Protokoll der Sitzung vom 11.12.2008

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Für die Besprechung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung. Es beginnt die antragstellende Fraktion der CDU. das Wort hat der Kollege Steuer. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Senator! Eines vorab: Sie sind sieben von neun Fragen ausgewichen. Sie hatten nicht die Traute, dazu eine klare Position zu formulieren. Wir werden deshalb unsere Große Anfrage als Kleine Anfrage neu einbringen und Sie zwingen, die Fragen zu beantworten.

In der Berliner Bildungspolitik jagt eine Schreckensnachricht die nächste. PISA 2003, PISA 2006, IGLU 2008, ELEMENT 2008 – immer wieder offenbart sich eine desaströse Bilanz sozialdemokratischer Bildungspolitik in Berlin.

[Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Seit 13 Jahren tragen Sie die Verantwortung für rund 800 Schulen, 30 000 Lehrer und rund 300 000 Schüler in dieser Stadt. Aber anstatt Probleme zu lösen, Schüler besser zu machen und Lehrer zu motivieren, lassen Sie die Schulgebäude verfallen, Lehrkörper überaltern und Schüler demotiviert zurück.

[Beifall bei der CDU]

Heute mussten Sie zu Beginn der Sitzung einräumen, dass es eigentlich gar keine Lehrerfeuerwehr gibt, denn 134 von 140 Kollegen Ihrer sog. Lehrerfeuerwehr sind fest an ein und derselben Schule eingesetzt. Das ist Irreführung und Wortbruch, Herr Senator Zöllner.

[Beifall bei der CDU – Senator Dr. Jürgen Zöllner: Sie haben nicht richtig zugehört!]

Der ruinierte Ruf der Berliner Schulen liegt in Ihrer Verantwortung, meine Damen und Herren von der Koalition, weil Sie keine Ahnung haben, wie das Bildungssystem verbessert werden könnte. Weil Sie schon seit 13 Jahren für die Bildungspolitik verantwortlich sind, aber nichts positiv voranbringen konnten, belästigen Sie uns ständig mit Ihren Strukturdebatten.

Die IGLU-Studie hat wieder gezeigt, dass die soziale Herkunft zu unterschiedlichen Chancen der Schülerinnen und Schüler führt. Nicht erst das Oberschulsystem mit seiner Gliederung, sondern bereits die Grundschulen, die in Berlin kleine Einheitsschulen sind, bringen die Schüler auseinander und führen die nach Herkunft unterschiedlichen Leistungen nicht zusammen.

[Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Als letzte Begründung für die Einführung der Gemeinschaftsschule haben Sie die Zustände an den Hauptschulen angeführt. Aber, meine Damen und Herren von der Koalition, die Hauptschule in Berlin ist doch das Ergebnis Ihrer 13-jährigen Bildungspolitik.

[Beifall bei der CDU]

Ihre Bildungspolitik hat zu einer Hauptschule in Berlin geführt, auf die nur noch acht Prozent der Schüler gehen, die stigmatisiert ist und die sich aus einer soziale Negativauslese zusammensetzt. Um es deutlich zu sagen: Wo die CDU regiert, sind auch die schwächeren Schüler bes

ser als in Berlin, und das Schulsystem ist besser als in Berlin.

[Beifall bei der CDU]

Der Berliner Hauptschüler ist der teuerste Schüler Deutschlands. Nirgends wird mehr Geld investiert als in die Berliner Hauptschulen. Leider ohne Erfolg! Nur zehn Prozent erhalten am Ende einen Ausbildungsplatz. So kann es nicht weitergehen, denn jeder Schüler hat eine anständige Chance auf einen guten Schulabschluss verdient – egal, auf welche Schule er gegangen ist.

[Beifall bei der CDU]

Es ist klar, dass es so mit der Berliner Hauptschule nicht weitergehen kann. Eine Schule, auf die nur acht Prozent der Schüler gehen – viele davon ungewollt –, kann keine Zukunft haben. Aber auch das Durcheinander von Gesamtschulen mit und ohne gymnasiale Oberstufe, Gemeinschaftsschulen, integrierten Haupt- und Realschulen, Hauptschulen und Realschulen muss zugunsten klarere Strukturen reformiert werden. Im Mittelpunkt einer solchen Reform darf nicht das Schulgebäude stehen, sondern es muss der einzelne Schüler mit seinen Fähig- und Möglichkeiten sein.

