Protokoll der Sitzung vom 11.09.2008

[Beifall bei der CDU – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Tatsache ist, dass Berlin die wenigsten Einwohner zwischen 15 und 65 Jahren hat, die über keinen Job verfügen. Tatsache ist auch, dass Berlin die höchste Arbeitslosenquote aller Bundesländer hat und mit 13,8 Prozent weit über dem Bundesdurchschnitt von 7,6 Prozent liegt. Wäh

rend bundesweit die Arbeitslosenzahlen sinken, stieg sie in Berlin im August wieder an. Tatsache ist auch, dass 46 Prozent der Berliner ihre finanzielle Situation schlechter als vor Jahresfrist einschätzen. Der Aufschwung, Herr Senator Wolf, kommt bei den Berlinerinnen und Berlinern nicht an.

[Beifall bei der CDU]

Tatsache ist auch – da Sie ja immer so gern auf die Rahmenbedingungen und die Geschichte Berlins in diesem Zusammenhang verweisen –, dass sich Städte wie Chemnitz, Leipzig oder Dresden viel dynamischer entwickeln, aber ebenso mit Strukturproblemen zu kämpfen hatten, die diese Städte ganz offensichtlich besser gemeistert haben.

Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Sie haben gesagt, je nach Studie ergäben sich verschiedene Bilder. Wenn Sie damit meinten, dass alle Bilder gleichzeitig düster und alarmierend sind, dann allerdings gebe ich Ihnen recht.

[Beifall bei der CDU]

Die CDU-Fraktion will gerne wissen, was der Berliner Senat tut, um die wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. Die Abwicklung von Tempelhof, die Beschimpfung von Investoren oder Sprachlosigkeit wie beim Thema Mediaspree sind sicherlich nicht die richtigen Antworten.

IHK und DGB sind wie wir besorgt über die hohe Arbeitslosigkeit und kritisieren, dass sich der Senat zu wenig um die Ansiedlung von Unternehmen kümmert und nach wie vor zu wenig für eine wirtschaftsfreundliche und effiziente Ausrichtung der Berliner Verwaltung unternimmt. Die CDU-Fraktion hat dazu Vorschläge vorgelegt. Wir haben Vorschläge zur Verbesserung der Aufstellung der Wirtschaftsförderung vorgelegt. Wir haben vorgeschlagen, in einem Maßnahmepaket einen Ansiedlungsstaatssekretär und Investorenlotsen in Berlin zu installieren, um Unternehmen nach Berlin zu locken.

Dabei geht es primär nicht um die Unternehmen, sondern um die Arbeitsplätze, die entstehen sollen. Wir wollen den Menschen, die Ihr Senator Sarrazin gern bei Sparmenü und Pullover in Hartz IV sitzen sieht, eine Perspektive in Berlin eröffnen. Dafür steht die Union in Berlin. Über diesen Weg wollen wir heute gerne mit Ihnen debattieren, weil wir glauben, dass das eine dringliche Frage ist.

In einer bekannten Berliner Zeitung schreibt ein bekannter Kolumnist – ich zitiere:

Der Regierende Bürgermeister Wowereit behauptet seit seinem Amtsantritt, Industriearbeitsplätze könne man heute nicht mehr schaffen. Das ist nicht wahr. Der Städtevergleich straft seine Worte Lügen. Wahr ist aber, dass sich der Wowereit-Senat seit seinem Amtsantritt 2001 nicht darum gekümmert hat, neue Industriearbeitsplätze anzusiedeln. Er hat es gar nicht erst versucht. Politiker können

keine Arbeitsplätze schaffen, aber sie können sehr viel dafür tun, dass Unternehmen in die Stadt kommen und für Arbeit sorgen. Sie können, wenn sie wollen. Im Falle von Wowereit und Wolf bin ich mir nicht sicher, ob sie nicht können oder auch gar nicht wollen. Wie auch immer – ich mache die rot-rote Politik dafür verantwortlich, wenn unsere Kinder nach der Ausbildung oder dem Studium diese schöne Stadt verlassen müssen, weil sie hier keine Arbeit finden.

