Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

[Beifall bei der FDP]

Deshalb hat die FDP-Fraktion ein strukturelles Reformkonzept erarbeitet. Sein Zweck ist es, unter Berliner Realbedingungen langfristig eine medizinische Spitzenversorgung der Bevölkerung und Spitzenforschung an der Charité zu sichern.

Oft wird die Größe der Charité als Leistungsvoraussetzung genannt. Ein Blick auf unzählige Universitätskliniken der Welt widerlegt diese These. Wer von vornherein herausragende Bedingungen für Spitzenforschung bietet, der braucht auch keinen zweiten Lehrstuhl als Sicherheitsreserve. Die Größe der Charité ist nicht ihr Vorteil, sondern ihr Problem. Ich kann es nicht oft genug sagen: Nicht Größe ist das entscheidende Kriterium. Wer langfristig bestehen will, muss erkennen, dass Qualität das zu fördernde Gut ist.

[Beifall bei der FDP]

Die können Sie nur durch eine Konzentration der Ressourcen erreichen. Deshalb wollen wir die Konzentration des gesamten universitätsmedizinischen Fächerspektrums am Campus Benjamin Franklin. Dieser ist am besten geeignet, das größte und modernste deutsche Universitätsklinikum zu stellen.

Die Charité muss von ihrer lähmenden Überregulierung befreit werden, von kontraproduktiver Detailsteuerung. Entscheidungsinstanzen müssen auf ein handlungsfähiges Maß beschränkt werden. Zielvereinbarungen sichern die Verantwortung gegenüber dem öffentlichen Träger. Nur durch größere wissenschaftliche Freiheit und akademische Unabhängigkeit, solide, langfristig sichere Finanzen und Konzentration auf Universitätsmedizin sowie internationale Attraktivität kann die Charité überleben. Nur so kann sie ihr Potenzial im Dienste der Kranken, der Forschung und der Lehre und als Impulsgeber der Gesundheitswirtschaft entfalten. Die Charité hat das Zeug dazu, eine der besten biomedizinischen Forschungseinrichtungen und eine der modernsten Krankenversorger zu werden. Wenn wir von der Charité erwarten, dass sie international stets unter den ersten durchs Ziel läuft, dann müssen wir ihr die Klötze von den Beinen nehmen, denn Übergewicht ist keine gute Voraussetzung, um Rennen zu gewinnen.

[Beifall bei der FDP – Lars Oberg (SPD): Eine Amputation auch nicht!]

Die Charité, Herr Oberg, ist eine der größten Chancen für Berlins Zukunft. Damit diese nicht verspielt wird, ermöglichen Sie, meine Damen und Herren, die qualitative Reform der Charité und stimmen Sie unserem Antrag zu! Wenn Sie das nicht können oder wollen, sagen Sie uns zumindest hier und heute, was Ihre Konzepte sind. Ich hoffe nicht, dass es das von Herrn Oberg ist, Zitat: „Alles bleibt, wie es ist.“ – Das wäre das Schlimmste, was dieser Stadt passieren könnte. – Herzlichen Dank!

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gersch! – Für die SPDFraktion hat jetzt der Herr Abgeordnete Oberg das Wort. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Als dieses Papier auf meinem Schreibtisch flatterte, war ich gespannt. Ich war gespannt, wie Sie, Herr Dragowski, als wissenschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion diesen Antrag hier begründen würden. Jetzt haben wir gerade erlebt, Sie haben darauf verzichtet. Ich glaube, Sie haben gut daran getan, darauf zu verzichten, denn wissenschaftspolitisch ist das hier ein Offenbarungseid.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der CDU und den Grünen]

An Ihrer Stelle hätte ich es wahrscheinlich genauso gemacht. Ich hätte mich geschämt und hätte den gesundheitspolitischen Sprecher vorgeschickt, der nachweislich sehr viel von dem Thema versteht.

[Kai Gersch (FDP): Mehr als Sie!]

Damit nur noch einmal klar ist, worüber wir hier eigentlich reden, wenn wir die Charité meinen, sei auf Folgendes verwiesen. Erstens: Die Charité ist eine zentrale Säule der Wissenschaftsstadt Berlin. Sie ist Kern der wachstumsstarken Gesundheitswirtschaft.

[Zuruf von Christoph Meyer (FDP)]

Und die Charité holt jedes Jahr mehr als 100 Millionen Euro zusätzliche Forschungsmittel nach Berlin.

[Zuruf von Kai Gersch (FDP)]

Zweitens ist die Charité der zweitgrößte Arbeitgeber in Berlin. 14 000 Menschen verdienen ihr Brot in dieser Institution.

Drittens: Die Charité leistet einen zentralen Beitrag für die medizinische Versorgung der Berliner. Zweifellos gehört die Charité zur Identität und auch zum Stolz dieser Stadt, und das schon seit 300 Jahren. Was für ein Geschenk macht die FDP nun zum 300. Geburtstag? – Sie will die Charité zerschlagen,

[Kai Gersch (FDP): Retten!]

teilweise verkaufen, in der Substanz plattmachen. Und dann spricht sie irgendwas von „Übergewicht“ und „durchs Ziel gehen“. Was Sie machen wollen, ist eine Amputation.

