Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

Die S-Bahnkrise macht uns in außerordentlicher Weise immer wieder wütend, und leider muss ich sagen, dass wir von dem, was immer wieder passiert, auch noch überrascht sein müssen. Das ist ein schwerer Rückschlag für die Mobilitätspolitik dieser Stadt. Wir prüfen deshalb sehr intensiv alle Möglichkeiten, die es gibt, so wie wir das im letzten Plenum bereits diskutiert haben, sowohl der Rekommunalisierung als auch der Teilausschreibung als auch die Frage, unter welchen Voraussetzungen wir mit den Nachverhandlungen erfolgreich sein können. Ich glaube, dass es richtig ist, den Druck auf die S-Bahn und die Deutsche Bahn aufrechtzuerhalten, hart zu verhandeln und auch zu zeigen, was sich das Land Berlin eben nicht gefallen lässt.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir wollen die gesunde Stadt. Wir wollen Lebensqualität. Wir entwickeln die Stadt unter der Berücksichtigung des

Klimawandels. Die Antworten darauf werden wir Ihnen in einem Stadtentwicklungsplan Klima geben. Berlin ist grün. In der Situation, in der wir uns jetzt mit Grün- und Freiflächen befinden, haben wir alle Anstrengungen zur CO2-Minimierung unternommen und befinden uns schon heute in einer Spitzengruppe mit den europäischen Metropolen. Das ist ein Standortvorteil für diese Stadt. Das ist nicht rausgeschmissenes Geld, wenn wir uns diesem Thema widmen. Ich darf Ihnen versichern, dass wir diesen Stadtortfaktor des grünen, gesunden Berlins mit Stadtentwicklungspolitik weiterverfolgen.

Vor allem Dingen aber ist die soziale Stadt, die lebendige Stadt, die solidarische Stadt die, die wir brauchen. Ein wesentlicher Bestandteil ist die Tatsache, dass wir die Mieterinnen und Mieter schützen. Wir schützen sie mit dem Mietspiegel, der zwischen den Interessenverbänden verabredet worden ist und eben nicht ein vom Senat definierter Mietspiegel ist. Wir schützen sie, indem wir Rechtssicherheit für die Mieterinnen und Mieter gestalten.

Wir widmen uns auch einem wesentlichen Thema, das heute schon angesprochen wurde, den Sozialmieten. Es kann nicht angehen, dass sie steigen und höher sind als die Mieten im freifinanzierten Wohnungsbau. Wir haben Sozialmieten für bestimmte Bevölkerungskreise formuliert. Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung, wenn es darum geht, zukünftig Mieterinnen und Mieter zu entlasten und gleichzeitig dennoch etwas für den Landeshaushalt zu tun. Die Diskussion im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses dazu hat mir Mut gemacht.

Lassen Sie mich aber auch sagen, dass wir uns hüten und aufpassen müssen, wenn es um die Mietenpolitik der Bundesregierung geht. Da wird von einer Gefährdung des sozialen Mietrechts gesprochen, wenn man sich den Koalitionsvertrag genau ansieht – noch ein bisschen verbrämt. Ich bin gespannt auf die Beschlüsse des Deutschen Bundestages. Ich darf Ihnen versichern: Das Land Berlin, diese Koalition, wird im Bundesrat aufpassen und jede Gelegenheit nutzen, um eine Abkehr oder auch nur ein gewisses Bröckeln am sozialen Mietrecht zu verhindern.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Wir wollen die erfolgreiche Politik der sozialen Stadtentwicklung fortsetzen, und wir wollen sie weiterentwickeln. Die letzten Untersuchungen haben uns gezeigt, dass wir erfolgreich sind. Sie haben uns aber auch gezeigt, dass es eine zunehmende räumliche Konzentration in fünf Gebiete in der Stadt gibt: Der Nordosten von Kreuzberg, Nordneukölln, Teile von Wedding und Moabit, Nordmarzahn mit Nordhellersdorf und Spandau Mitte bedürfen unserer ganz besonderen Aufmerksamkeit. Ich glaube deshalb, dass es wichtig ist, dass wir Mittel der Städtebauförderung konzentrieren, Mittel der sozialen Stadt hier bevorzugt einsetzen und dass wir uns zu einem Wertausgleich bekennen. Lassen Sie uns doch nicht nur immer theoretisch in allen möglichen Gremien darüber reden, wie wir vielleicht einen Wertausgleich gestalten können! Lassen Sie uns sagen: Wir wollen diesen Wertausgleich zum

