Wir müssen uns aber vor allen Dingen fragen, wie eine Schule aussehen muss, um diese Ziele erreichen zu können. Solch ein Schule muss vor allen Dingen die Schülerin, den Schüler in den Mittelpunkt stellen, sie darf niemanden zurücklassen und darf Wissbegierigkeit nicht mit Sätzen wie „Das gehört nicht hierher“ oder „Da sind wir noch nicht“ zurückweisen. Damit Schule so sein kann, muss eine Voraussetzung erfüllt sein: Schule darf nicht auslesen. Sie darf Schülerinnen und Schüler nicht mit der Frage konfrontieren: Gehörst Du eigentlich hierher? – Wir brauchen eine nicht auslesende Schule. Deshalb brauchen wir eine Gemeinschaftsschule für alle.
Das ist kein ideologisches Prinzip. Vielmehr geht es darum, mehr Qualität und mehr Gerechtigkeit bei der Bildung zu erreichen. Wir wissen, dass der Weg dorthin aus vielen Schritten besteht. Deshalb brauchen wir den Ausbau der Pilotphase der Gemeinschaftsschule. Ich bin mir sicher, dass diejenigen Schulen, die sich auf den Weg machen und nicht auslesen, uns zeigen werden, dass dies erfolgreich sein kann. Der öffentliche Eindruck, die Gemeinschaftsschule werde nicht mehr von allen in der Koalition als Ziel angesehen, führt dazu, dass sich nicht mehr Schulen dafür bewerben. Deshalb brauchen wir die Pilotphase. Sie wird zeigen, wohin wir mit der Schule insgesamt wollen.
[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Michael Müller (SPD) und Dr. Felicitas Tesch (SPD) – Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]
Aber allein diese Pilotphase reicht nicht aus. Wir müssen Bedingungen schaffen, um Schule in allen Schulformen in die erforderliche Richtung zu verändern. Damit sich keine neue Restschule entwickelt, brauchen wir die Gleichwertigkeit der Schulen bei den Standards, den Abschlüssen und der Zusammensetzung der Schülerschaft. Eine Voraussetzung dafür ist, dass keine Schule auf Kosten der anderen leben darf. Eine Voraussetzung dafür ist, dass in den Schulen integrativ gearbeitet wird. Wir müssen das Sitzenbleiben überwinden und das zwangsweise Einteilen in vermeintlich leistungshomogene Gruppen.
Wir müssen die Hauptschule überwinden, das ist völlig richtig. Aber das reicht allein nicht aus. Die entscheidende Frage in diesem Prozess ist für uns, inwieweit eine schrittweise Reform des Bildungssystems dazu beiträgt, die soziale Selektion im Bildungssystem zu überwinden. Das ist unser entscheidendes Kriterium. Deswegen brauchen wir eine stärkere Ausstattung der Schulen, nicht so sehr hinsichtlich der Schulform, sondern hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler. Es sind unterschiedliche Anforderungen, in Zehlendorf zu guten Ergebnissen zu kommen oder in Nord-Neukölln.
Wir müssen dieses Kriterium auch bei der Frage anwenden: Wer kommt auf welche Schule, und inwiefern trägt dieser Prozess zur sozialen Selektion bei?
Wir führen eine Debatte über die grundlegende Reform des Schulsystems. Uns ist klar, wohin wir wollen: Wir wollen hin zu einer nicht auslesenden Schule, wir wollen hin zu einer Schule für alle. Aber wir führen auch eine Debatte. Uns vorzuwerfen, es handele sich um eine solche mit unterschiedlichen Ansatzpunkten, halte ich für nicht zielführend. Ihre Versuche, diese notwendige grundlegende Reform und die Debatte darüber zu verhindern, sind nicht sehr klug. Wir müssen eine breite Debatte führen, aber auch sehr genau darauf achten, dass diese nicht dadurch belastet wird, dass der Eindruck entsteht, es gäbe bereits Vorfestlegungen oder Entscheidungen für den einen oder anderen Schritt. Genau das führt zu Verdruss. Das führt zu Frustrationen, und das führt dazu, dass der Eindruck entsteht von „rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“.
Es ist falsch, den Eindruck zu erwecken, es ginge hier um Parteiprogramme, es ginge nur darum, dass sich irgendjemand durchsetzt. Hier geht es vielmehr darum, ein grundlegendes Problem der Berliner Schule zu überwinden. Es geht um die Frage, ob die soziale Herkunft von
Kindern darüber bestimmt, welche Chancen ein Kind im Leben hat. Da können wir uns mit dem, was Hamburg sich vorgenommen hat, nicht zufrieden geben, denn genau diese Frage wird dort nicht gelöst. Wir müssen in Berlin weitergehen. – Danke schön!
