Protokoll der Sitzung vom 14.01.2010

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Joachim Esser (Grüne)]

Fünftens: Wir wollen wissen, warum Frau Senatorin Junge-Reyer nicht in der Lage ist, tiefgreifende Entschädigungen für die Fahrgäste der Berliner S-Bahn zu verhandeln. Was macht sie überhaupt mit den inzwischen eingesparten 37 Millionen Euro?

Die CDU-Fraktion hat vor zehn Tagen – und auch am Montag im Ausschuss – vorgeschlagen, für den kommenden Juni 2010 genau das gleiche Verfahren der Entschädigung zu wählen wie im Dezember 2009: Einen Gratismonat für sämtliche Abonnenten, Einzeltickets gelten am Wochenende als Tagesticket – einfach, praktisch und gut, so entschädigt man ganz simpel und schnell. Der gestern gemachte Vorschlag der FDP, eine Entschädigung nach ihrem Modell herbeizuführen, ist zwar gut gemeint, erscheint uns aber etwas kompliziert – sowohl bei der internen Umsetzung in beiden großen Verkehrsunternehmen als auch bei der öffentlichen Bewerbung dieses guten Gedankens.

Es kann nicht sein – bezüglich der 37 Millionen € –, dass der Senat dieses Geld behält, um Haushaltslöcher für andere dubiose Projekte linker Selbstverwirklichung zu stopfen. Wir wollen Rechenschaft über die Verwendung! Dieses eingesparte Geld steht den Fahrgästen zu, niemandem sonst!

[Beifall bei der CDU]

Zwischen Weihnachten und Neujahr haben wir erleben dürfen, wie Frau Senatorin Junge-Reyer die nachrichtenarme Zeit genutzt hat, um sich der Öffentlichkeit zu zeigen. Markige Sprüche waren zu hören, mit der S-Bahn sei es jetzt genug, ihre Geduld sei am Ende. Raus kam aber nur die Ankündigung, das S-Bahnnetz werde 2017/2018 für diesen Zeitraum ausgeschrieben – dazwischen liegen übrigens noch acht Winter, aber egal. Die Ausschreibung ist aktuell gar nicht das Thema, die Frage ist aktuell, wann endlich der Senat nach seinen Gesprächen mit der S-Bahn garantieren kann, wann die S-Bahn wieder zu 100 Prozent fährt und wann es die nächste Möglichkeit der Entschädigung geben kann – das sind doch die zentralen Fragen,

die die Leute auf der Straße interessieren, nicht eine Ausschreibung!

[Beifall bei der CDU]

Die Forderung der FDP, den S-Bahnvertrag zu kündigen, hört sich zunächst einmal gut an, führt aber nach Meinung meiner Fraktion zu gar nichts, denn es gibt keine anderen Anbieter.

[Aha! von der SPD und der Linksfraktion]

Die Ankündigung des Senats, eine Teilausschreibung für 2017 zu machen, ist überdies sehr schädlich für die Findung neuen Personals in den Werkstätten. Das ist – auch wenn Sie jetzt gerade so grinsen – wichtig. Denken Sie einmal an die Zukunft des Unternehmens oder überhaupt des S-Bahnverkehrs in Berlin! Wie soll sich denn jetzt jemand noch ernsthaft für eine Werkstattposition bewerben, wenn er nur noch eine ungünstige Beschäftigungsprognose hat?

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nur dann, wenn ich am Schluss noch Zeit habe, Herr Präsident! – In diesem Zusammenhang gilt der Dank der Berliner CDU-Fraktion ganz besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der S-Bahn,

[Beifall bei der CDU]

die unbestritten Fahrbetrieb und Kundendienst machen wollen, aber nicht dürfen. Gleichfalls gilt unser tiefer Dank den Mitarbeitern und der Unternehmensleitung der BVG, die durch mehr Arbeit und mehr Fahrzeugeinsatz den Verkehr in Berlin am Laufen halten.

