abrissentscheidungen und – aus heutiger Sicht – verfehlte stadtplanerische Konzepte haben ein Übriges dazugetan, dass dem Stadtkern seine Seele geraubt wurde.

Insbesondere seit der Wende – aber auch schon davor – wurde eine Reihe von richtigen Schritten unternommen, die Identität der Stadtmitte wiederzugewinnen und den historischen Stadtraum für die Berliner und ihre Gäste wieder erlebbar zu machen. Halten wir auf diesem Weg nicht inne! Die Berlinerinnen und Berliner haben einen Anspruch auf eine Stadtmitte mit Identität.

[Beifall bei der CDU]

Die Identität der Stadtmitte ist das in Jahrhunderten geschaffene klassizistische Erbe, von der Museumsinsel über die Linden bis zum Schloss, zur Bauakademie und zur Friedrichswerderschen Kirche. Acht von zehn Berlinern sind dieser Meinung. Wir dürfen nicht das Empfinden und die Intuition der großen Mehrheit der Bevölkerung ignorieren und auf dem Altar einer vermeintlichen

Modernität opfern. Moderne Architektur ist in Berlin an anderen Stellen – und darauf sind wir stolz – in praktisch jeder Stilausprägung verwirklicht. An dieser Stelle ist es jedoch modern, wenn wir den Menschen eine historische Mitte zurückgeben, die eine Ausstrahlung besitzt sowie menschliches Maß, Zeitlosigkeit und Ästhetik.

Aus diesem Grund beantragt die CDU-Fraktion die Errichtung einer Erhaltungssatzung für die historische Mitte. Wir sind auch offen für andere Wege, sobald sie diesen Zweck sinnvoll erfüllen, etwa für eine Gestaltungssatzung. Die Koalition hat eine solche in ihrer Vereinbarung für diese Legislaturperiode angekündigt. Bedauerlicherweise gab es bisher keine entsprechenden Initiativen von Rot-Rot, dieses in die Tat umzusetzen. Offensichtlich waren die Kapazitäten durch die kläglichen Planungen zur Nachnutzung des Flughafens Tempelhof beansprucht, vielleicht aber auch durch Architekturvergleiche zwischen Berlin und Zürich. – Die von uns geforderte Satzung soll durch einen Beirat flankiert werden. Wir halten viel davon, vor Ort engagierte Gruppen mit einzubeziehen und auch ausgewiesene Fachleute dazuzuholen.

Jetzt komme ich zu den beiden Anträgen, die ganz konkrete Bauvorhaben betreffen, zunächst zur Rathausbrücke. Die Rathausbrücke ist in ihrer historischen Bedeutung nicht zu überschätzen. Als Lange Brücke hat sie erstmals die beiden Städte Cölln und Berlin verbunden, was sie zur ältesten Brücke der Stadt macht. An bzw. auf der Brücke stand das erste gemeinsame Rathaus. Sicher nicht in ihrer aktuellen baulichen Schönheit, aber in ihrer historischen Bedeutung ist sie mit der Rialtobrücke in Venedig vergleichbar. Was würden wohl die Venezianer – oder auch Frau Lüschers Züricher mit ihrer Rathaus- oder Quaibrücke – sagen, wenn die Senatsbaudirektoren daherkämen und behaupteten, die Umgestaltung müsse aus baulichen oder pseudokonstruktiven Gründen so sein und bleiben wie 1999 – modern und unpassend geplant?

Wie würden sich die Venezianer und Züricher vorkommen, wenn die gleiche Senatsbaudirektorin behauptete, der damalige Wettbewerb – wohlgemerkt 1999 – hätte bereits alle Anforderungen kongenial mit aufgenommen, und zwar in offensichtlich hellseherischer Begabung jene Anforderungen, die erst drei Jahre später – nämlich 2002 – mit dem Beschluss zum Bau des Humboldt-Forums in der historischen Fassade definiert wurden? Sie würden sich zu Recht veralbert vorkommen. Stoppen Sie daher die aktuellen Pläne, und lassen Sie uns über einen historischen Entwurf der Brücke diskutieren!