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Zillich! – Für die FDPFraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Senftleben das Wort. – Bitte!
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen! Meine Herren! Herr Zillich! Ich finde es wunderbar, dass Sie nach ungefähr acht Jahren bildungspolitischer Debatten in diesem Haus drei Ziele definieren und dass Sie endlich fragen, ob wir damit einverstanden sind. Das ist eine absolute Lachnummer, die Sie soeben geboten haben. Ich habe nicht ohne Interesse verfolgt, Herr Senator, dass Sie sich intensiv mit Ihrem Blackberry beschäftigt haben. Ich hätte es an ihrer Stelle auch getan!
Was will uns PISA eigentlich sagen? Will uns PISA die einzelnen Plätze angeben – Sachsen auf eins, Bayern auf zwei, Thüringen auf vier oder fünf, Berlin auf elf? – Nein! PISA ist mehr als ein Ranking nach Leistungen. PISA ist mehr als eine sogenannte Hitliste der besten Länder. PISA soll uns nämlich Aufschluss über Stärken und Schwächen von Bildungssystemen geben. Deshalb ist PISA zu einem bedeutenden Rückmeldesystem für Gesellschaft und Politik geworden. Deshalb ist PISA auch zu einem entscheidenden Motor für Schulreformen geworden. Das ist gut, und das soll sich auch nicht ändern. Wir müssen jedoch fragen, was an diesem neuen PISA-E bemerkenswert ist.
Selbstverständlich ist etwas bemerkenswert, Herr Zillich. Erstens: Die meisten Länder haben Fortschritte gemacht. Das ist bemerkenswert, und ich sage deutlich: Selbst Berlin hat kleine Fortschritte gemacht. Einige Länder haben große Fortschritte gemacht, und das ist ablesbar. Das sehe ich als Vorteil, denn es zeigt zum Beispiel, dass Bayern zwar noch in die Spitzengruppe gehört, aber alle anderen Länder an Bayern vorbeigezogen sind. Für Bayern heißt es Rückschritt und für die anderen Länder Fortschritt. Ich sage hier klar: Ich finde es wunderbar, dass die bayerische Landesregierung inzwischen von der FDP unterstützt wird. Das tut not, damit Bayern wieder fortschrittlich wird.
Allerdings – das gehört zur Wahrheit dazu – müssen wir uns die Frage stellen, warum einige Bundesländer mit großen Schritten vorwärts schreiten, während andere
Alle Bundesländer sind 2001 unter gleichen schlechten und kritikwürdigen Bedingungen gestartet. Es ist offensichtlich, dass sich die Bundesländer, die heute den großen Schritt nach vorne gemacht haben, auf eines konzentriert haben, nämlich die Verbesserung des Unterrichts. Sie haben nicht die Struktur in den Vordergrund gestellt, nein, sie haben konsequent an der Verbesserung der Unterrichtsqualität gearbeitet. Das erkennt man übrigens am besten daran, dass der sächsische Kultusminister Herr Wöller als wichtigsten Faktor des Erfolgs die sächsischen Lehrkräfte erwähnt. Dieser Hinweis ist heute noch gar nicht gefallen. Die Lehrkräfte sind nämlich der Garant für positive Veränderungen in der Schule. Genauso ist es und nicht anders.
Die meisten Bundesländer sind nach dem PISA-Schock den Empfehlungen namhafter Bildungsforscher gefolgt. Ich nenne nur zwei Namen: Baumert und Prenzel. Sie haben die Verbesserung der Unterrichtsqualität und nicht die Veränderung der Struktur in den Vordergrund gestellt, und die jetzige PISA-E-Untersuchung gibt ihnen nachhaltig recht.
Berlin ist hier einen anderen Weg gegangen. Es wurde ausschließlich über Struktur debattiert – es ging um die Pilotphase der Gemeinschaftsschule, und nun geht es um die Zweigliedrigkeit. Seien wir ehrlich: Wir drehen uns im Kreis. Nichts anderes tun wir. Im Grunde genommen langweilt es uns alle. Wir können es, wenn wir ganz ehrlich sind, eigentlich nicht mehr hören.
