Protokoll der Sitzung vom 27.11.2008

Das ist aber auch das Ergebnis der desolaten Bildungspolitik einer siebenjährigen rot-roten Regierung in dieser Stadt. Dieses Scheitern ist Ihr Scheitern, denn Sie haben in den letzten sieben Jahren einen Fehler nach dem anderen gemacht. Ihre Bilanz ist alles andere als positiv. Ich wiederhole einiges – mein Kollege hat es schon gesagt –: Kürzungen in der frühkindlichen Bildung haben Sie vorgenommen, immer wieder Kürzungen im gesamten Bildungsbereich, Arbeitszeiterhöhungen bei der Lehrerschaft, Abschaffung der Lernmittelfreiheit, Abschaffung der Sprachfördermittel, sogar in diesem Jahr. Nach sieben Jahren PISA haben Sie weiterhin in der Sprachförderung gekürzt, indem Sie die Klassenfrequenzen auch in sozial benachteiligten Gebieten wieder erhöht haben. Was wir unter Rot-Grün 2001 reduziert haben – kleinere Klassen in sozial benachteiligten Gebieten –, haben Sie zu diesem Schuljahr wieder rückgängig gemacht. Das ist Ihnen vorzuwerfen.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Sie reden von Eigenverantwortung, aber bei den Schulen vor Ort kommt das nur als Mangelverwaltung an, weil Sie weder die personellen noch die materiellen Voraussetzungen dafür schaffen. Sie schaffen damit auch keine Reformen, sondern Sie führen Reformen damit ad absurdum, weil Sie die Rahmenbedingungen dafür nicht geschaffen haben. Das ist auch unser Problem. Sie lassen Berliner Lehrerinnen und Lehrer, junge Berliner Lehrerinnen und Lehrer, die in Berlin mit Steuerzahlergeld ausgebildet wurden, davonziehen, weil Sie Einstellungsvoraussetzungen haben, die für jedermann oder für jedefrau einfach nicht akzeptabel sind. Sie haben es sechs Jahre lang nicht einmal geschafft, den Einstellungstermin zu ändern, damit sich junge Berliner Lehrer bewerben können, anstatt nach Hamburg, Bremen oder Hessen anzuwandern. Erst dieses Jahr haben Sie das korrigiert.

Herr Mutlu! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herr Abgeordneten Liebich?

Ich habe so wenig Zeit. Ich mache weiter.

[Gelächter bei der Linksfraktion – Zurufe von der Linksfraktion]

So kann und darf es nicht weitergehen. Berlin kann es sich vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung nicht leisten, überhaupt einen Schüler oder ein Kind mit einer dermaßen schlechten Ausbildung aus der Schule zu entlassen. Berlin braucht eine andere, eine bessere Bildungspolitik, die einer Hauptstadt gut zu Gesicht steht. Dafür brauchen wir eine Bildungs- und Qualitätsoffensive. Wir brauchen gezielte Mittelzuweisungen für die Sprachförderung. Die bisherigen Maßnahmen in diesem

Bereichen – Berlin tut da schon einiges – müssen endlich evaluiert werden. Es kann doch nicht sein, dass wir seit zehn Jahren Deutsch als Zweitsprache haben und immer noch solche Ergebnisse erzielt werden.

[Mieke Senftleben (FDP): Es ist aber so!]

Sie müssen sich doch endlich die Frage stellen, was mit den 760 Stellen für DaZ passiert, wo die ankommen oder warum die nicht bei den Schülerinnen und Schülern ankommen. Das ist eine Frage, die Sie immer wieder verweigern.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Zuruf von Anja Hertel (SPD)]

Auch in der Frühförderung liegt es mit der Sprachförderung im Argen. Trotz Sprachlerntagebuch, trotz Kitabildungsprogramm scheitert ca. ein Viertel der Kitakinder bei der Sprachstandserhebung, seit Jahren schon. Auch hier muss mehr getan werden. Wir haben immer wieder die Evaluierung der Sprachfördermaßnahmen gefordert. Sie haben diese regelmäßig immer wieder abgelehnt. Deshalb haben wir auch diese Ergebnisse, und Sie sind schuld an diesen Ergebnissen.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Wir brauchen mehr Personal in den sozial benachteiligten Gebieten. Wir brauchen mehr Sozialarbeiter. Wir brauchen mehr Sozialpädagogen und Schulpsychologen. Und wir brauchen mehr individuelle Förderung. Aber das brauchen wir nicht nur auf dem Papier, sondern vor Ort in den Bildungseinrichtungen. Dafür müssen Sie endlich die Mittel bereitstellen und nicht nur davon reden.