Dieser Aufsatz endet mit: „Hat Schupelius recht?“ – Ich finde, an dieser Stelle hat Schupelius recht.

[Beifall bei der CDU]

Danke schön, Herr Kollege! – Den Antrag der Grünen begründet jetzt Herr Ratzmann. – Bitte schön, Herr Ratzmann! Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben so etwas wie eine politische Karwoche, eine Woche des Verzichts, hinter uns, die ziemlich alle Parteien getroffen hat.

[Heiterkeit bei den Grünen und der Linksfraktion]

Das jüngste Beispiel des Verzichts hat sogar einen Doppelverzicht produziert. Das bestimmt heute auch – wenn man sich die Medienschar anschaut – die Debatte im Abgeordnetenhaus. Wahrscheinlich wäre das aktuellste Thema für die heutige Aktuelle Stunde, darüber zu diskutieren, wie sich das politische System in der Bundeshauptstadt gerade geriert.

Ich habe aus den Regierungskreisen schon Frohlocken darüber gehört, dass die Opposition sich geschwächt habe und jetzt nicht mehr so wirksam sei, aber ich kann Ihnen sagen: Opposition können wir zur Not auch im Duo oder alleine. Freuen Sie sich nicht zu früh!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Dass die Opposition wirkt, haben wir gerade gestern wieder erfahren. Das erfahren wir auch heute wieder. Da wird ein sehr umstrittener Passus aus dem Gesetz über die Mauerstiftung gestrichen, nachdem wir einige Diskussionen in der Opposition angezettelt haben.

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Da stellt der Bildungssenator des rot-roten Senats in Reinform das Bildungssystem der Grünen vor, das sie auf ihrer letzten Landesdelegiertenkonferenz beschlossen haben.

[Beifall bei den Grünen]

Ich kann Ihnen sagen: Wir regieren auch aus der Opposition heraus, und das ist gut für diese Stadt.

[Beifall bei den Grünen – Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

Dass das notwendig ist, zeigt sich ganz deutlich, wenn man sich den Zustand dieses Senats anguckt. Dieser Senat wurde vor zwei Jahren von Herrn Wowereit auf der Grundlage gebildet: Man muss den inneren Zusammenhalt in dieser Stadt fördern, und man muss Verlässlichkeit produzieren.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Kommen Sie auch mal zum Thema?]

Wenn wir uns heute diese Stadt angucken, müssen wir sagen, dass sie zerrissener ist als je zuvor seit dem Mauerfall. Sie lassen einen großen Teil derjenigen, die einen Aufbruch erwartet haben, im Regen stehen und tun nichts für sie in diesem rot-roten Senat.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wir merken nichts mehr von Verlässlichkeit. Da beschließt dieser Senat letzte Woche eine mittelfristige Finanzplanung auf Vorlage des Herrn Finanzsenators, Grundlage Personal 93 500, und am Donnerstag sagt der Wirtschaftssenator: Was interessiert mich mein Beschluss?

Herr Kollege Ratzmann! Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche! Wir sind großzügig, was die Begründung der Aktualität anbelangt, aber zu jedem Thema zu sprechen, geht auch nicht. Ich bitte Sie, die Aktualität Ihres Themas zur Aktuellen Stunde zu begründen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Herr Momper! Ich kann verstehen, dass Sie es nicht so gerne hören, wenn über den Zustand des Senats gesprochen wird.

[Zurufe von den Grünen]

Herr Ratzmann! Ich bitte Sie, bei der Geschäftsordnung zu bleiben und die Kritik am Präsidenten zu unterlassen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Hey! von der CDU]

Das liegt weit neben dem Thema. – Bitte begründen Sie die Aktualität!

Herr Momper! Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, dass das Thema, das wir zur Aktuellen Stunde angemeldet haben, heißt: „Senat zerlegt sich über den Haushaltskurs – und Wowereit taucht ab“. Ich rede gerade über den Zustand dieses Senats.

