Ich glaube, man kann, da wir über das Thema nicht erst seit heute, sondern seit längerer Zeit reden, über die Grundsätze der Vergabepolitik und die Sicherung sozialer und ökologischer Mindeststandards in der Vergabepolitik reden und diskutieren und die Positionen, die die einzelnen Fraktionen haben, darlegen.
Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Herr Melzer von der CDU erklärt hat, dass er selbstverständlich der Auffassung ist, dass, wer arbeitet, mehr bekommen soll als der, der nicht arbeitet, und dass selbstverständlich jeder von seiner Arbeit leben können soll. Dann frage ich mich nur: Wie passt das zusammen mit der Politik der CDU und mit dem praktischen Handeln der CDU? Wenn ich mir ansehe, dass die CDU sich auf der Bundesebene verweigert, im Bereich des Wachschutzes einen existenzsichernden Mindestlohn in das Arbeitnehmerentsendegesetz aufzunehmen, sondern stattdessen propagiert, wie auch bei der Zeitarbeit, dass ein Dumping
tarifvertrag, der bei 6 Euro liegt, für allgemeinverbindlich erklärt werden soll, dann passt das nicht zusammen.
Wir stellen fest, Sie reden von einem Grundsatz, aber Sie halten ihn nicht ein. Sie blockieren es auf der Bundesebene systematisch. Wir werden bei der Debatte über das Berliner Vergabegesetz sehen, ob Sie in Berlin eine andere Position einnehmen und sich bei öffentlichen Aufträgen für einen Mindestlohn von 7,50 Euro aussprechen.
Ich habe mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass auch die FDP den Grundsatz vertritt, dass derjenige, der arbeitet, von seinem Einkommen leben können soll. Sie sagen, es soll nicht der Lohn sein, sondern es soll das Einkommen sein. Das finde ich erstaunlich.
Das war die Ausführung von Herrn Thiel: Es geht hier nicht um einen Mindestlohn, sondern es geht um ein Mindesteinkommen.
Und dann hat er den Vorschlag des Bürgergelds gebracht. Das heißt nichts anderes: Die FDP setzt auf den Staat, dass über Steuergelder Dumpinglöhne finanziert werden,
über ein Bürgergeld dann zusätzlich subventioniert werden. Das ist nicht unser Weg. Unsere Position ist die: Wer anständig arbeitet, wer Vollzeit arbeitet, der soll auch von seinem Arbeitgeber entsprechend entlohnt werden.
Herr Senator Wolf! Entschuldigen Sie bitte die Störung! Ich habe zwei Anfragen an Sie, einmal von Frau Grosse von der SPD und einmal von Herrn Schäfer von den Grünen. Stehen Sie zur Verfügung?
Herr Senator Wolf! Da uns das Vergabegesetz noch nicht vorliegt, habe ich eine Frage: Enthält das Berliner Vergabegesetz ein individuelles Klagerecht des Einzelnen, sodass der Einzelne seinen Mindestlohn tatsächlich einfordern und dann auch einklagen kann?
Frau Grosse! Das individuelle Klagerecht ist nicht möglich, weil es kein individueller Rechtsanspruch ist. Aber wer diese Regelung nicht einhält, muss mit Sanktionen rechnen. Er muss einen Teil der Auftragssumme zurückzahlen. Ihm kann sofort gekündigt werden. Er kann von der Vergabe ausgeschlossen werden. Selbstverständlich kann sich jeder Arbeitnehmer, der nicht entsprechend behandelt wird, oder eine Gewerkschaft – oder wer auch immer davon erfährt – an die öffentliche Hand, an die Vergabestelle wenden, die dann die entsprechenden Maßnahmen einleiten muss.
Vielen Dank, Herr Wolf! – Angesichts dessen, dass sich Ihre Rede bisher noch nicht so mit dem Vergabegesetz beschäftigt, sondern eher mit der Politik der anderen Bundesparteien, frage ich Sie zur Politik Ihrer Bundespartei: Sie fordern 10 Euro Mindestlohn. Das Vergabegesetz gesteht jetzt zu, dass selbst der öffentliche Bereich nur 7,50 Euro zahlen kann. Bewegt sich da in Ihrer Partei etwas in Richtung Realismus?
Herr Schäfer! Ich meine mich erinnern zu können, dass Ihre Partei mittlerweile auch einen höheren Mindestlohn fordert und in Bremen 7,50 Euro hineinschreibt.
Das ist so! – Ich halte es an dieser Stelle in einer Koalitionsregierung für richtig, einen Einstieg auf der Grundlage der gegenwärtigen gewerkschaftlichen Forderung von 7,50 Euro zu finden. Ich finde es wichtiger, das Prinzip durchzusetzen und den Einstieg in dieses Prinzip zu fin
finden, als jetzt eine Debatte zu führen, ob 7,50 Euro, 7,80 Euro oder 8,43 Euro die richtige Höhe sind.
[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall und Zuruf von Michael Schäfer (Grüne)]
Und das sieht übrigens meine Partei auch so. – Im Übrigen: Sehen Sie sich an, welche Mindestlöhne ins Arbeitnehmerentsendegesetz aufgenommen worden sind! Da haben wir viele Mindestlöhne, die bei 8,50 Euro, bei über 9 Euro oder bei knapp 10 Euro liegen. Das heißt, 10 Euro sind keine utopische Forderung, sondern wir haben es in einer Reihe von Branchen mittlerweile durchgesetzt.
Das Thema Mindestlöhne ist ein Thema, das in der Bevölkerung auf breite Zustimmung stößt. Wir haben es vorhin schon gehört, es gibt eine neue Umfrage, die deutlich macht, dass es auch bei der Wählerschaft von CDU und FDP eine deutliche Mehrheit gibt, die sich für Mindestlöhne ausspricht.
Das ist das Problem dieser Parteien, wenn sie Politik gegen die eigene Wählerschaft machen. Aber der Hintergrund ist aus meiner Sicht ganz offensichtlich. Wir haben in den letzten Jahren eine dramatische Ausweitung des Niedriglohnsektors in der Bundesrepublik Deutschland. Mittlerweile arbeitet jeder Fünfte im Niedriglohnsektor, das sind fast amerikanische Zustände, wo jeder Vierte im Niedriglohnsektor arbeitet. Wir haben in Berlin 100 000 Menschen, die abhängig beschäftigt und Aufstocker sind, das heißt, die von ihrem Lohn nicht leben können und zusätzliche Hilfe nach Hartz IV brauchen. Das ist ein Zustand, der sozialpolitisch und auch wirtschaftspolitisch nicht akzeptabel ist, weil er eine eklatante Verletzung des Grundsatzes ist, dass Menschen von ihrer Arbeit leben können.
Herr Wolf! Sie haben jetzt schon angefangen, detailliert Auskünfte aus dem Gesetz zu geben. Halten Sie es nicht für sinnvoll, dass wir jetzt kurz unterbrechen und den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf für alle kopieren, damit hier alle auf der Grundlage diskutieren können?
Herr Ratzmann! Sie unterschätzen die Detaillierung unseres Gesetzentwurfs. Ich habe noch nicht nähere Ausführungen zu dem Gesetzentwurf gemacht. Ich habe etwas zu einem Grundsatz gesagt,
nämlich dass wir der Auffassung sind, dass ein Mindestentgelt von 7,50 Euro bei der Erfüllung öffentlicher Aufträge gewährleistet sein muss.