Bürgermeisterin Ingeborg Junge-Reyer

Vorteil benachteiligter Stadtteile, und lassen Sie uns dann auch gemeinsam so handeln!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Mich hat, Herr von Lüdeke, Ihre außerordentlich grobe Unkenntnis zu dem Thema der sozialen Stadtentwicklung ein bisschen erschreckt. Da geht es nicht um das Verteilen von Mitteln an Einzelne oder um Wohltaten, sondern um die Qualifizierung der Stadtteile, damit sie lebenswerte Orte für die Menschen sind, die da wohnen. Es geht nicht darum, dass man mit der Gießkanne kommt. Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger in der sozialen Stadtentwicklung ist das Geheimnis des Erfolgs dieser sozialen Stadtentwicklung. Ich danke allen Berlinerinnen und Berlinern, die sich in ihrem Kiez daran beteiligen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Senatorin Junge-Reyer! – Wir treten jetzt in die zweite Rederunde ein. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Frau Abgeordnete Hämmerling das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Regierung hat eingangs häufiger die Wörter „ökologisch“ und „sozial“ strapaziert. Herr Wolf ist zwar gerade nicht da, aber an ihn wende ich mich da besonders. Er ist mir da sehr aufgefallen. Dann sehen wir uns mal den Verkehrsetat unter diesen Aspekten an! Nehmen wir mal die S-Bahn. Die Hamburger S-Bahn fährt mit grünem Strom, die Berliner Bahn mit bröselnden Bremsen, manchmal auch gar nicht. Rot-Rot garantiert dafür vertraglich 230 Millionen Euro. Das ist nicht ökologisch, das ist nicht sozial, das ist verantwortungslos. Die Berlinerinnen und Berliner können zufrieden sein, dass sie uns Grüne haben, denn wir handeln.

[Beifall bei den Grünen – Och! von der Linksfraktion]

Gerne, gerne.

Mit unserer EU-Beschwerde werden wir einen besseren S-Bahn-Vertrag durchsetzen – nicht mit diesem „knallharten Verhandeln“, was der Senat seit einem halben Jahr macht, da passiert ja nichts. Zudem erwarten wir von der S-Bahn schätzungsweise 30 Millionen Euro pro Jahr zurück.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Fährt die S-Bahn dadurch besser?]

Das zweite Beispiel: In Berlin steigen die klimaschädlichen CO2-Emissionen aus dem Autoverkehr von 2000 bis 2015 um 35 Prozent.

[Zuruf von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Sie müssen nicht so laut sprechen, Sie können ja gleich noch etwas sagen. – Unter Ihrer Ägide um 35 Prozent!

[Zurufe von Wolfgang Brauer (Linksfraktion) und Uwe Doering (Linksfraktion]

Da können Sie in allen anderen Bereichen sparen wie Sie wollen, Sie werden Ihre Verpflichtung nach dem KyotoProtokoll nicht einhalten.

[Beifall bei den Grünen]

Rot-Rot will den Autoverkehr aus der Innenstadt heraushalten – dafür gibt es ein üppiges Straßenausbauprogramm in der Innenstadt, es gibt eine zweistellige Millionen-Summe für die Planung der A 100, aber auch für neue Kapazitäten für den Autoverkehr. Rot-Rot baut die Französische Straße, die Axel-Springer-Straße, die Invalidenstraße, die Gertraudenstraße und viele andere Straßen aus, und der Regierende Bürgermeister weiß bis heute nicht, ob er die A 100 nun will oder nicht.

[Doch! von der SPD]

Er weiß ja auch noch nicht, mit wem er regieren will oder mit wem er nicht regieren will

[Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

oder ob er noch kann – aber er gibt sechs Millionen Euro für die Planung aus. Das ist nicht ökologisch, das ist nicht sozial, das ist Volksverdummung, Herr Wowereit.

