Protokoll der Sitzung vom 25.06.2009

Jetzt zu den Kritikpunkten der Verbände und Pflegeexperten, von denen ich nur einige herausgreifen will:

Erstens: Der Senat hat die Gelegenheit vertan, eine gemeinsame Nachfolgeregelung für Berlin und Brandenburg zu erarbeiten.

Zweitens: Der Gesetzentwurf enthält eine Vielzahl unklarer Rechtsbegriffe, was die Handhabbarkeit und Verständlichkeit einengt und zu großen Ermessensspielräumen führt.

Drittens: Der Zweck des Gesetzes ist klar auf die Stärkung der Nutzerinnen und Nutzer als Vertragspartner auszurichten, denn in diesem Gesetz muss es in erster Linie um die Erfüllung privater Vertragsverhältnisse zwischen den Nutzern und den Anbietern und nicht um gesellschaftspolitische Debatten gehen.

Dr. Fritz Felgentreu

Viertens: Die Verwendung von alten Begrifflichkeiten für die unterschiedlichen Wohnformen wird schon jetzt der Praxis nicht mehr gerecht. Es ist deshalb besser, hier von unterstützenden Wohnformen zu sprechen, damit die Entwicklungen in diesem Bereich vom neuen Heimrecht auch erfasst werden können.

Fünftens: Die Einrichtungen der Behindertenhilfe, die in diesem Gesetz auch erfasst sind, werden mit ihren fachlichen Standards und Besonderheiten nicht genügend berücksichtigt. Hier gibt es bereits Wohngemeinschaften mit relativer Selbstständigkeit, die nur noch ambulant betreut werden. Deshalb ist es hier besser, den Begriff der Wohnform mit eingeschränkter Selbstverantwortung einzuführen, der die Realität besser widerspiegelt.

Sechstens: Der Gesetzentwurf kollidiert mit dem Heimvertragsrecht des Bundes, indem er neue Auskunftspflichten der Träger gegenüber Dritten einführt, die tief in die geschäftlichen Trägerangelegenheiten eingreifen.

Siebtens: Die Anforderungen an die Leistungserbringer hinsichtlich der Dokumentation erhöhen den derzeitigen Verwaltungsaufwand beträchtlich und führen zu weiterer Bürokratie. Da stellt sich natürlich die Frage, warum Sie so vorgehen. Wir haben den Gesetzentwurf eingebracht, da die vielfältigen Bemühungen der Liga der freien Wohlfahrtsverbände, den vorliegenden Referentenentwurf in gemeinsamer Zusammenarbeit mit dem Senat entscheidungsreif und fachlich fundiert weiter zu entwickeln, bis jetzt nicht zu einem Ergebnis führten. Angesichts der Kritik aus fachlicher Sicht, die eben vorgetragen habe, wäre es gut gewesen, wenn diese Diskussionen bereits zu einem Ergebnis geführt hätten. Sie stellen sich jetzt ein Armutszeugnis aus und geben uns gute Gelegenheit, hier deutlich zu machen, welche Positionen wir haben und wie wichtig es ist, jetzt ein solches Gesetz hier zu diskutieren.

[Beifall bei der CDU]

Wir wollen mit diesem Gesetzantrag zu einem stadtweit fachlichen Diskurs beitragen.

Entschuldigen Sie bitte, Herr Hoffmann, Ihre Redezeit ist beendet.

Wir wollen erreichen, dass auch die notwendigen parlamentarischen Debatten geführt werden können. Das ist schon gelungen. Unser Entwurf macht genau die Schwachpunkte, die in Ihrem Entwurf enthalten sind, wett. Deswegen ist es ein guter Entwurf für eine gemeinsame Region Berlin-Brandenburg.

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Hoffmann! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Radziwill das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Aktuell wird in der Presse viel über eine Partei diskutiert, die sich insbesondere für Plagiate einsetzt, das heißt Kopieren von allem Möglichen jederzeit und überall. Was Sie hier sehen, ist, dass die CDU anscheinend dieses Format übernimmt und eins zu eins eine Vorlage eines Trägers hier ins Parlament einbringt. Das nenne ich eine sehr gute Form von Ideenarmut und Phantasielosigkeit bei der CDU

[Michael Müller (SPD): Lobbyismus! Beifall von Frau Abg. Minka Dott (Linksfraktion)]

und Lobbyismus, das nehme ich gleich einmal mit auf. Die CDU meint damit, einen Prozess des Dialogs hier voranbringen zu wollen. Dabei vergisst sie aus meiner Sicht, dass eigentlich sie mit diesem Vorgehen diesen Prozess des Dialogs behindert. Es ist schließlich ein Prozess im Raum. Es ist nicht so, dass hier überhaupt nicht kommuniziert wurde. Zu Recht haben Sie, Herr Hoffmann – –

[Gregor Hoffmann (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage]

Ich danke für das Interesse an meinem Wortbeitrag, aber ich nehme keine Wortmeldungen von Ihnen in diesem Beitrag entgegen. Wir können uns später gern noch einmal darüber unterhalten. – Sie haben zu Recht am Anfang gesagt, dass ein sehr guter Auftakt seitens der Senatsverwaltung vorgelegt worden ist. Bereits im Mai letzten Jahres ist ein Arbeitsentwurf vorgelegt worden.

