Protokoll der Sitzung vom 19.03.2009

Wenn der Senat nicht weiß, was er will, muss das Abgeordnetenhaus – wie beim Steinkohlekraftwerk auch – den Senat treiben.

Zusammengefasst: Wir freuen uns über das Konzept von Vattenfall. Das ist aber nur ein erster Schritt. Viele Dinge müssen umgesetzt werden, die da drinstehen. Wir erkennen an, dass Vattenfall die Verantwortung wahrgenommen hat. Die Frage ist: Wann nimmt der Senat seine Verantwortung wahr? Wann arbeiten Sie sich einmal in das Thema Energiekonzept ein? Welche Visionen zeigen Sie uns hier auf? Welche Positionen beziehen Sie? Statt hier aufzutrumpfen, sich zurückzulehnen und zu glauben, Vattenfall habe etwas beschlossen, und damit seien der Senat und Rot-Rot aus der Pflicht entlassen, müssen Sie daran arbeiten, dass endlich einmal ein Konzept auf den Tisch kommt. Dafür haben Sie eine Verantwortung. Die werden wir einfordern. Dann hoffe ich einmal, dass hier etwas Konkreteres kommt, als auf der Opposition herumzuhacken. Schlagen Sie endlich einmal konkrete Dinge vor, was man an zusammenhängender Energiepolitik in Berlin machen kann.

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Schmidt! – Für den Senat hat jetzt die Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, Frau Senatorin Lompscher, das Wort. – Bitte!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Sehr geehrte Gäste! In Berlin ist es in den letzten

Jahren üblich geworden, sich mit Hamburg zu vergleichen. Seit letzter Woche steht fest, dass alle schon wussten, Berlin ist besser. Der schwarz-grüne Senat in Hamburg kann vielleicht dicker auftragen,

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Rot-Rot in Berlin kann aber ganz offensichtlich besser regieren.

Durch den ständigen Druck auf Vattenfall ist es dieser Stadt, diesem Senat und großen Teilen dieses Parlaments gelungen, das Unternehmen zu einem zukunftstauglichen Konzept für die Berliner Kraftwerksstandorte zu bewegen. Vattenfall will der Energiepartner für Berlin sein und Verantwortung für die Erreichung der ambitionierten Klimaschutzziele des Landes übernehmen. Das begrüßen wir selbstverständlich. Die Abkehr vom Kohlekraftwerk Klingenberg ist von immenser Bedeutung für den Klimaschutz. Vattenfall hatte versprochen, keine Entscheidung gegen die Stadt zu fällen. Dass dieses Versprechen gehalten wurde, ist allen zu verdanken, die sich konsequent gegen die Nutzung der Steinkohle ausgesprochen haben.

Es gehört aber zur Ehrlichkeit dazu, auch Vattenfall für eine mutige Entscheidung zu danken, die nicht allen im Unternehmen gefallen haben dürfte und die Maßstäbe setzen wird für das künftige Handeln dieses Unternehmens auch außerhalb von Berlin. Ich danke auch ganz ausdrücklich der Bürgerinitiative gegen das Kohlekraftwerk, namentlich Helke Scharfenberg und Mike Kess, und ihren Mitstreitern im Bezirk Lichtenberg. Ich danke den Umweltverbänden dieser Stadt für ihre unermüdliche Arbeit. Ja, ich will an dieser Stelle sowohl den Koalitionsfraktionen als auch den Oppositionsfraktionen für ihre Unterstützung danken.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Eine solche Geschlossenheit von Regierung und Parlament ist nicht selbstverständlich. Aber an bestimmten Punkten ist sie offenbar erforderlich und – wie wir gesehen haben – erfolgreich. Ja, ein besonderer Dank geht an den Abgeordneten Schäfer, der sich mehr als viele andere gegen dieses Kraftwerksvorhaben engagiert hat.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wenn aber einzelne Abgeordnete und speziell die Fraktion der Grünen versuchen, den Erfolg ausschließlich für sich zu verbuchen,

[Michael Schäfer (Grüne): Machen wir nicht!]

ist dies nicht nur anmaßend, sondern zugleich auch Ausdruck der traurigen Verfasstheit einer Partei, die darunter leidet, dass sie kein Monopol auf Umwelt und Klimaschutzpolitik mehr hat.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Dabei sollte sie froh sein, dass es nicht mehr so ist.