[Beifall bei der CDU]

Was ist Ihr Geschwätz von der individuellen Förderung wert, wenn die Schüler in einer Gemeinschaftsschule einfach nur ideenlos nebeneinander gesetzt werden? – Wir brauchen individuelle Angebote, die unterschiedlich sind und von den Eltern und Schülern bewusst ausgewählt werden können. Die Schulen neben dem Gymnasium dürfen keine Gemeinschaftsschulen sein, an denen jede Leistungsdifferenzierung verboten ist. Wir brauchen Differenzierung, Begabungsförderung und individuelle Förderung in jeder Schule. Es geht um den einzelnen Schüler und nicht um das Schulgebäude und die Überschrift. Das ist der Unterschied zwischen CDU und Koalition.

[Beifall bei der CDU – Dr. Felicitas Tesch (SPD): So ein Blödsinn!]

Aber auch diesem Punkt sind Sie gerade bei Ihrer Beantwortung der Großen Anfrage ausgewichen. Was soll der inhaltliche Unterschied zwischen Ihrer Idee der Regionalschulen, Stadtteilschulen und den Gemeinschaftsschulen sein? Was ist der Unterschied in der individuellen Förderung? Gibt es individuelle Förderung, Leistungsdifferenzierung und Begabtenförderung? – Sie weichen diesen Fragen immer wieder aus.

Wenn Sie bereit sind, eine Bildungspolitik zu machen, die den Schüler in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt, dann bieten wir Ihnen unsere Zusammenarbeit an. Als erstes müssen Sie dafür die unsägliche Zusammenlegung von Haupt- und Realschulen als ersten Schritt Ihrer Reform stoppen. Sie jagen damit Eltern und Realschülern Angst und Schrecken ein und handeln am Parlament vorbei. Stoppen Sie diesen Unsinn sofort, Herr Senator Zöllner!

[Beifall bei der CDU]

Zweitens: Geben Sie Ihr ideologisches Gemeinschaftsschulprojekt auf! Es ist schülerfeindlich und ein Rohrkrepierer. Nur 15 Schulen wollen daran teilnehmen. Es zersplittert das Schulsystem weiter, macht es weiter intransparent und verschwendet 22 Millionen Euro sinnlos.

Drittens: Geben Sie den Schulen die Rahmenbedingungen, die sie für eine erfolgreiche Arbeit brauchen, nämlich ausreichendes Personal, ausreichende Sanierungsmittel und aktuelles, gutes Lehr- und Lernmaterial! Wenn Sie diese drei Punkte mittragen, sind wir bereit, mit Ihnen über eine Strukturreform ins Gespräch zu kommen, denn ein Konsens, langfristige Ruhe im Schulsystem und gute Rahmenbedingungen wären ein Ergebnis, auf das Hunderte Schulen in Berlin zu Recht warten. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat Frau Dr. Tesch das Wort. – Bitte!

[Mario Czaja (CDU): Frau Dr. Schreihals!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich versuche, mich kurz zu halten, aber ich muss auf einige Dinge eingehen, die Herr Steuer angesprochen hat, insbesondere in seiner Begründung. – Herr Steuer! Sie werfen dem Senator vor, er habe bis heute keine Vorlage vorgelegt. – Das war gar nicht der Auftrag, meine Damen und Herren. Wir haben ihm den Auftrag gegeben, bis Ende des Jahres etwas vorzulegen, und Sie haben herumgemeckert, als er schon eher mit Eckpunkten herauskam, die – das gebe ich zu – noch nicht abgestimmt sind. Aber das war eben ein individueller Vorschlag des Senators. Die Koalition ist keineswegs zerstritten. Wir haben ein gemeinsames Ziel, das der Senator in seiner Rede erneut betont hat.

