Protokoll der Sitzung vom 16.10.2008

Danke schön, Herr Kollege! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Große Anfrage der Fraktion der CDU und die Antwort des Senats sind damit besprochen.

Die lfd. Nrn. 14 bis 16 stehen als vertagt auf unserer Konsensliste.

Der Herr Regierende Bürgermeister ist zwar im Anflug, aber er ist noch nicht da.

[Reg. Bürgermeister Klaus Wowereit: Er ist schon gelandet!]

Sehr gut! Ich begrüße den Regierenden Bürgermeister. – Herr Regierender Bürgermeister! Meine Damen und Herren! Wir treten dann in den Tagesordnungspunkt ein, der die Regierungserklärung beinhaltet.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3:

Aktuelle Stunde

Finanzmarkt in der Krise und ihre Auswirkungen auf Berlin

Antrag der SPD, der CDU, der Linksfraktion, der Grünen und der FDP

in Verbindung mit

Erklärung des Regierenden Bürgermeisters

Finanzmarktstabilisierungsgesetz

in Verbindung mit

lfd. Nr. 45 A:

Dringlicher Entschließungsantrag

Verantwortung in der Finanzkrise übernehmen – Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen – Regulierung der Finanzmärkte voranbringen

Entschließungsantrag der Grünen Drs 16/1837

Dieser Antrag liegt Ihnen als Tischvorlage vor. – Wird der Verbindung der Tagesordnungspunkte bzw. der Dringlichkeit widersprochen? – Das ist nicht so.

Dann hat der Herr Regierende Bürgermeister das Wort zu einer Regierungserklärung. – Bitte schön, Herr Wowereit, Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich erst einmal für Ihr Verständnis dafür bedanken, dass ich erst jetzt zu Ihnen kommen kann, aber ich habe bis gerade eben mit der Bundeskanzlerin, dem Bundesfinanzminister und den Ministerpräsidenten der Länder über den Gesetzentwurf der Bundesregierung beraten. Aber ich glaube, es hat sich gelohnt, länger dort zu beraten. Darauf gehe ich gleich näher ein.

Die aktuelle Finanzkrise ist die größte Bedrohung der Weltwirtschaft seit 1945. Die Bundesregierung hat deshalb in enger Abstimmung mit unseren Partnern in der Europäischen Union und den wichtigsten Industrienationen entschieden, entschlossen und koordiniert zu handeln.

Das Land Berlin ist wie die anderen Länder vom Bund gebeten worden, sich am dem deutschen Rettungspaket zur Stabilisierung der Finanzmärkte zu beteiligen. Berlin ist sich seiner gesamtstaatlichen Verantwortung bewusst und unterstützt daher den Rettungspakt der Bundesregierung.

[Allgemeiner Beifall]

Doch hat man in diesen Tagen manchmal das Gefühl, dass sich die Geschichte wiederholt, nur eben in viel bedrohlicheren Dimensionen. Denn die globale Krise auf den Finanzmärkten erinnert uns Berliner an Ereignisse in unserer Stadt, die damals von außen nur als Zeichen provinzieller Selbstüberschätzung abgetan wurden, statt daraus die richtigen Lehren zu ziehen.

Ich spreche vom Jahr 2001, vom Berliner Bankenskandal. Damals versuchte eine verhängnisvolle Allianz aus Politik und Bankvorständen, das ganz große Rad zu drehen. Eine kleine Landesbank sollte zum Gobal Player werden. Es wurden Immobilienfonds aufgelegt, die Traumrenditen ohne Risiko versprachen. Wertberichtigungen wurden vermieden, indem kritische Immobilien von Kreditnehmern aufgekauft und in die Fonds verschoben wurden. Die Gewinne wurden privatisiert, für die Verluste bürgte das Land Berlin. Die Risiken verschwanden fast spurlos in den Bilanzen. So wuchs eine Spekulationsblase, und sie platzte mit einem lauten Knall.

Das Ende ist bekannt. Im Frühjahr 2001 tauchten erste Hinweise auf Scheingeschäfte und Bilanzierungstricks auf. Nach und nach kam die ganze Wahrheit ans Licht. Ich erinnere mich noch gut, wie viel Hohn und Häme Berlin damals einstecken musste. Der Bankenskandal galt vielen in Deutschland nur als Extrembeispiel des Berliner Filzes. Wir mussten kurzfristig 2 Milliarden Euro Liquiditätshilfe bereitstellen. Wir mussten eine Risikoabschirmung für 21,6 Milliarden Euro vornehmen. Viele haben diese Debatten in diesem Haus miterlebt, wie schwer es den Abgeordneten von allen Fraktionen gefallen ist, sich für diese gigantische Summe zu verbürgen.

Das Volumen ist ungefähr das Volumen, das wir für ein ganzes Haushaltsjahr zur Verfügung haben. Was hätten wir mit dem Geld, das wir in unsere Bankgesellschaft hineinstecken mussten, alles an Sinnvollem für die Berliner Bevölkerung tun können!

