Wie ich sagte, brauchen alle diese Verbesserungen Zeit. Das lässt sich noch nicht an der nächsten PISA-Studie ablesen.
Klar ist, Frau Senftleben, dass eine Metropole mit größeren sozialen Problemen zu kämpfen hat als ein Flächenland. Das spiegelt sich eben auch in der Schule wieder. Das zeigt auch ein Blick auf Bremen und Hamburg. Lesen Sie das denn nicht? Die sind wirklich abgeschlagen. Wir
Wenn man bestimmte soziale Faktoren berücksichtigt, Herr Mutlu – die sind ja auch herausgerechnet worden –, so kann sich Berlin durchaus sehen lassen. Wir haben es in der Stadt mit einer umgekehrten Gauß-Kurve zu tun. Wir haben sehr viele Schülerinnen und Schüler, die hervorragend abschneiden. Dann haben wir aber auch Schülerinnen und Schüler, die am unteren Ende sind, weil sie eben aus sozial benachteiligten Schichten stammen. Das überlagert sich oft auch noch mit dem Migrationshintergrund und führt dann zu erschwerenden Problemen.
Zweitens: Liebe CDU! Was meinen Sie mit einer chaotischen Strukturdebatte? Das trifft sich doch mit Ihrer Großen Anfrage von der letzten Sitzung, die jetzt abermals vertagt wurde – was ich bedauere. Ich möchte aber an dieser Stelle auf einige Kernpunkte eingehen, wenn Sie es mir gestatten. Wir führen keine chaotische Strukturdebatte, sondern haben diese von langer Hand vorbereitet.
Wir haben die Pilotphase der Gemeinschaftsschule in die Koalitionsvereinbarung hineingeschrieben – das können Sie ruhig einmal nachlesen –, und wir setzen sie gemeinsam mit dem Senator um.
Sie meinen in Ihrem selektiven Denken mit „für alle eine Schule“ die dreigliedrige Schule, die wir in Deutschland zum großen Erstaunen unserer europäischen und internationalen Nachbarn seit Humboldts Zeiten nicht haben überwinden können – wenn nicht, widersprechen Sie mir bitte.
Auf der anderen Seite müssen wir aber auch den aktuellen Problemen in der Stadt begegnen, und das sind in Berlin nun einmal die Hauptschulen, die zwar paradiesisch ausgestattet sind, aber leider nicht zum erhofften Erfolg führen.
Hier gibt es die meisten Schulabbrecher, die meisten Schulschwänzer, das größte Gewaltpotenzial. Also muss hier zuvörderst gehandelt werden. Das tut der Senator mit seinem Vorschlag der Regionalschule, obwohl ich mit dem Namen nicht so glücklich bin. Aber Namen sind ja seit Goethe Schall und Rauch. Da sind wir uns doch alle einig: Die Hauptschule in ihrer jetzigen Form hat keine Zukunft mehr, und da muss sofort gehandelt werden.
Deshalb hat der Senator vorgeschlagen, sie auslaufen zu lassen und mit den Realschulen zu fusionieren. Hierin besteht breiter Konsens. Dieser Zwischenschritt eines zweigliedrigen Schulsystems ist auf alle Fälle weniger selektiv als das bisherige. Schließlich sollen auch die Bildungsgangempfehlungen der Grundschulen und das Probe
halbjahr wegfallen, Sitzenbleiben nur noch in Ausnahmefällen stattfinden und das Abschulen abgeschafft werden. Das sind alles wirkungsvolle Vorschläge zur Überwindung von Auslesemaßnahmen, oder etwa nicht?
Dies ist keineswegs eine Zementierung der Zweigliedrigkeit, sondern ein erster Schritt in Richtung gemeinsame Schule. Es gibt hier überhaupt keine Diskrepanz zwischen dem Senator und mir, wie Sie das immer herbeireden wollen.
Andere Länder machen es uns tagtäglich vor, wie man individuelle Förderung betreibt: indem man sich um jeden einzelnen Lernenden kümmert. Auch Sie, liebe CDUFraktion, sind doch damals mit Herrn Böger nach Finnland gefahren, um sich über dessen Konzept zu informieren. Aber anscheinend haben Sie nichts dazugelernt. Auch die Berliner Grundschule ist durchaus in der Lage, die Schwächeren zu fördern und die Stärkeren zu fordern. Dazu werden die Berliner Grundschullehrerinnen und Grundschullehrer ausgebildet und fortgebildet, und ich finde, sie leisten in der Regel einen guten Job.