Lassen Sie mich aber auch ein Ergebnis nennen, das ich in der Tat skandalös finde: Unter Rot-Rot hat sich die soziale Selektion in Berlin verschärft. Während die bürgerlich regierten Länder Niedersachsen und NordrheinWestfalen große Fortschritte diesbezüglich erzielen konnten, bleiben im roten Berlin die Kinder aus sozial schwachen Elternhäusern und die Kinder aus Migrantenfamilien auf der Strecke. Das lassen wir uns einmal auf der Zunge zergehen, meine Damen und Herren der Regierungskoalition. Das ist für mich ein Armutszeugnis oder eine Bankrotterklärung.
Herr Senator! Sie sind ziemlich genau seit zwei Jahren Schulsenator in dieser Stadt. Was haben Sie – diese Frage habe ich mir für diese heutige Aktuelle Stunde gestellt – außer der Pilotphase Gemeinschaftsschule in diesen zwei Jahren Wesentliches auf den Weg gebracht?
Sie wollten Bürokratieabbau – ein hehres Ziel, doch der Berg kreißte und gebar eine Maus. Sie wollten die Schulinspektionen intensivieren – ein gutes Mittel, um den Unterricht zu evaluieren, ein entscheidendes Instrument, um Qualität zu verbessern, doch der Berg kreißte und
Qualität zu verbessern, doch der Berg kreißte und gebar eine Maus. Zu halbherzig und ohne nachhaltige Wirkung wird die Inspektion durchgeführt. Wo bleiben Zielvereinbarungen, die getroffen werden müssen? Wo bleibt Unterstützung? Wo bleibt das Coaching?
Sie haben sich zur Personalkostenbudgetierung bekannt – ein gutes Instrument zur Sicherung des Unterrichts und zur Personalentwicklung, doch der Berg kreißte mal wieder und gebar wieder nur eine Maus. Es besteht nach wie vor zu viel Bürokratie, die Lehrerfeuerwehr ist keine flexible Einrichtung. Sie haben 140 neue feste Stellen geschaffen, die schon längst fest eingeplant sind. Es ist alles Augenwischerei. Warum geben Sie nicht die Mittel direkt an die Schulen? Warum gibt es nicht die Fortentwicklung des Personalkostenbudgets?
Sie treten öffentlich immer gern für die eigenverantwortliche Schule ein, als Voraussetzung für gute Schule. Das haben übrigens alle Bundesländer verstanden, was die gestrige Tagung der Robert-Bosch-Stiftung zeigte. Darüber war ich sehr überrascht. Alle – egal welcher Couleur – wissen um die Bedeutung der eigenverantwortlichen Schule, und alle Bundesländer arbeiten daran. Sie, Herr Senator, versagen hier auf der ganzen Linie. Hier kreißte der Berg zwar gewaltig, aber noch nicht einmal eine Maus wurde geboren.
Nach wie vor besteht bei Rot-Rot die Hybris: Wir können es besser. Wir müssen den Schulen sagen, was sie zu tun haben, wie sie Schule zu gestalten und zu führen haben. Der Modellversuch „Eigenverantwortliche Schule“ ist in der Schublade verschwunden, er wurde sozusagen „schubladisiert“. Es passiert gar nichts. Das zeigt auch die Debatte im Ausschuss. Das zeigt Ihr ignorantes Verhalten zu den Anträgen von FDP und Grünen.
Herr Senator! Noch einmal die Frage zwei Jahre nach Amtsantritt: Was haben Sie erreicht? – Ich kann es Ihnen sagen. Erstens: Eltern und Schüler haben die Faxen dicke. Sie sind die ewigen Struktur- und Reformdebatten leid. Sie wollen Verlässlichkeit, Wahlfreiheit, Qualität und die Gewissheit, dass auch diejenigen aus bildungsfernen Elternhäusern, dass die Kinder aus Migrantenfamilien eine echte Chance erhalten, nach ihren Fähigkeiten gefördert zu werden. Sie wollen kurz gesagt mehr Chancengerechtigkeit. Sie haben außerdem noch erreicht, dass Eltern, die es sich finanziell leisten können, sich vom öffentlichen Schulsystem abwenden und zu den Schulen in freier Trägerschaft gehen.
Herr Senator! Anstatt manche vernünftige Idee konsequent umzusetzen, haben Sie überall ein wenig an dem Schräubchen gedreht, aber Sie haben keine einzige Schraube richtig fest angedreht. Aber: Lose Schrauben sind kein Garant für Stabilität! – Danke!