[Beifall bei der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Wer zahlt letztendlich die Zeche des Bankenskandals? – Das sind die Berlinerinnen und Berliner. Sie haben große Opfer erbringen müssen. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst verzichten durch den Solidarpakt auf durchschnittlich rund 10 Prozent ihres Gehaltes. Dies war ein entscheidender Beitrag dafür, dass Berlin seine Haushaltsprobleme in den Griff bekommen konnte. Wir mussten und wir müssen weiter sparen, wo immer es geht. Und die mühsam zurückerkämpften Finanzspielräume drohen, wieder enger zu werden. Für jede Lehrerstelle, für jede

Kitaerzieherin, für jeden Studienplatz muss hart gerechnet werden.

Auf Solidarität des Bundes oder der anderen Länder hofften wir damals vergebens. Berlin war auf sich gestellt. Und was mussten wir nicht für Widerstände überwinden! Wir wurden von allen Seiten heftig dafür kritisiert, dass wir die Landesbank sanierten. Wir haben über ein Jahr lang hart mit der EU-Kommission über unsere Beihilfen für die Landesbank verhandelt. Ich erinnere mich gut an den einen oder anderen Canossagang nach Brüssel, den ich gemeinsam mit dem Finanzsenator gegangen bin. Wir waren gezwungen, die Landesbank zu verkaufen, und zuvor die Berliner Bank. Damals herrschte die Ideologie vor: Nur Privatbanken seien gute, weil rentable Banken, und die Gewährträgerhaftung des öffentlichen Bankensektors müsse abgeschafft werden. Das war die Stimmung in Brüssel, und nicht nur dort.

Heute hat sich das Blatt auf einmal radikal gewendet. Jetzt suchen die Privatbanken Schutz unter dem Mantel des Staates, und selbst Marktliberale singen das Hohe Lied des öffentlichen Bankensektors. Die Sparerinnen und Sparer haben sich längst entschieden und tragen zunehmend ihr Geld wieder zu den Sparkassen. Schon der Berliner Bankenskandal zeigte, wie der Größenwahn und die Verblendung Einzelner zur existenziellen Krise sowohl der Bank als auch der Stadt Berlin führte. Wir mussten diese Krise allein meistern, und heute können wir sagen, dass wir sie gemeistert haben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir haben im vergangenen Jahr für die Landesbank einen Verkaufserlös erzielt, den uns niemand zugetraut hätte. Daran lässt sich erkennen, dass durch konsequentes Handeln in Krisensituationen neue Spielräume eröffnet werden können. Ich sage heute an dieser Stelle ein großes Dankeschön an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht nur an das Management der Bankgesellschaft und ihrer Gliederungen, die hart dafür gearbeitet und selbst einen Sanierungsbeitrag in nicht unbeachtlicher Höhe geleistet haben. Dank auch an das Management und den Finanzsenator, der das durch konsequentes Handeln ermöglicht hat!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Die heutigen Dimensionen sind ganz andere, aber manche Mechanismen, die in die Krise führten, sind ähnlich. Denn wieder haben Immobilienspekulationen eine Finanzkrise ausgelöst – diesmal nicht in Berlin, sondern auf der ganzen Welt. Wieder hat der Größenwahn von Finanzjongleuren einen Kollaps bewirkt. Steigende Immobilienpreise und sinkende Zinsen hatten in den USA einen Immobilienboom auf Pump bewirkt. Die Banken hatten die Risiken weltweit an andere Institute verkauft. Es lockten Traumrenditen, und die Risiken schienen gleich Null. So testierten es die einschlägigen Ratingagenturen. Als plötzlich die Preise rasant fielen und die Zinsen stiegen, platzte die Blase, und ebenso rasch wurde die Liquidität knapp. Mehr und mehr Geldhäuser kamen in die Bredouille, und schon im Sommer 2007 war auch in Deutsch

land die IKB in eine Schieflage geraten. Diese Bank ist inzwischen verkauft. Der Gesamtverlust, für den letztlich allein der Steuerzahler haftet, kann im ungünstigsten Fall mehr als 10 Milliarden Euro betragen.

Vor sechs Wochen begannen sich die Ereignisse zu überschlagen. Die US-Hypothekenbank Silver State Bank wurde am 5. September vom Staat geschlossen. Zwei Tage später wurden die beiden großen Immobilienfinanzierer Fannie May und Freddie Mac verstaatlicht. Am 15. September kaufte die Bank of America die Investmentbank Merrill Lynch, und Lehman Brothers musste Insolvenz anmelden. Am Tag darauf rettete die US-Notenbank den amerikanischen Versicherungskonzern AIG durch einen Notfallkredit und leitete die Verstaatlichung ein. So ging es Schlag auf Schlag, und riesige Geldhäuser fielen in den USA wie ominosteine um.

D Ende September kam die Krise in Europa an. Die britische Hypothekenbank Bradford & Bingley wurde verstaatlicht. Die Beneluxstaaten stiegen vergeblich beim Finanzkonzern Fortis ein, der wenig später zerschlagen wurde.

Am 29. September schnürten Bundesregierung und Geschäftsbanken ein Rettungspaket für die Hypo-RealEstate, und kaum eine Woche später wurde das Paket in Höhe von 35 Milliarden Euro auf 50 Milliarden Euro aufgestockt. Die Bundesregierung verkündete den Schutz privater Spareinlagen in Deutschland.