[Beifall bei den Grünen]

Mit dieser Politik werden Sie erfolgreich gegen jede weitere Wählerstimme bis zur nächsten Wahl kämpfen, das sage ich Ihnen!

[Zuruf von Christian Gaebler (SPD)]

Diese Schizophrenie zieht sich durch bis zu den Bezirken,

[Zuruf von Martina Michels (Linksfraktion)]

Stichwort: Konjunkturprogramm und Verkehrslenkung Berlin. Die Verkehrslenkung Berlin ist für die Verkehrskoordinierung zuständig, sie wurde von Rot-Rot geschaffen, sie kostet mehr als 40 Millionen Euro im Jahr – Frau Junge-Reyer ist die Chefin. Wenn der Pankower Baustadtrat verantwortungsvoll Konjunkturmittel für die Lärmsanierung in der Wollankstraße einsetzt, dann echauffieren sich SPD-Abgeordnete über den Stadtrat, weil es Stau gibt.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Ja, genau!]

Dabei müssten Sie der VLB den Marsch blasen, weil die für die Verkehrslenkung und -koordinierung zuständig ist.

[Beifall bei den Grünen – Uwe Doering (Linksfraktion): Was ist denn das für ein Stadtrat? – Ein grüner Stadtrat!]

Das ist aber nicht das einzige Versagen der Verkehrslenkung. Mit zweistelligen Millionenbeträgen für eine Tram- und Busbeschleunigung hat sie es geschafft, die Straßenbahn langsamer zu machen – eine Glanzleistung! Auch das ist weder ökologisch noch sozial, das ist ein Fall für den Rechnungshof und ein weiterer Grund, warum wir diesen Haushalt ablehnen müssen.

Bürgermeisterin Ingeborg Junge-Reyer

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Hämmerling! – Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Abgeordneter Weingartner das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Was der Senat für die Haushaltsbereiche Bauen, Wohnen und Verkehr zur Ab- und Zustimmung vorschlägt, das ist in Strecken abenteuerlich.

[Beifall bei der FDP]

Entweder hat er in eine zu große Glaskugel geblickt, um Finanzmittel zu sehen, die nicht vorhanden sind, oder der Haushaltsentwurf ist auch hier schlicht unseriös geplant.

Uns werden Ausgaben in Höhen vorgelegt, die teilweise keine adäquaten Unterlegungen vorweisen und deswegen in dieser Form nicht zu rechtfertigen sind. Daneben werden Ausgaben aus Bundesmitteln allein aus ideologischen Gründen blockiert, und das schadet neben der Wirtschaft in Berlin und Brandenburg auch unserem Lande selbst. So werden nach wie vor hohe Beträge für ein teilweise leistungsunfähiges ÖPNV-System vorgesehen, bei dem sich nicht jeder Nutzer sicher sein kann, wie gefährlich seine Reise gerade ist. Die Lösung kann hier nur lauten: neue Ausschreibung des S-Bahn-Netzes in Streckensegmenten nach sofortiger Aufkündigung gegenüber der Deutschen Bahn mit dem Ziel, mehr Qualität und Zuverlässigkeit bei gestrafften Kosten für unsere Stadt, unsere Bürger und das Umland.

[Beifall bei der FDP]

Mangelt es dem einen ÖPNV-Anbieter an der Wagenqualität und dem Schienennetz, fehlt es bei dem anderen schlicht an der Wirtschaftlichkeit. Qualitätssicherung durch Wettbewerb der Verkehrsträger untereinander – das ist das Gebot. Mit dem gebetsmühlenartigen Versprechungen seitens der S-Bahn, die permanent gebrochen werden, kommt keiner sicher an sein Ziel.

Auf der andern Seite werden wichtige Projekte für die Stadt und ihre Entwicklung ausgebremst, so z. B. die Planungsmittel für den Weiterbau der A 100 oder der TVO. Wenn diese Vorhaben nicht verwirklicht werden können, weil die Koalition die Mittel sperrt, verliert Berlin nicht nur 400 Millionen Euro Bundesinvestitionsmittel, sondern es wird sich auch arg rächen – durch immer mehr Verkehrsinfarkte im Berliner Hauptstadtstraßenverkehr und auch bei kleinen Straßen in Wohngebieten, die dann weiterhin als Schleichwege herhalten müssen.