Dann habe ich mit sehr großer Genugtuung heute zur Kenntnis genommen, dass der Innensenator zugesagt hat, nicht nur die Stasi-Vergangenheit der Berliner Polizei aufzuklären und das mit wissenschaftlicher Begleitung zu finanzieren, sondern auch darüber hinaus – und das sage ich hier in aller Anerkennung für die Zusage des Innensenators – alle weiteren Auswirkungen auf weitere Behörden insbesondere die Senatsverwaltungen und nachgeordnete Landesbehörden im Rahmen einer umfassenden wissenschaftlichen Aufarbeitung zu klären und dafür auch die Finanzierung sicherzustellen. Dass ist es, was auch wir, die FDP-Fraktion, mit diesem Antrag einfordern.
Es geht uns darum, im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung festzustellen, wie viele ehemalige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes in den Senatsverwaltungen, in den nachgeordneten Landesbehörden tätig waren, wie viele auch heute noch in dem gehobenen oder höheren Dienst beschäftigt sind, welche Entscheidungs- und Einflussbefugnisse diese Personen hatten und auch heute noch haben. Aber letztlich interessiert uns auch, wie viele Mitglieder des Abgeordnetenhauses in den jeweiligen Legislaturperioden Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes waren.
Uns ist es ganz wichtig, dass es dabei nicht darum geht, Menschen zu kriminalisieren, sondern es geht uns darum, einen Erkenntnisgewinn zu erzielen, einen Erkenntnisgewinn über uns, über unsere eigene Geschichte und auch über unsere Verantwortung im Rahmen dieser Geschichte.
Gleichzeitig soll der Senat ein weiteres Forschungsprojekt auflegen, mit dem die Auswirkungen dieser StasiSpionage auf Westberlin und auf die Bundesrepublik Deutschland geklärt werden, so weit diese Spionagetätigkeiten im Land Berlin stattgefunden haben.
Ich habe mich außerordentlich über die Zusage des Senats vom heutigen Tag gefreut. Sie hat mich, muss ich
zugeben, überrascht. Ich denke aber, wir sollten die Chance nicht verpassen, dem Senat mit diesem Antrag auch die Rückendeckung des Parlaments für diese wichtige Aufgabe zu geben.
Vielen Dank für den Hinweis, Herr Präsident! – Und deswegen bitte ich Sie nach einer hoffentlich konstruktiven Ausschussberatung um Zustimmung zu diesem Antrag. – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der aktuelle Fall des Karl-Heinz Kurras hat einen Tatbestand in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt, dem lange nicht konsequent genug nachgegangen wurde. Das sehe ich, Herr Jotzo, genauso. Da haben Sie recht.
Das Kapitel der deutschen Geschichte, inwieweit die Staatssicherheitsbehörden Institute und Parlamente der Bundesrepublik unterwandert bzw. beeinflusst haben, ist bis auf sporadische Erkenntnisse weitgehend unerforscht. Eine systematische Beschäftigung mit diesem Teil der Geschichte finde ich jedoch spätestens 20 Jahre nach dem Mauerfall längst überfällig. Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt lassen, dass ich es mir gewünscht hätte, wenn der Einfluss der Staatssicherheit auf den öffentlichen Dienst, Behörden und Parlament des Westteils der Stadt zu einem Zeitpunkt untersucht worden wäre, als die Regelanfrage im Osten der Stadt Voraussetzung dafür war, dass man im öffentlichen Dienst weiterbeschäftigt wurde.
Dies ist nicht geschehen. Eine solche Regelanfrage heute nachträglich für alle Ehemaligen und derzeit Beschäftigten einzuleiten, halte ich allerdings nicht unbedingt für sehr sinnvoll.
Ebenso meine ich, die Erforschung der Zusammenarbeit mit der Staatssicherheit sollte sich nicht allein auf die Berliner Polizei fokussieren. Den Vorschlag, die Formen der Unterwanderung aller Westberliner Einrichtungen und Behörden durch die Stasi mittels einer wissenschaftlichen Untersuchung zu erforschen, halte ich für ein
wünschenswertes und notwendiges Unterfangen. Da folge ich Ihnen, Herr Jotzo – ich hätte es einfach zu Protokoll geben können. Ich habe da sehr viel Übereinstimmung mit dem, was Sie gesagt haben.
