Protokoll der Sitzung vom 22.04.2010

Zur Erwiderung hat der Kollege Wansner das Wort.

Sehr geehrte Frau Bayram! Sie haben die Diskussion noch einmal mit einem Einzelfallproblem belegt. Es wird immer irgendwelche Fälle geben, die problematisch sind, die traurig sind, mit denen man sich im Nachhinein beschäftigen muss. Aber es ist genauso katastrophal, dass es Tausende von Menschen in dieser Stadt gibt, die seit Jahrzehnten in Berlin leben und sich mit ihren Nachbarn und mit ihren Freunden nicht vernünftig unterhalten können.

[Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Sie werden mir doch nicht absprechen, dass es einige Familien gibt, die Menschen nachkommen lassen und noch nicht einmal möchten, dass sie sich in diese Gesellschaft, in der wir gemeinsam leben, einbringen können.

[Özcan Mutlu (Grüne): Mit 300 Worten Deutsch ist das auch nicht gewährleistet! – Sehr geehrter Herr Mutlu! Sprache ist doch das ein- fachste, das wichtigste Mittel, um sich in dieser Gesell- schaft wenigstens im Ansatz zurechtzufinden, und – Frau Bayram! – in dieser Gesellschaft, in der wir gemeinsam leben, gleichberechtigt zu leben. Und wenn Ihnen die Gleichberechtigung in dieser Gesellschaft, das gemeinsa- me Zusammenleben in dieser Stadt, so wenig wert ist, wie Sie es formuliert haben – seien Sie mir nicht böse –, ha- ben Sie die Probleme, die wir in dieser Stadt, in gewissen Quartieren haben, bis heute nicht gemerkt. [Özcan Mutlu (Grüne): Die Probleme haben Sie doch verursacht!]

Ich kann Sie eigentlich nur bitten: Gehen Sie doch mal in Quartiere – ich sage es mal flapsig –, wo ein hundertprozentiger Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund ist. Sie werden dann erleben, welche Probleme, welche Sorgen und welche Ängste gerade viele Menschen haben, die zugereist sind.

[Özcan Mutlu (Grüne): Wo leben Sie denn?]

Lieber Herr Mutlu! Deshalb ist der Antrag der Grünen rückwärtsgewandt. Ich sage Ihnen deutlich: Ich glaube, Sie waren in Ihrer Partei zwischenzeitlich in den Ansätzen, die Sie hatten, weiter.

Ich erinnere mich – das hat mich menschlich fasziniert – an die Abschiedsrede von Herr Wieland im Berliner Abgeordnetenhaus, der hier vorne stand und sagte: Wenn mich etwas ein wenig enttäuscht hat und wenn ich auch aus meiner eigenen politischen Arbeit eines mitnehme, so ist dies, dass die multikulturelle Gesellschaft, die wir hier gemeinsam gestalten wollten – das waren die Worte von Herrn Wieland –, so wie wir es wollten, gescheitert ist. Lesen Sie das Protokoll nach! Gleichzeitig sind alle in

diesem Haus aufgefordert, die Integration mit zu einer Hauptaufgabe unserer Arbeit in diesem Hause zu machen.

Frau Bayram! Wir wissen doch, dass wir von den Sozialdemokraten und von der Linkspartei in diesem Hause zur Integration nicht allzu viel zu erwarten haben.

[Özcan Mutlu (Grüne): Das sagen gerade Sie!]

Haben wir die Hoffnung, dass wir in gut einem Jahr andere Ansätze im Bereich der Integration haben! Wir werden sehr lebhaft, allerdings auch sehr erfolgreich Integration in dieser Stadt gestalten.

[Özcan Mutlu (Grüne): Träumer!]

Lieber Herr Mutlu! Wenn man in der Politik nicht ein wenig träumen kann, sollte man mit der Politik aufhören!

[Beifall bei der CDU – Heiterkeit bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die Linksfraktion hat nunmehr der Kollege Sayan.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuerst zu Frau Bayram: Frau Bayram! Ihre persönlich Rache gegenüber der SPD gibt Ihnen kein Recht, Unwahrheiten über Innenausschussdebatten vorzutragen. Sachen, die Sie gesagt haben, werden im Protokoll nachzulesen sein.

Seit der Einführung der Sprachanforderung beim Familiennachzug im Aufenthaltsgesetz sind nun fast drei Jahre vergangen. Unsere Bundestagsfraktion – das ist richtig – hat hierzu eine Reihe von Kleinen Anfragen zur Ausführung gestellt. Aus den Antworten der Bundesregierung lässt sich ablesen, dass die ursprüngliche Zielsetzung nicht erreicht wird.

[Özcan Mutlu (Grüne): Hört, hört!]

Es wurde nicht erreicht, das ist richtig. Das Ziel dieser Regelung war angeblich die wirksame Bekämpfung von Zwangsverheiratungen von insbesondere jungen Zuwanderinnen, und nicht nur Kurdinnen. In allen islamischen Ländern gibt es solche Zwangsverheiratungen. Das darf man nicht auf eine Nation oder ein Volk reduzieren. – Das ist unfair, Frau Bayram! – Dieses Ziel wird verfehlt. Es gibt nach wie vor keinen Beweis dafür, dass durch diese Sprachanforderungen auch nur eine einzige Zwangsverheiratung verhindert werden konnte.

Die Bundesregierung behauptete, die Regelung sei keine Beschränkung des Familiennachzugs. Die vorliegenden Zahlen, die wir erfahren haben, zeigen: In Wirklichkeit ist dieses Gesetz ein Einreise- und Familiennachzugsverhinderungsgesetz.

