Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

In diesem Zusammenhang wurde auch die positive Gestaltung des innerstädtischen Wohnumfelds an vielen Stellen der Stadt konkret in Angriff genommen. Jedoch gibt

Ellen Haußdörfer

es noch Defizite, wie zum Beispiel die Beseitigung von Dreckecken und Schmierereien. Ein wichtiger Bestandteil positiver Lebensqualität im Innenstadtbereich ist der Erhalt bzw. die Wiederherstellung einer Mischung von Handel, Gewerbe, Gastronomie und zeitgemäßen Unterhaltungsangeboten.

[Beifall bei der CDU]

Hinderliche Verordnungen müssen auf ihre Sinnhaftigkeit überprüft und entsprechend angepasst werden. Soziale Stadtentwicklung zielt nicht nur oder in erster Linie auf bauliche Gegebenheiten, auf Sanierung, Wohnumfeldverbesserung u. Ä. ab. Sie betrifft vor allem Berlin als soziale Stadt und die Aspekte, die das soziale Zusammenleben ermöglichen. Auch die Innenstadtbereiche Berlins müssen bewohnbar bleiben und die Möglichkeit zur Integration und zum Zusammenleben bieten. Das friedliche soziale Miteinander von verschiedenen Bevölkerungsgruppen, von Jungen und Alten, Deutschen und Nichtdeutschen, sozial Schwachen und sozial Starken ist eine wichtige Zielsetzung für eine Metropole wie Berlin. Maßnahmen, die Hilfe zur Selbsthilfe für die Bedürftigen geben, haben einen wichtigen integrativen Effekt und daher einen hohen Stellenwert.

[Beifall bei der CDU]

Alle Bemühungen um die belasteten Stadtquartiere dürfen niemals das eigentliche Ziel aus den Augen verlieren. Ein erfolgreiches Quartiersmanagement bemisst sich nicht an der Höhe der Förderung sogenannter vernetzter Gruppen, sondern an der Verbesserung der Indikatoren für eine stabile Sozialstruktur.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Diese Verbesserungen können aber nur erreicht werden, wenn der Dienst an der Allgemeinheit wieder einen höheren Stellenwert einnimmt als das Akquirieren staatlicher Zuschüsse. Quartiersmanagement darf kein Missmanagement sein.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Um die problematischen Entwicklungen in den Innenstadtbezirken aufzuhalten oder umzukehren, sind folgende Maßnahmen vordringlich erforderlich: Erhaltungsverordnungen und Sanierungssatzungen müssen modifiziert, aufgehoben oder verhindert werden, damit Wohnmöglichkeiten von höherer Qualität geschaffen werden können. Initiativen privater oder öffentlicher Bauherren und Eigentümer müssen gefördert und nicht be- oder verhindert werden. Eine eher präventive Herangehensweise ist nötig, ein Vorgehen, das versucht, ein Umkippen von bisher noch funktionsfähigen Kiezen bzw. Regionen zu verhindern. Bei längerfristigem Leerstand von Gewerberäumen sollte geprüft werden, ob eine andere Nutzung, insbesondere für zusätzliche Angebote für Kinder und Jugendliche, möglich ist. Die Wohnungsbaugesellschaften und Gewerbetreibenden müssen in die baulichen und sozialen Reparaturprozesse so eingebunden werden, dass sie ihre Verantwortung in den betroffenen Gebieten wirkungsvoller als bisher wahrnehmen können. Verkehrsberuhigung und die Schaffung verkehrsfreier Bereiche müs

sen so organisiert werden, dass einer urbanen Verödung entgegengewirkt wird und sogenannte Schmuddelecken erst gar nicht entstehen können.

[Beifall bei der CDU]

Bisherige Maßnahmen müssen in diesem Sinn überprüft und gegebenenfalls den Realitäten angepasst werden. Das Land Berlin muss stärker die vorhandenen Steuerungsmöglichkeiten über die vorhandenen ÖBS-Ressourcen nutzen. Ein zielgerichteter Einsatz dieser Kräfte gerade in den betroffenen Gebieten ist anzustreben, allerdings nur dann, wenn die geforderten Leistungen nicht durch die ortsansässige mittelständische Wirtschaft zu erbringen ist.

Die Anträge der FDP-Fraktion bieten eine Reihe von diskussionswürdigen Ansätzen, die es in den weiteren Beratungen der Fachausschüsse im Detail zu erörtern gilt. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Bung! – Für die Linksfraktion hat jetzt der Abgeordnete Dr. Flierl das Wort. – Bitte!

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Man könnte es sich in der Tat einfach machen und sagen: Wir reden im Ausschuss darüber, dann können wir es heute kurz machen. Viel Substanz bieten die Anträge nicht. – Wenn man sie aber genau liest – deshalb wundere ich mich, dass die Kollegin Bung nicht auf den Text der FDP eingegangen ist –, ist das, was Sie hier abliefern, Herr Kollege von Lüdeke, ein stadtentwicklungspolitischer Offenbarungseid.

