Fünfzehnter Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR – Jahresbericht 2008
dazwischengekommen ist. Die Besprechung wird dennoch vorgenommen werden können. Den Fraktionen steht jeweils eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. Es beginnt die Fraktion der SPD in Person des Kollegen Hillenberg. – Bitte schön, Herr Hillenberg, Sie haben das Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist schade, dass Martin Gutzeit heute nicht unter uns weilen kann, ich hätte ihn nicht nur gerne persönlich begrüßt, sondern ihm auch für seine hervorragende Arbeit gedankt.
Wir haben heute den Fünfzehnten Tätigkeitsbericht des Berliner Landesbeauftragten auf dem Tisch. Fünfzehn Jahre – da kann man schon mal daran denken, wie das alles angefangen hat. Was er uns in diesem Bericht im Einzelnen darlegt, ist sehr interessant, und natürlich haben wir als Parlamentarier ein Recht darauf – wenn wir diese Organisation über die vielen Jahre bezahlen – zu erfahren, was dort eigentlich gemacht wird und ob das sinnvoll ist. Hier kann ich das Ende schon einmal vorwegnehmen: Selbstverständlich ist das eine wichtige Arbeit, nicht nur für uns, sondern vor allen Dingen für die Berlinerinnen und Berliner und für alle, die mit dem ehemaligen System der DDR Probleme hatten und sich hilfesuchend an den Landesbeauftragten wenden – keiner von uns wird daran zweifeln. Vorab schon einmal: schönen Dank!
Beim Lesen ist mir aufgefallen, dass es viele Themen gibt, die denen des Petitionsausschusses ähneln. Sie wissen, dass der Deutsche Bundestag vor – glaube ich – zwei Jahren beschlossen hat, dass die Zeit des Anspruches auf Opferrente für Geschädigte der ehemaligen DDR auf sechs Monate herabgesetzt wird. Natürlich hat das eine riesige Flut von Widersprüchen nicht nur bei uns im Petitionsausschuss ausgelöst, sondern auch bei der Behörde von Herrn Gutzeit. Wir hatten dieselben Probleme, deshalb finde ich es gut, dass wir noch einmal darüber sprechen. Es waren dieselben Probleme mit der Organisation des LAGeSo. Die Verwaltung war einmal aufgrund der Menge der Anträge überfordert. Da haben wir als Petitionsausschuss auch helfend zur Seite gestanden, indem wir dafür gesorgt haben, dass Personal abgestellt wurde. Die Art und Weise, in der dort über die einzelnen Fälle beraten wird, ist kritikwürdig. Wer das genau liest, wird erkennen, dass man mit den einzelnen Entscheidungen nicht immer zufrieden sein kann. Wenn Sie sich erinnern: Ich habe in meinem Jahresbericht des Petitionsausschusses vor zwei, drei Monaten so etwas anklingen lassen.
Gestatten Sie mir an dieser Stelle – lesen kann jeder allein –, eine Geschichte zu erzählen, die deutlich macht, wie wichtig es ist, solch eine Organisation zu haben. Da wird auch deutlich, dass das Wachhalten, die Erinnerung und die politische Bildung ein wesentlicher Schwerpunkt seiner Organisation ist. Das halte ich für sehr wichtig. Und nun die Geschichte: 1986 – viele von Ihnen wissen
das vielleicht nicht – gab es in der ehemaligen DDR eine Organisation, die sich mit den Verbrechen während der NS-Zeit beschäftigt hat. Sie suchte konzentriert nach Nazi-Kriegsverbrechern. Sie kennen vielleicht die Zahlen, dass in der ehemaligen DDR 12 800 Menschen, die sich eines Vergehens schuldig gemacht hatten, verurteilt wurden. Auf der anderen Seite, in der Bundesrepublik Deutschland, waren es nur 850 Menschen. Ich will jetzt nicht erzählen, warum, wieso, weshalb. Der Kern war, dass es 1986, das heißt 41 Jahre nach Beendigung des Krieges, dieser Organisation in der DDR gelungen ist, einen der Hauptverantwortlichen für die schrecklichen Taten bei Oradour, einen Leutnant der Waffen-SS, ausfindig zu machen und ihn einer gerechten Strafe zuzuführen. Keiner hätte mehr gedacht, dass das 41 Jahre nach Beendigung des Krieges noch möglich sein könnte.
Ich glaube, dass allein diese Episode erlaubt, Parallelen zu dem zu finden, über das wir heute reden. Das Wachhalten der Erinnerung und die Möglichkeit, sich hilfesuchend an jemanden – den Landesbeauftragten – wenden zu können, ist unerlässlich. Das macht es auch zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer unumgänglich – so wie der Landesbeauftragte es auch ankündigt –, dass wir alle dafür eintreten, dass diese Arbeit fortgeführt werden kann.
Nochmals, Herr Gutzeit, weil Sie heute nicht anwesend sein können, von unserer Seite aus unseren herzlichen Dank für Ihre Arbeit! Unsere Unterstützung werden Sie weiterhin haben. – Vielen Dank!
Danke schön, Herr Kollege Hillenberg! – Für die CDUFraktion hat nunmehr der Kollege Scholz das Wort. – Bitte!
