Protokoll der Sitzung vom 15.10.2009

Stellungnahme des Senats zu dem Volksbegehren „Schluss mit Geheimverträgen – wir Berliner wollen unser Wasser zurück“

Vorlage – zur Kenntnisnahme – Drs 16/1303

in Verbindung mit

lfd. Nr. 31:

Vorlage – zur Kenntnisnahme –

Stellungnahme des Senats zu dem Volksbegehren „Kitakinder + Bildung von Anfang an = Gewinn für Berlin“

Vorlage – zur Kenntnisnahme – Drs 16/1719

Meine Damen und Herren! Ich darf Sie um Ruhe bitten. Wir beginnen mit der Aktuellen Stunde. Für die gemeinsame Beratung steht den Fraktionen jeweils eine Redezeit von bis zu zehn Minuten zur Verfügung, die auf zwei Redebeiträge aufgeteilt werden kann. Es beginnt die Fraktion der SPD mit dem Kollegen Dr. Felgentreu. – Frau Senftleben, Sie sind unüberhörbar!

[Mieke Senftleben (FDP): Entschuldigung!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Parlament hat in der letzten Wahlperiode fraktionsübergreifend die Möglichkeiten der direkten Demokratie in der Verfassung von Berlin erheblich ausgeweitet. In dieser Wahlperiode haben wiederum alle Fraktionen dieses Hauses gemeinsam durch eine Änderung des Volksabstimmungsgesetzes das Verfahren vereinfacht und Berlin zu einem der volksabstimmungsfreundlichsten Bundesländer gemacht.

Nun hat der Verfassungsgerichtshof in zwei Urteilen die Tür noch etwas weiter geöffnet, indem er die Änderungen in der Verfassung und im Volksabstimmungsgesetz zugunsten der Träger der Volksbegehren interpretiert hat.

[Zuruf von Benedikt Lux (Grüne)]

Der Verfassungsgerichtshof hat in dieser Entscheidung zum Kitavolksbegehren sehr weitreichende Möglichkeiten eröffnet, finanzwirksame Entscheidungen zu treffen. Ein Volksbegehren ist auch dann zulässig, wenn dadurch teure neue Aufgaben entstehen. In ein bestehendes Haushaltsgesetz darf der Volksentscheid zwar nicht eingreifen, aber für den nächsten Haushalt wäre er gültig. Diese Klarstellung ist hilfreich, sie stellt uns als Haushaltsgesetzgeber aber politisch vor neue Aufgaben.

Zwei Herausforderungen gilt es im Spannungsverhältnis von repräsentativer und direkter Demokratie zu meistern. Die erste Herausforderung: Wenn wir die berechtigte Sorge haben, dass ein Gesetz des Volkes den Haushalt einseitig zu stark belastet, dann werden wir vor dem Volksentscheid auch entsprechend argumentieren müssen. Dann müssen wir dem Volk die Alternativen deutlich machen – wer A will, muss auf B verzichten. Aber der Gedanke, dass man jeden Euro nur ein Mal ausgeben kann, gerät sogar in unserer Runde oft in Vergessenheit, wenn wir ein bestimmtes politisches Ziel vor Augen haben. Wie viel schwieriger wird er in der direkten Demokratie zum Tragen kommen? – Dazu ein konkretes Beispiel: Meine Frau, von Beruf Richterin, hat sich über das Urteil zum Kitabegehren gefreut. Sie sagte mir, das unterstütze sie auch.

[Beifall bei den Grünen]

Meine Antwort, Kollege Ratzmann: Prima, mach das, aber sage mir doch bitte auch, wie viele Richterstellen wir zur Gegenfinanzierung streichen sollen – Frau von der Aue bitte weghören!

[Oh! von der SPD]

Das ging dann ein bisschen hin und her, und am Ende fragte meine Frau: Sag mal, redest du so eigentlich auch mit deinen Wählern?

[Ramona Pop (Grüne): Nö!]

Meine Damen und Herren! Wir werden so mit den Wählerinnen und Wählern reden müssen! Mit dem Urteil des Verfassungsgerichtshofs ist das Volk auch Haushaltsgesetzgeber geworden. Ohne die dazugehörige Denkungsart

wird das nicht funktionieren. Gerade in diesen Debatten werden wir sehen, wie sich das Verantwortungsbewusstsein der Opposition bewährt.

Die zweite Herausforderung: Wenn ein durch Volksentscheid geschaffenes Gesetz Aufgaben definiert, die das Land objektiv nicht bezahlen kann, kommt es zu einem spannenden Experiment in Sachen politischer Kultur. Das Parlament müsste ein solches Gesetz korrigieren. Wird in dieser Situation eine Opposition – welche auch immer, ich schaue da gar nicht in eine bestimmte Richtung – der Versuchung widerstehen, sich hinter das populäre Gesetz zu stellen? – Die Chance, der Mehrheit eins auszuwischen, wird für Viele unwiderstehlich sein. Aber die Konstellation: Regierungsmehrheit gegen ein Gesetz des Volkes, Opposition dafür, muss zwingend das Ansehen von Senat und Parlament beschädigen. Wir können nur hoffen, dass dieses Haus mit einer solchen Situation verantwortungsvoll umgeht, wenn sie einmal eintritt.