[Gregor Hoffmann (CDU): 2007!]

Viele Diskussionsrunden sind geführt worden, in großen wie in kleinen Kreisen. Im Januar dieses Jahres stellte die Senatsverwaltung einen entsprechenden Referentenentwurf zur Diskussion. Rund 55 Vereine, Verbände, Organisationen, Institutionen sind direkt aufgefordert worden, ihre Stellungnahmen abzugeben.

In einem sehr intensiven Prozess – so zumindest hat es sich mir dargestellt, gerade als ich in Vorbereitung dieser Rederunde gestern auch mit vielen verschiedenen Vertretern der Liga telefonierte –, steht auch die Liga in sehr intensiven Dialog mit der Verwaltung. Ich bezweifle, dass dieser vorgelegte Entwurf tatsächlich ein abgestimmter Entwurf der gesamten Liga ist. Ich bezweifle das hier außerordentlich. Die Liga tut sehr gut daran, uns das auch noch einmal zu verdeutlichen. Ich bin sehr neugierig auf dieses Protokoll.

[Gregor Hoffmann (CDU): Was ist denn nun, Lobbyismus oder nicht?]

Die Liga ist – so habe ich es verstanden – ein sehr verlässlicher, seriöser Partner. Sie ist ein Verbund von Trägern,

Gregor Hoffmann

die auch verschiedene Interesse von großen und kleinen Trägern berücksichtigt. Das vermisse ich gerade in diesem Gesetzentwurf. Deswegen bezweifle ich, dass es ein komplett abgestimmter Entwurf ist. In diesem Entwurf ist beispielsweise der Bereich der Behindertenhilfe noch nicht so richtig eingebunden.

Nun aber zeigt dieser Entwurf sehr gut, wie ideenarm die CDU auf diesem Gebiet ist. Sie haben Punkt für Punkt, Leerzeichen für Leerzeichen, Satz für Satz, etwas komplett übernommen.

[Andreas Gram (CDU): Absatz für Absatz!]

Absatz für Absatz! Sie hätten wenigstens die Überschrift etwas anders gestalten können.

Wir sind mitten in diesem Jahr 2009. Im Herbst dieses Jahres werden wir über einen abgestimmten Gesetzentwurf diskutieren. Wir werden das parlamentarisch begleiten. Mir ist seitens der SPD-Fraktion wichtig, dass eine gemeinsame Erklärung zu Berlin-Brandenburg aufgenommen wird. Die Möglichkeiten und Strukturen im Bereich beider Länder sind aber so unterschiedlich, dass ein gemeinsamer, kompletter Entwurf nicht möglich ist. Eine Kooperation, eine gemeinsame Erklärung zur Rechtslage sollte aus unserer Sicht jedoch aufgenommen werden.

Wichtig ist, das die unterschiedlichen neuen Wohn-, Pflege- und Betreuungsformen aufgeführt werden. Das ist in dem Berliner Entwurf wesentlich besser aufgeführt als in dem, den Sie uns vorlegen. Wir wollen, dass der Verbraucherschutz viel stärker berücksichtigt wird. Wir möchten die Mitwirkung noch viel stärker eingebunden haben. Elemente wie Nueva sind durchaus interessant und aufzunehmen. Wir wollen, dass auch die Anpassungen in den entsprechenden Verordnungen insbesondere in der Heimmitwirkungsverordnung mit berücksichtigt wird. Wir wollen eine wesentlich stärkere Gemeinwesenorientierung haben, die Förderung von bürgerschaftlichem Engagement und – was auch wichtig ist – dass die Heimaufsicht den Aspekt „Beraten vor Intervenieren“ wesentlich stärker im Blick hat. Das ist in Ihrem Ansatz nicht entsprechend zu finden. Daher freue ich mich auf die Debatte im Ausschuss. Es ist aber ein Armutszeugnis für diese CDU, nicht wenigstens einen Punkt in einem solchen Entwurf ändern zu können. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Radziwill! – Für die Fraktion der Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Villbrandt das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wer jemanden kennt, der unerwartet pflegebedürftig wurde, weiß,

was für ein gravierender Einschnitt im Leben dieses Menschen es ist. Die Aufrechterhaltung und der Respekt sowie die Selbstbestimmung, die Würde und Sicherheit sind dann von großer Bedeutung. Dass die Zuständigkeit für das Heimrecht auf die Länder übergegangen ist, ist bekannt. Das Land Berlin muss sich jetzt der Aufgabe stellen, eine rechtliche Grundlage zu schaffen, die zukunftstauglich ist. Sie muss dies engagiert tun, schließlich bietet sich dabei auch die Chance für innovative Weichenstellungen in unserer Stadt. Es ist begrüßenswert, dass die CDU einen Gesetzesantrag eingebracht hat. Das wird die Debatte auf jeden Fall beleben.