Ich möchte etwas genauer auf das eingehen, was Vattenfall vorschlägt, vor welchen Herausforderungen wir mit dem Kraftwerkskonzept – es ist ein Kraftwerks- und kein

Energiekonzept – von Vattenfall stehen. Neben dem bekannten und erfreulichen Verzicht auf den Ersatz des Heizkraftwerks Klingenberg durch ein Klein-Steinkohlekraftwerk hat Vattenfall folgende Pläne: Am Standort Klingenberg in Rummelsburg soll die Wärmeleistung künftig durch zwei Biomasseanlagen mit insgesamt 150 Megawatt thermisch erbracht werden. Darüber hinaus soll entweder ein großes Gaskraftwerk am Standort Rhinstraße im Bezirk Marzahn-Hellersdorf oder aber zwei kleinere an den Standorten Rummelsburg und Rhinstraße mit insgesamt 450 Megawatt thermisch errichtet werden.

Für die Fernwärmeversorgung im Westen plant Vattenfall kurzfristig den Ersatz des Kraftwerks Lichterfelde auf Erdgasbasis und die Stilllegung des Kohlekraftwerks Reuter C bis zum Jahr 2020. Darüber hinaus setzt Vattenfall verstärkt auf dezentrale Anlagen mit Kraftwärmekoppelung und Biomasse.

Mit all diesen Maßnahmen will Vattenfall seine absoluten CO2-Emissionen bis 2020 um 50 Prozent bezogen auf 1990 senken und bezogen auf den Durchschnitt der letzten drei Jahre immerhin noch einmal um 1 Million Tonnen. Dies ist ein ambitioniertes und begrüßenswertes Ziel, aber ich sage auch ganz deutlich, dass die Debatte mit Vattenfall um die möglichst klima- und umweltschonende Konkretisierung der Kraftwerksplanung nun erst richtig beginnt. Ging es bislang um den Grundsatz, werden wir uns nun in die Details begeben müssen.

So wird der Senat natürlich genau prüfen, ob die Dimensionen der geplanten Kraftwerke wirklich benötigt werden. Dazu werden wir beispielsweise die geplante Strom- und insbesondere Wärmeleistung aller Ersatzmaßnahmen ins Verhältnis zum tatsächlich künftigen Bedarf der Stadt setzen und mit dem Unternehmen über eine optimale Ausnutzung der geplanten hocheffizienten und den Berliner Klimaschutzzielen durchaus entsprechenden neuen Anlagen der Kraftwärmekoppelung diskutieren. Bei sinkendem Wärmebedarf – das ist nicht nur wahrscheinlich, sondern klimapolitisch auch absolut notwendig – führt die derzeit vorgesehene Kapazität der Stromerzeugung zu einem sogenannten Kondensationsbetrieb, bei dem die elektrische Leistung unverändert besteht und abgegeben wird, die anfallende Wärme jedoch „weggekühlt“ wird. Das kann nicht unser Ziel sein.

Ebenso wird es uns nicht gleichgültig sein, woher Vattenfall das Material für seine Biomassenanlagen beziehen will und wie diese Rohstoffe gewonnen werden. Natürlich muss das Prinzip der Nachhaltigkeit eingehalten und nachgewiesen werden.

Ich will damit sagen: Auch nach der positiven Unternehmensentscheidung gibt es ganz reguläre Genehmigungsverfahren. In diesen Verfahren wird es wahrscheinlich trotz aller lobenswerten Anstrengungen des Unternehmens wiederum Auseinandersetzungen über die konkrete Ausgestaltung geben. Natürlich sind alle diese geplanten Vorhaben genehmigungspflichtige Anlagen. Wir werden

auf höchste Umweltstandards achten und in Gesprächen mit Vattenfall dafür sorgen, dass wir die 37. BundesImissionsschutzverordnung zur Anwendung bringen und damit höhere Anforderungen zum Beispiel bei den Stickoxidwerten erreichten.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Dies können wir allerdings nur im Konsens mit dem Unternehmen erreichen. So ist zurzeit die Rechtslage.

Die Klima- und Energiepolitik des Landes Berlin beschränkt sich nicht nur auf die Verhinderung von Kohlekraftwerken. Da die Opposition mit großer Hingabe behauptet, der Senat hätte keine Meinung, keine Ahnung, kein Konzept möchte ich die verbleibende Zeit nutzen, Sie eines Besseren zu belehren. Berlin hat seit vielen Jahren Landesenergieprogramme, die kontinuierlich weiterentwickelt werden. Darin sind konkrete Maßnahmen zur Erreichung der jeweils definierten Einsparziele enthalten. Das Landesenergieprogramm wird evaluiert und nach 2010 – so lange gilt es nämlich noch – selbstverständlich durch ein neues Klimaschutzkonzept ersetzt. Dann werden auch weitergehende Einsparvorgaben gesetzt, die den Erfordernissen des Klimaschutzes angemessen sein werden.