Der Verfassungsgerichtshof hat aber auch gesagt: Der Landesgesetzgeber – also wir – hat dem Senat den Auftrag zu prüfen, ob ein Volksbegehren gegen höherrangiges Recht verstößt, aus dem Abstimmungsgesetz gestrichen. Damit hätten wir deutlich gemacht, dass wir eine solche Prüfung nicht für notwendig halten.

[Björn Jotzo (FDP): So ist es!]

Nein, diese Interpretation der Novelle des Abstimmungsgesetzes beruht auf einem Missverständnis. Das hat auch der Rechtsausschuss bei der Vorbereitung des Verfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof noch einmal mit dem Votum aller Parteien – außer den Grünen – bestätigt. Zumindest die überwältigende Mehrheit der Rechtspolitiker dieses Hauses ist weiterhin der Auffassung, dass Volksbegehren unzulässig sein müssen, wenn sie gegen Bundes- oder Verfassungsrecht verstoßen. Die Unzulässigkeit solcher Volksbegehren ist keine Einschränkung, sondern ein Schutz für die direkte Demokratie.

Das lässt sich am besten durch ein Beispiel verständlich machen: Nehmen wir an, ein populäres aber verfassungswidriges Volksbegehren wird in Berlin durchgeführt, zum Beispiel zur Einführung einer Kitapflicht in Berlin ab dem vollendeten dritten Lebensjahr, wie ich sie auch für sinnvoll halten würde. Dabei kommt es zu einer lebhaften Diskussion, einer hohen Mobilisierung der Öffentlichkeit – also zu echter, gelebter direkter Demokratie, wie wir sie uns wünschen. Nehmen wir schließlich an, ein solches Begehren hätte Erfolg, das Gesetz würde mit der erforderlichen Mehrheit vom Volk beschlossen, im Gesetzblatt verkündet und träte in Kraft, die Jugendämter würden mit der Umsetzung beginnen. Das wäre dann der Moment, in dem ein Vater oder eine Mutter, die ihr Kind weiter zu Hause auf die Schule vorbereiten wollen, den Klageweg beschreiten – und natürlich recht bekommen, mit dem Ergebnis, dass das Landesgesetz nachträglich wieder kassiert wird. Die Frustration, der Ärger, die Enttäuschung, die ein solcher Weg zur Folge hätte, wären enorm. Der Vertrauensverlust in die politischen Institutionen und in die Instrumente der direkten Demokratie

wäre verheerend und zwar gerade dann, wenn es sich im Prinzip um vernünftige Vorschläge handelt, die ihren Ausdruck in einem solchen Gesetz gefunden hätten. Die Manipulationsmöglichkeiten, die durch generelle Zulässigkeit für Gruppierungen entstehen, die mit Forderungen wie „Todesstrafe für Kinderschänder“ herumlaufen, brauche ich dabei gar nicht an die Wand zu malen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege?

Nein, im Moment nicht, ich möchte diesen Gedanken verfolgen, das stört mich jetzt. – Auch ohne bewussten Missbrauch ist die entstandene Rechtslage unpolitisch, lebensfremd und letztlich schädlich für die direkte Demokratie.

[Dirk Behrendt (Grüne): Quatsch!]

Deshalb müssen wir als Gesetzgeber aus dem Urteil vor allem den Schluss ziehen, dass wir das Abstimmungsgesetz in diesem Punkt präzisieren müssen. Wir müssen schnell ein geeignetes Verfahren finden, um die Zulässigkeit von Volksbegehren auch daran auszurichten, ob sie mit höherrangigem Recht vereinbar sind.

Was bedeutet das alles für die Haltung der SPD-Fraktion zu den aktuellen Volksbegehren Wassertisch, Kita und Wahlrecht? – Das Grundanliegen des Volksbegehrens Wassertisch teilen wir. Transparenz über einen Teilprivatisierungsvertrag, der einen wichtigen Bereich der Daseinsvorsorge betrifft, ist wichtig. Der Verfassungsgerichtshof hat geurteilt, dass der Gegenstand dieses Vertrags, nämlich die Wasserversorgung Berlins, trotz seiner privatrechtlichen Form in wesentlichen Bestandteilen im Bereich des öffentlichen Rechts verbleibt. Daraus folgt, dass eine Offenlegung zumindest wichtiger Teile möglich sein wird. Wir wollen diese Offenlegung. Wir werden das rechtlich Mögliche im Sinn der Transparenz umsetzen, aber mit Augenmaß. Eine generelle Offenlegung aller Verträge, die die Berliner Verwaltung mit privaten Unternehmen abschließt, wäre kontraproduktiv. Sie würde verhindern, dass sich Verwaltung wie jeder andere Kunde auf dem Markt bewegt, Konditionen aushandelt, Einzelabsprachen trifft. Nachteile für Berlin als Kunde liegen nicht im Interesse der Allgemeinheit. Aber gerade dieses öffentliche Interesse muss der Maßstab für Transparenz sein. Bei der Teilprivatisierung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge ist dieses Interesse besonders groß, deshalb muss auch die Transparenz groß sein.

