Sicherlich gibt es auch andere Themen, andere Vorstellungen darüber, was aktuell ist – man sieht es an den unterschiedlichen Anträgen zur Durchführung einer Aktuellen Stunde. Wir bestreiten nicht, dass die A 100 ein sicherlich vielen in dieser Stadt auf den Nägeln brennendes Thema ist. Wie sich das mit der Begründung angelassen hat, haben wir allerdings Zweifel, worauf dies hinausläuft, und bleiben weiterhin dabei, dass unser Thema das aktuellere ist.
Es gilt auch zu diesem Zeitpunkt, die rot-rote Politik – bezogen auf Europa – mal wieder zu hinterfragen: Was passiert denn hier? Es ist sehr schön, wenn wir überall in der Stadt diese hübschen Schilder finden: Gefördert mit Mitteln des ESF oder EFRE. Das ist aber nicht alles; wir müssen aktiv unseren eigenen Teil dazu beitragen, wie sich Europa entwickelt.
Berlin könnte zum Beispiel dem Bürgermeisterkonvent für Klimaschutz beitreten – 415 europäische Großstädte haben das bereits getan. Dazu fehlt uns allerdings der
Klimaschutz-Aktionsplan – darüber könnten wir hier z. B. reden. Offensiv für ein Europa des Klimaschutzes streiten, würde für Berlin genau so etwas bedeuten, und dies würden wir hier gerne diskutieren.
Soziale Gerechtigkeit ist für eine Stadt wie Berlin ein aktuelles Thema, ein horrend wichtiges Thema.
Auch dazu sollten wir darüber diskutieren, wie wir uns als Berliner Parlament dazu positionieren. Wenn ich mir anschaue, welche Forderungen derzeit in der Stadt plakatiert werden, so finde ich nicht sehr viele Inhalte. Es ist aber wichtig, dass wir über Wirtschaft und Umwelt und darüber reden, das Ganze menschlich und sozial umzusetzen – was ist für uns soziale Gerechtigkeit in diesem Zusammenhang? Dazu gehören z. B. gleiche Löhne, Antidiskriminierung – das kann man sich auch noch einmal aus der Berliner Perspektive anschauen, nicht umsonst haben wir die Änderung des Landesgleichstellungsgesetzes auf die Tagesordnung gesetzt. Die Antidiskriminierungsrichtlinie kommt übrigens auch von europäischer Ebene und ist so ein Punkt, wo Europa gut für Berlin ist, das kann man auch mal wieder feststellen!
Wir wollen offensiv für ein Europa der neuen Arbeitsplätze und der Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerrechte streiten. Es gibt seit langem eine Diskussion darüber, wie die Rechte von Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen, die Frage von Mindestlohn, von Beteiligungsrechten bei transnationalen Unternehmen auf europäischer Ebene geregelt sind und wie das mit den Grundfreiheiten auszubalancieren ist, die unser Wirtschaftsleben regeln. Für zu viele Leute ist die europäische Union in der Wahrnehmung immer noch ausschließlich eine Wirtschaftsgemeinschaft. Die EU ist längst viel mehr, und auch das sollten wir auf Berliner Ebene heute thematisieren.
Dementsprechend schlagen wir Ihnen vor, heute über unsere Offensive für Europa zu reden, darüber, wie sich Berlin aufstellt. Wir werden im Rahmen der Prioritäten das Thema Europa noch einmal haben, und ich merke bereits schon jetzt an, dass ich hoffe, dass jenseits aller Differenzen, die zwischen uns bestehen, heute – auch wenn unser Thema nicht zur Aktuellen Stunde wird – ein Signal von diesem Parlament ausgeht: dass es sich lohnt, für und um Europa zu streiten, dass es sich lohnt, zur Wahl zu gehen und – dem Appell möchte ich mich anschließen – eine demokratische Partei zu wählen. – Danke!