[Beifall bei der Linksfraktion und den Grünen]

Denn das, was hier zur Diskussion gestellt wird, ist die verfassungsgemäße Aushandlung und der Ausgleich von Interessen von Privat und Öffentlich, von Mieterinnen und Mietern und Eigentümern und von Staat – also Stadt – und Markt. Das wird infrage gestellt, indem Sie diese Vermittlungsaufgabe – die Substanz unseres Grundgesetzes ist – zu einer einseitigen, interessenbezogenen Artikulation der Eigentümer und Investoren machen. Da kann Incumbent Upgrading – die positive Deutung von Gentrifizierung – nicht darüber hinwegtäuschen, dass Sie den sozialen Interessenausgleich aus Ihrem Konzept streichen wollen.

Völlig abwegig ist, Frau Bung und die FDP, wenn damit im Grunde auf Dauer das gesamte besondere Städtebaurecht der Bundesrepublik Deutschland infrage steht. Es ist reiner Zynismus zu behaupten, das Mietrecht reiche aus, um den sozialen Umbruchprozessen und Herausforderungen von Metropolen wie Berlin Rechnung zu tragen.

[Beifall bei der Linksfraktion und den Grünen]

Stefanie Bung

Deswegen muss man die Sache schon sehr grundsätzlich behandeln. Sie haben völlig recht, dass immer weniger öffentliches Geld in diesen Ausgleichsmechanismus geht und eine bestimmte Art von Regulation, die früher ausschließlich staatswirtschaftlich erfolgte, zu Ende geht, aber die Frage ist, welche Konsequenzen man daraus zieht. Sie sehen ausschließlich die privatwirtschaftliche Mobilisierung statt den Interessenausgleich. Sie schreiben so absurde Sätze, wie: Jetzt müsste endlich die Investitionstätigkeit privater Investoren als fester Bestandteil der Stadtentwicklung verstanden werden. – Das ist absurd. Dieser Ausgleich, der 20, 30, 40, 50 Jahre in der Bundesrepublik existierte, beruhte ja gerade auf dem privaten Engagement der Bauherren. Das Problem ist, dass dieses von Ihnen einseitig freigesetzt werden soll, und zwar ohne Regulation. Wenn dieses Geld nicht mehr da ist, um den sozialen Kompromiss zu erkaufen, dann muss es durch rechtliche Bindung stärker reguliert werden, ohne es in seiner ökonomischen Wirkung einzuschränken. Ich glaube jedenfalls, dass Ihre Thesen an der Realität weit vorbeigehen und wir hier eine ernsthafte Debatte brauchen.

Auch Ihre Beispiele – die Spandauer Vorstadt und der Kollwitzplatz – sind als Resultate auf der Grundlage eines Verdrängungseffektes von mehr als 50 Prozent der ortsansässigen Bevölkerung nicht wirklich positiv.

Die Missstände, die Frau Bung charakterisiert hat und die im Einzelfall vielleicht sogar besonderes Städtebaurecht erfordern würden, werden mit Ihren Maßnahmen in keiner Weise bewältigt. Die öffentlichen Mittel werden dann nicht mehr eingesetzt, um mit den Privaten Aushandlungsprozesse zu ermöglichen, sondern die öffentlichen Mittel sollen neue Highlights finanzieren, um neue Bevölkerungsschichten anzulocken und andere zu verdrängen. Ihr Konzept beruht auf Verdrängung und der einseitigen Durchsetzung privater Interessen und führt die sinnvolle Einhegung und Regulation privater und öffentlicher Interessen ad absurdum.

Ihr Antrag ist keineswegs freiheitlich, vielfältig und tolerant, denn Freiheit ohne ein bestimmtes Maß an Gleichheit ist Ausbeutung. Ihr Sozialmodell ist Monokultur. Wenn bestimmte Mittelstandskulturen mit viel öffentlichem Geld – das kann man durchaus gemeinsam kritisieren – bestimmte Quartiere aufgewertet haben, dann ist möglicherweise die Vielfalt nicht mehr so groß, wie in Prozessen, in denen sich die Bürgerschaft ihrer städtischen Umwelt angenommen hat.

[Beifall bei der Linksfraktion und den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Bei Ihnen werden die Probleme exportiert.

Entschuldigung Herr Abgeordneter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich möchte fortsetzen. – Umgekehrt ist natürlich auch Gleichheit ohne Freiheit Diktatur. Das sage ich auch ganz klar. Das freie ökonomische Handeln muss Teil dieser Gesellschaft sein. Ich wende mich auch im Namen meiner Fraktion eindeutig gegen Gewalttaten, die soziale Ziele mit Gewalt gegen Eigentum und Menschen verfolgen wollen. Das wurde in Ihrem Antrag auch angesprochen.

[Beifall bei der FDP]

Aber das, was Sie vorschlagen und bereits auf Bundesebene einschränken – das wurde bereits von meinen Vorrednern erwähnt –, reduziert die Regulationsmöglichkeiten zwischen den Akteuren. Deswegen unterstützen wir ausdrücklich die von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung umgesetzten Programme der Sozialen Stadt, des Quartiersmanagements und neuerdings auch der „Aktionsräume plus“ und kritisieren die Reduzierung dieser Mittel, die die schwarz-gelbe Bundesregierung vornimmt.

