Protokoll der Sitzung vom 30.04.2009

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Sind Sie da ganz sicher?]

dann wäre das auch die Quittung für diesen Senat und seine jahrelange systematische Bereitung des Nährbodens für linke Subkulturen in dieser Stadt.

[Lars Oberg (SPD): Oh mein Gott!]

Rot-Rot trägt die Verantwortung für einen beispiellosen Niedergang in der Wertschätzung der freiheitlichdemokratischen Grundordnung unseres Staates und ist nicht willens und in der Lage, diese Demokratie wehrhaft gegen rechts und links zu schützen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Juhnke! – Für die Linksfraktion hat nun Herr Abgeordneter Wolf das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um das vorweg gleich klarzustellen: Wenn jemand – und sei er auch Mitglied meiner Partei – von faschistischem Korpsgeist bei der Berliner Polizei spricht, dann hat er keine Ahnung, weder vom Faschismus noch von der Berliner Polizei, das ist einfach gefährliches dummes Zeug.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Zuruf von Oliver Scholz (CDU)]

Es ist allerdings auch dummes Zeug, die Serie von angezündeten Autos in Verbindung mit den MaiDemonstrationen zu stellen, wie das CDU und FDP tun. Dafür gibt es keinerlei seriöse Anhaltspunkte.

Herr Juhnke, Herr Wansner! Ich finde das, was auf der 18-Uhr-Demo-Pressekonferenz zu Ihrem geplanten Stand auf dem Myfest gesagt wurde, bescheuert. Ich halte das aber auch eher für Prahlerei. Aber Sie wundern sich doch nicht wirklich, dass dieses Spektrum sich von Ihnen provoziert fühlt? – Sie beschimpfen sie seit Jahren aufs Heftigste, und zwar völlig egal, ob die was angestellt haben oder nicht. Und ganz ehrlich, Herr Wansner: Wenn die Sie einfach ignoriert hätten, hätte Sie das mehr geärgert, oder?

Ihren Stand hätten Sie übrigens bei den Organisatoren des Myfests anmelden müssen, weil sie das Sondernutzungsrecht für das Straßenland am 1. Mai haben, und nicht beim Polizeipräsidenten. Jetzt planen Sie ja, wie ich gehört habe, Ihre eigene Demo. Dem „Tagesspiegel“ war zu entnehmen, dass der Polizeipräsident das eventuell nicht genehmigen lassen will. Das finde ich übertrieben und nicht richtig, ebenso wie die Auflage für die MaydayParade, nicht durch die Friedrichstraße gehen zu dürfen.

[Benedikt Lux (Grüne): Endlich was zur Sache!]

Mit Auflagen und Demonstrationsverboten sollte man sehr zurückhaltend umgehen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Benedikt Lux (Grüne)]

Aber, Herr Wansner, da gilt für Sie das Gleiche wie für die anderen selbsternannten Revolutionäre: Immer schön friedlich bleiben, keinen Streit mit den Festbesuchern und der Polizei anfangen!

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Das Ermüdende an der Diskussion jedes Jahr vor dem 1. Mai ist, dass die Erkenntnisse aus der Auswertung des Vergangenen schon wieder verdrängt sind. Als wäre es der CDU, der FDP und den Springer-Medien und – niemals namentlich genannten – gut informierten Sicherheitskreisen zu langweilig, einen weitgehend friedlich verlaufenden 1. Mai zu erleben. Jeder Artikel wird mit dem einen, noch brennenden Müllcontainer garniert oder mit den Bildern aus den Achtziger- und Neunzigerjahren, statt mit den Bildern von Tausenden friedlich feiernden Menschen auf dem Mariannenplatz oder der O-Straße oder mit den Demonstrationen des DGB.

Der vergangene 1. Mai war der friedlichste seit 25 Jahren. Herr Juhnke, das können Sie einfach nicht bestreiten!

[Beifall von Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion)]

Die sogenannten revolutionären Demonstrationen waren friedlich, das Myfest war noch größer und stärker besucht als in den Vorjahren, und das, obwohl es auch da – wie übrigens immer – im Internet, auf Flugblättern und Plakaten martialische Aufrufe und Ankündigungen gegeben hat. Schon in den Jahren zuvor wurde der Nachweis geführt, dass die immer weniger werdende Randale nicht mehr im Zusammenhang mit einer der politischen Demonstrationen stand. Was danach passierte, passierte

durch meist alkoholisierte, erlebnishungrige Jugendliche nach Einbruch der Dunkelheit.

Es ist zweifellos so, dass die Wirtschaftskrise und das skandalöse Verhalten von Bankiers und Managern das soziale Klima nicht gerade befrieden. Die Warnungen von DGB-Chef Sommer und Frau Schwan vor sozialen Unruhen im Raum.

