Protokoll der Sitzung vom 20.05.2010

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Tesch! Es ist nicht die erste Debatte, bei der ich feststellen möchte: Es wäre besser, Sie sprächen mit den Schulleitern nicht bei Trauerfeiern, sondern würden in die Schulen gehen und sich dort einen Eindruck von der Situation machen!

[Beifall bei der CDU, den Grünen und der FDP]

Der Senat hat keine Antwort auf die drängenden Fragen des Berliner Bildungssystems. In der Debatte über VERA erklärte Senator Zöllner bisher nur, man werde an VERA festhalten. In der Plenardebatte der letzten Sitzung drohte er sogar damit, dass jeder, der es wage, den Vergleichstest nicht zu schreiben, disziplinarrechtlich verfolgt werde. So kam es ja wohl dann auch. Er unterstellt der Lehrerinitiative insgesamt kein Interesse an der Verbesserung der Situation zu haben. Was für eine Ohrfeige für die Lehrerinnen und Lehrer, die sich ein Herz gefasst hatten und gegenüber ihrem obersten Dienstherrn gemeinsam sagen wollten, dass es so nicht weitergehen kann an den Berliner Grundschulen! Nehmen Sie die Sorgen der Berliner Lehrerinnen und Lehrer ernst, anstelle sie zu beschimpfen, Herr Zöllner!

[Beifall bei der CDU]

Natürlich sind die Herausforderungen in Berlin aufgrund der demografischen Entwicklung andere als anderswo. Aber der Großteil der Berliner Probleme in der Grundschule ist hausgemacht. Es ist Ihre Personalpolitik, die zu eklatanten Stundenausfällen und Fristverträgen am laufenden Band als Regel führt! Es ist Ihre Augen-zu-Politik, die zu massenweisem Sitzenbleiben in der Grundschule führt, es ist Ihre mangelhafte Gesundheitspolitik, die zu ständig steigenden Zahlen der dauerkranken Lehrerinnen

und Lehrern führt! Verstecken Sie sich nicht immer hinter den Problemen, sondern lösen Sie sie endlich!

[Beifall bei der CDU]

Sie haben die Schulreform vom Jahr 2003 zu verantworten. Das jahrgangsübergreifende Lernen wurde als Pflicht für alle Schulen eingeführt – einmalig in der Bundesrepublik Deutschland. Gleichzeitig wurden die Rückstellungen von der Einschulung rückgängig gemacht, das Einschulungsalter gesenkt und die ersten beiden Klassen an den Sonderschulen abgeschafft. Alle Kinder wurden einfach nebeneinander gesetzt und sich selbst überlassen. Auch engagierte Lehrerinnen und Lehrer waren bald mit ihrer Zusatzarbeit und ihrem Engagement am Ende.

[Zuruf von Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Die Quittung erhielten Sie bald, die Wiederholungsquote in der Eingangsphase steigt unaufhörlich. Mittlerweile sind es 20 Prozent, jedes fünfte Kind wiederholt also die 2. Klasse. Wer ehrlich ist, muss doch zugeben, Frau Dr. Tesch: Die Hoffnungen und Versprechungen der Zwangsphase konnten nicht erfüllt werden. Die Pflicht zum jahrgangsübergreifenden Lernen hat nichts genutzt, die Schülerinnen und Schüler sind dadurch kein Stück besser beworden. Sie sind sogar schlechter geworden. Um das zu erkennen, benötigen wir keine Evaluationen, wie die FDP sie heute fordert. Die katastrophalen Ergebnisse sind mit den Händen zu greifen!

Wir fordern Sie deshalb erneut auf, die Grundschulen wieder in die Freiheit zu entlassen und das jahrgangsübergreifende Lernen mit zusätzlichen Lehrerinnen und Lehrern dort zu unterstützen, wo die Schulen das für ein gutes Konzept halten. Aber wir werden dem FDP-Antrag aus einem anderen Grund zustimmen, weil wir hoffen, dass es auch in der SPD noch vernünftige Abgeordnete gibt, die man mit Fakten überzeugen kann, dieses schülerfeindliche Experiment endlich zu beenden.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Die FDP beantragt heute außerdem noch, die Ergebnisse der VERA-Tests der letzten Jahre zu untersuchen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit! Ich kann mir nicht vorstellen, dass es in der Senatsverwaltung niemanden gibt, der die Ergebnisse analysiert und ausgewertet hat. Sollte ein solcher Antrag tatsächlich erforderlich sein, so wäre das ein Offenbarungseid für die Senatsverwaltung.