Die wartenden und frierenden Fahrgäste der Berliner S-Bahn haben einen Anspruch darauf, dass der Berliner Senat endlich im Parlament Stellung zu dieser Krise nimmt. Die Krise darf vom Senat nicht weiter einfach nur moderiert werden. Die Krise muss gelöst werden. Der Senat hat hier und heute die Chance zu erklären, was er tut und vor allen Dingen warum er so viel nicht für die Fahrgäste tut. Ein Weiter-so! in der S-Bahnkrise – das müssen SPD und Linkspartei endlich begreifen – kann und darf es im Interesse Berlins nicht mehr geben.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat die Abgeordnete Matuschek.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Friederici! Aschermittwoch ist heute nicht.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Zunächst ein Wort zur Begrüßung an den Vorsitzenden des Betriebsrat der S-Bahn, Herrn Wegner, und ein Wort an die Fahrgäste: Liebe Berlinerinnen und Berliner! Liebe Gäste der Stadt! Sie sind die Leidtragenden der ganzen Misere. Sie haben im Vertrauen auf die Leistungsfähigkeit der S-Bahn Ihre alltäglichen Wege über Jahre auf den Nahverkehr ausgerichtet. Sehr viele von Ihnen haben keine Ausweichmöglichkeit, wenn die S-Bahn nicht fährt. Sie sind zu Recht hochgradig verärgert und wütend und in Ihrer Lebensqualität beeinträchtigt. Sie verlangen zu Recht Auskunft darüber, wann es endlich wieder ordentlich läuft, und darüber, was der Senat tut, um ein solches Versagen des Nahverkehrssystems in Zukunft auszuschließen, auch darüber, wann die Bahn die Fahrgäste für die hingenommenen Beeinträchtigungen angemessen entschädigt.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Dass Sie alle dennoch diese unerträglichen Zustände, die zur Zeit herrschen, geduldig ertragen und nicht aggressiv werden, nötigt hohen Respekt ab, den ich hiermit aussprechen will. Es hat bisher nur einen Fall gegeben, in dem Fahrgäste ernsthaft an Leib und Leben bedroht waren: Das war am vergangenen Dienstag, als einige auf freier Strecke ausstiegen und nach 40 Minuten des Wartens ohne Information sich selbst und andere gefährdeten. Ich danke den Fahrgästen für ihre Geduld und Besonnenheit und bitte sie, auch weiterhin ihren Ärger nicht an den Beschäftigten der S-Bahn auszulassen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Zurufe von der FDP]

Gleichzeitig spreche ich den Beschäftigten der S-Bahn Dank und Respekt aus. Sie versuchen seit nunmehr Monaten mit außerordentlichem Engagement, den Laden am Laufen zu halten. Auch sie tragen keine Schuld, aber die Lasten. Sie arbeiten rund um die Uhr und müssen mit ansehen, wie die Konzernführung die Existenz ihrer Arbeitsplätze, die Existenz des traditionsreichen Unternehmens S-Bahn Berlin aufs Spiel setzt. Wir drängen die Bahn auch, auf die Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen hinzuwirken.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Zuruf von der CDU]

Wer ist schuld an dem ganzen Desaster, und wo liegen die Ursachen? Darüber wurde schon viel gesagt, und ich kann mich kurzfassen. Am Montag hat im Verkehrsausschuss Bahnvorstand Homburg endlich erstmals eingeräumt, dass es sich um ein klares Managementversagen handle. Vorher hieß es aus seinem Mund immer wieder, die Technik habe versagt, der Hersteller habe schlechte Fahrzeuge geliefert, der ehemalige Geschäftsführer Ruppert sei schuld, und dann auch noch der Winter, mit drei Ausrufezeichen!

Nun haben wir hier das späte Einräumen des eigenen Versagens. Sie kommen spät, diese Worte, und deshalb tragen sie auch so wenig dazu bei, verlorenes Vertrauen wiederzugewinnen. Doch bevor ich mich mit den Managementleistungen der Bahn auseinandersetze, muss ich