[Dr. Martin Lindner (FDP): Dummes Geschwätz!]

Selbstverständlich wird in sich polarisierenden politischen und sozialen Auseinandersetzungen der Ton rauer. Aber wo kommen wir denn hin, wenn jeder Protest, jede Demonstration unter Generalverdacht gestellt wird, gewalttätig zu werden, nur weil sie am 1. Mai in Kreuzberg oder in Mitte stattfindet oder weil ein paar junge Leute dicke Backen machen!

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Volker Ratzmann (Grüne)]

Das Demonstrationsrecht ist ein hohes Gut. Ich finde es nicht nur legitim, wenn Menschen es nutzen, ich finde es auch wertvoll für die Demokratie und das Gemeinwesen, wenn es genutzt wird. Ich muss nicht mit allem einverstanden sein, was da erzählt wird, aber ich finde es gut und vernünftig, wenn sich die Menschen in dieser Stadt mit dem Problem von Gentrifikation und Segregation auseinandersetzen, wenn der Skandal um die Kassiererin Emmely thematisiert wird, wenn kritisiert wird, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert werden. Ich finde es geradezu eine Pflichtaufgabe für jede Demokratin und jeden Demokraten, gegen Nazis zu demonstrieren, wo auch immer sie sich versammeln – nicht nur am 1. Mai, aber gerade am 1. Mai.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Deshalb kann ich nur aufrufen: Kämpfen Sie morgen zusammen mit dem DGB, dem rot-roten Senat und den Berliner Regierungsfraktionen für einen gesetzlichen Mindestlohn, und beeilen Sie sich dann, um zusammen mit dem Bündnis für Toleranz und Demokratie am Bahnhof Köpenick gegen die NPD zu demonstrieren! Genießen Sie am Nachmittag ein großes kulturell und politisch spannendes Myfest!

Keiner von uns, meine Damen und Herren, ist Hellseher oder „The next Uri Geller“, kann sein, dass morgen der 1. Mai nicht so gut läuft wie der letzte. Bisher spricht nichts dafür, aber das wissen wir erst hinterher. Die Gefährdungseinschätzung der Polizei ist exakt die gleiche wie im vergangenen Jahr. Aber selbst wenn die Vorzeichen andere wären, was wäre eigentlich die Alternative? – Das Konzept Kewenig/Schönbohm/Werthebach? Demonstrationsverbote, martialisch auftretende Polizei, Knüppel frei? Möglicherweise mal wieder ganz Kreuzberg absperren? Wer so an die Sache herangeht, muss nicht rätseln, ob es Randale gibt, die ist dann sicher. Den Beweis haben die früheren CDU-Innensenatoren erbracht.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Warum also sollten wir zu einem gescheiterten Konzept zurückkehren? – Uns fällt kein vernünftiger Grund ein. – Ich wünsche allen einen friedlichen 1. Mai.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Wolf! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Abgeordneter Lux das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich denke, es ist – nicht nur in diesem Haus – genug über Gewalt oder Gewaltfreiheit am 1. Mai gesprochen worden. Lassen Sie mich es versuchen zu tun, wie der Kollege Gaebler. Als Grüner ist es ein bisschen schwieriger, wir üben noch, die Nähe zur Arbeitertradition zu suchen. Das können wir nicht so gut und authentisch wie die vermeintlichen Sozialdemokraten, aber vielleicht können Sie davon auch noch etwas lernen, wenn es heute eine neue Identifikation der Grünen und des Parlaments mit dem Tag der Arbeit, mit dem 1. Mai gibt.

[Beifall bei den Grünen – Och! und Zurufe von der SPD – Gelächter von Dr. Martin Lindner – Uwe Doering (Linksfraktion): Sprechen Sie für Ihre Partei?]

Es lohnt sich gerade als Berliner, hier anzufangen und zu sehen, wie der 1. Mai entstanden ist, denn die internationale Dimension des 1. Mai darf uns nicht verloren gehen. Der 1. Mai ist Feiertag von Nordkorea bis Mexiko, gesetzlicher Feiertag. Gerade die genannten Länder haben an diesem Feiertag Solidarität verdient, gerade bei der bevorstehenden Pandemie, der Schweinegrippe, die in Mexiko ihren Ausgang genommen hat. Gerade an solch einem Tag sollten wir international denken, Solidarität zeigen. Wohlgemerkt, der 1. Mai wurde erfunden in den USA. Das wäre vielleicht auch noch mal eine Randnotiz für die Linken. Schönen Gruß an Oskar Lafontaine und die Antiamerikaner bei denen! Er wurde nämlich erfunden zur Durchsetzung des Achtstundentages. Das war eine Forderung des 1. Mai in den USA. Auch dieses Ursprungs gedenken wir morgen in internationaler Solidarität für den Tag der Arbeit.

