Protokoll der Sitzung vom 25.06.2009

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion der Grünen hat der Abgeordnete Mutlu.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Blick auf die rechte Seite des Hauses Richtung CDU und FDP, kann ich nur sagen: Kollegen! Etwas mehr Sachlichkeit und etwas mehr Studium der Unterlagen würde dieser Debatte gut tun. Unsere Position zu diesem Thema ist klar. Wir wollen die Reform des Berliner Schulsystems. Wir wollen längeres gemeinsames Lernen, mehr individuelle Förderung, mehr Chancengleichheit. Deshalb haben wir diese Reform nicht nur mit angestoßen, sondern haben auch die bisherigen Pläne des Senators unterstützt, auf zwei Wegen zum Abitur zu kommen, weg von dem extrem selektiven und mehrgliedrigen Schulsystem als Schritt zu mehr gemeinsamem Lernen, am besten flächendeckend. Das ist das richtige Konzept. Deshalb finden wir nahezu alle Punkte dieses Antrags der Koalition richtig.

Wir finden aber nur nahezu alle Punkte dieses Antrags richtig. Da gibt es zwei unscheinbare Spiegelstriche, die für uns auf keinen Fall akzeptabel sind. Das betrifft zum einen das Probejahr, zum anderen die Möglichkeit des

Steffen Zillich

Sitzenbleibens am Gymnasium. Warum lehnen wir diese Selektionsinstrumente ab? – Wir lehnen sie ab, weil sie die Fortführung des bisherigen höchst selektiven Systems sind und weil sie das Gymnasium gegenüber der Sekundarschule, für deren Erfolg die Gleichwertigkeit sehr wichtig ist, privilegieren, weil sie die Sekundarschule wegen dieser Möglichkeit des Abschulens und wegen der Möglichkeit des Sitzenbleibens zum Auffangbecken für Schüler degradieren, die am Gymnasium, warum auch immer, gescheitert sind.

Wir sagen, das dies dem Kernanliegen der Reform widerspricht: Das ist die Gleichwertigkeit der beiden Schultypen. Für uns macht sich Gleichwertigkeit nicht nur daran fest, dass beide Schulformen zum Abitur führen, die eine Schule in einem kürzeren, die andere in einem längeren Zeitraum. Für uns macht sich die Gleichwertigkeit daran fest, dass beide Schulen gleich behandelt werden. Das ist hier nicht der Fall.

[Beifall bei den Grünen]

In Konsequenz passiert Folgendes, denn Gymnasiallehrer sind auch nur Menschen: Statt sich der Probleme der Schüler anzunehmen, entledigt man sich der Problemkinder, indem festgestellt wird, dass dieses Kind falsch auf der Schule ist und nicht dorthin gehört. Das wollen wir alle abschaffen. Das wollen wir Grüne nicht.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein! – Das wollen die Linken nicht. Das will auch die Sozialdemokratie nicht. Das haben wir seit Jahren immer wieder in unseren Programmen festgeschrieben. Wir müssen weg von diesen Selektionsinstrumenten aus der Kaiserzeit.

Wenn ich meinen Kollegen von den Linken und von der SPD zuhöre, sagen beide Seiten unisono, sie hätten Kröten schlucken müssen. Die einen sagen, sie müssten die Kröte Probejahr schlucken, die anderen sagen, sie müssten die Kröte Losverfahren schlucken. Liebe Kollegen! Dafür gibt es eine Lösung: Wir haben einen Änderungsantrag vorgelegt, damit Ihnen diese Kröten nicht im Hals stecken bleiben. Stimmen Sie unserem Änderungsantrag zu! Verzichten Sie auf das Probejahr! Verzichten Sie auf das Sitzenbleiben in Gymnasien!

Herr Kollege! Darf ich noch einmal feststellen: Sie wollen keine Zwischenfragen?

Keine Zwischenfragen! – Verzichten Sie auf diese beiden Selektionsinstrumente, und sorgen Sie dafür, dass diese beiden Schulformen gleichwertig sind! Wir haben noch

Zeit, wir können im Gesetzgebungsverfahren nach vernünftigen Lösungen suchen, nach Lösungen, die gerichtsfest sind, was Zugangskriterien anbetrifft, nach Lösungen, die auch vernünftig sind. Ich bin dafür, dass man gegebenenfalls sogar eher strengere und gerichtsfeste Lösungen beim Zugang schafft, als dass man Selektionsinstrumente wie Probejahr und Sitzenbleiben als systemische Fehler in diese neuen Schultypen einbaut.

[Beifall bei den Grünen]

Für uns sind diese beiden Instrumente nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems, deshalb möchten wir, dass sie abgeschafft werden.

Und nun zu den Protesten von heute früh! Wir finden es richtig, dass die Sekundarschule so ausgestattet wird, wie es jetzt geplant ist, nämlich mit mehr Sprachfördermitteln, weniger Wochenarbeitsstunden für die Lehrkräfte und kleineren Klassenfrequenzen.