Ich erwarte, dass die Untersuchungsergebnisse unverzüglich dem Abgeordnetenhaus von Berlin vorgelegt werden und der Senator erklärt, welche Schlüsse er bereits daraus gezogen hat und noch ziehen wird. Sie, meine Damen und Herren von Rot-Rot, können sich dieser Misere nicht einfach entziehen. Die Rufe aus den Schulen werden immer lauter werden. Dann wird es irgendwann nichts mehr nutzen, die Standards bei den Prüfungen einfach immer weiter abzusenken, sodass bereits 45 Prozent ausreichen, um die Abschlussprüfungen bestehen zu können. Bei nationalen Tests nicht mehr mitzumachen und im eigenen Land die Abschlüsse immer weiter zu verschlech

tern und zu verschenken, führt die Stadt direkt in die bildungspolitische Katastrophe!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Herr Kollege Steuer! – Das Wort für die Linksfraktion hat nun Herr Abgeordneter Zillich. – Bitte!

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Zwei Anträge der FDP zum Thema Grundschule – das Thema Grundschule hat in der letzten Zeit für Aufregung gesorgt, auch jetzt ist wieder von einer Katastrophe geredet worden. Deshalb vorweg etwas Grundsätzliches.

Wir wissen um die gute Arbeit, die in den Grundschulen gemacht wird. Dies hat nicht zuletzt auch die ElementStudie bestätigt. Wir wissen, dass dies auch für die Klassen 5 und 6 gilt, auch im Vergleich zu den grundständigen Gymnasien.

[Beifall der Dr. Felicitas Tesch (SPD)]

Wir wissen auch, dass die Arbeit der Grundschulen in mancherlei Hinsicht vorbildlich ist, dass vieles, was wir im Rahmen der Schulstrukturreform mit der integrierten Sekundarschule in der Sekundarstufe I einführen, in den Grundschulen alltägliche Praxis ist: heterogene Lerngruppen, individuelle Förderung in einer Schule mit Kindern aller Leistungsvoraussetzungen. Wir erkennen das an und wir regen dringend an, diese Erfahrungen für die Schulstrukturreform nutzbar zu machen. Wir wissen aber auch um die schwierige Arbeit an den Grundschulen, besonders in den Brennpunkten. Wir sehen, dass wir insbesondere in diesem Bereich prüfen müssen, wie wir zu Verbesserungen kommen in Bezug vor allen Dingen auf den Ganztagsbetrieb und auf die Rahmenbedingungen, die im Vergleich zur integrierten Sekundarschule existieren. Ich nenne hier die Stichworte Pflichtstunden, Lehrerausstattung, insbesondere Sozialfaktor.

Nun kurz zu den Anträgen der FDP, die betreffen die Schuleingangsphase und die VERA-Tests.

[Mieke Senftleben (FDP): Die Sprachförderung betrifft es auch!]

Zum ersten Antrag, zum jahrgangsübergreifenden Lernen. Dieser Antrag ist ungefähr der zwanzigste Antrag, der die verbindliche Einführung des jahrgangsübergreifenden Lernens aussetzen möchte. Deswegen noch mal: Das jahrgangsübergreifende Lernen ist ein zentrales Element der Schuleingangsphase, damit die Schuleingangsphase ihrer Aufgabenstellung gerecht werden kann. Damit soll dem früheren Einschulungsalter und unterschiedlichen Entwicklungsständen der Kinder Rechnung getragen werden. Kinder können vieles. Sie können sehr Unterschiedliches, wenn sie in die Schule kommen. Die Unterschiedlichkeit der Kinder ist Ausgangspunkt für die individuelle Förderung jedes Kindes und für das Mit- und

Voneinanderlernen von Kindern, aber auch für das Respektieren von Unterschiedlichkeit. Kurz: Das jahrgangsübergreifende Lernen ist ein elementarer Bestandteil der Schuleingangsphase, deshalb kann es nicht in die Beliebigkeit gestellt werden. Die Einführung ist flexibel gestaltet. Schulen, die nicht über die Voraussetzungen für JÜL verfügen, vereinbaren mit der Schulaufsicht, wie diese Voraussetzungen geschaffen werden.

Ich weiß, dass wir da genau hingucken müssen und dass es nicht überall so ist, wie wir wollen, dass es ist. Und natürlich brauchen wir auch eine kritische Überprüfung der Ergebnisse. Wobei noch mal gesagt sei, Herr Steuer hat es wieder angesprochen: Nicht das Verweilen in der Schuleingangsphase ist das Problem. Es entspricht gerade dem Charakter der Schuleingangsphase, dass Kinder dort länger verweilen dürfen. Aber wir sehen durchaus und nehmen die Signale ernst, dass sich beim Übergang in die 3. Klasse Probleme ergeben. Allerdings Beliebigkeit nutzt uns hier nichts.

