Protokoll der Sitzung vom 24.09.2009

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Paus! – Für die FDPFraktion hat jetzt Herr Abgeordneter Thiel das Wort. – Bitte sehr!

[Uwe Doering (Linksfraktion): Beim netten Herrn Thiel muss ich mich ja zurückhalten!]

Herr Doering, keine falsche Bescheidenheit! – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Einige Vorredner und vor allem meine Vorrednerin Kollegin Paus haben darauf hingewiesen und auch ich muss feststellen, dass ich in der Vorbereitung ein bisschen hilflos gewesen bin. In der Tat ist es etwas anderes, ob ich Pressemitteilungen zur Kenntnis nehme, in denen Eckpunkte genannt werden, oder ob ich einen Gesetzestext lesen und nachschauen kann, ob ich etwas richtig verstanden habe oder nicht. Weshalb haben Sie es nicht einfacher gemacht und gesagt: Wir beantragen eine Aktuelle Stunde zum Thema Mindestlohn in Berlin. Dann hätten wir alle gewusst, worum es geht. Wir stehen drei Tage vor der Bundestagswahl und es ist legitim, hier Bundestagswahlkampf zu betreiben. Weshalb dieser Umweg über das Vergabegesetz? Ich kann mir sogar vorstellen, dass Sie sich damit sogar eher schaden.

[Beifall bei der FDP]

Was wissen wir? – Ich weiß nur aus der Pressemitteilung, dass es eine Mindestentlohnung in Höhe von 7,50 Euro geben soll und dass es zusätzlich soziale und ökologische Mindeststandards geben soll, die noch festgeschrieben werden müssen. Welche, weiß ich noch nicht. Wir werden es erst noch erfahren. Ich weiß, dass Senator Wolf sinngemäß meinte: Mindestentlohnung gegen Sozialdumping. Ich frage nur: Was ist Sozialdumping? Man wird mir das sicher nachher erklären oder später in den Ausschusssitzungen. Es ist eine Worthülse ohne jede Füllung.

[Beifall bei der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Damit kann die FDP nichts anfangen!]

Herr Doering! Lassen Sie mich den nächsten Satz sagen, dann können Sie den Zwischenruf sparen. – Wenn darunter verstanden wird, dass, wer arbeitet, auch von seiner Arbeit leben können muss, dann sind wir voll bei Ihnen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Uwe Doering (Linksfraktion): Ach! – Weitere Zurufe von der Linksfraktion]

Klatschen Sie nicht zu früh! – Aber mit einem fundamental anderem Ansatz. Wir sind nicht für den Mindestlohn, sondern wir setzen darauf,

[Zuruf von Stefan Liebich (Linksfraktion)]

auf Mindesteinkommen, Herr Liebich, genau das!

[Beifall bei der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Wir wollen ein vernünftiges Einkommen dadurch absichern, dass wir uns für niedrigere, gerechtere und einfachere Steuern einsetzen.

[Beifall bei der FDP]

Wir wollen, dass die Abgaben- und Steuerbelastung auf Strom, Gas, Müll, Wasser zurückgenommen wird. Denn überall kassiert der Staat mit, und das geht nicht so weiter. Das sehen wir vor allen Dingen bei den Strompreisen.

[Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]

Herr Schäfer, wir rechnen Ihnen das mal vor. Wir schaffen das, Sie nicht! –

[Beifall bei der FDP]

Und wir wollen für die Menschen, die im Niedriglohnbereich arbeiten und die trotz ihrer harten Arbeit kein Auskommen mit dem Geld haben, ein durchgerechnetes Modell des Bürgergeldes einführen.

[Beifall bei der FDP]

Das ist eine vollkommen andere Vorgehensweise als die, die Sie wählen. In der Tat, es ist so: Wir meinen, die Solidargemeinschaft – das sind wir alle, denen es gut geht, die wir Steuern zahlen –, wir alle haben dazu beizutragen, dass die Menschen, die auch arbeiten, aber nicht davon über die Runden kommen können, Unterstützung bekommen sollen – von denen, die arbeiten. Es sollen nicht bestimmte Teile der Gesellschaft allein herangezogen werden, um das auszugleichen. Das ist ein anderer Ansatz.

