Zu Frage 5: Wir haben auch immer gesagt, dass wir den Elternwillen ernst nehmen und dass noch darüber diskutiert werden muss, wie die Zugangsvoraussetzungen für das Gymnasium sind. Da sind wir noch nicht zu einem abschließenden Ergebnis gekommen.
Zu Frage 6: Das hat sich schon erledigt. Es ist keine ideenlose Zusammenlegung. Die kombinierte Haupt- und Realschule gibt es schon, aber wir wollen – wie bereits gesagt – einen Schritt weitergehen.
Ich mache das aber, weil der Kollege nicht in der Lage ist, aus einem wohlformulierten Vortrag des Senators die Beantwortung der einzelnen Fragen zu entnehmen. Da ich von Hause aus Didaktikerin bin, bin ich auch in der Lage, das didaktisch herunterzubrechen und Herrn Steuer das auf diese Art und Weise zu erklären.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Gelächter bei der CDU – Christian Gaebler (SPD): Das nutzt aber auch nichts!]
Zur Frage 7 – die Abiturstandards: Berlin ist mit 37 Prozent an der Spitze in Deutschland. Es ist trotzdem beschämend, wenn man den internationalen Vergleich hinzunimmt. Wir versprechen uns von der Schulstrukturreform auch eine Erhöhung der Abiturientenquote.
Zur Frage 8: Ihre Frage, warum nicht bereits heute zwei Drittel der Schüler das Abitur machen, ist interessant, da Sie selbst Befürworter des selektiven Systems sind. Sie wissen genauso gut wie ich, dass das Erschreckendste an den PISA-Ergebnissen nicht die eigentliche Standortbestimmung Deutschlands war, sondern die Tatsache, die wir hier so oft beklagt haben, dass nämlich in keinem anderen Land die Abhängigkeit des Bildungsabschlusses von den sozialen Verhältnissen der Schülerinnen und Schüler so groß ist wie in Deutschland.
Frau Senftleben! Sie stimmen da zu? – Das wäre mir völlig neu. – Aber deswegen müssen wir dem entgegenwirken, und zwar mit Mechanismen, die diese Bildungschancen nicht mehr an die ökonomischen und/oder sozialen Verhältnisse der Eltern koppeln.
Liebe Frau Kollegin! – Dann wird es ein Leichtes sein, mehr Schülerinnen und Schüler zum Abitur zu führen, denn wir haben schlummernde Potenziale, die wir nicht ausschöpfen.
Zu Frage 9: Das fand ich auch sehr schön. Woher wissen Sie, dass wir Zehntausende Berliner Schüler, Eltern und Lehrer verunsichert haben? Das haben Sie auch mehrmals an dieser Stelle gesagt. Zehntausende – prima! Wir haben in der Stadt ca. 300 000 Schülerinnen und Schüler, ca. 30 000 Lehrerinnen und Lehrer und geschätzte 150 000 Eltern. Auch wenn wir einmal davon ausgehen, dass ca. die Hälfte der Schülerinnen und Schüler von nur einem Elternteil erzogen werden, denke ich doch, dass auch im Fall einer Scheidung sich beide Elternteile gemeinsam um das Wohl der Kinder kümmern. Wir kämen damit auf eine knappe halbe Million, die von diesem Thema betroffen sind, und die haben wir nun Ihrer Meinung nach verunsichert. Wir haben keine Zehntausende verunsichert, weil wir stets mit offenen Karten gespielt haben. Wir führen diese Debatte nicht erst seit gestern, und wir haben alle Beteiligten stets mitgenommen. Zahlreiche Landesparteitagsbeschlüsse meiner Partei und die des Koalitionspartners haben den Weg gewiesen und sind in der Bevölkerung auf Akzeptanz gestoßen. Deshalb lassen wir uns nicht von den Anhängern Ihrer Partei, die wirklich nur zehntausend umfasst, aus dem Konzept bringen. – Ich danke Ihnen!