[Beifall bei den Grünen und der CDU]

Wir meinen, dass die Kita als Lernort, als Bildungseinrichtung weiter gefördert werden muss. Sie muss qualitativ und personell gestärkt werden, und zwar sofort.

[Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Es kann nicht sein, dass Sie der Kita sagen: Jetzt macht einmal Sprachförderung –, aber die Erzieherinnen und Erzieher nicht mitgenommen und die Kitas für die Aufgabe nicht gewappnet werden. Sie können denen nicht einfach die Aufgabe geben und sagen: Schaut einmal, was ihr macht! – Das geht so nicht.

[Beifall bei den Grünen]

Wir brauchen auch mehr Elternbildung. Ich will die Eltern keineswegs aus der Verantwortung entlassen. Es ist in der Tat so, dass manche Eltern, besonders auch die Migranteneltern, wenig für die Bildung ihrer Kinder tun. Das heißt, wir müssen auch die Eltern bilden. Wir müssen die Eltern gewinnen, sie für die Schule als Partner gewinnen. Dafür müssen wir die Voraussetzungen schaffen, weil Eltern eine wichtige Bildungsinstanz sind. Für mich und für uns ist die bestmögliche und nachhaltige Förderung aller Schülerinnen und Schüler der beste und zuverlässigste Weg zu Spitzenleistungen und Exzellenz, was sich dieser Senat auf die Fahnen geschrieben hat. Aber dafür müssen Sie mehr tun. Bildungsgerechtigkeit und Bildungsqualität müssen bei allen Reformen im Mittel

punkt stehen. All diese Forderungen, die ich hier genannt habe, haben wir hier immer wieder thematisiert. Sie haben leider kein Ohr dafür gehabt. Sie wollten sie nicht umsetzen, weil Sie gerne dieses Spiel von Opposition und Regierung spielen, und das auf Kosten der Kinder.

Herr Mutlu! Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass Ihre Redezeit längst abgelaufen ist!

Frau Präsidentin! Ein letzter Satz: Alle diese Reformen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der Linken gibt es nicht zum Nulltarif. Nutzen Sie die kommenden Haushaltsberatungen dafür, gegenzusteuern, –

Herr Mutlu! Bitte kommen Sie zum Schluss!

nutzen Sie sie für gute Reformen, dann haben Sie uns an Ihrer Seite.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat jetzt der Abgeordnete Zillich das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Weil diese Debatte maßgeblich von den Kategorien Schwarzer Peter und Schuld beherrscht wird und weniger von den Kategorien Problem und Lösung, kann ich dem auch nicht widerstehen und verweise deshalb darauf, dass zur Stunde in Hamburg gegen die grüne Bildungspolitik unter dem Motto „Fünf vor zwölf“ demonstriert wird.

[Zurufe von den Grünen]

Ein Punkt, Herr Steuer, ist natürlich auch wichtig: Wenn die Kanzlerin – mit der richtigen Idee Bildungsrepublik Deutschland – zu einem Bildungsgipfel lädt und dieser an der zentralen Aufgabe grandios scheitert, nämlich tatsächlich gemeinsame Anstrengungen von Bund und Ländern zu verabreden, wie wir den Nachholbedarf befriedigen, den wir in der Bundesrepublik unbestreitbar haben und der weder vom Bund noch den Ländern allein gemeistert werden kann, dann ist dies eine schlechte Voraussetzung dafür, dass in den Ländern vorangegangen werden kann.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Wir reden über PISA. Um es vorweg zu sagen: Die Ergebnisse von PISA-E sind in der Tat kein Grund für Zufriedenheit und Freude, für Übermut schon gar nicht.

