Protokoll der Sitzung vom 24.09.2009

So weit so klar, die Begründung für die Aktuelle Stunde zu diesem Thema, zu diesem Termin drei Tage vor der Bundestagswahl. Schade nur, meine Damen und Herren von der SPD und der Linkspartei, dass Sie dieser unserer gemeinsamen Sache einen Bärendienst erweisen. Glaubwürdige Politik sieht wirklich anders aus.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Volker Thiel (FDP)]

Wir haben hier heute eine Aktuelle Stunde zu einem Gesetz, das keiner von uns bisher gesehen hat.

[Christian Gaebler (SPD): Herr Schäfer!]

Ich nenne das schlampig, ich nenne das abenteuerlich.

Der Senat beruft sich bei seiner Neubewertung auf drei juristische Gutachten, die ebenfalls niemand hier im Hause kennt. Ich nenne das unzumutbar. Angeblich hat der Senat das Gesetz zumindest schon beschlossen, es dem

Rat der Bürgermeister zugeleitet, aber auch dort ist es bisher nicht angekommen.

[Volker Ratzmann (Grüne): Hört, hört!]

Mit anderen Worten: Rot-Rot ist zwar im Prinzip für den Mindestlohn – zumindest ist Rot-Rot dafür, dass das in der Zeitung steht –, aber konkret konnte sich Rot-Rot offensichtlich wiederum nicht einigen, so wie Sie sich seit Monaten nicht einigen können, und deshalb bezeichne auch ich es als das, was es ist: reine Ankündigungspolitik.

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Margit Görsch (CDU) und Volker Thiel (FDP) – Christian Gaebler (SPD): Der Senat hat doch beschlossen!]

Ihr Entschließungsantrag macht es nicht besser, sondern noch schlimmer. Wie sollen wir uns zu einem Gesetz äußern, das wir nicht gesehen haben,

[Martina Michels (Linksfraktion): Eckpunkte!]

das EU-konform sein soll. Woher sollen wir das wissen? Wir werden dem nicht zustimmen können.

Dabei ist Eile wirklich geboten. In nicht weniger als 69 Branchen sind in Berlin gegenwärtig tarifliche Niedriglöhne beziehungsweise Niedriggehälter von weniger als 7,50 Euro vereinbart: in der Zeitarbeitsbranche, im Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau, im Wachschutz, im Taxigewerbe, bei den Blumen und anderem mehr. Arm durch Arbeit, das ist Berliner Alltag unter Rot-Rot. Es sind Berliner Jobcenter, die Erntehelfereinsätze von 2,50 Euro brutto für zumutbare Arbeit halten. Das ist ein Skandal!

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Andreas Statzkowski (CDU)]

Entschuldigung, Frau Abgeordnete Paus! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Liebich?

Nein! – Schaut man sich einmal den gesamten Sozialbereich an, der Verträge machen muss mit der ach so sozialen Senatorin Knake-Werner, dann sucht man in der Projektelandschaft weit und breit vergeblich nach tarifähnlicher Entlohnung. Stattdessen Dumpinglöhne, zum Beispiel in der ambulanten Versorgung! So sollen Einzelfallhelferinnen für psychisch Kranke ab kommenden Jahr als de facto Scheinselbstständige für 5 bis 12 Euro pro Stunde arbeiten. Davon müssen sie dann nicht nur Arbeitsgeber- wie Arbeitnehmerabgaben leisten, sondern sie müssen außerdem noch unterschreiben, dass sie nicht mehr als 18 Stunden in der Woche arbeiten. Arm durch Arbeit staatlich dekretiert, das ist rot-roter Alltag, und das ist ein Skandal.

[Beifall bei den Grünen]

Auch bei der Ausschreibung des Bahnverkehrs hätte RotRot mit gutem Beispiel vorangehen können. Auch dafür hätten Sie das Vergabegesetz nicht gebraucht. Übernahmegarantien und Bestandsschutz für das Personal können Bestandteil von Ausschreibungen sein. Sie sind es aber nicht gewesen bei der jüngsten Ausschreibung des Regionalverkehrs für Berlin und Brandenburg. So ernst nimmt es Rot-Rot mit der Einhaltung von Sozialstandards.

[Beifall bei den Grünen – [Christian Gaebler (SPD): Frau Hämmerling hat sie doch bejubelt, die Ausschreibung des Senats!]

Die Pressearbeit des Senats hat außerdem noch einmal deutlich gemacht – ebenso wie die Kommentare von Ihnen –, dass weitere Vergabekriterien nicht wirklich eine Rolle spielen sollen, wie beispielsweise ökologische Kriterien. Das verwundert allerdings nicht, vergegenwärtigt man sich auch in diesem Bereich Ihre „Leistungen“ allein in den letzten Monaten. Da verstößt die Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer von der SPD lang und schmutzig gegen Parlamentsbeschlüsse, die die Berücksichtigung von Umweltkriterien zu einem Drittel beim Zuschlag für öffentliche Vorhaben vorsehen und das Ganze ohne schlechtes Gewissen. Da spielen seit der Verabschiedung der Konjunkturpakete Umweltkriterien ohnehin keine Rolle mehr. Die Vergaberechtsregeln wurden von SPD und Linkspartei nicht nur für die Maßnahmen der Konjunkturpakete, sondern für alle öffentlichen Aufträge aus dem laufenden Haushalt, also für Aufträge im Volumen von rund 5 Milliarden Euro, ausgehebelt. Dabei bleiben dann nicht nur soziale und ökologische Kriterien auf der Strecke, Vetternwirtschaft und Korruption sind die natürlichen Schwestern dieser Vergabepraxis. Siehe da, es gibt bereits ein erstes Kammergerichtsurteil gegen das Land Berlin im Fall Straßenbeleuchtungsvertrag. Wir werden sehen, ob weitere Urteile folgen.