Wir haben wiederholt betont, dass niemand beabsichtigt, das Gymnasium par ordre du mufti abzuschaffen. Mir liegt vielmehr daran, alle Beteiligten – also die Schülerinnen und Schüler, die Lehrerinnen und Lehrer und nicht zuletzt die Eltern – in diesem Prozess mitzunehmen und von einem gemeinsamen Lernen für alle zu überzeugen. Lassen Sie doch erst einmal die Pilotphase der Gemeinschaftsschule anfangen, meine Damen und Herren von der CDU! Und Sie, Herr Steuer, sollten nicht von Rohrkrepierer reden, bevor Sie überhaupt wissen, wie diese Schulen evaluiert werden. Ihre Frau Süssmuth sitzt mit mir im Beirat Gemeinschaftsschule, und sie ist eine glühende Verfechterin derselben.
Zum dritten Teil Ihrer Aktuellen Stunde, zu den Tricksereien bei der Lehrerausstattung: Da kann ich nur lachen. Noch nie sind die Kriterien so offen dargelegt worden wie zu Beginn dieses Schuljahres. Ich habe es auch noch nie erlebt – und ich mache das schon eine ganze Weile –, dass ein Bildungssenator Blumen von der GEW erhalten hat, weil das Schuljahr so gut anlief. Es sind mehr Lehrerinnen und Lehrer eingestellt worden, als wir brauchten, und zusätzlich noch eine Lehrerfeuerwehr von 140 Stellen.
Sie haben mit dieser Aktuellen Stunde noch zwei Beschlussempfehlungen des Bildungsausschusses verknüpft, die beide die Überschrift „eigenverantwortliche Schule“ tragen. Wir haben diese Anträge im Bildungsausschuss abgelehnt, weil wir diesen Weg bereits gehen. Wir haben im Schulgesetz den Einzelschulen mehr Kompetenzen zugewiesen. Wir haben der einzelnen Schule ein eigenes Budget gegeben, das verantwortungsbewusste Schulleite
rinnen und Schulleiter auch nutzen. Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, zweifeln doch immer die Personalkostenbudgetierung an, oder etwa nicht?
Letztendlich muss es uns um drei große, gemeinsame Ziele gehen. Erstens: Wir wollen keine Schulabbrecher mehr. Wir wollen erreichen, dass möglichst alle Schülerinnen und Schüler einen Abschluss an der Berliner Schule machen.
Dazu haben wir die ersten Reformen schon gemacht, Herr Mutlu! Zweitens: Wir müssen die Abiturquote, die in Berlin innerhalb Deutschlands schon sehr gut ist, noch deutlich erhöhen, um international konkurrenzfähig zu bleiben.
Drittens – das ist mir das Wichtigste und liegt mir am meisten am Herzen: Wir müssen endlich die Verkoppelung der sozialen Herkunft mit dem Bildungserfolg, die in Deutschland besonders hoch ist, aufbrechen und es allen Kindern ermöglichen, zum höchstmöglichen Bildungsabschluss zu kommen.
Zu Ihrem letzten, versteckten Vorwurf, meine lieben Damen und Herren von der CDU: Die Koalition führt hier keinen öffentlichen Strukturstreit. Wir sind vielmehr der Meinung und gemeinsam der Auffassung, dass nur ein längeres gemeinsames Lernen zu einem allmählichen Abbau der sozialen Segregation, zu einer besseren Chancengleichheit führen kann. Gehen Sie mit uns diesen Weg! – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Dr. Tesch! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Herr Abgeordnete Mutlu das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wenn man Sie so hört, Frau Dr. Tesch, hat man das Gefühl, alles sei bestens, wir hätten gar keine Probleme, und PISA-E habe uns kein Mittelmaß ins Buch geschrieben. Ich sage: Es gibt laut dieser PISA-E-Studie keine signifikanten Verbesserungen in den geprüften Bereichen. Deshalb sagen wir: Mittelmaß und Stagnation, Frau Dr. Tesch, sind Anlass zur Sorge und nicht zur Freude.