Die aktuell gültige Einsparvorgabe von 25 Prozent bezogen auf 1990 bis 2010 hat Berlin bekanntlich bereits erreicht. Berlin ist bundesweites Vorbild beim sparsamen Energieverbrauch und bei niedrigen CO2-Emissionen pro Einwohner. In keiner deutschen Großstadt und in keinem Bundesland wird so wenig CO2 pro Einwohner ausgestoßen wie in Berlin. Während der bundesweite Durchschnitt bei 9,6 Tonnen CO2 pro Einwohner und Jahr liegt, wurden in Berlin nur 5,9 Tonnen CO2 pro Einwohner emittiert. Auch das ist noch zu viel, keine Frage, aber Vergleiche helfen manchmal.

Auch die frisch gekürte Umwelthauptstadt Europas, Hamburg, liegt mit 6,5 Tonnen CO2 pro Einwohner ebenso wie München deutlich über dem Berliner Wert. In Berlin ist der CO2-Ausstoß seit 1990 rückläufig, egal, ob man Quellen- oder Verursacherbilanzen zieht. Ursächlich für diese positive Entwicklung ist der stetig fallen Primärenergieverbrauch der Stadt, der bundesweit am niedrigsten ist. Das ist im Übrigen auch ein Beleg für den Erfolg bisheriger Effizienzmaßnahmen.

Mein Haus arbeitet gerade ein Klimaschutzgesetz aus, dass das bisherige Energiespargesetz ablösen soll. Der Senat hat – wie bereits erwähnt – im vergangenen Sommer ein klimapolitisches Arbeitsprogramm beschlossen. Darin ist neben dem neuen Einsparziel von 40 Prozent bis 2020 unter anderem festgehalten, dass ein Gesamtkonzept zur CO2-Gebäudesanierung erstellt wird. Es wird ein Maßnahmenkatalog für den öffentlichen Immobilienbestand aufgestellt. Die CO2-Sanierung zum Beispiel in den Bädern hat bereits begonnen. Das ist die Basis für die Maßnahmen, die wir im Rahmen des Konjunkturprogramms zügig umsetzen werden.

Der neue Stadtentwicklungsplan Verkehr wird den Schwerpunkt Energieeffizienz des Verkehrssystems und Minderung der Treibhausgase haben. Die Technologie- und Wirtschaftsförderung im Bereich der erneuerbaren Energien sind intensiviert worden. Der Senat nutzt ein Großteil der Gelder aus dem Konjunkturpaket für die energetische Gebäudesanierung.

Wir haben inzwischen, beginnend mit der BSR, Klimaschutzvereinbarungen mit vielen öffentlichen Unternehmen, darunter allen kommunalen Wohnungsbaugesellschaften abgeschlossen. Der Regierende Bürgermeister hat im Herbst letzten Jahres das Klimabündnis mit den größten privaten und öffentlichen Unternehmen Berlins ins Leben gerufen, das allen weiteren Interessenten offensteht. Wir arbeiten zurzeit an Klimaschutzvereinbarungen mit dem Gesundheitsunternehmen Vivantes, mit Zoo und Tierpark, mit der Flughafengesellschaft und mit der BVG. Es besteht eine Klimaschutzvereinbarung mit der GASAG, und wir werden selbstverständlich das Angebot von Vattenfall annehmen, auch mit ihnen eine Klimaschutzvereinbarung abzuschließen.

Wir haben mit dem Umweltentlastungsprogramm II eine eigene Förderachse Klimaschutz innerhalb der europäischen Strukturfonds geschaffen – übrigens als einziges Bundesland in Deutschland. Bis 2013 werden wir 160 Millionen Euro insbesondere für Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz und zur Förderung erneuerbarer Energien ausgeben. Mit dem Umweltentlastungsprogramm I, das von 2000 bis 2006 durchgeführt wurde, sind insgesamt 320 Projekte mit einem Volumen von 127 Millionen Euro finanziert worden, darunter zum Beispiel die Entwicklung eines Produktionsverfahrens zur Herstellung innovativer Dünnschichtmodule. Diese Entwicklungsleistung hat 2006 den Innovationspreis BerlinBrandenburg erhalten. Die Firma Sulfurcell, die diese Entwicklung hervorgebracht hat, gehört heute zu den international führenden Solarunternehmen – mit Heimat in Berlin.