Herr Kollege! Sie sind am Ende Ihrer Redezeit!

Aber wir können nicht nachvollziehen, warum das, was für die Sekundarschule gut ist, nicht auch für die Grundschule gelten sollte. Deshalb finden wir den Protest von heute früh richtig. Tun Sie den Grundschulen dasselbe Gute an, was Sie der Sekundarschule antun, nämlich mehr Personal und mehr materielle Mittel, damit die Grundschule als Vorstufe der Sekundarstufe erfolgreich sein kann!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung des FDPAntrags Drucksache 16/2505 an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie sowie an den Hauptausschuss. – Dazu höre ich keinen Widerspruch.

Wir kommen jetzt zu den Abstimmungen, zunächst zum CDU-Antrag Drucksache 17/1791. Der Ausschuss empfiehlt mehrheitlich gegen CDU bei Enthaltung der FDP die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der CDU. Wer ist gegen diesen Antrag? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der Grünen. Ich frage nach Enthaltungen. – Bei Enthaltung der FDP ist der Antrag abgelehnt.

Auch zum weiteren CDU-Antrag, Drucksache 16/2171, wird die Ablehnung empfohlen, und zwar gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen der Grünen, der CDU und der FDP. Wer ist dagegen? – Das sind die Koa

Özcan Mutlu

litionsfraktionen. Enthaltungen? – Sehe ich nicht. Damit ist auch dieser Antrag abgelehnt.

Zum Antrag von SPD und Linksfraktion Drucksache 16/2479 zur Schulstruktur lasse ich zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer dem Änderungsantrag Drucksache 16/2479-1 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion der Grünen. Wer ist dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen und die Fraktion der FDP. Wer enthält sich? – Die Fraktion der CDU! Dann ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.

Zum Ursprungsantrag der Koalitionsfraktionen empfehlen die Ausschüsse mehrheitlich gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen die Annahme mit einer Änderung. Wer so gemäß den Drucksachen 16/2479 und 16/2535 beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer ist dagegen? – Das sind die Oppositionsfraktionen. Damit ist das so beschlossen.

Ich rufe auf die

lfd. Nr. 4 e:

Beschlussempfehlung

Stellungnahme des Senats zum Bericht des Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit für das Jahr 2007

Beschlussempfehlung InnSichO Drs 16/2467 Vorlage – zur Kenntnisnahme – Drs 16/1629

Das ist die Priorität der SPD unter der lfd. Nr. 10.

Für eine kurze Stellungnahme erteile ich als Erstes dem Datenschutzbeauftragten, Herrn Dr. Dix, das Wort. – Bitte, Herr Dr. Dix!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ihnen liegen heute die Beschlussempfehlungen des Ausschusses für Inneres, Sicherheit und Ordnung vor, die der Unterausschuss Datenschutz und Informationsfreiheit vorbereitet hat. Dessen Mitglieder haben parteiübergreifend Position zu Themen aus dem Jahresbericht 2007 bezogen, zu denen Meinungsunterschiede mit dem Senat bestanden. Erneut hat sich gezeigt, wie wichtig der parlamentarische Rückhalt für die Arbeit des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist. Ich danke deshalb allen Abgeordneten für ihre Unterstützung, die in diesen Beschlussempfehlungen zum Ausdruck kommt. Sie betreffen mehrere Situationen, in denen wir vom Senat eine frühere Beteiligung bei IT-Projekten erwarten, aber auch die bisher unzureichend legitimierte Zuverlässigkeitsüberprüfung bei Großereignissen wie der Leichtathletik-Weltmeisterschaft, der Umgang mit Meldedaten oder die nach dem Informationsfreiheitsgesetz vorgeschriebene Veröf

fentlichung von Aktenverzeichnissen sind Gegenstand dieser Empfehlungen.

Erlauben Sie mir aus aktuellem Anlass eine Bemerkung zum Verhältnis zwischen dem Datenschutz und ehrenamtlicher Tätigkeit! Dieses wurde bis vor kurzem im Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins kontrovers diskutiert. In zwei Bezirken sind ehrenamtliche Mitarbeiter in öffentlichen Bibliotheken tätig. So begrüßenswert es sein mag, dass Bibliotheken, die sonst von der Schließung bedroht wären, dank ehrenamtlichem Engagement weiterbetrieben werden können, so klar ist auch, dass dies nur im Einklang mit den Bestimmungen des Datenschutzrechts möglich ist. Bibliotheken unterscheiden sich insoweit nicht von anderen öffentlichen Stellen wie Gesundheitsämtern oder Jobcentern. Wer sie als Bürger aufsucht, kann darauf vertrauen, dass er seine Daten nur fest angestellten Dienstkräften des Landes oder der Bezirke offenbart. Es besteht deshalb Einvernehmen mit dem Bibliotheksverbund, dass ehrenamtlich in Bibliotheken Tätige keinen berlinweiten Zugriff auf Daten über Nutzer und ihre Lesegewohnheiten erhalten dürfen. Bis zur Umstellung der Software, die erst im nächsten Jahr möglich ist, muss dies in den betroffenen Bibliotheken organisatorisch sichergestellt werden. Das kann, wie offenbar jetzt geplant, zum Beispiel dadurch erfolgen, dass den ehrenamtlichen Mitarbeitern hauptamtliche zur Seite gestellt werden, denen der Zugriff auf die Nutzerkonten vorbehalten ist.

