Protokoll der Sitzung vom 24.09.2009

[Beifall bei der CDU]

Für uns ist das Gymnasium nicht nur die Schulform, auf der eine Hochschulzugangsberechtigung erworben wird, sondern vor allem eine Hochschulbefähigung. Wir sind stolz auf unsere Gymnasien, und wir werden sie gegen die Angriffe von SPD, Linkspartei und Grünen verteidigen.

Es ist doch ein Unsinn, Gymnasialplätze zu verlosen, eine völlige Abkehr vom Leistungsprinzip, bundesweit einmalig und schülerfeindlich!

[Beifall bei der CDU – Zuruf von Steffen Zillich (Linksfraktion)]

Den Schülern wird hierbei auch etwas vorgegaukelt, das überhaupt nicht eingehalten werden kann. So wird vor allen Dingen den schwächeren Schülern signalisiert: Ihr könnt auch aufs Gymnasium gehen. – Aber tatsächlich werden sie alle das Gymnasium nach der 7. Klasse wieder verlassen müssen. Das ist eine schlimme Erfahrung für jeden Schüler, der von der Schule geschmissen wird und deshalb ein Verbrechen an den schwächeren Schülern der Stadt.

Gestatten Sie noch eine weitere Zwischenfrage des Kollegen Oberg?

Ja, bitte.

Herr Steuer! Wäre es denn auch schülerfeindlich, wenn an Sekundarschulen, die stark nachgefragt sind, einzelne Schüler qua Los nicht den Zugang fänden? Oder klassifizieren Sie dies lediglich an Gymnasien als schülerfeindlich?

Es ist nett von Ihnen, Herr Kollege Oberg, dass Sie mir die Gelegenheit geben, etwas grundsätzlich zu diesem Thema zu sagen.

[Dr. Gabriele Hiller (Linksfraktion): Es ist nicht nett!]

Es ist natürlich der Versuch der Linkspartei und der Linken in der SPD, durch dieses Verfahren auch das gute Gymnasium – denn nur an den guten Gymnasien gibt es mehr Anmeldungen als Plätze – kaputtzumachen.

Aber es ist doch überhaupt ein Irrsinn, auf die Idee zu kommen, Schulplätze – egal an welcher Schule – zu verlosen und Schüler quasi mit Loskugeln gleichzusetzen. Ich halte das insgesamt für völlig absurd, egal an welcher Schule, Herr Kollege.

[Beifall bei der CDU]

Diese drei Bildungsgänge, die ich Ihnen gerade vorgestellt habe, der Praxisbildungsgang, der mittlere Bildungsgang und der Gymnasialbildungsgang sollen nach unserem Modell miteinander verbunden werden und unter einer Schulleitung in einem oder in mehreren Gebäuden organisiert werden. Diese eigenständige Organisation eines Bildungsgangs in sich aber gleichzeitig die absolute Durchlässigkeit und die freiwillige Wählbarkeit jedes Bildungsgangs sind für uns der Kern des Berliner Modells der CDU.

Um dieses auch ganz deutlich zu sagen: Dieses Modell ist nicht nur nicht dreigliedrig, wie es von Ihnen im Wahlkampf immer wieder behauptet wird, es ist im Prinzip gar nicht gliedrig, weil jeder Bildungsgang frei wählbar ist

und die Bildungsgänge eine absolute Durchlässigkeit haben. Das ist gerade die Fortschrittlichkeit des CDUModells gegenüber Ihrem Modell.

[Beifall bei der CDU]

Unser im Januar vorgelegtes Modell hat noch einen Vorzug gegenüber der rot-roten Reform. Wir haben nämlich den Vorschulbereich und die Grundschule nicht vergessen, Frau Dr. Tesch.

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Wir auch nicht!]

Ohne eine gute Grundbildung in der Vorschule, in der Kita und in der Grundschule können sie noch so viel im Oberschulbereich rumrühren, es wird zu nichts führen, außer dass es Ihren linken Strukturfetischismus befriedigt.