Nun zum zweiten Antrag, zum Thema VERA. Die Debatte ist zitiert worden, die es hier gab. Es gab die Kritik aus den Schulen, die hieß, die Aufgaben würden ihre Schüler überfordern und die Schulen in einem schlechten Licht stehen lassen. Im Kern ging es dabei nicht um VERA, sondern um die Probleme, die sich insbesondere an den Schulen in sozialen Brennpunkten konzentrieren. Aber diese Probleme werden weder durch die Ablehnung der Beteiligung an VERA noch durch die Anpassung der Aufgabenstellung an die Schülerinnen in den Brennpunktschulen allein gelöst, sondern auf solchem Wege eher verdeckt.

Einen Boykott der Vergleichsarbeiten hat es nicht gegeben. Sie sind inzwischen geschrieben, aber noch nicht ausgewertet. Wir sollten zunächst Ergebnisse zur Kenntnis nehmen und mit denen der früheren Vergleichsarbeiten abgleichen, zu denen bereits detaillierte Berichte vorliegen.

Die FDP – da gebe ich Herrn Steuer recht – beantragt etwas, was der Senat ohnehin zu tun hat, nämlich Ergebnisse zu überprüfen und Schlussfolgerungen daraus für die Schulen nutzbar zu machen. Natürlich müssen wir die Testergebnisse auswerten. Das betrifft sowohl die Qualität der Aufgaben als auch die getesteten Leistungen und die Ursachen für diese Leistungen. Dies berührt vor allem ein Problem, da sollten wir vielleicht genauer hinsehen, das des Textverständnisses. Den Ursachen für das Nicht- oder Falschverstehen nachzugehen ist sinnvoll sowohl für die Methoden der Sprachförderung als auch für die Aufgabenformulierung.

Allerdings erscheint uns ein Senatsbericht zu jedem Vergleichstest wenig sinnvoll. Wir haben seit gut zehn Jahren unterschiedliche Studien. Wir haben eine ganze Menge an Daten, die uns vorliegen. Die in eine Tendenz zu stellen und die Wirksamkeit getroffener Maßnahmen in ihrer Wechselwirkung zu überprüfen, das macht, denke ich,

Sinn. Insofern sollten wir den Antrag behandeln, wenn die Ergebnisse von VERA vorliegen und anhand derer beraten, was nötig ist. – Danke!

[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD]

Vielen Dank! – Das Wort für die Grünen hat der Abgeordnete Mutlu.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nehmen Sie die Sorgen und Nöte der Lehrerinnen und Lehrer ernst, hat Herr Steuer gesagt, der gerade nicht im Raum ist. Dem kann ich voll und ganz zustimmen. Und ich möchte es erweitern: Nehmen Sie die Sorgen und Nöte der Eltern ernst! Nehmen Sie die Sorgen und Nöte der Schülerinnen und Schüler ernst! Und wenn man sich die letzten Jahre der Bildungspolitik von Rot-Rot anschaut, muss ich leider konstatieren: Ihnen scheinen eben diese ganzen Briefe, Proteste und Brandbriefe, wie sie teilweise genannt werden, anscheinend egal zu sein. Denn sonst würde Frau Dr. Tesch sich nicht in wiederholter Manier hierhin stellen, den Kopf in den Sand stecken und so tun, als ob alles vor Ort rosig und in Ordnung wäre. Ich finde, man müsste den Lehrerinnen und Lehrern danken dafür, dass sie sich zu Wort melden und sagen, was die Probleme vor Ort sind, wo es brennt und wo Maßnahmen ergriffen werden müssen. Die Lehrerinnen und Lehrer machen ihre Aufgabe, und deshalb, finde ich, sollten wir ihnen zuhören anstatt ihnen mit Disziplinarverfahren oder Ähnlichem zu drohen.

[Beifall bei den Grünen]

Zu VERA: VERA macht natürlich Sinn. Es ist unsinnig, aus einem nationalen Programm auszusteigen, wo wir Feedback bekommen über die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer, über die Arbeit der Schulen vor Ort. Allerdings, wenn man sich die Ergebnisse der vergangenen Jahre vergegenwärtigt und sich anschaut, was denn als Konsequenz aus den verschiedenen Ergebnissen gezogen worden ist, muss ich auch hier konstatieren: Rot-Rot steckt den Kopf in den Sand und tut so, als ob alles vor Ort funktionieren würde, und ignoriert die Probleme. Und das ist, finde ich, ein Problem insgesamt in dieser Stadt.

