Protokoll der Sitzung vom 06.05.2010

Das war ein Vorspiel nur. Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.

All das ist genau dokumentiert in der Topografie des Terrors, deren neues Ausstellungsgebäude heute endlich eröffnet wird, nach einer langen, unendlichen Geschichte.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Beifall von Franziska Eichstädt-Bohlig (Grüne)]

Dort, wo die Schreibtische der Täter standen, sollen sich Menschen aller Generationen informieren können, wie das menschenverachtende System organisiert wurde und funktionierte. Dass wir heute einem Ort wie der Topografie des Terrors eine so große Bedeutung beimessen, zeigt zweierlei: wie grausam das nationalsozialistische Terrorregime wirklich war und zweitens, was wir als demokratisch und rechtsstaatlich Denkende heute von diesem System halten. Das Ende des Dritten Reiches ist vor diesem Hintergrund keine Niederlage, sondern die Befreiung auch aller Deutschen von einer menschenverachtenden Ideologie und einer grausamen Diktatur. Dies zu erkennen, muss sich jede Generation von Neuem erarbeiten. Umso wichtiger sind Lernorte und ist die historischpolitische Bildung heute. Und umso wichtiger ist es auch, Zivilcourage zu zeigen und auch, wenn es nötig ist, zum zivilen Ungehorsam aufzurufen.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Astrid Schneider (Grüne)]

Wir wollen, dass der 8. Mai zum nationalen Gedenktag erklärt wird. Er ist von Bedeutung für Deutschland, wie es auch der Holocaust-Gedenktag ist, der 1996 von Bundespräsident Roman Herzog als Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27. Januar 1945 erklärt wurde. Aber nicht nur am 8. Mai müssen wir für Demokratie und Menschenrechte eintreten, sondern jeden Tag. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Beifall von Astrid Schneider (Grüne)]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Lange! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Herr Fraktionsvorsitzende Ratzmann das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der 8. Mai ist und bleibt der Tag der Befreiung Deutschlands von dem mörderischsten, diktatorischsten System, das wir auf dieser Welt je erlebt haben.

[Beifall bei den Grünen und der Linksfraktion]

Es ist und bleibt der Tag, an dem wir der Opfer vieler Nationen gedenken, die ihre Menschenleben, ihre Söhne und Väter dafür geopfert haben, dass wir heute in Freiheit leben können. Das ist wahrlich ein Tag, an dem man genau dieser Leistungen und Errungenschaften gedenken kann.

Es war Richard von Weizsäcker, der mit seiner berühmten Rede sehr klar und deutlich gemacht hat, dass dieser Tag, der bis dato immer auch die ganze Zwiespältigkeit der Folgen des Nationalsozialismus, die Unterschiedlichkeit der Schicksale, die Menschen aufgrund dieser historischen Ereignisse erlebt hatten, in sich trug, zuallererst und zuvörderst bei aller Zwiespältigkeit der Tag der Befreiung ist, und ich glaube, wir tun gut daran, uns diesem Gedanken anzuschließen.

Wir brauchen diese Gedenktage. Ich habe das in einer Debatte schon einmal gesagt. Ich kann mich noch daran erinnern, dass der Nationalsozialismus, das Leben in dieser Zeit bei uns zu Hause noch Thema gewesen ist. Ich kann mich noch erinnern, wie ich meinen Vater erstmals bewusst denkend und auch sehr furchtsam gefragt habe: Was hast du eigentlich gemacht damals? –, meine Mutter gefragt habe: Was habt ihr eigentlich damals erlebt? Wie war das für euch? Wenn ich mir heute die Kinder und Jugendlichen ansehe, sehe ich sehr deutlich, wie schwierig es ist, diese ganze Zeit ohne Symbole zu vermitteln, dann brauchen wir genau diese Tage, an denen wir dieser Ereignisse gedenken.

Aber diese Gedenktage sind auch immer Ergebnis eines Prozesses kollektiver Selbstverständigung. Ich glaube, diese kollektive Selbstverständigung ist als vorausgehender Prozess notwendig, wenn man sich auf so ein herausragendes Ereignis, ein herausragendes Symbol nationaler Art verständigen will. Ich gebe hier auch zu bedenken, dass es bereits einen Tag der Erinnerung gibt, und das ist der 27. Januar, der Tag, an dem 1945 das Konzentrationslager Auschwitz befreit wurde. Der Bundespräsident hat sich damals dazu entschlossen, diesen Tag zum Tag der Erinnerung an die Schrecken des Nationalsozialismus auszurufen, weil in dem mörderischen System des Völkermordes durch den Nationalsozialismus wohl am eindrücklichsten die diktatorische und menschenverachtende Wirkung dieses Systems zum Ausdruck kommt.