Das Wort für die Linksfraktion hat der Abgeordnete Zillich. – Entschuldigung! Das Wort hat Herr Mutlu. Wie konnte ich das übersehen? – Bitte schön, Herr Mutlu!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn jemand sagt, er fasse sich kurz, bin ich gewarnt. Frau Dr. Tesch hat sogar versucht, die Antworten für den Senat zu geben. Leider kläglich, aber auch gut!
Es gibt in der Tat Anlass zur Sorge. Vor drei Wochen wurde die PISA-E-Studie und vor zwei Tagen wurden die IGLU-E-Studie und die TIMMS-Studie veröffentlicht. Die Ergebnisse für Berlin sind nicht rosig. Dieser Senat und diese Koalition sind gut beraten, wenn sie diese Ergebnisse endlich ernst nehmen. Sie sollten nicht nur darüber reden, welche Pläne sie haben, sondern in den Schulen für Veränderung sorgen. Das lassen Sie vermissen, und das haben Sie auch heute wieder vermissen lassen.
[Beifall bei den Grünen – Beifall von Sascha Steuer (CDU) – Zuruf von Steffen Zillich (Linksfraktion)]
Die PISA-Studie hat ergeben, dass nirgendwo in Deutschland die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft so hoch ist wie in Berlin. Die IGLU-Studie hat ergeben, dass der Anteil der leseschwachen Schülerinnen und Schüler mit knapp 25 Prozent nirgendwo so hoch ist wie in Berlin. Die TIMMS-Studie hat gezeigt, dass der Bildungserfolg von Migrantenkindern nirgendwo so schlecht ist wie in Berlin. Das sind Alarmzeichen, und das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Dass man Ihnen das sagt, müssen Sie sich gefallen lassen.
Dennoch freuen wir uns, dass in dieser Stadt endlich realisierbare Strukturvorschläge diskutiert werden. Wir freuen uns auch, dass wir ein Anstoß für diese Debatte in diesem Hause waren und dass demnächst wenigstens der Senator von dieser Ich-weiß-alles-besser-Politik abgeht und Strukturvorschläge macht, die wir hier diskutieren werden.
Sie, Frau Tesch – und wahrscheinlich wird Herr Zillich das anschließend in ähnlicher Weise wiederholen –, haben in den letzten Jahren in Berlin Bildungspolitik gemacht, und Sie haben dieses Problem mit verzapft. Diese Feststellungen müssen Sie sich gefallen lassen.
Schaut man sich aber die Eckpunkte des Konzepts des Senators genauer an – hier setzt die Kritik an –, sind diese
vermutlich von Leuten erstellt worden, die dieser Strukturreform meiner Ansicht nach nicht sehr wohlgesonnen gegenüberstehen. Nicht anders ist zu erklären, wie vorgeschlagen werden kann, dass in einem mehrstufigen Verfahren erst die Haupt- und Realschulen zusammengelegt werden, irgendwann später die Gesamtschulen hinzu kommen sollen und die Schüler in den sonderpädagogischen Förderzentren, die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf überhaupt nicht in dem Konzept auftauchen. Wenn man das alles berücksichtigt, hat man das Gefühl, dass Leute am Werk sind, die dieses Projekt lieber zum Scheitern bringen wollen. Das finde ich verwerflich und nicht in Ordnung.
Das, was Sie vorhaben – wir haben diesbezüglich ein wenig in Richtung Hamburg geschaut –, ist ein Konzept, das sich für Berlin sehr wohl eignet, weil dieser Zwischenschritt hin zu mehr gemeinschaftlichem Lernen und hin zu mehr individueller Förderung in allen Bildungsgängen und allen Schularten auch für Berlin positiv ist. Sie sollten einmal genauer hinschauen, wie Sie in der Tat dieses mehrstufige Verfahren – ich höre es heute sehr erfreut von dem Herrn Senator, dass er gern davon abkehren möchte – verlassen wollen. Dieses mehrstufige Verfahren wird Unruhe stiften und für Streit sorgen und damit das Konzept bereits im Konzeptstadium zum Scheitern verurteilen.