Vielen Dank, Frau Abgeordnete Senftleben! – Für den Senat hat jetzt der Senator für Bildung, Wissenschaft und Forschung, Herr Prof. Dr. Zöllner, das Wort. – Bitte sehr!
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Aktuelle Stunde ist sicher ein guter Anlass, in dem wichtigen Politikfeld der Bildung eine Standortbestimmung vorzunehmen und möglicherweise auch etwas zur Zukunft zu sagen. Ich möchte das entlang der drei Punkte aufbauen, die Sie, Herr Steuer, in der Begründung und in Ihrem Antrag erwähnt haben: an der Lehrerversorgung, an der Strukturdiskussion und an den Ergebnissen von PISA.
Zum ersten Punkt, der Lehrerversorgung: Sie haben sie als unverantwortlich bezeichnet und unterstellen mir, der Senatsverwaltung und dem Senat dabei Tricksereien. Die wesentlichen Tatsachen liegen relativ einfach auf der Hand. Es ist richtig, dass eine größere Anzahl von Lehrerinnen und Lehrern im Jahr 2008 – wie in den anderen Jahren auch – aus dem Dienst ausscheiden. Es handelt sich um eine Größenordnung in Höhe von 760 Lehrkräften. Aber Sie wissen auch, Herr Steuer, dass wir ca. 2 Prozent weniger Schülerinnen und Schüler haben. Rein rechnerisch heißt das, dass dadurch ein Minderbedarf in einer Größenordnung von ca. 500 Lehrerinnen und Lehrern entsteht. Die Tatsache, dass wir insgesamt 676 Lehrerinnen und Lehrer zusätzlich eingestellt haben, belegt, dass wir eine bessere Betreuung von Schülerinnen und Schülern durch Lehrkräfte haben. Dabei sind die 140 Lehrkräfte für die Lehrerfeuerwehr, Frau Senftleben, noch nicht enthalten. Da zu tun, als wären Tricksereien im Gange, das halte ich, Herr Steuer, mit aller Vorsicht und mit allem Respekt, für unverantwortlich.
Unterrichtsversorgung und vor allem Schulorganisation sind – auch wenn Sie das nicht hören wollen – von zentraler Bedeutung. Sie sind wichtiger als eine Strukturdiskussion und noch wichtiger, weil sie die Voraussetzung für einen guten Unterricht darstellen. Sie sichern eine vernünftige Versorgung mit Lehrerinnen und Lehrern. Den besten Beweis und den besten Beleg dafür, dass es dem Senat in diesem Jahr viel besser gelungen ist, die Unterrichtsversorgung und die Schulorganisation zu sichern, haben Sie, Herr Steuer, selbst geliefert. Ich bin sicher, Sie haben zwei Monate nichts anderes getan, als eine Schule zu suchen, die tatsächlich unter inakzeptablen Bedingungen arbeitet. Und wenn Sie nur eine einzige gefunden hätten, hätten Sie mich mit dieser einen Schule und mit mindestens fünf Anfragen in diesem Parlament beschäftigt.
Kommen wir zu dem zweiten von Ihnen genannten Punkt, der Strukturdiskussion, die nach Ihrer Ansicht chaotisch
verläuft und bei der Sie mir vorwerfen, dass ich nicht auf adäquate Art und Weise mit dem Parlament umgehe. Also, irgendwo muss man die Kirche im Dorf lassen! Irgendwo muss man wissen, worüber man redet! Sie wissen genau, dass es einen Parlamentsauftrag gibt, dass ich einen Vorschlag machen soll. Ich habe noch keinen Vorschlag gemacht. Auch das wissen Sie! Sie fordern mit Recht – in anderen Zusammenhängen –, dass ich einen solchen Vorschlag für einen wichtigen Bereich wie die Schule nicht vom Schreibtisch, aus dem stillen Kämmerlein, nicht aus Hinterzimmern heraus entwickeln kann, sondern unter Berücksichtigung der Tatsache, dass aus Betroffenen Beteiligte werden, entwickeln muss. Das heißt, ich muss mit den Schulen, den Verbänden und selbstverständlich den Bezirken reden – weil ich die Bezirke ernst nehme. Nur aus diesem Dialog heraus kann letztlich ein Vorschlag erwachsen. Mir das jetzt vorzuwerfen, heißt im wahren Sinn des Wortes, die Sache nicht auf die Füße, sondern von den Füßen auf den Kopf zu stellen.