Geht es Ihnen genauso, sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren? In mir wurden beim Durcharbeiten des vorliegenden Tätigkeitsberichts Erinnerungen wach. Insbesondere durch die im Bericht geschilderten beispielhaften Einzelschicksale öffnen sich Bilder aus einer Zeit der Unfreiheit, des Unrechts und der ständigen Angst vor den allgegenwärtigen Greifarmen der Stasi. Bilder von zerstörten Existenzen, von Menschen, die durch psychologische Folter Frohsinn und Lebensfreude verloren. Zugegeben: Nicht alle Menschen in der ehemaligen DDR litten im gleichen Maße unter dem Druck des Unrechtssystems. Das ist aber kein Grund, den Unrechtsstaat DDR zu verharmlosen oder gar zu verleugnen.
Gerade die aktuellen Äußerungen führender Politiker aus dem linken Spektrum werfen die Frage auf, weshalb heute noch, zwanzig Jahre nach der friedlichen Revolution, bestimmte Verantwortungsträger und gesellschaftliche Gruppen so tun, als sei die DDR ein fast demokratischer Staat mit lediglich einigen Schönheitsfehlern gewesen. So hatte sich erst vor Kurzem der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, in der
„FAZ“ dagegen verwahrt, „die DDR als totalen Unrechtsstaat zu verdammen, in dem es nicht das kleinste bisschen Gute gab“. Niemand bestreitet, dass es in Zeiten von Diktatur und Gewaltherrschaft in persönlichen und zwischenmenschlichen Beziehungen auch positive Aspekte gab. Genau wie unsere Großväter hatten wir uns ja in der Diktatur eingerichtet, haben Nischen gesucht. Die Leistungsbereitschaft der Menschen brachte von Zeit zu Zeit private und berufliche Erfolgserlebnisse. Aber noch einmal: All das bestreitet ja niemand! Weshalb also redet man uns ständig ein, der kritische Umgang mit dem SEDRegime bringe ein ganzes Volk in Misskredit? Allen, die sich auf den Schlips getreten fühlen, wenn DDR-Unrecht beim Namen genannt wird, rufe ich zu: Lassen Sie sich nicht von linken Meinungsmachern auf die Leimrute führen! Lassen Sie sich nicht dazu bringen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen!
Es gehört auch zu den Aufgaben des Landesbeauftragten, der Geschichtsvernebelung, die Wolfgang Thierse pikanterweise „differenzierte Betrachtung“ nennt, durch Aufklärung entgegenzuwirken. Der Bericht nennt hier zahlreiche Aktivitäten.
Doch weder der Landesbeauftragte in Zusammenarbeit mit der Landeszentrale für politische Bildung noch die Verbände und ehrenamtlichen Initiativen können diese Last allein stemmen. Der Bildungsauftrag liegt beim Senat. Der rot-rote Senat hat die Pflicht dafür zu sorgen, dass die Geschichtsbücher nicht nach der Behandlung des Zweiten Weltkriegs zugeklappt werden. Was im Fünfzehnten Tätigkeitsbericht unter Kapitel 4 über die Aufarbeitung der DDR-Diktatur im Unterricht an Berliner Schulen berichtet wird, ist – mit Verlaub! – sehr diplomatisch formuliert. Tatsache ist, 50 Prozent der Schüler meinen, das Thema DDR würde im Unterricht zu kurz kommen. Gar 20 Prozent sagen, DDR-Geschichte werde in der Schule überhaupt nicht behandelt. Ein verheerendes Bild! Bei den verbleibenden 30 Prozent ist nicht klar, in welcher Qualität der DDR-Rückblick tatsächlich vermittelt wird. Vor wem, Herr Senator Zöllner, in der Linksfraktion haben Sie denn Angst, dass Sie nicht willens und in der Lage sind – er ist ja nicht da, vielleicht hört er es ja trotzdem –, hier gegenzusteuern?
Am Schluss noch der Hinweis – das wissen Sie ja ganz genau, Herr Brauer! –: Die Aufarbeitung des SEDUnrechts und der Stasi-Machenschaften ist kein alleiniges Ostthema. Wir wissen, es gab Menschen auf beiden Seiten des Brandenburger Tores, die dem Teufel ihre Seele verkauften. Das zeigt auch der aktuelle Fall Osuch. Nach Informationen der Birthler-Behörde muss davon ausgegangen werden, dass der Landesvorsitzende des Humanistischen Verbandes in übelster Weise in Stasi-Geflechte verstrickt war. Die CDU-Fraktion fordert den Senat hiermit auf, die Gutzeit-Behörde zu nutzen, um den Fall schnellstmöglich aufzuklären.
Es ist für uns unerträglich zu wissen, dass Herr Osuch selbst noch als Lehrer fungiert und den Verband leitet.