Danke schön, Frau Kollegin Schillhaneck! – Für die Fraktion der FDP hat nunmehr der Kollege Dragowski das Wort. – Bitte schön, Herr Dragowski!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Europawahlen stehen vor der Tür, wir haben es schon gehört. Gerade jetzt wollen die Berlinerinnen und Berliner wissen, was wir in der Berliner Landespolitik für Europa tun, was der Berliner Senat tut, und deshalb beantragen wir diese Aktuelle Stunde und bitten um Zustimmung.
Ich denke, wir sind uns einig in der Auffassung, dass die stärkste Vertretung in Brüssel – oder die Personen, die es am stärksten gewährleisten können – die Berliner Senatsmitglieder sind: unser Regierender Bürgermeister, Klaus Wowereit, die Senatorinnen und Senatoren. Wenn Sie sich jedoch anschauen, wie es mit der Präsenz der Senatsmitglieder in Brüssel aussieht, stellen Sie ziemlich schnell fest, dass es damit traurig aussieht. Der Berliner Senat lässt sich leider kaum in Brüssel blicken, Herr Regierender Bürgermeister. Auch darüber müssen wir hier einmal sprechen.
Ein weiterer Punkt, den wir seit Monaten, ja seit Jahren kritisieren, ist die Europafähigkeit der Berliner Verwaltung. Unstreitig ist, dass es diesbezüglich immer noch kein vernünftiges und umsetzbares Personalkonzept gibt.
[Martina Michels (Linksfraktion): Sie haben den falschen Tagesordnungspunkt, es geht um die Begründung der Aktualität!]
Die Resonanz, Frau Michels, in den Bezirks- und Senatsverwaltungen ist nicht so groß, wie wir es uns vorstellen. Es kann nicht gewährleistet werden, dass man europanah eingesetzt wird, wenn man in Brüssel war. Somit fehlen die Anreize für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner Verwaltung. Hier muss der Senat aktiv werden. Tun Sie etwas, Herr Regierender Bürgermeister, für die Europafähigkeit der Verwaltung!
Des Weiteren geht es auch um das Europaengagement des Senats. Der Senat rühmt sich seiner Aktivitäten im Bundesrat, er spricht über Initiativen zum Mindestlohn, zur Absicherung einer europarechtskonformen Entgeltregelung bei öffentlichen Auftragsvergaben, er rühmt sich des Engagements für eine europäische Betriebsräterichtlinie. Aber sind das die Punkte, die für uns Berlinerinnen und Berliner wichtig sind?
Ihre Forderung, lieber Herr Regierender Bürgermeister, auf der Bundesebene nach Mindestlohn und Ähnlichem führt zu Bürokratie, Wettbewerbsverzerrung und schließlich Ineffizienz. Mit solch einer Europapolitik des Berliner Senats gefährden Sie Wachstum und Jobs in Berlin.
Wir Liberale sehen kein Engagement des Senats für Bürokratieabbau in Europa. Wir sehen kein Engagement des Senats gegen Wettbewerbsverzerrung. Wir sehen kein Engagement des Senats für den Abbau von Barrieren des Binnenmarktes und – wie wir in der letzten oder vorletzten Plenardebatte gesehen haben – kein Engagement für die Arbeitsnehmerfreizügigkeit. Stattdessen sehen wir rotrote Klientelpolitik. Wie erfolgreich Sie mit Ihrer Forderung nach einem sozialen Europa sind, können wir uns gern ansehen. Seit Kurzem liegt eine Studie mit dem Titel „Wie sozial ist Europa“ von Berlinpolis vor. Bei dem Thema Jobchancen für Geringqualifizierte, Frau Senatorin Knake-Werner, liegt Deutschland auf dem drittletzten Platz in Europa, beim Thema Langzeitarbeitslosigkeit liegt Deutschland auf dem drittletzten Platz, und auch beim Thema Schülerleistung und sozioökonomischer Hintergrund liegt Deutschland auf dem drittletzten Platz in Europa. Meine Damen und Herren des Senats! Wenn Sie Europa sozialer gestalten wollen, fangen Sie hier in Berlin bei der Arbeits- und Bildungspolitik an und schieben Sie nicht alles auf Europa und delegieren Sie nicht die Verantwortung!