Wir sind der Auffassung, dass folgendermaßen vorgegangen werden muss: Man muss Haupt- und Realschulen und die bestehenden Klassen auslaufen lassen. Man muss zu einem Stichtag X nur noch eine Schule – egal wie sie heißt, der Senator will sie Regionalschule nennen, mir ist das Etikett egal – haben. Die Schüler in dieser neuen Schule, aber auch an Gymnasien müssen individuell gefördert werden. Es darf keine Qualitätseinbußen geben. Es darf auch nicht zulasten der Bildungsstandards gehen. Das schafft man nur, wenn man zwei gleichberechtigte und gleichwertige Schulformen nebeneinander stellt und auch die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf und auch die Schüler der sonderpädagogischen Förderzentren mit integriert. Alles Andere führt zu einem Zweiklassenbildungssystem. Die Guten gehen auf das Gymnasium, die anderen gehen auf die Regionalschule. Das kann es nicht sein. Das kann nicht im Interesse von Rot-Rot sein noch ist es bei uns von Interesse, eine Zwei-KlassenSchulgesellschaft in Berlin einzuführen.
Wir sind aber auch der Meinung, dass eine derartige Reform, die nötig ist, von breiten gesellschaftlichen Schichten getragen werden muss. Hier müssen die Mitbestimmungsgremien mit in den Prozess integriert werden. Hier müssen die Verbände integriert werden. Aber auch die Lehrer, Schüler und Eltern müssen integriert und nicht vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Ich höre immer wieder, dass wir bei der Erarbeitung eines Konzepts sind und die Arbeitsgruppen im Hintergrund arbeiten. Gleichzeitig haben sich aber in manchen Bezirken die Schulträger schon auf den Weg gemacht und Schulschließungen beschlossen. Da hat Herr Steuer völlig recht. Schulschlie
Schulschließungen zu beschließen und Verunsicherungen bei den Eltern zu verursachen, das kann es nicht sein. Hier muss aufseiten des Schulsenats deutlich gemacht werden, dass es keinen vorauseilenden Gehorsam geben darf, bevor in diesem Haus diese Diskussion nicht abgeschlossen ist und bevor die Mitbestimmungsgremien nicht alle ihr Votum zu dieser neuen Struktur abgegeben haben. Vorher darf es vor Ort keine Schulschließungen und keine Verunsicherung geben.
Wir sind – wie Sie den Ausführungen auch entnehmen können – gegen eine Zwangszusammenlegung von Haupt- und Realschülern. Wir sind auch gegen eine Nivellierung nach unten. Wenn man sich anschaut, dass durch diese Vorschläge der Zusammenlegung die geringen Klassenfrequenzen an Hauptschulen am Ende zu höheren Frequenzen – von 16 weg hin zu 26 – führt, kann das auch nicht der Weisheit letzter Schluss sein. Die Hauptschüler, die wir haben, brauchen die gezielte Förderung. Wir helfen ihnen nicht dadurch, dass wir die Klassenfrequenzen erhöhen. Wir müssen dafür sorgen, dass mehr Mittel dafür bereitgestellt werden.
Damit komme ich zum nächsten Punkt. Wer glaubt, dass diese Reform kostenneutral zu haben ist, glaubt auch an den Weihnachtsmann. Wenn Sie solche Vorschläge unterbreiten, Herr Zöllner, müssen Sie auch sagen, wie Sie das Ganze finanzieren wollen. Diese neuen Schulen werde nicht nur im Anfangsstadium teuer, sondern werden auch mittelfristig teurer sein, weil wir keine Qualitätseinbußen in Kauf nehmen wollen. Deshalb müssen Sie mehr Mittel für diese Schulreform bereitstellen. Aber von Ihnen haben wir weder heute etwas davon gehört, noch haben wir von Ihnen bei der Vorstellung der E
Wir wollen die Schularten reduzieren. Die PISA-Studie hat auch gezeigt, dass Schulsysteme mit weniger Gliedrigkeit wie in Sachsen und Schulsysteme mit mehr individueller Förderung, weniger Auslese und weniger Selektionsmechanismen erfolgreicher sind. Das muss das Ziel sein. Alle müssen mitgenommen werden. Dafür würden wir uns auch stark machen, aber nur unter der Bedingung, dass das alles auch entsprechend qualitativ, materiell und personell unterfüttert wird. Für eine solche Reform muss natürlich auch die Lehrerausbildung radikal reformiert werden. Für eine derartige Reform brauchen wir eine Fortbildungs- und Weiterbildungsoffensive, denn wir haben die Lehrkräfte, die leider auch mit ein wenig an den Ergebnissen der Studie nicht vielleicht gerade schuld, aber doch dafür verantwortlich sind. Wir müssen also auch die Lehrer fort- und weiterbilden, damit sie vor Ort mehr individuelle Förderung betreiben können und das Ganze nicht zu einem Etikettenschwindel ausartet. Sie sind in der Pflicht, das alles zu bewerkstelligen. Wir werden das als Opposition begleiten. Was wichtig ist, werden wir unterstützen, was falsch ist, werden wir hier heftig kritisieren. Das kann ich Ihnen sagen. Ich bin gespannt, was Sie demnächst vorlegen werden.