Ebenso bin ich sehr froh über die Position des Berliner Senats und begrüße sie ausdrücklich. Ich darf hier Senator Körting zitieren:
Der Fall Kurras zeige aber, dass es Defizite bei den historisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen gebe, inwieweit die Stasi damals versucht habe, Einfluss auf Westberlin und die gesamte Bundesrepublik zu nehmen. Er
habe deshalb beim Berliner Stasi-Beauftragten Martin Gutzeit angeregt, ob diese Frage Gegenstand wissenschaftlicher Erforschungen sein könnte. Das koste sicherlich Geld,
Ich bin übrigens überzeugt, dass die Staatssicherheit der DDR wohl sehr effektiv Mitarbeiter und Spitzel anwerben und im Westteil der Stadt platzieren konnte. Aber von einzelnen, sehr tragischen Schicksalen, die die Staatssicherheit verantworten muss, abgesehen, konnte sie den demokratischen Alltag westdeutscher und Westberliner Strukturen nicht nachhaltig stören. Das sei auch einmal festgehalten. Sie wusste zwar viel, aber es hat ihr manchmal gar nichts genutzt.
Unabhängig davon stehen wir aber moralisch in der Pflicht, allen Anhaltspunkten einer Zusammenarbeit von Menschen nachzugehen, die mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet haben, denn sie haben Vertrauen und Verantwortung missbraucht, haben Menschen geschadet und sich durch Geheimnisverrat bereichert. Es sei in diesem Zusammenhang auch daran erinnert, dass im Ostteil der Stadt selbst Putzfrauen entlassen wurden, wenn sie im öffentlichen Dienst arbeiteten und ihnen nachgewiesen werden konnte, dass sie für die Staatssicherheit gearbeitet haben. In einer Stadt mit einer langen gemeinsamen Geschichte und mit einer gemeinsamen Zukunft kann es nicht sein, dass ein und der gleiche Tatbestand eine unterschiedlich intensive Aufklärung erfährt.
Eine Korrektur dieser Praxis ist geschichtlich geboten, erst recht bei der Annahme, dass die Unterwanderung großer Teile der Westberliner Verwaltung durch die Staatssicherheit kein Einzelfall zu sein scheint. Ich glaube übrigens nicht, dass die Berliner Behörden aus Angst vor Enthüllungen oder Angst vor Selbstbeschmutzung eine systematische Aufarbeitung dieses Themas unterlassen haben. Ich glaube, hier muss man auch die Kirche im
Dorf lassen. Ich denke eher, es war so etwas wie partielle Geschichtsverlorenheit und die Überzeugung, dass dies eigentlich ein Problem der untergegangenen DDR gewesen sei.
Der Fall Kurras, aber auch die inzwischen vielen weiteren Beispiele, die in den vergangenen 20 Jahren zutage getreten sind, gebieten eine aktivere Form der Aufarbeitung und vor allem der wissenschaftlichen Erforschung, welchen Umfang die Unterwanderung der Staatssicherheit in die Westberliner Verwaltung hatte und welche Personen für die Staatssicherheit tätig gewesen waren. Der vorliegende, von Ihnen, Herr Jotzo, eingebrachte Antrag erscheint mir ein guter Ausgangspunkt zu sein, sich diesem Thema weiter zu nähern und eventuell zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDUFraktion unterstützt ausdrücklich die Intention dieses Antrags. Zu unserem, des Abgeordnetenhauses Selbstverständnisses gehört zu prüfen, ob und inwieweit Einfluss auf Abgeordnete, auf Berliner Politik genommen wurde. Leider enthält der Antrag sachliche Fehler.
Erstens: Die Überschrift passt nicht zum Antrag. Es geht im Antrag nicht um den Einfluss der IM, sondern um den Einfluss der Stasi und zuvörderst ihrer ca. 180 000 hauptamtlichen Mitarbeiter.