Eine weitere wichtige Frage ist für uns von der FDP, wie Berlin seine Chancen in Europa nutzt. Wir liegen nah an Mittel- und Osteuropa, am Baltikum, an Südosteuropa. Aber man muss feststellen, dass die daraus erwachsenden Chancen gar nicht genutzt werden. Kein Lobbying, keine Präsenz des Senats in Tschechien, kaum in Polen, kaum im Baltikum, schon gar nicht in Südosteuropa – Kroatien, Serbien oder Bosnien. Wir Liberale fordern seit Langem beispielsweise ein Verbindungsbüro in Warschau bei der polnischen Zentralregierung, um neben der Oderpartnerschaft auch mit der polnischen Zentralregierung engen Kontakt aufzubauen – zum Wohle Berlins und zum Wohle der Berlinerinnen und Berliner. Das aber, Herr Senator Wolf, fehlt immer noch. Noch können Sie sich dafür einsetzen, dass wir unsere Chancen in Europa nutzen, und das sollten Sie auch tun.
Wenn wir uns ansehen, wie der Senat bei den Beitrittskandidaten für ein Engagement in Berlin, für ein Berlin in Europa wirbt, stellen wir fest, dass der Mindestlohn vor Arbeitnehmern aus den Beitrittsländern schützt. Weiter haben Sie durch Unterlassen dafür gesorgt, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit weitere zwei Jahre verlängert wird und gehen damit einen Sonderweg des Protektionismus, der in Europa fast einzigartig ist.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Wenn wir Rechte für Berlin in Europa fordern, dann sind wir auch verpflichtet, als Land Berlin Europa mitzugestalten. Gerade deshalb wollen wir mit Ihnen und dem Senat über Ihre europapolitischen Visionen sprechen und Ihren Wunsch, wie Sie Europa gestalten wollen. Dazu haben wir in diesem Haus bislang leider wenig gehört. Stimmen Sie deshalb unserem Antrag auf Durchführung der Aktuellen Stunde zum wichtigen Thema Europa zu! – Vielen Dank!
Ich lasse über das Thema der heutigen Aktuellen Stimmen abstimmen. Zuerst über das Thema der Koalitionsfraktionen. Wer diesem Antrag seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. – Danke! Die Gegenprobe! – Das sind die CDU und die FDP. Ersteres war die Mehrheit. Damit ist das so beschlossen. Enthaltungen? – Bündnis 90/Die Grünen. Danke schön! Die anderen Themen haben damit ihre Erledigung gefunden.
Ich weise Sie auf die Konsensliste sowie das Verzeichnis der Dringlichkeiten hin, die Ihnen jeweils vorliegen. Ich gehe davon aus, dass allen eingegangenen Vorgängen die dringliche Behandlung zugebilligt wird. Sollte dies im Einzelfall nicht der Fall sein, bitte ich um entsprechende Mitteilung.
Von den Senatsmitgliedern sind heute entschuldigt: Senator Dr. Zöllner ganztägig, weil er an der Sitzung des Wissenschaftsrats teilnimmt und Senator Dr. Nußbaum wird ab ca. 18.00 Uhr anwesend sein. Bis dahin ist er bei der Finanzministerkonferenz in Saarbrücken.
Ich schlage Ihnen vor, die Fragen Nr. 6 und Nr. 8 zum Thema Roma-Familien aus Rumänien miteinander zu verbinden. – Widerspruch dazu höre ich nicht, dann ist das so beschlossen.
Wie bitte? – Mir ist aufgeschrieben worden, es seien die Fragen 6 und 8. Sind es die Fragen 6 und 10? – Frage Nr. 10 sei ein anderes Thema, höre ich. Ja, da geht es um das Haus Bethanien. Es werden die Fragen Nr. 6 und 8 miteinander verbunden.