[Beifall von Uwe Doering (Linksfraktion)]

Ich bitte darum, mehr solche klarstellenden Anträge zu stellen. Denn es macht die gesellschaftliche Debatte um die Zukunft in der Stadtentwicklung sehr viel lebhafter. Ich glaube, dass Sie sich jenseits eines Konsenses, der durch die Verfassung begründet ist, am Rande bewegen und meine, dass es tatsächlich eine qualifizierte Debatte im Ausschuss geben wird. Ich hoffe auf die weitere Qualifizierung der Stadtentwicklungspolitik dieser Koalition. – Vielen Dank!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Flierl! – Für die Grünen hat Frau Eichstädt-Bohlig das Wort.

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir geht es so ähnlich wie dem Kollegen Flierl. Ich habe den Antrag doch ganz anders interpretiert als Frau Haußdörfer und Frau Bung. Sie haben das beide als Fortentwicklung der sozialen Stadtentwicklung interpretiert. Es tut mir leid, ich habe beide Anträge drei bis fünf Mal durchgelesen und bin zu der Überzeugung gekommen, es sind Anträge, die im Endeffekt sagen: Nur der Markt und private Investitionen sind per se gut, und vom Staat ist eigentlich nichts anderes zu fordern, als dass er das unterstützt.

[Christoph Meyer (FDP): Der Rahmen!]

Und da muss ich sagen: Das kann es nicht sein. Um Himmels willen, wenn Sie das wirklich so meinen – es ist ja ein bisschen kryptisch, was da drin steht, und auch ein bisschen widersprüchlich –, dann sage ich ganz deutlich: Nicht mit uns! Punkt.

[Beifall bei den Grünen]

Dr. Thomas Flierl

Ich nenne Ihnen einen Widerspruch. Im Titel sprechen Sie sich gegen Segregation aus, aber im Text, das hat der Kollege Flierl eben schon gesagt, ist der Mieterschutz dann das Einzige, was noch gegen Segregation helfen soll. Und Sie bewerten die Gentrification und das Upgrading positiv. Und jetzt erzählen Sie mir nichts anderes: Upgrading ist, wenn ein Investor ein Haus, in dem bisher relativ schlechte Wohnungen sind und Haushalte mit niedrigem Einkommen, freiräumt, saniert und es dann an besserverdienende Schichten vermietet. Das ist genau das, was zur Segregation führt, was zur Verdrängung führt, zur Vertreibung und zu einer Aufwertung, der dann im Negativen eine Abwertung gegenübersteht. Und mit der befassen Sie sich in Ihrem Antrag überhaupt nicht. Das halte ich für unverantwortlich in einer Stadt, die so große soziale und sozialräumliche Probleme hat wie unser Berlin.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

An einer Stelle fordern Sie, dass für die Gesamtstadt konkrete Zielmaßnahmen und Mittelplanung gemacht werden und dann auch Evaluation. Da sagen wir: Wir werden auch bald so einen Antrag stellen. Für die Aktionsräume plus, für die Städtebauförderung und für Einzelmaßnahmen und Einzelquartiere finden wir das richtig und wichtig. Da muss es klare Ziele geben. Da muss es eine klare Mittelplanung und Maßnahmenplanung geben und auch eine gute Evaluation. Aber Ihre Forderung richtet sich an die Gesamtstadt. Gucken Sie sich das selber noch einmal genau an. Und dann sage ich schlicht: Da fordere ich eine völlig über Stadterneuerung hinausgehende Regierungserklärung und Koalitionsvereinbarung. Das ist praktisch ein Regierungsprogramm, was Sie fordern. Man kann aber nicht einfach sagen: Jetzt macht mal eine Evaluation für die Gesamtstadt! – Da müssen Sie sich Ihren Antrag noch einmal besser angucken.

[Beifall bei den Grünen]

Ich möchte ein paar Punkte sagen, wo ich grüne Aspekte für sehr viel wichtiger halte als das, was Sie vorschlagen. Erster Punkt: Es kann nicht einfach um Aufwertung gehen. Aufwertung braucht Ziele. Ich sage mal ganz konkret, ein Ziel, das wir zurzeit diskutieren, ist zum Beispiel: Wie kriegen wir Klimaschutz in die Gebäude rein, was auch Investitionen kostet, und zwar ohne Verdrängung,

[Christoph Meyer (FDP): Und wer soll das bezahlen?]

während Sie sich über die Verdrängung überhaupt keine Gedanken machen. Denn das ist das Wichtige: Bei Ihrer Form der Aufwertung, wo sollen dann eigentlich die Aufwertungsverlierer bleiben? Die landen dann in Marzahn, in Spandau und im Märkischen Viertel. Und das kann nicht das Ziel sein.

[Björn Jotzo (FDP): Bei Ihnen sind die Eigentümer und Vermieter die Verlierer!]