Zweitens: Richtig ist immer wieder der Verweis auf den Terrorcharakter der Stasi und ihrer IM. Ohne Helfershelfer, ohne die kleinen, miesen Zuträger, ohne jene charakterlosen Quislinge, die für Geld oder einen sonstigen, manchmal sehr kleinen Vorteil ihre Nachbarn, Freunde, Arbeitskollegen und sogar ihre eigenen Familien bespitzelten, kann ein totalitäres System nicht existieren. Stellen Sie sich einmal vor, Honecker ruft vom Balkon des Berliner Rathauses die sozialistische Revolution aus, und die Menschen wenden sich angeekelt ab. Er wäre bestenfalls eine lächerliche Figur. Deshalb fordert Henryk M. Broder zu Recht: Hängt auch die kleinen, miesen Mitmacher!
Drittens: Die Stasi war Schild und Schwert der SED. Sie und ihre Bonzen waren die Herren des Terrors der Unterdrückten. Sie waren verantwortlich für die Zerstörung vieler Lebensentwürfe, Karrieren, persönlicher Träume und Ziele. Ich finde, wir müssen die Verbrecher der SED, nicht nur ihre ausführenden Werkzeuge in den Mittelpunkt der Debatte stellen. Das ist ein Akt der Redlichkeit.
Viertens: Ich will noch eine Bemerkung zur Ironie der Geschichte machen. Wir wollen den Einfluss der SED und der Stasi auf die Berliner Politik und die Abgeordneten – gemeint ist wohl vor 1990 – wissenschaftlich untersuchen. Seit 1990 sitzen die Kinder Honeckers hier im Parlament und im Senat. Sie üben damit offen und direkt Einfluss und Macht aus.
Ich sage Ihnen: So, wie die Jugend in den 60er-Jahren ihre Eltern und Großeltern nach deren Verstickung in den Naziterror fragten, wird spätestens die nächste Generation fragen: Was habt ihr gemacht? Habt ihr mitgemacht oder nur weggeschaut? – Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eigentlich wollte ich zu so später Stunde nicht noch einmal zu diesem Thema, das ich sehr wichtig finde, denn wir hatten dazu heute bereits gemeinsam die Gelegenheit zur Diskussion im RBB. Ich denke, wir haben dort mit Freude festgestellt, dass es hier eigentlich gar keinen großen Dissens gibt.
Man muss sich sicher darüber verständigen, in welcher Form wir mit dem Thema umgehen werden, aber der Innensenator hat deutlich gesagt, dass er für eine solche wissenschaftliche Untersuchung eintritt. Er hat auch bestätigt, dass dies in Abstimmung mit der Birthler-Behörde und dem Berliner Stasi-Beauftragten Martin Gutzeit in die Wege geleitet wird. Es ist selbstverständlich, dass man einen solchen Auftrag auch zu bezahlen hat. Daran besteht, glaube ich, kein Zweifel. Auch der Ansatz, dass sich die Einflussnahme der Stasi wahrscheinlich nicht nur auf die Polizei erstreckt hat, sondern auch auf andere Berliner Behörden, ist richtig. Da können wir sicher einiges in Erfahrung bringen.
Interessant ist auch – und auch darüber besteht kein Zweifel –, dass es auch in den bürgerlichen Parteien Einflussagenten der Stasi, nicht nur, aber insbesondere in WestBerlin, gegeben hat. Auch das wird aufzuarbeiten sein. Ich bin ganz dicht bei Herrn Hilse, denn auch ich finde, dass die Frage der unterschiedlichen Behandlung viel dazu beigetragen hat, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger in der DDR als Bürger zweiter Klasse behandelt fühlten. Es wäre ein Akt der politischen Hygiene gewesen, wenn die Überprüfungen damals gleichermaßen gewesen wären und damals auch schon die entsprechende Wertigkeit vorhanden gewesen wäre. Sie erwähnten die Putzfrau, die wegen Stasi-Tätigkeit aus dem öffentlichen
Dienst geflogen ist. Ich glaube, da hätte man den einen oder anderen bei den West-Berliner Behörden durchaus treffen können.
Das, was jetzt von der CDU zum Schluss noch einmal vorgebracht wurde, ist ein so weites Feld, dass wir es sicher mit allen Mitteln, die dieses Land zur Verfügung hat, nicht erforschen werden. Bezüglich des roten Terrors, der sich heute durch Ihre Themen zieht, muss ich mich von Ihren Vorstellungen distanzieren.