Das noch geltende Heimgesetz entspricht schon lange nicht mehr den heutigen Anforderungen an die Lebensqualität älterer pflegebedürftiger und behinderter Menschen in den Einrichtungen. Ziel eines Landesgesetzes muss deshalb sein, diesen Menschen ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben zu ermöglichen.

[Beifall bei den Grünen]

In den letzten zehn Jahren hat sich die Wohn- und Betreuungslandschaft für pflege- und hilfebedürftige Menschen sehr verändert, quantitativ erweitert und sehr ausdifferenziert. Ein zukunftsweisendes Gesetz muss auf diese veränderte Situation reagieren und Rahmenbedingungen schaffen, die den Bedürfnissen der Menschen nach selbstbestimmtem Wohnen und Leben im Alter auch bei einer Behinderung entspricht. Die Zukunft liegt nicht in der Heimunterbringung, auch wenn sie nach wie vor Teil der Versorgungslandschaft bleiben. Eine rasante Entwicklung, neue Versorgungsformen und ihre große Vielfalt besonders hier in Berlin sind der Beweis dafür.

Innerhalb weniger Jahre entstanden hier mehr als 400 Wohngemeinschaften für Menschen mit Demenz, nicht nur deshalb, weil das ein gutes Geschäft ist, sondern, weil es einen großen Bedarf dafür gibt. Meine Fraktion hat bereits 2007 Eckpunkte zu einem Gesetz zum Schutz von Verbraucherinnen und Verbrauchern in Einrichtungen und Diensten vorgelegt, und zwar mit der Prämisse: so viel Kontrolle wie nötig, aber auch so wenig wie möglich – mit dem Ziel, für die Bewohner eine größtmögliche Selbstbestimmtheit und Selbstständigkeit zu gewährleisten.

Die wichtigsten Eckpunkte sind auch noch nach zwei Jahren gültig: Transparenz, Öffnung der Einrichtungen Richtung bürgerschaftliches Engagement, Qualitätssicherung – das sind einige davon.

Für uns war immer klar, dass neue Wohn- und Pflegeformen zu diesem neuen Gesetz dazugehören. Denn auch Menschen, die diese Wohn- und Pflegeformen in Anspruch nehmen, haben ein Recht auf gute Versorgung.

[Beifall bei den Grünen]

Der Senat hat Anfang dieses Jahres seinen zweiten Gesetzentwurf zur Diskussion gestellt. Die im Entwurf vorgesehene Erweiterung des Geltungsbereichs des Gesetzes auf ambulant betreute Wohnformen begrüßen wir. Wir

Ülker Radziwill

unterstützen einige Aspekte des Senatsentwurfs, zum Beispiel die Meldepflicht und Kontrolle in ambulant betreuten Wohngemeinschaften. Ansonsten sehen wir an vielen Stellen des Entwurfs Änderungsbedarf. Es sind noch viele Differenzierungen notwendig. Es ist geboten, auf spezifische Besonderheiten verschiedener Einrichtungsarten und Bedarfe ihrer Klientel einzugehen. Das ist auch machbar.

Wir finden es schade, dass die Länder Berlin und Brandenburg kein gemeinsames Wohn- und Betreuungsgesetz erarbeitet haben, aber wir wollen auch nicht, dass das Brandenburger Modell hier in Berlin einfach übernommen wird. Denn an entscheidenden Stellen ist dieses Gesetz in Brandenburg weichgespült. Im Vergleich zum alten Heimrecht ist es keine wirkliche Innovation. Der Gesetzesantrag der CDU orientiert sich stark am Brandenburger Gesetz, weist ähnliche Schwächen auf und wird deshalb nicht mit der Zustimmung unserer Fraktion rechnen können.

[Beifall bei den Grünen]

Wir werden die anstehende Diskussion entsprechend unseren Grundsätzen kritisch und konstruktiv führen und für die Selbstbestimmtheit, aber auch für den Schutz pflegebedürftiger Menschen kämpfen. – Danke schön!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Villbrandt! – Für die Linksfraktion hat jetzt Frau Abgeordnete Dott das Wort.