[Beifall bei der CDU – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Pfui Deibel, Herr Steuer! – Gelächter von Özcan Mutlu (Grüne)]

Wir wollen Schulen, in denen jeder Schüler motiviert wird, etwas zu lernen und zu leisten. Wir wollen viele motivieren, mehr zu leisten, als sie eigentlich für möglich gehalten hätten. Und nicht jeder Schüler muss das Abitur machen. Ein Abschluss, der zu einer qualifizierten Berufsausbildung führt, ist genauso viel wert wie ein gutes Abitur. Deshalb müssen neben dem Gymnasium eben auch die guten Inhalte der heute bestehenden guten Realschulen, Gesamtschulen und Hauptschulen erhalten bleiben; nicht die Schulform, die guten Inhalte und Profile müssen erhalten bleiben, auch in einer neuen Schulstruktur. Deshalb ist es doch absurd, gerade kleine attraktive, pädagogisch übersichtliche Schulstandorte zu schließen, deren Schulprofile zu zerstören und gleichzeitig anderswo Klassenräume anzubauen.

[Beifall bei der CDU]

Das ist die Vernichtung von Geld und Wissen. Diese Vernichtung werden wir nicht mitmachen. Deshalb wollen wir die wertvollen Inhalte erhalten und gleichzeitig die Schulformen auflösen. Wir brauchen eine Schule, in der es eben unter einem Dach unterschiedliche Bildungsangebote gibt und die Schüler nicht einfach ideenlos nebeneinandergesetzt werden. Unser Modell ist individueller, besser für die stärkeren Schüler, besser für die schwächeren Schüler, umfassender, praxisnäher und leistungsfördernder als das rot-rote stümperhafte, hilflose Herumgeschraube am Türschild der Berliner Oberschulen.

[Beifall bei der CDU]

Wie so viele Reformen von Rot-Rot droht auch diese Reform zu scheitern. Wie groß die Angst der Koalition vor diesem Scheitern ist, zeigen die jüngsten Beschlüsse. Die SPD-Bildungsstadträte haben nun beschlossen, die Reform bereits 2010 durchzuziehen. Ein Bezirk hat sie schon völlig fertig konzipiert, wahrscheinlich ohne mit einer einzigen Schule darüber gesprochen zu haben,

[Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

weil sie eben Angst vor dem Umstrukturierungschaos im Wahljahr 2011 haben. Also ohne solides Konzept, ohne

Finanzgrundlage, ohne pädagogisches Konzept für die Sekundarschule – so macht man sich den Staat zur Beute und die Schüler zu Geißeln Ihrer Politik. Alles übers Knie brechen, ohne solide Vorbereitung, und hinterher schauen, was dabei herauskommt, das werden wir nicht mitmachen, dagegen werden wir in den kommenden Monaten kämpfen.

[Beifall bei der CDU]

Und wir werden noch etwas nicht mitmachen: Noch heute früh standen die Abgeordneten der Linkspartei in den Einkaufszentren und an den Haustüren dieser Stadt und verteilten Flugblätter, in denen sie für die Einführung der Einheitsschule in ganz Deutschland werben. So geht das nicht! Hier sitzen Sie, klatschen dem Senator Beifall, bringen ein Schulgesetz ein, das im Prinzip die Zweigliedrigkeit für diese Stadt einführt, aber gleichzeitig stehen Sie im Wahlkampf und erzählen, Sie wollten die Einheitsschule. Hier das eine zu tun und dort das andere zu erzählen, ist Betrug an den Berlinerinnen und Berlinern.

[Mieke Senftleben (FDP): Nur für die nächsten drei Jahre!]

Es zerstört das Vertrauen in Ihre Schulstrukturreform. Um es ganz deutlich zu sagen: Das ist unverantwortliche Politik!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Das Wort für die Fraktion Die Linke hat der Abgeordnete Zillich.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der uns vorliegende Gesetzentwurf geht zurück auf einen Beschluss des Abgeordnetenhauses vom Juni, in dem der Senat beauftragt wurde, die rechtlichen Regelungen für eine Schulstrukturreform vorzuschlagen. Darin hat das Abgeordnetenhaus die inhaltlichen Eckpunkte für die Schulstrukturreform beschlossen. Diese bilden den Rahmen für den Gesetzentwurf und den Maßstab für seine Beurteilung.