Wer heute eine Debatte darüber aufmacht, dass wir einen zweiten Gedenktag in dieser Reihenfolge brauchen – ich habe versucht, das mit guten Gründen nachzuvollziehen, muss sich doch auch damit auseinandersetzen, wie diese beiden Gedenktage ins Verhältnis zueinander zu setzen sind. Wir kennen doch die Schwierigkeit, solche Daten in ein System von Gedenktagen einzuordnen. Wir selbst leiden immer darunter, dass wir den 9. November, der an verschiedener Stelle herausragende deutsche historische Ereignisse markiert, nicht auch in diese Reihe von Gedenktagen einordnen können.

Ich glaube, dass es falsch ist, jetzt in einem Husarenritt mit einer Sofortabstimmung im Berliner Parlament zu fordern, dass eine Bundesratsinitiative eingeleitet werden soll. Ich verstehe nicht, wie sich eine SPD in Berlin einer bundesweit durchgeführten Kampagne der Linken, die das zurzeit in allen Landesparlamenten und im Bundestag propagiert, einfach so, vorbehaltlos anschließen kann, einer alten Forderung der DKP, die die immer vor sich hergetragen haben, jetzt sang- und klanglos ohne Diskussion mit einer Sofortabstimmung im Berliner Parlament. Das kann nicht wahr sein.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): 64 Jahre, Herr Kollege!]

Deswegen sage ich Ihnen: Sie erweisen einem berechtigten Anliegen durch die Art und Weise, wie Sie es hier vortragen, durch die politische Instrumentalisierung, die Sie ihm angedeihen lassen, einen Bärendienst. Herr Brauer! So kann man mit solch einem Datum nicht umgehen!

[Beifall bei den Grünen, der CDU und der FDP]

Ich fordere Sie eindringlich auf: Lassen Sie davon ab, diese Diskussion mit einer Sofortabstimmung beenden zu wollen! Überweisen Sie das Ganze in den Kulturausschuss! Auch nächstes Jahr kommt noch ein 8. Mai. Das ist zu bedeutsam und zu wichtig in der nationalen und kollektiven Gefühlswelt gerade in dieser Stadt. Wir brauchen die Diskussion darüber. Deswegen fordere ich Sie auf: Lassen Sie die Sofortabstimmung weg! Lassen Sie uns das mit den anderen Verbänden, die daran ein wohlberechtigtes Interesse haben, diskutieren, um zu einem einvernehmlichen Ergebnis für diese Stadt und vielleicht auch für die ganze Bundesrepublik zu kommen. So kann man damit nicht umgehen. Ich sage Ihnen: Wir werden uns einer Sofortabstimmung verweigern, und wenn das Haus trotzdem mehrheitlich meint, es muss sofort abgestimmt werden, werden wir uns an dieser Abstimmung nicht beteiligen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen und der CDU Vereinzelter Beifall bei der FDP – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Einfach nur peinlich, was Sie da erzählen!]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Ratzmann! – Für die Fraktion der FDP hat jetzt der Herr Abgeordnete von Lüdeke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Und wieder jährt sich der 8. Mai, der Tag des Kriegsendes – das Ende eines Krieges, der Tod und Verwüstung über große Teile Europas brachte, der zu Flucht und Vertreibung führte und der nicht zuletzt die Spaltung Europas in zwei Blöcke feindlicher Ideologien einleitete. Ein nationaler Gedenktag soll dieser Tag der Befreiung werden, so fordern Sie, Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot. Sie fordern nicht auf zum Gedenken an Krieg, Leid und Tod, nein, Sie wollen einen Gedenktag an die Befreiung. So steht es in Ihrem Antrag.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Befreiung wovon? – Das lässt sich leicht beantworten. Erstens, die Befreiung von totalitärer Herrschaft und Willkür, Befreiung von einem Unrechtssystem, das ein ganzes Volk knechtete, Bürgerrechte mit Füßen trat und eine Vernichtungsmaschinerie ungekannten Ausmaßes in Bewegung setzte. Zweitens, die Befreiung von Krieg. Auch das ist eine Befreiung, nämlich ein Ende von Gewalt und Tod.

Befreiung wozu? – Zur Befreiung gehört auch die gewonnene Freiheit, und für alle bestand diese Freiheit zunächst in einem sehr mühevollen Leben in den Nachkriegstrümmern und in einem Neuanfang in den Ruinen. Für einen Teil der Deutschen war es eine Befreiung zu demokratischem Denken und staatsbürgerlichem Handeln, für den anderen Teil aber lediglich eine Befreiung zu erneuter Unterdrückung, Befreiung zur Wiederkehr eines totalitären Regimes, wenn auch anderer Couleur.

[Beifall bei der FDP – Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Sie sind ja noch schlimmer als Jotzo!]

Fakt ist: Ost und West wurden nicht in gleicher Weise befreit, und genau das gibt dieser Antrag nicht wider.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Ahnung haben Sie auch keine!]