[Özcan Mutlu (Grüne): Endlich sagt mal einer die Wahrheit!]

Aber um den Blick nicht zu verstellen, ist es notwendig, sie kurz einzuordnen und ohne allzu große Emotionen festzustellen, dass keine wesentlich neuen Ergebnisse durch PISA-E 2008 geliefert worden sind.

[Mieke Senftleben (FDP): Doch!]

Es gibt einen leichten Trend zur Verbesserung in Berlin, es gibt bei den Platzierungen in Lesekompetenz und Mathematik leichte Verbesserungen und Verbesserungen bei den Testergebnissen. Diese liegen sogar über dem Durchschnitt der Verbesserungen der anderen Bundesländer. Auch die Entwicklung in den führenden Bundesländern Bayern, Sachsen und Thüringen sind durchaus ambivalent. Wir müssen uns jedoch nicht über Details und Prozentpunkte streiten, festzuhalten bleibt: Neben der Qualität der schulischen Ergebnisse ist die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft weiter ein riesiges Problem.

[Mieke Senftleben (FDP): Richtig! Das gilt für Berlin, aber das gilt auch für Bayern und Sachsen. [Mieke Senftleben (FDP): Nein! Der Blick auf Bayern zeigt, dass dort das Festhalten am gegliederten System nicht nur die Abhängigkeit des Bil- dungserfolgs von der Herkunft festigt, sondern auch keine Leistungssteigerung hervorbringt, sondern diese eher blo- ckiert. Die PISA-Befunde zeigen nach wie vor, dass wir keinen Grund zur Zufriedenheit haben. Wir haben grundlegenden Reformbedarf in der Schule. [Mieke Senftleben (FDP): Haben wir schon seit Jahren, keine neue Erkenntnis!]

Wir hätten ihn nicht, wenn wir Superergebnisse hätten. Dies nicht anzuerkennen, sich mit dem Status quo zufrieden zu geben, wäre ein unverantwortliches Experiment an den Schülerinnen und Schülern. Genau deshalb führen wir eine Reformdebatte. Allerdings greift eine auf Strukturen beschränkte Debatte – manchmal habe ich den Eindruck, es sei eine solche – zu kurz. Wir brauchen eine Verständigung darüber, wohin wir mit der Berliner Schule wollen. Wir müssen uns über Ziele verständigen und davon abgeleitet über den Weg, der zu diesen Zielen führen soll.

Wir schlagen drei Ziele vor.

[Özcan Mutlu (Grüne): Taten, keine Ziele!]

Es wäre schön, wenn Sie die Debatte darüber mit uns begönnen:

[Mieke Senftleben (FDP): Jetzt schon? ]

Erstens: Alle Schülerinnen und Schüler bekommen einen Abschluss. Zweitens: Wir wollen, dass zwei Drittel eines Jahrgangs das Abitur erreichen. Wir wissen, dass wir weit hinter dem OECD-Durchschnitt liegen. Nimmt man die demografische Entwicklung dazu, werden wir ein riesiges

Problem hinsichtlich der Fachkräfte bekommen. Drittens: Wir müssen vor allem den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg überwinden.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Mich interessiert, ob Sie diese Zielsetzung teilen oder ob Sie andere Ziele vorschlagen. Wenn Sie sie für falsch halten, könnten wir uns darüber austauschen.

Entschuldigung, Herr Abgeordneter Zillich! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Senftleben?

[Martina Michels (Linksfraktion): Ist eh immer nur das Gleiche!]

Zielloses Genörgel, wie es hier stattfindet, und das Infragestellen der Notwendigkeit grundlegender Debatten, nützen in der Tat nichts. Wenn wir Schule und Schulpolitik an diesen Zielen messen, dann stellen wir fest – wir haben die Notwendigkeit, die Abiturquote maßgeblich zu erhöhen –, dass in den Gymnasien, also der Schulform, deren Aufgabe es ist, die Kinder zum Abitur zu führen, 20 bis 25 Prozent der Kinder das Abitur nicht schaffen,