[Christoph Meyer (FDP): Lesen Sie unser Konzept!]

Wenn Sie mit der Charité zu den Paralympics fahren wollen, dann machen Sie das! Wir wollen in der Spitzenmedizin bleiben, wir sind für diesen Spaß nicht zu haben.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Zurufe von Christoph Meyer (FDP) und Kai Gersch (FDP)]

Herr Gersch! Sie haben gerade ein seltenes Kunststück vollbracht. Sie haben überhaupt nicht erzählt, was in dem Antrag drinsteht. Dann werde ich das gerne für Sie tun: Was haben Sie eigentlich vor? – Erstens: Das VirchowKlinikum soll aus der Charité herausgeschnitten werden. Zweitens: Den Forschungsstandort Buch mit über 300 Wissenschaftlern machen Sie einfach platt. Dann gibt es in Mitte künftig überhaupt keine Betten mehr. Da gibt es keine Krankenversorgung mehr. Alles zusammen bedeutet dies weniger medizinische Versorgung für die Berliner, weniger Forschung, einen Abbau von Tausenden Arbeitsplätzen und insgesamt eine Halbierung der Charité.

So, Herr Meyer, und da stellen Sie sich heute Morgen hier hin und sagen, Arbeitsplätze seien das beste Sozialprogramm. Jetzt wissen wir, dass Sie eigentlich nur so ein Fraktionsvorsitzendenimitator sind,

[Mirco Dragowski (FDP): Billig! – Özcan Mutlu (Grüne): Was bist Du denn? – Christoph Meyer (FDP): Erzählen Sie mal was über Ihr Konzept!]

deswegen passt es auch ziemlich gut, dass Sie hier sagen, wir brauchen Arbeitsplätze, und wenn es dann ums Konkrete geht, fangen Sie damit an, Arbeitsplätze zu streichen und Tausende Berliner Familien ins soziale Elend zu stürzen.

[Christoph Meyer (FDP): Ihr Konzept vermissen wir! – Christian Gaebler (SPD): Das ist Wachstum durch Wettbewerb! – Christoph Meyer (FDP): Sie sind so einfallslos!]

Schleierhaft ist mir, wie Sie mit diesem Konzept die selbstgesteckten Ziele erreichen wollen. Sie müssen mir einmal erklären, wie Sie durch Bettenstreichung – jetzt zitiere ich Ihren Antrag –

die medizinische Spitzenversorgung der Berliner Bevölkerung

sicherstellen wollen. Sie müssen mir einmal erklären, wie in der Charité – und jetzt zitiere ich wieder Ihren Antrag –

weltweit führende biomedizinische Forschung

stattfinden soll, wenn Sie Hunderte Wissenschaftler auf die Straße setzen! Das versteht kein Mensch, das ist blanker Unsinn.

[Beifall bei der SPD]

Es ist offensichtlich, dass Ihre Pläne für die Charité untauglich sind und wir so nicht weiterkommen, also werde ich Ihnen einmal erklären, was wir mit der Charité vorhaben.

[Zurufe von der FDP: Ah! – Özcan Mutlu (Grüne): Jetzt wird es spannend!]

Erstens: Wir wollen, dass die Charité regional breit aufgestellt bleibt, das schließt ausdrücklich den Berliner Südwesten mit ein.

[Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Zweitens: Wir wollen die Forschungskraft der Charité sichern und für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins nutzen. Kleines Beispiel: Unterhalten Sie sich einmal mit den Kollegen von Pfizer, warum die nach Berlin gekommen sind. Da werden Sie feststellen, die Charité spielte eine riesige Rolle.

[Zuruf von Christoph Meyer (FDP)]

Drittens: Wir wollen durch eine langfristige und verlässliche Planung den Investitionsstau auflösen.

[Kai Gersch (FDP): Sprechblasen!]

Daran arbeitet der Senat gerade.

Viertens: Wir wollen, dass Charité und Vivantes enger zusammenrücken.

[Kai Gersch (FDP): Wischiwaschi!]

Eine ruinöse Konkurrenz zweier landeseigener Unternehmen ist für mich inakzeptabel.

Schließlich fünftens: Wir wissen, dass die Größe der Charité eine Herausforderung ist. Sie bietet aber auch Chancen, und die wollen wir nutzen. Es ist schon wirklich ziemlich blinde liberale Schwarzweißdenkerei, wenn Sie sagen: Größe ist ein Problem. Dann haben Sie offensichtlich nicht viel von der Materie verstanden, denn Größe bietet Chancen, ist aber auch eine Herausforderung. Wir wollen uns dieser Herausforderung stellen.

[Zuruf von Kai Gersch (FDP)]

Sie streichen die Segel und sagen lieber: Streichen wir zusammen. Wir schmeißen Tausende Leute raus. – Sie wollen die Charité plattmachen.

Für die SPD ist die 300-jährige Geschichte der Charité Verpflichtung und Auftrag, diese einzigartige Institution weiterzuentwickeln und auch zu erhalten. Gleichzeitig sind diese 300 Jahre aber auch die Quelle der Gewissheit, dass die sturmerprobte Charité diesen ziemlich absurden Anschlag der FDP, den Sie heute hier vorlegen,