Zum Schluss möchte ich berichten, was ich gestern mit Erschrecken beobachtet habe: Es gab die Sendung „Hart, aber fair“. Eine Lehrerin aus Nord-Neukölln hat darin auf die Frage des Moderators nach dem ersten Artikel des Grundgesetzes mit Kopfschütteln reagiert. Aber auch während der Sendung war sie der Auffassung, wir hätten kein Ausländerproblem, sondern ein Türkenproblem.
Auch das ist Ihr Problem, Herr Zöllner. Sie müssen dafür sorgen, dass derartige Unkenntnis unter der Lehrerschaft und derartige Verurteilungen in Berlin nicht sein dürfen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte nur nicht den Eindruck erwecken, als wollte ich mich vor Herrn Mutlu vordrängeln. – Ich habe schon einmal angemerkt, wie es mit den geistigen Einschaltquoten bei bildungspolitischen Themen in diesem Haus ist. Ich habe den Eindruck, dass solche großen Anfragen nicht wirklich dazu beitragen. Für den aufmerksamen Zuhörer gibt es aber in der Tat die eine oder andere Neuigkeit, die zu vermelden ist. Die CDU hat eine Kommission, die einen Strukturvorschlag entwickelt – immerhin.
Auch bei den Grünen war es interessant zuzuordnen. Man kann an dem Hamburger Kompromiss zwischen Grünen und CDU viel kritisieren. Zumindest ist es doch aber augenscheinlich ein schmerzhaft errungener Kompromiss für die Hamburger Grünen. Ich finde es schon spannend, dass Sie hier in der Situation, in der Sie sich nur mit sich selbst einigen müssen, in der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken, als sei es grüne Politik pur, was Sie in Hamburg machen.
Nein, das ist nicht unsere Position. Wir finden im Unterschied zur CDU – es war ein bisschen unklar, wie ernst die Große Anfrage tatsächlich gemeint war –, dass eine öffentliche Debatte über Ziele, Inhalte und Struktur der Berliner Schule dringend notwendig ist und dass sie nicht nur ein unnötiges Irritieren und eine unnötige Verunsicherung von Schülern, Eltern und Lehrern darstellt, wie es hier unterstellt wird. Denn angesichts der Befunde, die uns über die Ergebnisse unseres Bildungssystems immer wieder ins Stammbuch geschrieben werden, wäre es geradezu ein unverantwortliches Experiment an den Kindern,
Ebenso unverantwortlich wäre es, eine solche Reform ohne öffentliche Debatte in Angriff nehmen zu wollen. Es ist Ihre Entscheidung, aber meiner Ansicht nach reicht es nicht aus, wenn man – wie die CDU es tut – danach sucht, inwieweit es in Detailfragen unterschiedliche Auffassungen in den Koalitionsfraktionen gibt. Klar gibt es sie bei einer solchen grundlegenden Frage. Es wäre ein Wunder, wenn es sie nicht gäbe. Entscheidend ist, worauf wir uns einigen, aber entscheidend ist auch, wie offen wir solch eine Debatte führen. Sie ist dringend notwendig.