Der Bildungssenator kommentiert die Ergebnisse folgendermaßen: Grund für Zuversicht für Berlin. – Wir sagen aber: Stagnation ist kein Erfolg und kein Grund für Zuversicht. Wir können und dürfen nicht weiter zusehen, wie in Berlin immer mehr Schülerinnen und Schüler, egal welcher Herkunft sie sind, systematisch zum Scheitern
gebracht und zu Verlierern gemacht werden. Wir können und dürfen uns nicht damit abfinden, dass Berlin in der Zwischenzeit zum OECD-Mittelfeld gehört. Es ist unser aller Pflicht, Frau Dr. Tesch, dass wir mehr Bildungsgerechtigkeit in unserem Bundesland erreichen und alle zusammen auch gewährleisten.
Aber wir wissen auch seit PISA 2001 – und daran hat sich seither leider nicht viel verändert –, dass in unserem Land der Bildungserfolg von der sozialen Herkunft abhängt. Berlin ist in dieser Frage spitze.
In keinem anderen Bundesland ist die Abhängigkeit des Bildungserfolgs dermaßen stark von der sozialen Herkunft abhängig wie in Berlin. Berlin besitzt den höchsten sozialen Gradienten, und das unter einer rot-roten, also linken Regierung. Das ist eine bildungspolitische Schande.
Sicherlich sind die Ausgangsbedingungen in Berlin nicht gerade rosig: hohe Arbeitslosigkeit, hoher Migrationsanteil. Das hat auch der Senator gesagt. Das ist eine Herausforderung. Dennoch darf in diesem Bundesland mit den bundesweit meisten erteilten Unterrichtsstunden eine Verbesserung und eine geringere Leistungsstreuung erwartet werden. Der Leistungsunterschied zwischen den besten und schlechtesten Schülern beträgt in Berlin mehr als anderthalb Jahre. Mit dieser Leistungsstreuung steht Berlin auch an der Spitze. Etwa 25 Prozent der untersuchten Jugendlichen erreichen in Berlin nicht einmal die erste, unterste Kompetenzstufe und zählen zu den Risikoschülern. Das sollte Ihnen zu denken geben. Aber auch bei der Förderung der Migrantenkinder scheitert Berlin kläglich. Berlin steht hier hinter Bremen und Hamburg. Sie schaffen es nicht, Migrantenkindern dieselbe gute Bildung zu gewährleisten wie in Hamburg oder Bremen, die als Stadtstaaten immer wieder zum Vergleich herangezogen werden. Das ist ein Skandal. Da müssen Sie endlich anfangen, etwas zu tun und nicht nur zu reden.
Berlin gelingt nicht, was anderen Bundesländern wie Sachsen, Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern gelingt. Sie haben deutliche Verbesserungen in allen Bereichen erzielt. Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erzielten sogar die größten Punktzuwächse bei PISA. Vielleicht sollten Sie wenigstens einmal bei den Nachbarn abgucken, wie sie das machen. Das sollte Ihnen als Koalition zu denken geben.
In dieser Stadt stellen Sie seit 1995 die Bildungssenatorin oder den Bildungssenator. Sie bestimmen als Sozialdemokraten seit 1995 die Bildungspolitik dieses Landes. Das ist eine ganze Schülergeneration. Tun Sie doch nicht so, als hätte man erst mit PISA I angefangen, etwas zu
tun. Sie sind seit 13 Jahren in der Verantwortung. Und das ist das Ergebnis Ihrer desolaten Bildungspolitik.
Das ist aber auch das Ergebnis der desolaten Bildungspolitik einer siebenjährigen rot-roten Regierung in dieser Stadt. Dieses Scheitern ist Ihr Scheitern, denn Sie haben in den letzten sieben Jahren einen Fehler nach dem anderen gemacht. Ihre Bilanz ist alles andere als positiv. Ich wiederhole einiges – mein Kollege hat es schon gesagt –: Kürzungen in der frühkindlichen Bildung haben Sie vorgenommen, immer wieder Kürzungen im gesamten Bildungsbereich, Arbeitszeiterhöhungen bei der Lehrerschaft, Abschaffung der Lernmittelfreiheit, Abschaffung der Sprachfördermittel, sogar in diesem Jahr. Nach sieben Jahren PISA haben Sie weiterhin in der Sprachförderung gekürzt, indem Sie die Klassenfrequenzen auch in sozial benachteiligten Gebieten wieder erhöht haben. Was wir unter Rot-Grün 2001 reduziert haben – kleinere Klassen in sozial benachteiligten Gebieten –, haben Sie zu diesem Schuljahr wieder rückgängig gemacht. Das ist Ihnen vorzuwerfen.