Diese Schulstrukturreform geht die zentralen Probleme unseres Schulsystems an, die uns spätestens seit PISA immer wieder ins Stammbuch geschrieben werden: zu wenig Qualität, zu wenig Abschlüsse und Ungerechtigkeit. Diese Koalition will erreichen, dass kein Kind die Schule ohne Abschluss verlässt,

[Mieke Senftleben (FDP): Dafür habt ihr schon acht Jahre Zeit gehabt! Acht Jahre vertan!]

wir wollen, dass deutlich mehr Kinder qualifizierte Abschlüsse bis hin zum Abitur machen, und wir wollen, dass der Zusammenhang zwischen dem Sozialen und dem Migrationshintergrund sowie den Bildungschancen eines Kindes überwunden wird.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Wir wissen, dass diese Ziele letztlich nur erreicht werden können, wenn wir die Gliederung im Schulsystem ganz überwinden und zu einer Schule kommen, die auf Auslese verzichtet, zu einer Schule, die dem Selbstverständnis der Berliner Gemeinschaftsschule entspricht. Das ist das Ziel bei der Entwicklung der Berliner Schule. Hier standen und stehen wir vor einem Dilemma. Ich habe es schon einmal gesagt, aber ich wiederhole es, weil Herr Steuer es nicht verstanden hat:

[Dr. Felicitas Tesch (SPD): Er wird es nie verstehen!]

Einerseits ist es in der Tat so, dass eine komplette Überwindung der Gliederung des Schulsystems und damit der Schulformen des gegliederten Schulsystems derzeit politisch und gesellschaftlich nicht die erforderliche Mehrheit hat, andererseits überwindet man die Probleme der Gliederung im Schulsystem nicht dadurch, dass man nur einen Teil der Gliederung aufgibt. Dieses Dilemma wird – das geht gar nicht anders – auch in den Details der Schulstrukturreform immer wieder sichtbar werden.

Wie sind wir mit dem Dilemma umgegangen? – Auflösen kann man es nicht, ignorieren hilft nicht. Wir definieren Ziele für diese Schulstrukturreform und wir gehen einen Schritt nach dem anderen ausgehend von den drängendsten Problemen. In diesem Sinne ist sich die Koalition darin einig, dass die Schulstrukturreform nicht den Endpunkt der Berliner Schulentwicklung darstellt, sondern nur ein Zwischenschritt sein kann.

[Mieke Senftleben (FDP): Ah ja! Gut, dass Sie es sagen!]

Der Kern der Reform ist, dass künftig alle weiterführenden Schulen alle Abschlüsse bis hin zum Abitur anbieten. Im Alter von elf Jahren muss nicht mehr über die Lebensperspektive von Kindern entschieden werden. Die Aufteilung: Du wirst Akademikerin, du wirst Facharbeiter, und du hast eigentlich keine Chance, wird es in der 6. Klasse nicht mehr geben. Die Frage: Was soll mein Kind später werden, auf welche Schule muss es gehen, stellt sich nicht mehr, stattdessen gibt es nach der Grundschule die Wahl zwischen zwei Sekundarschulen: dem Gymnasium einerseits, das auf Tempo setzt, wenig Zeit für individuelle Förderung lässt, wo Probejahr und Sitzenbleiben drohen, und der integrierten Sekundarschule andererseits, die zu den gleichen Abschlüssen führt – noch einmal: zu gleichwertigen Abschlüssen, ein Zentralabitur sichert das –, und jeder, der etwas anderes behauptet, der sagt auch, dass diejenigen, die heute das Abitur in Berlin erwerben, das nicht am Gymnasium abgelegt ist, schlechter dran sind. Das wird dem absolut nicht gerecht.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Diese Schule wird integrativ arbeiten. Sie soll eine neue Lernkultur verwirklichen, in der das individuelle Lernen von Kindern im Mittelpunkt steht, ohne Sitzenbleiben,

ohne den Zwang, eine Gliederung im Schulsystem im Inneren zu reproduzieren, und sie wird über Angebote des praktischen Lernens verfügen. Wir wollen sie vernünftig ausstatten: eine Klassenfrequenz von 25, zusätzliche Ausstattung für den Ganztagsbetrieb, zusätzliche Ausstattung für Teilungs- und Förderstunden, zusätzliche Ausstattung für praktisches Lernen, und zusätzlich bekommen die Schulen mit einem hohen Anteil von Kindern aus armen Familien oder mit Migrationshintergrund extra Personal und Sachmittel.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Das ist ein Beitrag, um wirklich Chancengerechtigkeit zu erreichen.