Ich habe endlich einmal etwas Neues gelernt: Die CDU hat eine Kommission eingerichtet. Ach nein! Ich erinnere Sie daran, dass die Senatsverwaltung am Anfang den Beirat Gemeinschaftsschule ins Leben gerufen hat – mit allen Betroffenen. Auch die Opposition, die IHK, der Philologenverband, die GEW und Universitätsprofessoren waren beteiligt. Aber Sie sind dort herausgegangen. Frau Senftleben, Sie auch! Dort haben Sie nicht mehr mitarbeiten wollen. Warum haben Sie sich dort verweigert, in diesem hochkarätigen Gremium, in dem Frau Rita Süssmuth sitzt und begeistert an der Gemeinschaftsschule festhält? Sie aber sagen: Nein, nein! Wir gehen da raus und machen unsere eigene Kommission im Hinterzimmer. Dort beschließen wir dann, was für die Berliner Schulstruktur richtig ist. – Ich bin begeistert. Das nenne ich Zusammenarbeit, Herr Kollege!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Mieke Senftleben (FDP)]

Sie haben gesagt, wir hätten sieben Schulformen und splitterten die weiter auf. Wir haben derzeit sieben Schulformen, aber nach unserem Vorschlag würde deren Zahl reduziert. Sie sind auch darüber hinweggegangen, dass die Diskussion nach Ihrer Großen Anfrage weitergegangen ist. Es geht jetzt gar nicht mehr nur um eine integrierte Haupt- und Realschule, sondern von allen Seiten erfährt man, dass es besser ist, zwei Schritte gemeinsam zu machen und die Gesamtschulen an der Stelle mit in das Boot zu nehmen und auch dabei nicht stehen zu bleiben: Das Gymnasium muss sich an dieser Stelle ebenfalls bewegen. Wir wollen das Probehalbjahr abschaffen. Wir wollen keine Bildungsgangempfehlung der Grundschulen, wir wollen das Abschulen nicht mehr haben, und wir wollen – was Sie angemahnt haben – die individuelle Förderung aller Schülerinnen und Schüler umsetzen, und zwar in allen Schularten.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zuruf von Mieke Senftleben (FDP) – Sascha Steuer (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Ich versuche, es kurz machen, doch möchte ich etwas zu den einzelnen Fragen sagen, weil Sie behauptet haben, der Senator habe sie nicht beantwortet. Er hat sie beantwortet, aber Sie können es wahrscheinlich nur verstehen, wenn man erstens, zweitens und drittens sagt. Das PISAErgebnis lässt grüßen. Deshalb nehme ich jetzt noch einmal zu den einzelnen Fragen Stellung.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Von Herrn Steuer!

Ja, bitte sehr!

Frau Tesch! Habe ich Sie bei Ihrer Aufzählung gerade richtig verstanden, dass zwei Schritte in einem stattfinden sollen, indem Realschulen, Hauptschulen und Gesamtschulen zusammengelegt werden, aber nicht die Gemeinschaftsschulen?

[Zurufe von der SPD: Nein, nein!]

Nein, selbstverständlich nicht! Die Gemeinschaftsschule ist eine Pilotphase, die zu etwas ganz anderem passt, wie Sie wissen, und die jetzt wissenschaftlich evaluiert wird.

Das habe ich an dieser Stelle schon mehrfach betont: Lassen Sie sie doch erst einmal arbeiten! – Sie haben in diesem Schuljahr begonnen, und Sie brechen darüber den Stab, bevor Sie überhaupt irgendwelche Evaluationsergebnisse haben.

In ihrer ersten Frage fragen Sie, was der Unterschied zwischen der Regionalschule – oder wie auch immer sie heißen mag – und der – wie Sie schreiben – sogenannten Gemeinschaftsschule sein soll. Dieser Einschub „sogenannte“ zeigt wieder einmal, was Sie davon halten. Schön, dass Sie hier nicht Einheitsschule geschrieben haben! Es gibt, wie gesagt, keinen Unterschied. Es ist ein erster Schritt in Richtung eines Lernens aller Schülerinnen und Schüler in so etwas wie einer Gemeinschaftsschule.

Zu Frage 2: Ich habe auch schon mehrfach gesagt, dass dieser Zwischenschritt auf alle Fälle weniger selektiv als das bisherige Schulsystem ist.

Zu Frage 3: Dieser Vorschlag des Senators würde sicherlich keine Zementierung der Zweigliedrigkeit, sondern der erste Schritt in Richtung gemeinsame Schule sein.

Zu Frage 4: Selbstverständlich macht die Berliner Grundschule das. Ich war gestern in einer Berliner Grundschule und habe mir angesehen, wie die Schulanfangsphase läuft. Denen gelingt es wunderbar, die Schwächeren zu fördern und die Stärkeren zu fordern. Die Berliner Grundschullehrer machen einen guten Job, und so kann es weitergehen.

[Beifall von Benedikt Lux (Grüne)]