Ein politisch festgelegter gesetzlicher Mindestlohn vernichtet Arbeitsplätze, zumindest im Niedriglohnbereich. Er vernichtet auch – das können Sie leider anhand von Statistiken nachvollziehen – vor allen Dingen Arbeitsplätze für weniger qualifizierte und junge Menschen, siehe Frankreich. Jedes Mal, wenn der Mindestlohn dort angehoben wurde, nahm die Zahl der nichtbeschäftigten jungen Menschen dramatisch zu. – Natürlich, schauen Sie sich die Statistiken an! Ein Mindestlohn birgt die Gefahr, Schwarzarbeit zu fördern.

Ich hatte an anderer Stelle schon darauf hingewiesen: Für mich ist die Einführung eines Mindestlohns absolut eine Abkehr von der Tradition der sozialen Marktwirtschaft.

[Beifall bei der FDP]

Wir nehmen ja zur Kenntnis, dass es andere Länder gibt, die mit Mindestlohn arbeiten; selbstverständlich ist das möglich. Aber diese Länder stehen nicht in der Tradition der sozialen Marktwirtschaft. Diese Länder haben nicht die Gesetzgebung, die wir haben, z. B. die Tarifautonomie. Senator Wolf wird zitiert, dass er ganz klar sagt – das mag ja falsch sein –: Wenn in Zukunft etwas vergeben wird – –

[Özcan Mutlu (Grüne): Die FDP, das soziale Gewissen der Republik!]

Ja, Herr Mutlu, sehen Sie mal, da können Sie noch etwas lernen. – Sie werden damit zitiert, dass Sie sagten: Wenn in Zukunft dieses neue Vergabegesetz Gesetzeskraft hat und ein tariflicher Mindestlohn unter 7,50 Euro liegt, dann werde ich das nicht akzeptieren, sondern dann werden die 7,50 Euro zahlen müssen. – Das ist ein klarer Eingriff in die Tarifautonomie, was Sie wollen. Dieses Gesetz würde aber auch die negative Koalitionsfreiheit verhindern. Arbeitnehmer und Arbeitgeber können sich ja auf Arbeitsverträge verständigen, die rechtens sind, ohne tarifvertragliche Regelungen.

Und ob das ganze Gesetz europakompatibel ist – da habe ich so meine Bedenken. Gerade wenn Sie, Kollege Liebich, sagen, wir werden europaweit bei Ausschreibungen 7,50 Euro fordern: Was macht denn ein Unternehmen aus Bulgarien, das hier anbieten möchte und dann Standortvorteile hat? – Es bietet dann zu unseren Bedingungen an. Ob das rechtens ist, weiß ich nicht. Das müssen dann Juristen prüfen, über die drei sicherlich geschätzten Professoren, die das gemacht haben, hinaus.

Ich möchte noch ein paar Anmerkungen machen zu den sozialen und ökologischen Kriterien. Ich frage mich immer: Wer soll die denn festlegen?

[Zurufe von den Grünen: Wir!]

Sie, die Politik, weil Sie es gut wissen. Donnerwetter! – Und wer soll sie kontrollieren? – Es wurde schon darauf hingewiesen, das Personal, das wir jetzt haben, ist sowohl, was die Kapazität angeht, aber vielleicht auch teilweise, was die fachliche Qualifizierung angeht, einfach nicht dazu in der Lage. Ich frage mich: Für wen sollen eigentlich diese Kriterien gelten? Auch für Subunternehmer, Zulieferer? Auch für den Bleistift des Zimmermanns oder des Maurers auf der Baustelle?

[Zuruf von den Grünen: Ja!]

Muss er auch ökologisch hergestellt sein? – Wunderbar! Wir wissen eins auf jeden Fall: Weitere Aspekte, die Kriterien aufblähen, fördern Vergabeentscheidungsanfechtungen und vor allen Dinge eins: die Bürokratie.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Ich will Ihnen noch einen Aspekt zumuten, der mich sehr nachdenklich stimmt. Kriterienerweiterungen sind grundsätzlich betriebswirtschaftlich Kostenerhöhungen. In dem Moment, wo ich mehr Kriterien bei einer Ausschreibung zu berücksichtigen habe, muss ich diese Kriterien auch bedienen. Und um wettbewerbsfähig zu bleiben, werde ich mir überlegen müssen: Wo kann ich auf der anderen Seite innerhalb meines Angebots unter Umständen Kosten dagegen zurücknehmen? Das wird z. B. bei Investitionsgütern, wo es um hohe Beträge geht, dazu führen, dass sich die Anbieter überlegen werden, wo sie innerhalb ihrer Unternehmen Gelder einsparen können, z. B. im Bereich Forschung und Entwicklung. Das ist nicht irgendwo konstruiert, sondern das sagen Menschen in Beiräten, die sich mit Schienenfahrzeugen beschäftigen und darauf hingewiesen haben, dass es dort einen unmittelbaren Zusammenhang gibt.