Trotz allem brach am 8. Oktober eine Börsenpanik aus. Der DAX verlor innerhalb weniger Minuten nach Handelsbeginn gut sechs Prozent. Das war Ausdruck eines Vertrauensverlusts, der unsere gesamte Wirtschaft zu erfassen drohte. Das spielte sich nicht nur in Deutschland ab, sondern international. Bundesaußenminister FrankWalter Steinmeier hat recht, wenn er sagt: Diese Krise wirkt wie ein Tsunami. – Man spürt sie erst, wenn sie schon da ist. Die Summen, um die es geht, sind so unvorstellbar hoch, dass selbst ausgewiesenen Kennern der Finanzmärkte schwindelig wird

Der amerikanische Finanzsektor ist bereits stark angeschlagen. Deshalb ist es jetzt dringend nötig, starke Deiche zu bauen, damit weiterer Schaden vom deutschen und europäischen Finanzmarkt abgewendet werden kann, und vor allem Vertrauen herzustellen. Wir alle wissen, dass der staatliche Schirm über dem Finanzmarkt alternativlos ist und wir ihn aufspannen müssen. Gleichzeitig, nach all den Fehlern der Finanzmarktpolitik, besteht auch das Gefühl des Ausgeliefertseins. Das ist ein Gefühl, das den Zorn auf diejenigen einschließt, die uns immer die Lehre von den Segnungen des freien, unbehinderten Finanzmarkts gepredigt haben und damit zumindest bei Teilen der Politik auf fahrlässig offene Ohren stießen. Umso wichtiger ist es jetzt klarzumachen, dass die Politik die Konsequenzen zieht, die Verantwortung annimmt und klarstellt, dass die Menschen den Märkten nicht ausgeliefert sind.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Anfang dieser Woche beschloss die Bundesregierung ein Maßnahmenpaket zur Stabilisierung der Finanzmärkte. Das war eine mit anderen großen europäischen Ländern abgestimmte Aktion. Kernstück dieses Pakets ist eine Risikoabschirmung für die Banken im Wert von fast 500 Milliarden Euro. Ich möchte klarstellen, dass es sich bei den knapp 500 Milliarden Euro um Risikoübernahmen handelt, bei 400 Milliarden Euro um Garantien und nicht um einen Scheck. Wenn sich die Märkte beruhigen, dann dürfte sich der eventuelle Schaden für die öffentlichen Haushalte fernab dieser Dimension bewegen, aber es besteht ein großes Risiko.

Die erste Säule ist eine staatliche Garantie für Kredite, die sich die Banken untereinander geben. Dafür sind maximal 400 Milliarden Euro vorgesehen, die möglichst nicht fließen sollen. Damit sind die Banken bis zu 36 Monate dagegen geschützt, dass sie Kredite und Wertpapiere abschreiben müssen, weil sie das verliehene Geld nicht zurückbekommen. Für diese Absicherung müssen die Banken Gebühren zahlen, und bis Ende 2009 kann das Geld ausgegeben werden. 20 Milliarden Euro sind vorsorglich dafür vorgesehen, dass die Banken eventuell Garantien in Anspruch nehmen, oder für den Fall, dass sich diese Garantien als Verluste manifestieren.

Die zweite Säule besteht aus rund 80 Milliarden Euro. Damit können die Banken ihr Eigenkapital stärken, und im Gegenzug könnte der Bund Miteigentümer einer Bank werden oder durch stille Einlagen sein Kapital sichern. Das alles sind Summen, die jedes Maß übersteigen. Niemals zuvor hat es einen ähnlichen Rettungspakt gegeben. Genauso wenig können wir uns vorstellen, was es bedeutet, dass die Finanzwelt insgesamt am Rand der allgemeinen Zahlungsunfähigkeit gestanden hat. Knapp 500 Milliarden Euro sind das Fünfundzwanzigfache des Berliner Haushalts, das sind gut 200 Milliarden Euro mehr als der gesamte Etat des Bundes. Selbst die Gelder, die im Rahmen der beiden Solidarpakte bis 2019 direkt an die ostdeutschen Länder fließen, nehmen sich dagegen mit gut 300 Milliarden Euro fast bescheiden aus.

Jeder, der die Zahl 500 Milliarden Euro hört, bekommt erst einmal Bauchschmerzen, oder sie erscheint ihm so abstrakt, dass er sie nicht fassen kann. Ich glaube, das ist ganz normal. Deshalb muss der Bund schon sehr genau begründen, wofür er diese Gelder einsetzt – ganz sicher nicht, um bei den Bankern für neue Euphorie zu sorgen, sondern ausschließlich zum Schutz der Bürgerinnen und Bürger, der Wirtschaft und zum Schutz und zur Erhaltung von Arbeitsplätzen.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der Linksfraktion und den Grünen]

Wir müssen immer wieder deutlich machen, dass wir aus Sorge um die vielen kleinen Unternehmen handeln. Sie müssen Liquidität bekommen. Sie haben nicht spekuliert. Wir wollen doch nicht die Spekulanten schadlos stellen.