[Beifall bei den Grünen und der FDP]

Die Evaluation macht Sinn, Frau Kollegin Senftleben. Allerdings muss auch nach der Evaluation aus den Ergebnissen von VERA eine Konsequenz gezogen werden für die Schulentwicklung, für die Qualitätsentwicklung. Wenn das nicht geschieht, dann ist VERA wirklich nur Zeitverschwendung. Und wir wollen nicht, dass VERA Zeitverschwendung ist, sondern dass Schulen davon profitieren, vor allem die Schülerinnen und Schüler davon profitieren. Rot-Rot soll aufhören, an den Symptomen herumzudoktern, wir brauchen grundlegende Veränderungen. Und da reicht es eben nicht aus, dass man mit der Sekundarschule bzw. in der Sekundarstufe richtige Re

formen angeht. Die Grundschulen müssen mitgenommen werden. Die Grundschulen müssen gestärkt werden.

[Beifall bei den Grünen]

Es ist einfach eine Tatsache, die auch von Frau Tesch oder anderen Bildungspolitikern hier nicht mehr ignoriert werden kann und darf, weil die Zahlen für sich sprechen: Die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die in JÜL verweilen, also ein Schuljahr länger in JÜL bleiben, steigt seit Jahren. Die Zahl der Sitzenbleiber in der 3. Klasse hat sich in den vergangenen vier Jahren verdoppelt. Die Zahl der Abbrecher stagniert seit Jahren. Das sind alles Fakten, und diese Fakten müssen ernst genommen werden. Deshalb ist es an der Zeit, gewisse Dinge, in die viele Mittel hineingesteckt werden, für die viel investiert wird, auch mal zu evaluieren und zu gucken: Was läuft falsch, was muss verbessert werden, und was müssen wir tun, damit die Schülerinnen und Schüler eben nicht ein Jahr länger in JÜL verweilen, damit sie nicht in der 3. Klasse sitzenbleiben und die Abbrecherquote endlich mal ein Maß erreicht, dass wir im Bundesländervergleich gut dastehen.

Das erfordert spürbare Veränderungen, spürbare Verbesserungen. Auch wenn es zutrifft, dass in diesem Haushaltsjahr an der Bildung nicht gespart worden ist, finde ich nichtsdestotrotz, dass es möglich ist, aus dem Budget des Bildungssenators mit entsprechenden Synergieeffekten, mit entsprechender und richtiger Evaluation mehr zu erreichen, anstatt das Geld einfach in Maßnahmen zu stecken und nie zu fragen, ob es überhaupt bei den Schülerinnen ankommt. Dahingehend werden wir diese Anträge im Fachausschuss diskutieren. Ich hoffe an der Stelle, dass die Koalition den Kopf endlich aus dem Sand nimmt. Denn die Berliner Schule, die Lehrerinnen und Lehrer, die Schülerinnen und Schüler brauchen diese Hilfe dringend.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Herr Kollege Mutlu! – Der Ältestenrat empfiehlt die Überweisung beider Anträge zur Bildungsqualität an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie, wozu ich keinen Widerspruch höre und sehe.

Ich rufe auf die

lfd. Nr. 4.2:

Antrag

Stadtentwicklungsplan (StEP) Klima als Grundlage für die Anpassung an Klimafolgen bei der räumlichen Planung mit breiter Beteiligung aufstellen

Antrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/3201

Das ist die gemeinsame Priorität der Fraktion der SPD und der Fraktion Die Linke, Tagesordnungspunkt 26. Für die Beratung sind wieder jeweils fünf Minuten vorgesehen. Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Buchholz. – Bitte schön!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe gestern im Reichstagsgebäude beim Bundestag an einer Veranstaltung teilgenommen, bei der Prof. Schellnhuber vom Potsdamer Institut für Klimafolgeforschung die neuesten Klimadaten weltweit aufgelegt hat. Es ist nicht jedem klar. Wir erleben im Augenblick – im ersten Quartal 2010 – wieder eine maximale Temperatur auf der ganzen Welt im Durchschnitt. Wir befinden uns im Maximum. Es ist nicht so, dass die globale Temperatur sinkt – es gibt zwar Schwankunken –, aber wir sind im Augenblick bei einem Maximum, das niemals vorher gemessen wurde seit es auf dieser Erde Temperaturmessungen gibt. Das sollte uns allen ein Warnsignal sein. Wir müssen etwas tun, um zum einen den Klimawandel aufzuhalten und zum zweiten, um auf den Klimawandel zu reagieren.