Die Ziele des Kitavolksbegehrens teilt die SPD-Fraktion weitgehend. Auch wir wollen deutliche Qualitätsverbesserungen an den Berliner Kitas ermöglichen. Wir bleiben aber bei unserer Einschätzung, dass die Verbesserungen in dem Umfang, den die Träger des Volksbegehrens vorgesehen haben, noch nicht finanzierbar sind. Wir haben deshalb einen Stufenplan vorgelegt, aus dem hervorgeht, was wir schon jetzt für umsetzbar halten, z. B. eine Ver

Verkleinerung der Kitagruppen und mehr Personal für das Kitamanagement. Dieser Stufenplan ist unsere Grundlage für die politische Auseinandersetzung mit dem Kitavolksbegehren.

Letzter Punkt – die Wahlrechtsreform, die der Verein „Mehr Demokratie“ betreibt: Auch hier hat der Senat wesentliche Teile dieser Reform für verfassungswidrig gehalten. Das sind sie wohl auch. Daraus entsteht aber keine Hürde für die Zulässigkeit, insofern werden wir uns mit diesem Thema auch wieder beschäftigen müssen. Aber die SPD-Fraktion ist vor allem aus inhaltlichen Gründen gegen diese Wahlrechtsreform. Die Träger des Begehrens wollen ein hochkompliziertes Wahlrecht, bei den in Listen eingegriffen, Stimmen kumuliert, Ersatzstimmen definiert und Großwahlkreise mit mehreren Abgeordneten gebildet werden. Das halten wir für einen falschen, ja für einen undemokratischen Weg. Die Bürgerinnen und Bürger in einer Demokratie müssen verstehen, was sie mit ihrer Stimme bewirken. Schon heute ist es bei jeder Wahl ein Problem, überhaupt nur den Unterschied zwischen Erst- und Zweitstimme zu erklären. Aber das Wahlrecht, das „Mehr Demokratie“ will, ist deutlich schlimmer. Es ist ein Wahlrecht nur für Eingeweihte, ein Wahlrecht, das ausgrenzt. Deshalb bringt es nicht mehr, sondern weniger Demokratie.

[Beifall bei der SPD]

Wir lehnen das ab und sind zuversichtlich, dass die Berlinerinnen und Berliner es auch ablehnen werden. Die direkte Demokratie hat unsere Arbeit nicht leichter und unsere Verantwortung als Parlamentarier nicht kleiner gemacht. Wir müssen noch mehr tun, um unsere Standpunkte klarzumachen und für unsere Positionen zu werben. Aber diese Arbeit lohnt sich. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Das Wort für eine Kurzintervention hat Frau Kosche von den Grünen. – Bitte schön, Frau Kosche!

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen von der SPD und der Linksfraktion! Herr Felgentreu! Ihre Frau würde Ihnen nach dieser Rede sagen:

[Özcan Mutlu (Grüne): Sitzenbleiben!]

Du hast dich mit dem Urteil nicht beschäftigt,

[Beifall bei den Grünen – Beifall von Björn Jotzo (FDP)]

denn das Verfassungsgericht hat dermaßen viel Vertrauen in die Volksgesetzgebung gegeben und zu Recht gegeben, dass Sie das eigentlich, wenn Sie sich etwas mit dem Urteil beschäftigt hätten, hätten herauslesen müssen.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Was denn jetzt?]

Der Senat hat lange die Offenlegung der geheimen Konsortialverträge durch Tricksereien, durch Wortbekenntnisse, wir wollen ja offenlegen, aber die anderen wollen nicht, verhindert. Da sind jetzt deutliche Worte gesprochen worden, das sollte jetzt endlich passieren.

[Dr. Wolfgang Albers (Linksfraktion): Sie haben es nicht gelesen! – Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Überhaupt nicht! Lesen Sie das Urteil doch einmal!]

Wir haben es gelesen und beraten.

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Aber nicht verstanden!]

Die Verträge sollten jetzt endlich offengelegt werden. Ich würde Ihnen gerne eine Empfehlung vorlesen, die der Datenschutzbeauftragte in dieser Woche im Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung gegeben hat. Er sagt nämlich:

Der Senat wird aufgefordert, ein Gesetz vorzubereiten, das die Offenlegung von Verträgen der öffentlichen Hand künftig grundsätzlich gestattet. Ungeachtet dessen wird der Senat aufgefordert mit einem Schreiben an die öffentlichen Stellen des Landes Berlin, darauf hinzuweisen, dass die öffentliche Hand künftig keine pauschalen Vereinbarungen mit den Vertragspartnern über die Geheimhaltung des gesamten Vertrags schließt.