Wir erwarten auch vom Senat die Hinweise und Schlussfolgerungen zu den einzelnen Tätigkeitsfeldern des Landesbeauftragten ernst zu nehmen. Ich habe großen Respekt vor der Arbeit des Herrn Gutzeit und spreche ihm im Namen der CDU-Fraktion meinen Dank aus. Aber nicht zu vergessen – die Opferverbände, die sich immer stärkerem Gegenwind ausgesetzt sehen, von unverbesserlichen Altstalinisten und Stasi-Verbänden, die das Wort immer lauter erheben. Es darf an dieser Stelle noch keinen Schlussstrich geben! Wir haben Respekt vor all den Opfern und rufen auch den Opferverbänden zu: Bleibt stark und wehrt euch!
Danke schön, Herr Kollege Scholz! – Für die Linksfraktion hat nunmehr Frau Seelig das Wort. – Bitte schön!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu Ihnen habe ich als Linke in der Diktatur nicht bequem eingerichtet gelebt, wie Sie gerade erklärt haben. Ich habe mich auch dort gewehrt. Die Gelegenheit hätten auch Sie haben können.
Ich möchte allerdings mit zwei erfreulichen Nachrichten beginnen: Das ist einerseits die Tatsache, dass Martin Gutzeit erneut zur Weiterführung seines Amtes bestellt worden ist. Das soll und wird als Wertschätzung des rotroten Senats und der Regierungsfraktionen zu werten sein.
Andererseits ist es die Tatsache, dass nun, zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer, vermutlich auch Brandenburg einen Stasi-Beauftragten bekommen soll. Diese Aufgabe wurde bisher von unserem Landesbeauftragten miterledigt.
Wenn im zwanzigsten Jahr nach dem Mauerfall die Zahl der Anfragen auf dem Niveau der Vorjahre geblieben ist, dann zeigt das deutlich, dass der Spruch „Die Zeit heilt alle Wunden“ schon deshalb nicht zutrifft, weil gesundheitliche Folgeschäden nicht nur oft über Jahre nicht anerkannt wurden, sondern oftmals auch erst zu einem späten Zeitpunkt auftreten. Auch die Notwendigkeit der fortwährenden Nachbesserung der Rehabilitierungsgesetze – daran, dass das so ewig gedauert hat, ist die CDU nicht ganz unschuldig – schafft immer wieder Beratungsbedarf. Die 2007 in Kraft getretene Opferrente, die wir grundsätzlich begrüßen, führt im Jahr 2009 dazu, dass beispielsweise Ratsuchende, deren Antrag abgelehnt wurde, zu Martin Gutzeit und seiner Behörde kommen.
Wie bereits in den vergangenen Jahren beklagt, ist und bleibt das Verfahren der beruflichen Rehabilitierung besonders schwierig, denn aussagekräftige Unterlagen sind naturgemäß schwer beizubringen. Deshalb ist es hilfreich, wenn der Landesbeauftragte vielfach zwischen Antragstellern und Behörden vermittelt, denn wir wissen, dass die Gerichte in der Bundesrepublik teilweise sehr wenig über die Lebenswirklichkeit in der ehemaligen DDR, insbesondere von politischen Opfern, wissen.
Im Vorfeld des Gedenkjahres 2009 hat der Landesbeauftragte eine Reihe von Veranstaltungen, teilweise auch in Kooperation, angeboten und vorbereitet. Auch für Lehrerinnen und Lehrer gab es eine eigene Reihe. Das scheint mir besonders wichtig, weil es erschreckend ist, wenn eine Studie der Freien Universität Berlin zu dem Ergebnis kommt, dass etwa 60 Prozent der befragten Jugendlichen wenig oder kein Wissen über die Repressionen in der DDR haben. Wir können nur hoffen, dass sowohl gezielte Weiterbildung als auch die Veranstaltungen in diesem Gedenkjahr daran etwas ändern werden.
Auch die Akteneinsicht in die Stasi-Unterlagen geht in eine neue Runde und bedarf der Hilfestellung auch durch den Landesbeauftragten. So wird von vielen jungen Menschen berichtet, die selbst nicht mehr Opfer waren, aber Aufklärung über ihre Angehörigen wollen. – Wir teilen die Schlussfolgerung des Berliner Landesbeauftragten, dass neue Initiativen anzuregen, feste Strukturen zu etablieren und bestehende Einrichtungen weiter zu vernetzen sind. Dafür wünschen wir ihm – auch, wenn er heute nicht anwesend ist – für die kommenden Jahre viel Erfolg.
Danke schön, Frau Seelig! – Herr Scholz hat um eine Kurzintervention gebeten und erhält dafür das Wort. – Bitte schön!
Danke, Herr Präsident! – Frau Seelig! Erstens: Wenn Sie zu den Betroffenen gehören, stellt sich natürlich sofort die Frage, warum Sie in dieser Fraktion sind.
Zweitens: Es ging bei meinen Bemerkungen nicht um mein persönliches Schicksal. Ich bin hier nicht Abgeordneter, um Krokodilstränen über mein eigenes Schicksal zu weinen, sondern ich vertrete die Menschen, die unter anderem Opfer des SED-Regimes geworden sind.
Es ist an dieser Stelle völlig überflüssig, Einzelheiten aus meinem persönlichen Leben auszubreiten. Nur so viel: Ich durfte schon als Schüler Erfahrungen mit der Stasi ma