Als ich vor einem Jahr an dieser Stelle angesichts der Datenskandale beim Lebensmitteldiscounter Lidl und bei der Deutschen Telekom davon sprach, dass der Datenschutz in aller Munde sei, war noch nicht bekannt, dass die Deutsche Bahn ihre Mitarbeiter und Außenstehende über Jahre systematisch mehrfach heimlich ausgespäht hat. Zur Korruptionsbekämpfung und Aufklärung von Geheimnisverrat schien diesem Unternehmen nahezu jedes Mittel recht. Zeitweise entstand der Eindruck, dass das Unternehmen sich einer unabhängigen Aufklärung dieser Vorgänge durch die zuständige Aufsichtsbehörde, den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, entziehen wolle. Mittlerweile, nach grundlegenden Veränderungen im Unternehmensvorstand, bin ich zuversichtlicher, dass wir unsere Aufgabe der unabhängigen Datenschutzkontrolle auch bei diesem Konzern, dem größten Arbeitgeber in Berlin, wenn nicht sogar in der Bundesrepublik, ungehindert erfüllen können.

[Allgemeiner Beifall]

Dabei müssen wir nicht nur Rechtsverstöße in der Vergangenheit ahnden, sondern vor allem – und das ist mir besonders wichtig – den Konzern zu einer grundlegenden Änderung seiner internen Abläufe hin zu einer datenschutzgerechten Unternehmenskultur bewegen. Daneben hat der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn zwei Anwaltskanzleien und ein Wirtschaftsprüfungsunternehmen als Sonderermittler beauftragt, die für ihre Untersuchungen Personal im doppelten Umfang des gesamten Personals meiner Dienststelle eingesetzt haben. Die unabhängige Datenschutzkontrolle ist aber nach dem Gesetz primär

Vizepräsident Dr. Uwe Lehmann-Brauns

Aufgabe meiner Behörde. Dieser Aufgabe kann sie nur nachkommen, wenn ihr Personal bei den kommenden Haushaltsberatungen angemessen verstärkt wird. Denn die Deutsche Bahn ist – da bin ich mir ganz sicher – nur die Spitze des Eisbergs.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Ich bitte Sie insofern schon jetzt, an dieser Stelle, um Ihre Unterstützung.

Auch der Bundesgesetzgeber ist aufgerufen, durch die baldige Verabschiedung eines Arbeitnehmerdatenschutzgesetzes dafür zu sorgen, dass Unternehmen ihre Beschäftigten nicht zu informationellem Freiwild machen können. ich erwarte, dass der Senat nach der Bundestagswahl hierzu Initiativen im Bundesrat ergreift, und bitte Sie, auch dieses Anliegen zu unterstützen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Allgemeiner Beifall]

Vielen Dank auch vom Präsidium! – Nun hat die Vorsitzende des Unterausschusses Datenschutz und Informationsfreiheit das Wort. – Bitte schön, Frau Seelig!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Dix! Ich bin den Fraktionen ausgesprochen dankbar, dass sie sich dem Votum ihrer Vertreterinnen und Vertreter im Unterausschuss „Datenschutz und Informationsfreiheit“ angeschlossen haben, dass zu der von Dr. Dix vorgestellten gemeinsamen Beschlussempfehlung nur die Vorsitzende dieses Ausschusses noch einmal Stellung nimmt und wir auf die Fraktionsrunde verzichten. Wie ich finde, macht das nämlich deutlich, dass alle Parteien in diesem Ausschuss das Ziel verfolgen, Datenschutz und Informationsfreiheit gegenüber den Verwaltungen zu stärken und zugunsten von gemeinsamen Voten auf Kampfabstimmungen für die Beschlussempfehlung zu verzichten. Das bedeutet ja nicht, dass wir über andere Anträge nicht kontrovers diskutieren und auch unterschiedliche Abstimmungsergebnisse haben und dass diese Debatten auch hier im Plenum geführt werden.

Doch hier geht es um den jährlichen Bericht des Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, der Stellungnahme des Senats dazu und der Bewertung durch den Ausschuss. Da sind wir wie in den vergangen Jahren auch zu einem einstimmigen Beschluss gekommen. Deshalb will ich auch auf den von Ihnen jetzt angesprochenen Punkt Bibliotheken und Ehrenamt nicht eingehen, weil es sicher ein eigenes Thema wäre. Nur so viel: Datenschutz darf Ehrenamt nicht verhindern, sondern man muss gemeinsam nach Lösungen suchen.

[Benedikt Lux (Grüne): Hört, hört!]