[Beifall bei den Grünen]

Heute sind die Fragen andere, den Achtstundentag müssen wir ja nicht mehr so wirklich verteidigen, sondern wir müssen eigentlich gerade in diesen Tagen sehen: Wie können wir denn überhaupt noch einen Achtstundentag gewährleisten für die Menschen, die arbeiten wollen, die Ideen haben, und wie können wir auch Teilhabe für die sichern, die ohne Lohn am Leben teilhaben wollen? Wir Grünen haben dazu unseren Entwurf auf den Tisch gelegt. Es ist im Vorfeld des Wahlkampfs. Wir sagen, in dieser Zeit der Krise brauchen wir einen fundamentalen Neuan

fang, wir benötigen einen neuen grünen Gesellschaftsvertrag. Dafür möchte ich hier werben, gerade am Tag der Arbeit.

[Beifall bei den Grünen]

Wir müssen morgen den Menschen zeigen, den Menschen, die da feiern und arbeiten, dass wir alles tun, um den Tag der Arbeit einen Tag der Arbeit sein zu lassen und nicht einen Tag der Arbeitslosigkeit werden zu lassen. Die Zeichen dafür sind besorgniserregend. Deshalb glaube ich, dass es sich lohnt, die Sperenzchen gerade über die Gewaltdeutung von links und rechts sein zu lassen, sondern wir müssen zusammenstehen und alles dafür tun, damit die Menschen, die morgen und in den nächsten Wochen arbeiten, auch in Arbeit zu lassen.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Zu den Menschen, die morgen arbeiten, gehört die Berliner Polizei. Ihr Konzept ist gut, sie leisten dort einen Superjob. Natürlich machen sie auch Fehler, wie alle Menschen irgendwie Fehler machen. Es sind aber auch die Menschen, die ein Gewerbe betreiben, morgen auf dem Mariannenplatz, diejenigen, die sich einen Euro dazu verdienen wollen. Es sind Menschen, die ihre Freizeit opfern, um gegen die NPD zu demonstrieren. Hier darf ich mich dem Aufruf anschließen und alle Berlinerinnen und Berliner bitten, morgen nach Köpenick zu gehen, um dort gegen die NPD zu demonstrieren.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Natürlich sind es auch die Gewerkschaften, die morgen einen Tag der Arbeit organisieren, der Arbeit bedeutet und nicht Arbeitslosigkeit. Das sollten wir in erster Linie würdigen und nicht die Gewaltexegese.

Ich erwarte von den Sozialdemokraten hier im Haus, dass sie nicht nur die Arbeit selbst würdigen und die Würde der Arbeit herausstellen, ich erwarte von ihnen, dass sie unser Allgemeingut verteidigen und dass sie das intensiver tun, als sie das bisher getan haben.

[Zuruf von Stefan Zackenfels (SPD)]

Gerade in Friedrichshain-Kreuzberg, das ja ein grünes Bezirksamt hat und erfolgreiche Arbeit macht, finden die spannenden gesellschaftlichen Debatten statt, die man sich ansehen muss und wo auch gerade Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten als Arbeiterpartei gefordert sein sollten, unsere öffentlichen Güter zu verteidigen, öffentliche Räume zu verteidigen und natürlich bezahlbare Mieten zu verteidigen.

[Zurufe von der SPD]

Der Innensenator macht den geordneten Rückzug von Linksautonomen, statt zu diskutieren, der grüne Bürgermeister fordert Mietpreisobergrenzen. Das ist die sachliche Auseinandersetzung mit den Menschen, die sich den Kampf gegen die Gentrifizierung auf die Fahnen schreiben. Diese Auseinandersetzung müssen wir führen! Aber momentan halten wir Grünen z. B. für Mediaspree den

Kopf hin. Da macht sich die Senatorin vom Acker. Bei Mietpreisen macht sich die Senatorin auch vom Acker. Das Ganze ist auch noch in einer SPD-geführten Bundesregierung so. Ich glaube, Sie als vermeintliche Arbeiterpartei lassen Ihre Kernklientel, die Menschen, die Arbeit haben, die Menschen, die wenig verdienen, ganz schön allein und lassen uns Grüne, als diejenigen, die traditionell noch nicht ganz so nah dran sind, ganz schön im Regen stehen. Auch dabei darf ich Sie, meine Damen und Herren, zu mehr Solidarität auffordern!