[Beifall bei den Grünen]

Ich rede darüber, dass er am letzten Dienstag auf Vorlage des Herrn Finanzsenators eine mittelfristige Finanzplanung beschlossen hat, die den Herrn Wirtschaftssenator drei Tage später nicht mehr interessiert. Ihn interessiert nichts anderes als das, was im Koalitionsvertrag steht. Das hat er in der Presse deutlich gemacht. Das ist keine Petitesse, weil das eine riesige Außenwirkung auch über die Grenzen dieser Stadt hinaus hat. Das ist keine Petitesse gegenüber dem Personal, das wissen will, wo es langgeht. Das ist keine Petitesse, weil der Regierende Bürgermeister mit seiner Haltung in der Tariffrage diese Stadt dazu treibt, dass sie Personalabbau betreiben muss. Das ist keine Petitesse, weil die Wirtschaft in der Bundesrepublik darauf sieht, ob die Politik in dieser Stadt verlässlich ist. Und es ist auch keine Petitesse, weil wir in der Föderalismuskommission gerade über die Finanzstrukturen der Republik streiten und weil Berlin da eine wichtige Rolle spielt. Mit solch einem Wackelkurs, mit dem der Regierende Bürgermeister abtaucht, werden wir als Land keine konstruktive Rolle einnehmen können. – Deshalb, Herr Regierender Bürgermeister, fragen wir: Wie stehen Sie zu den Konflikten und zu der Verfasstheit des Senats? Das müssen Sie der Stadt in dieser Aktuellen Stunde sagen!

[Beifall bei den Grünen]

Sie sind es dem Personal in dieser Stadt schuldig, klar zusagen, wohin die Reise geht! Sie sind es der Wirtschaft dieser Stadt und der Republik schuldig zu sagen, wie verlässlich die Berliner Politik ist! Und Sie sind es auch den anderen Bundesländern und dem Bund schuldig zu sagen, wie verlässlich die Rolle ist, die Berlin in der Föderalismuskommission einnehmen kann! Das ist das Thema. Dazu wollen wir etwas von Ihnen hören. Dazu müssen Sie Stellung nehmen, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Situation. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Danke schön, Herr Ratzmann! – Das Wort für die FDPFraktion hat nunmehr der Kollege Dr. Lindner. – Bitte schön, Herr Dr. Lindner!

Verehrte Damen! Meine Herren! Bitte lassen Sie mich das erste Wort an den Kollegen Pflüger richten! – Ich bedanke mich, lieber Herr Pflüger, ganz herzlich bei Ihnen für unsere vertrauensvolle Zusammenarbeit in der Führung der Opposition. Sie haben unter vollständiger Aufgabe Ihrer gesicherten Position im Verteidigungsministerium und im Deutschen Bundestag hier einen ganz wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass die Opposition geeinter und geschlossener dasteht als in der letzten Legislaturperiode. Das ist nicht nur für die einzelnen Oppositionsfraktionen des Hauses wichtig, sondern für die politische Kultur im Land Berlin insgesamt. Demokratie lebt von Wettbewerb, von Checks and Balances.

Herr Kollege Lindner! Ich muss auch Sie um die Begründung der Aktualität bitten. Ein Wort am Anfang muss gestattet sein, aber bitte kommen Sie nun zur Begründung der Aktualität!

Ich danke Ihnen, lieber Herr Kollege Pflüger, auch für den menschlich anständigen Umgang, den Sie mit uns führten. Umso mehr bedauere ich es ausdrücklich und aufrichtig, dass und insbesondere auf welche Weise Sie heute den Vorsitz der CDU-Fraktion verloren haben. – Ungeachtet dessen: Herr Kollege Henkel! Ich habe Ihnen schon gratuliert. Ich tue es noch einmal. Ich biete Ihnen selbstverständlich – für mich – auch eine sehr gute Zusammenarbeit an.

[Beifall bei der FDP und der CDU – Evrim Baba (Linksfraktion): Großzügig!]

Das braucht es, Kollege Henkel, um diesen unfähigen Senat zu treiben und möglichst bald aus dem Amt zu jagen – unfähig vor allem, wenn es um die wirtschaftlichen Belange dieser Stadt geht.