Meine Damen und Herren von links und ganz links! Was Sie mit Ihrem Antrag betreiben, ist die Verharmlosung der bitteren Tatsache, dass demokratisches Wesen im Osten nicht genesen konnte. Sie können nicht ernsthaft einer Befreiung von einer dunklen Vergangenheit gedenken, ohne damit eine bessere Zukunft zu antizipieren, die aber leider für einen Teil dieses Landes nicht am 8. Mai 1945, sondern erst am 9. November 1989 begann.

[Beifall bei der FDP – Zurufe von der Linksfraktion]

Der Kunstgriff, Ihren Antrag mit einem Zitat aus der Rede von Richard von Weizsäcker zum 8. Mai 1985 zu garnieren, macht das Ganze nicht besser. Herr Lehmann-Brauns hat schon eindrücklich darauf hingewiesen.

Wir Liberale verschließen uns keinen Gedenktagen, die staatsbürgerliche Tugenden feiern, im Gegenteil. Wir forderten seit Jahren, den 18. März zum nationalen Ge

denktag zu erklären, ein Datum, das wie kein anderes in unserer Geschichte von republikanischem Denken und Handeln und Einheitsstreben kündet. Die gescheiterte Revolution von 1848 bildete mit ihrem Scheitern die Grundlage für einen republikanisch verfassten deutschen Staat.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Das ist nicht mehr gelb, was Sie hier sagen!]

Der Terminus „Befreiung“ legt auch in diesem Antrag eine Befreiung von einer Willkürherrschaft hin zu einer Demokratie nahe. Doch die Antwort auf die Frage – Befreiung wozu? – sieht für einen Teil der zu gedenkenden Nation mehr als trübe aus. Hier ging eine Diktatur in eine andere über, von demokratischem Staatswesen keine Spur.

Über ein Gedenken zum Kriegsende kann man reden. Wir gedenken dessen jedes Jahr sehr öffentlichkeitswirksam. Aber das wollen Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, mit diesem Antrag überhaupt nicht. Das Kriegsende ist nicht eindeutig. Erfahrungen, die Verluste, Niederlagen, Hunger, Kälte, Heimatlosigkeit gehören zum Krieg, aber auch zum Kriegsende und prägen die Realität der Menschen weit über dieses Datum hinaus. Dieser Realität werden Sie nicht gerecht, denn diese Erfahrungen entziehen sich der Kategorie „Befreiung“. Deshalb können wir dem Antrag nicht zustimmen. Da wir aber ein Gedenken an das Kriegsende grundsätzlich für wichtig und einen Gedenktag für berechtigt halten, werden wir uns bei der Abstimmung enthalten.

Zum Schluss vielleicht noch ein formaler Hinweis: Einen nationalen Gedenktag kann nur der Bundespräsident qua Proklamation verkünden, was auch immer wir heute hier beschließen mögen. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter von Lüdeke! – Eine Kurzintervention von Herrn Dr. Lehmann-Brauns? – Dann Sie haben das Wort. – Bitte!

[Dr. Klaus Lederer (Linksfraktion): Jetzt stellen Sie richtig, dass Sie es nicht gleichsetzen!]

Meine Damen und Herren! – Ich habe hier nichts gleichzusetzen, meine Rede können Sie ja nachlesen.

Die CDU-Fraktion wird sich der Anregung der Grünen, sich mit Rücksicht auf die Gedrängtheit dieser Sache heute an der Abstimmung nicht zu beteiligen, anschließen. Herr von Lüdeke! Sie haben mich angesprochen, und deshalb möchte ich dies der FDP hiermit zur Kenntnis geben.

[Beifall bei der CDU und den Grünen]

Vielen Dank, Herr Abgeordneter Dr. Lehmann-Brauns! Herr von Lüdeke möchte darauf nicht reagieren.

Dann kommen wir zur sofortigen Abstimmung, die beantragt worden ist. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beantragt jedoch die Überweisung des Antrags Drucksache 16/3161 an den Ausschuss für Kulturelle Angelegenheiten, worüber ich zuerst abstimmen lasse. Wer für die Überweisung ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Das ist die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die Fraktion der CDU und die Fraktion der FDP. Die Gegenprobe! – Das sind die Koalitionsfraktionen, das ist die Mehrheit. Enthaltungen sehe ich nicht, damit ist dieser Überweisungsantrag abgelehnt.

Ich frage nun, wer dem Antrag zustimmen möchte. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Die Gegenprobe! – Enthaltungen? – Das ist die FDP. Die anderen Fraktionen möchten nicht abstimmen, das nehme ich zur Kenntnis. Ersteres war die Mehrheit, damit ist dieser Antrag einstimmig angenommen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4.2:

Option ziehen – Betreuung Langzeitarbeitsloser gehört in kommunale Hände!