Ein Unternehmensnetzwerk Energieeffizienz wurde eingerichtet und hat seine Arbeit aufgenommen. Das Kompetenzfeld Energietechnik ist beschlossen. Es wurde eine Studie zur Biomassenutzung erstellt. Aktuell wird eine Potenzialanalyse zur Geothermie vorbereitet. Wir haben das erste – und hoffentlich nicht das letzte – Windrad in Berlin genehmigt. Und selbstverständlich werden wir uns beim Stromliefervertrag an die ökologischen Kriterien halten, die das Abgeordnetenhaus beschlossen hat.

Der Klimaschutzrat berät den Senat seit Herbst 2007 durch engagierte Mitglieder. Der Senat wird unter der Federführung der Wirtschaftsverwaltung, wie angekündigt, ein Energiekonzept für Berlin vorlegen. Dabei werden Energieeffizienz und stärkere Nutzung erneuerbarer Energien im Mittelpunkt stehen. – Herr Schäfer! Sie beschweren sich immer, dass das Energiekonzept für Berlin noch nicht vorliegt, dass der Senat untätig war. Was wäre denn gewesen, wenn der Senat vor einigen Monaten ein

Energiekonzept vorgelegt und Vattenfall letzte Woche erklärt hätte, sie bauen ein Kohlekraftwerk? Sie und die Grünen hätten uns aus der Stadt jagen wollen. Und Sie hätten recht damit gehabt. Dieses Energiekonzept wäre null und nichtig gewesen.

[Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Es wäre ein Papiertiger gewesen, weil man kein Energiekonzept machen kann, wenn man die wichtigen Energieversorger der Region nicht in die konzeptionellen Überlegungen einbezieht. Genau das haben wir getan, und das braucht eben Zeit. Erst jetzt haben wir die Gesprächsgrundlage, auf der ein solches Energiekonzept Sinn macht.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Ein Energiekonzept, wie Sie es verlangen, hätte ungefähr so viel Konsistenz gehabt wie das grüne Hamburger Wahlprogramm bei der Verhinderung von Moorburg und der Vertiefung der Elbe. Aber so arbeitet dieser Senat nicht.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Der gesamte Senat hat in den letzten Monaten geschlossen gegen ein überdimensioniertes und klimaschädliches Kohlekraftwerk argumentiert und in vielen Gesprächen mit Vattenfall und auch öffentlich seine Haltung deutlich gemacht. Er hat daneben die Klimaschutzpolitik des Landes weiter vorangetrieben und ausgestaltet. Die Abkehr Vattenfalls vom Steinkohlekraftwerk ist ein wichtiger Schritt, aber wir sind noch lange nicht am Ziel. Für die Umsetzung der ambitionierten Klimaschutzziele brauchen wir weiterhin engagierte Bürgerinnen und Bürger, verantwortungsbewusste und innovative Unternehmen, kluge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – ja, und ab und zu auch Einigkeit in der Politik. Lassen Sie uns in den kommenden Monaten und Jahren gemeinsam dafür sorgen, dass die Entscheidung von Vattenfall gegen ein neues Kohlekraftwerk in Berlin weder Eintagsfliege noch Feigenblatt war. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Frau Senatorin! – Wir treten in die zweite Rederunde ein. Für die CDU-Fraktion hat Herr Hoffmann das Wort. – Bitte sehr!

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Das Abgeordnetenhaus kann, glaube ich, sagen, dass es einen Erfolg erzielt hat. Der Senat – kann er das auch? – Einzelregelungen, Bürokratieerklärungen – alles KleinKlein. Aber Energiepolitik für Berlin? – Ganz klar Fehlanzeige! Es gibt keine klaren Vorgaben für Standorte, keine klaren Vorgaben für den Bedarf. Sie formulieren etwas, was Sie letztlich nicht erreichen. Ganz im Gegenteil, der Senat erfährt aus der Presse von der Energiepo

litik. Ich würde es nicht sagen, wenn Sie nicht in der Kleinen Anfrage, die ich gestellt habe, nachlesen könnten: Noch am 6. März konnte der Senat keine Aussage treffen, wie sich Vattenfall in Zukunft mit seinem Standort verhalten wird.

[Zuruf von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Das ist verfehlte Energiepolitik.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Vereinzelter Beifall bei den Grünen]