noch ein paar Worte zum Eigentümer sagen. Die Deutsche Bahn AG – und damit auch die Berliner S-Bahn – ist ein öffentliches Unternehmen. Der Eigentümer ist der Bund. Dieser Eigentümer hat sich bisher einen Dreck um sein Eigentum gekümmert.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Er schuf die Voraussetzungen dafür, dass sich dieses öffentliche Unternehmen als privatrechtlich organisiertes nur noch den Kapital- und Renditeinteressen unterordnet und eben nicht dem öffentlichen Auftrag der Daseinsvorsorge. Obwohl der Eigentümer Bund diesem Treiben hätte Einhalt gebieten können und müssen, hat er es bis heute nicht getan, auch nicht mit Herrn Ramsauer.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Dem öffentlichen Eigentümer Bund ist das öffentliche Unternehmen S-Bahn Berlin, ist das öffentliche Interesse an einem funktionierenden öffentlichen Nahverkehr in der Hauptstadt völlig egal. Nur deshalb konnten die Bahnmanager die S-Bahn ungehindert wie eine Zitrone ausquetschen, die Wartung sträflich vernachlässigen, den Personalraubbau vollziehen und notwendige Investitionen unterlassen. Sie hatten ja zumindest Rückendeckung vom Bund.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Die Linke tritt konsequent für den Erhalt und die Pflege des öffentlichen Eigentums ein. Aber was ist zu tun, wenn der öffentliche Eigentümer versagt? Wir sagen: Auf diese Frage ist eine Fortsetzung der Privatisierung, wie sie von der Opposition und anderen verlangt wird, die falsche Antwort, Herr Jotzo.

[Beifall bei der Linksfraktion – Björn Jotzo (FDP): Die richtige Antwort!]

Wir sagen: Wenn der öffentliche Eigentümer Bund versagt, muss ein anderer öffentlicher Eigentümer, nämlich das Land Berlin, einspringen.

[Zurufe von der FDP]

Das Land Berlin hat all das Interesse an einer gut funktionierenden S-Bahn, dass der Bund nicht hat, und die rotrote Koalition will und muss dieses Interesse wahrnehmen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Wir wollen, dass die Aufwendungen für Infrastruktur und Personal, die im Rahmen eines Verkehrsvertrags gezahlt werden, auch hier in Berlin eingesetzt werden und nicht in der ganzen Welt für den Kauf von Speditionsunternehmen und Eisenbahnen, wie es der Bahnkonzern tut. Deshalb sagen wir ganz klar: Wir wollen alles tun, um in absehbarer Zeit ein kommunales Unternehmen S-Bahn Berlin in öffentlicher Hand zu bekommen. Das ist unser Ziel, und daran lassen wir keinen Zweifel.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Wie lässt sich dieses Ziel erreichen? – Mehrere Möglichkeiten tun sich auf: Das Einfachste und für alle Beteiligten Unkomplizierteste wäre die Übernahme der S-Bahn

Berlin GmbH durch das Land Berlin. Das geht nur im Einverständnis mit dem Bund und der DB AG, und darüber werden weitere Gespräche geführt werden. Meine Prognose ist: Da ist noch nicht das letzte Wort gesprochen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn von Lüdeke?

Nein! – Wenn das aber nicht geht und der Bahnkonzern weiterhin nicht bereit ist, die S-Bahn aus dem Renditedruck zu entlassen, dann muss das Land Berlin ein Szenario entwickeln, wie es ein eigenes Unternehmen, zum Beispiel die BVG, in den Stand versetzt, die Verkehrsleistungen der S-Bahn zu übernehmen – nicht irgendwelche Verkehrsleistungen, sondern letztlich alle S-Bahnverkehrsleistungen. Weil es nun einmal richtig ist und bleibt, dass auf dem hochgradig komplexen S-Bahnnetz viele Köche den Brei verderben, mehrere Betreiber sich gegenseitig behindern, der Koordinationsaufwand zwischen mehreren Betreibern ein unkalkulierbares Kostenrisiko ist, sagen wir: Es muss ein Betreiber auf einem Netz sein. Das ist unser Ziel.

[Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Zurufe von der FDP]

Aber wegen der Notwendigkeit, neue Fahrzeuge zu beschaffen, und weil diese bis 2017 nicht in der ausreichenden Stückzahl zu haben sein werden, muss das Land schrittweise vorgehen. Um auch das klipp und klar zu sagen: Wir sind für diesen Fall bereit, die Beschäftigten der S-Bahn Berlin GmbH in das kommunale Unternehmen S-Bahn zu übernehmen. Da soll keiner seinen Arbeitsplatz verlieren. Er wird dann nur nicht mehr bei der renditeorientierten DB AG, sondern bei dem kommunalen Verkehrsunternehmen Berliner S-Bahn arbeiten.

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Das ist ein anderer Weg von Teilausschreibungen als der, den die FDP, die Grünen, der VBB, die IHK oder andere vorschlagen.

[Zuruf von Ramona Pop (Grüne)]