[Beifall von Volker Ratzmann (Grüne) – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion]

Die Zahl der erteilten Visa für den Ehegattennachzug ist nach Inkrafttreten des Gesetzes deutlich zurückgegangen. Der Erwerb eines Sprachnachweises stellt für viele Betroffene vor allem eine ökonomische Hürde dar. Die Sprachkurse kosten mehrere Hundert Euro, manchmal Tausende. Sie werden meist nur in den jeweiligen Hauptstädten oder in den Großstädten der Herkunftsländer angeboten. So werden den Betroffenen zusätzliche Reise- und Aufenthaltskosten zugemutet. 40 Prozent der Familienangehörigen befinden sich in der Schleife des Sprachtests. Sie zahlen und versuchen es immer wieder, in die Bundesrepublik zu kommen.

Die Regelung zu dem Sprachtest beim Familiennachzug führt zu einer sozialen und ökonomischen Selektion. Reiche und gebildete Menschen können die Hürden überwinden, die anderen aber nicht. Arme, ältere und bildungsferne Menschen werden bei Familiennachzug systematisch benachteiligt. Das möchten wir nicht hinnehmen, sondern dagegen kämpfen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Liebe Grünen! Wir sprechen hier aber über eine Entscheidung, die nicht von uns in Berlin, sondern auf Bundesebene getroffen worden ist.

[Özcan Mutlu (Grüne): Deshalb sollen Sie auch eine Bundesratsinitiative starten!]

Verehrte Frau Abgeordnete Bayram! Sie kennen die Grenze genau – oder nicht? Sie haben uns trotzdem einmal wieder einen Schaufensterantrag vorgelegt, der aber in diesem Hause nicht einfach entschieden werden kann.

Die Linke hat die Neureglung zu Sprachtests im Bundestag abgelehnt. Auch die Linke im Berliner Abgeordnetenhaus hält die bestehende Regelung nicht für sinnvoll. Wir teilen die Intention des Antrags, das ist richtig, aber wir verfolgen das politische Geschäft nach den Regeln einer Regierungskoalition, die auf Machbares sinnt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Sayan?

Nein! – Die Grünen hingegen können opponieren, deklarieren, auch wenn man Hand und Fuß vermisst.

[Gelächter von Özcan Mutlu (Grüne) – Volker Ratzmann (Grüne): Deswegen habt ihr auch dem EU-Vertrag im Bundesrat nicht zugestimmt!]

Eine Mehrheit auf Bundesebene für solch eine Initiative ist zurzeit leider nicht absehbar. CDU und FDP haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, das sie ihre so verankerte Einreisebeschränkung und Selektion nicht ändern wollen. Aus der SPD sind dazu bislang unterschiedliche Meinungen zu hören. Frau Bayram hat gesagt, einerseits Körting, andererseits auf Bundesebene. Sigmar Gabriel dagegen hat die Einführung der Sprachanforderung be

Kurt Wansner

reits als Fehler bezeichnet. Solange die SPD keine einheitliche Meinung dazu hat, ist eine Mehrheit für eine Bundesratsinitiative nicht absehbar.

Meinen Damen und Herren, vor allen von der SPDFraktion! Sie können sicher sein, dass meine Fraktion Ihr Meinungsbild aufmerksam verfolgen und nicht ruhen wird, Sie darauf anzusprechen. Wir wollen mit Ihnen zusammen möglichst eine Bundesratsinitiative starten.

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Den Grünen möchte ich vorschlagen, unterdessen bei ihren konservativen Freunden, der CDU, um Unterstützung zu bitten. Vielleicht erreichen Sie die Zustimmung Ihrer grünen-konservativen Regierungen in Hamburg und im Saarland. Dann können wir zusammen etwas unternehmen. – Danke schön!

[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Das Wort für die FDP-Fraktion hat der Kollege Jotzo.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muss sagen, was Sie hier dargeboten haben, das war ein erstaunliches Herumlavieren. Einerseits haben Sie begründet, warum Ihnen der Antrag der Grünen entgegenkommt, andererseits haben Sie wiederum begründet, warum Sie sich nicht so verhalten. Das ist merkwürdig.

[Beifall bei der FDP und den Grünen – Özcan Mutlu (Grüne): Sehr merkwürdig!]

Und das kennzeichnet ein Stück weit auch, wie diese Koalition agiert. Ich glaube, dieses Thema eignet sich auch nicht dafür, rechts- oder linksideologische Debatten damit zu führen. Dafür ist es zu ernst.

Die FDP-Fraktion ist der Auffassung, dass es richtig ist, Mindestanforderungen an Integrationswillige zu stellen, und dazu gehört eben auch, dass man fordern kann, dass das Mindestniveau bei der Verständigung in deutscher Sprache gegeben ist. Dazu gehört auch, dass Sprachkenntnisse einfacher Art nachgewiesen werden können. Dazu stehen wir nach wie vor.

[Zuruf von Özcan Mutlu (Grüne)]

Das Entscheidende ist aber, dass keine Anforderungen an Immigrationswillige gestellt werden, die überhöht sind. Deshalb haben wir Ihnen einen entsprechenden Vorschlag gemacht. Wir haben im Innenausschuss zu Ihrem Antrag einen umfassenden Änderungsantrag vorgelegt, der letztlich dazu geführt hat, dass die gesamte Begründung, die Bündnis 90/Die Grünen ihrem Antrag zugrunde gelegt haben, ad absurdum geführt wird. Wir haben sieben Punkte gefordert:

dass neben dem Angebot der Goethe-Institute auch andere vor Ort tätige Sprachkursanbieter in Betracht kommen müssen,

[Özcan Mutlu (Grüne): Ist bereits erfolgt!]

dass es auch möglich sein muss, dass für Interessierte ein Sprachkursangebot im Internet vorgehalten werden muss,

dass eine einheitliche Qualitätssicherung für andere Abnahmen von Deutschprüfungen vorgesehen wird,