Kostenerhöhung bedeutet aber tendenziell dann auch weniger Anbieter. Und der Preiswettbewerb, den wir haben wollen, würde dadurch weniger stattfinden. Verteuerung von Leistungen ist, das wurde vorhin schon einmal erwähnt, mittelstandsfeindlich. Bei einem jährlichen Beschaffungsvolumen von etwa 5 Milliarden Euro hier in Berlin braucht der Mittelstand ein leistungsfähiges, transparentes und unbürokratisches Vergaberecht.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Bislang galt als Leistungsnachweis die Fachkunde, die Leistungsbereitschaft und die Zuverlässigkeit. Vergeben wurde anschließend an das wirtschaftlichste Angebot. Wir wissen alle, dass das problematisch ist, weil häufig die Seriosität, die Leistungsbereitschaft und Zuverlässigkeit nicht so hoch bewertet wurden und man Nachbesserungen verlangt hat. Aber wenn man weitere Kriterien nehmen möchte, dann müssen sie spezifisch sein, sie müssen objektiv quantifizierbar sein. Und sie gehören nach unserem Verständnis in die Leistungsbeschreibung bei der Vergabebekanntmachung. Da gehören sie hin, nicht in ein Gesetz. – Wir haben das an anderer Stelle gesagt, ich wiederhole das: Berlin braucht keine Novellierung des Vergabegesetzes, Berlin braucht gar kein Vergabegesetz. Berlin braucht eine vernünftige, eine liberale Wirtschaftspolitik. – Ich danke Ihnen!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Uwe Doering (Linksfraktion): Ohne Vergabe?]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Thiel! – Für den Senat hat Senator Wolf das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will zunächst zwei Missverständnisse aufklären. Ich glaube nicht, dass die Aktuelle Stunde die konkrete parlamentarische Debatte über den Gesetzentwurf des Senats ersetzen soll. Die wird natürlich – –

[Michael Schäfer (Grüne): Ist nur Wahlkampf für Sie, Herr Wolf!]

Ich kandidiere doch gar nicht, Herr Schäfer. Insofern kann es kein Wahlkampf für mich sein. Ich kandidiere nicht. Ich kann verstehen, dass Sie es bedauern, dass Sie mich nicht wählen können bei diesen Wahlen. Aber ich verspreche Ihnen, das ist bei den nächsten Wahlen möglich.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Es geht in dieser Debatte nicht darum, die parlamentarische Beratung zu ersetzen. – Herr Melzer, ich kann Ihnen den Gesetzentwurf nicht vorlegen, weil es dafür einen üblichen Geschäftsgang gibt: Der Senat beschließt, der Rat der Bürgermeister gibt eine Stellungnahme ab; dann geht es noch mal in den Senat, und dann wird es an das Parlament übergeben, und dort wird es ausführlich in Erster, Zweiter und möglicherweise sogar Dritter Lesung beraten; dazwischen finden die Ausschussberatungen statt. Das ist das übliche Prozedere.

Ich kann verstehen, dass Sie sich darüber ärgern, dass diese Debatte heute stattfindet,

[Michael Schäfer (Grüne): Ja, weil wir das Gesetz nicht haben!]

vonseiten der Opposition, weil Sie darüber nicht reden wollen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Aber es ist – daran kann ich mich gut erinnern – schon häufiger vorgekommen, dass aus den Reihen der Oppositionsfraktionen Themen in der Aktuellen Stunde beantragt wurden, bei denen Sie die Vorgänge nicht kannten, aber in der Presse etwas darüber gelesen hatten. Darüber musste hier aktuell diskutiert werden. Also was ist das Problem?