Wie wenig ernst Sie es meinen mit der Berücksichtigung von ökologischen Kriterien bei der öffentlichen Auftragsvergabe, zeigt auch Ihr Entwurf für ein Klimaschutzgesetz. Es enthält zwar sehr ambitionierte Ziele, aber schon jetzt formuliert Herr Müller, dass das Ganze für den öffentlichen Haushalt, für den Staat nicht gelten könne, so wie bei der Umweltzone. Wie soll so breite Akzeptanz für den Klimaschutz entstehen, frage ich Sie.

[Beifall bei den Grünen]

Dass es auch anders geht, hat Rot-Grün in Bremen in der vergangenen Woche vorgemacht.

[Gelächter und Ah! bei der Linksfraktion]

Das Gesetz zur Sicherung von Tariftreue, Sozialtreue und Wettbewerb bei öffentlicher Auftragsvergabe

[Zuruf von Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion)]

wurde in der vergangenen Woche eingebracht, es ist öffentlich. Dieses Gesetz

[Uwe Doering (Linksfraktion): Ist noch nicht einmal eingebracht!]

es ist eingebracht – formuliert Sinn und Zweck und sichert den Mindestlohn von 7,50 Euro Arbeitnehmerbrutto,

[Volker Ratzmann (Grüne): Das Parlament kennt es!]

es sei denn, das Arbeitnehmerentsendegesetz sieht einen anderen Tarif vor. Es ermöglicht die Präqualifizierung von Unternehmen, um den bürokratischen Aufwand gering zu halten. Es ist mittelstandsfreundlich, indem es kleine Auftragslose einfordert. Anstelle einer eher losen Formel zur ökologischen Beschaffung formuliert dieses Gesetz klar, bei der Vergabe von Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen müssen Umwelteigenschaften einer Ware, die Gegenstand der Leistung sind, berücksichtigt werden. Und die weitere Ausführung wird nicht bloß in einer Verwaltungsvorschrift, sondern gesetzlich und per Rechtsverordnung geregelt.

[Beifall bei den Grünen – Christian Gaebler (SPD): Warum nicht europaweite Ausschreibung? – Martina Michels (Linksfraktion): Bei euch fehlt die europaweite Ausschreibung!]

Das ist alles nicht wahr! Nein.

[Martina Michels (Linksfraktion): Bei euch fehlt die europaweite Ausschreibung! Ganz genau! Die fehlt im Gesetz!]

Da ist die Frage, inwieweit das rechtskonform ist. Da schauen wir, was die Gutachten dazu jeweils sagen. Das hätten wir gern hier diskutiert, können wir aber nicht, weil dazu nichts Entsprechendes vorliegt.

[Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

Das rot-grüne Gesetz enthält aber vor allem nicht nur schöne Worte, sondern auch die Verpflichtung zu Kontrollen: die Einsetzung einer Sonderkommission zur Kontrolle. Es enthält klare Sanktionen und die Aufnahme von Unternehmen, die wegen schwerer und/oder wiederholter Verstöße gegen das Vergabegesetz von zukünftigen Aufträgen ausgeschlossen werden, in ein Zentralregister. Mit einem Wort, das rot-grüne Gesetz aus Bremen ist präziser, ordentlich vorbereitet,

[Martina Michels (Linksfraktion): Ich denke, Sie kennen das Berliner Gesetz nicht!]

es ist glaubwürdig, realitätstauglich und durchsetzungsstark.

[Beifall bei den Grünen – Uwe Doering (Linksfraktion): Weil Sie unser Gesetz nicht kennen, wissen Sie, dass das Bremer präziser ist!]

Meine sehr verehrten Damen und Herren von Linkspartei und SPD! Ihre bisherigen Versuche waren leider noch nichts. Ihr Entschließungsantrag macht es nicht besser, deshalb können wir dem definitiv nicht zustimmen.

[Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Nehmen Sie sich ein Beispiel an dem Vergabegesetz von Rot-Grün in Bremen! Das liegt erstens öffentlich und für

jeden einsehbar vor. Der Gesetzesantrag ist zweitens von der Substanz her deutlich

[Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

besser und präziser als das, was ich an Papieren auf dem grauen Politikmarkt in Berlin gesehen habe. Mehr kenne ich ja nicht.

[Martina Michels (Linksfraktion): Ja, eben!]

Lassen Sie uns zusammen an dem Berliner Gesetz arbeiten, dann wird das auch noch etwas mit dem Mindestlohn in Berlin und der tatsächlichen Verankerung von ökologischen und sozialen Kriterien in der Berliner Vergabepraxis. – Herzlichen Dank!

[Anhaltender Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Paus! – Für die FDPFraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Thiel das Wort. – Bitte sehr!