Protokoll der Sitzung vom 03.06.2010

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Herr Thiel! Ich sage auch ganz klar: Wer den ganzen Tag arbeitet, muss von dem erarbeiteten Lohn leben können, nichts anderes gilt!

Eine soziale Marktwirtschaft braucht Mindestlöhne. Fast überall in Europa sind sie daher selbstverständlich, nur komischerweise in Deutschland ist das bisher anders.

[Zurufe von der FDP]

Ein gesetzlicher Mindestlohn verhindert Armut, schafft mehr Nachfrage, mehr Zuversicht und mehr Jobs.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Gegen Ihre These, dass durch branchenspezifische Lösungen untere Lohngrenzen gefunden werden können, setze ich, dass der gesetzliche Mindestlohn zeitnah, unbürokratisch und transparent eine verbindliche Lohnuntergrenze festlegt, die Lohndumping für alle Beschäftigten verhindert. Deshalb ist sie die bessere Lösung. Ähnlich wie bei der Höchstarbeit, dem Mindesturlaub und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall schafft der Staat so den gesetzlichen Rahmen für einen fairen Wettbewerb. Stundenlöhne von 3 Euro und weniger offenbaren ein Marktversagen bei der Lohnbildung.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP! Sie haben in Ihrem Antrag die Teilhabe am Arbeitsleben angesprochen – das ist gut so! Teilhabe heißt auch Teilhabe an Unternehmen, deren Handlungen und Gewinnen. Gerechte Teilhabe am Arbeitsleben heißt auch Mitbestimmung in den Betrieben und Unternehmen. Aber das meinen Sie natürlich nicht, das ist mir schon klar – deshalb sind Sie auch in der FDP und ich in der SPD.

[Heiterkeit und vereinzelter Beifall bei der SPD]

Die FDP fordert eine Umstrukturierung in der Arbeitsmarktpolitik und schlägt Instrumente wie Vermittlungsgutscheine, Maßnahmen der beruflichen Bildung, Weiterbildung, Eingliederungszuschüsse und Stärkung der Selbständigkeit vor. Das alles gibt es bereits, Herr Thiel, das gibt es, aber das reicht nicht.

Ihr Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP, hat sich eigentlich durch das Handeln der Bundesregierung erledigt. Die Bundesregierung hat erkannt, dass es einen zweiten Arbeitsmarkt geben muss, und Sie legen uns einen Antrag vor, der die Entscheidung der Bundes

ebene noch völlig ignoriert. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich für eine linke Placebo-Politik entschieden – dumm gelaufen, oder was würden Sie dazu sagen, meine Damen und Herren von der FDP?

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Björn Jotzo (FDP): Sie müssen ja nicht denselben Fehler machen!]

Wir fordern die Bundesregierung auf, die finanziellen Mittel für die Arbeitsmarktpolitik nicht zu kürzen, sondern die Maßnahmen in diesem Bereich und im Bereich der Qualifizierung und Weiterbildung für die Arbeitslosen auszubauen.

Wir wollen auch, dass der ÖBS bundesweit eingeführt wird.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Oh! von der FDP – Björn Jotzo (FDP): Um Gottes willen!]

Ich weiß nicht, was der liebe Gott damit zu tun hat, Herr Jotzo, aber vielleicht haben Sie ja einen guten Draht zu ihm.

[Andreas Gram (CDU): Einen besseren als wir!]

Genau! – Wir wollen nicht das Konzept der Bürgerarbeit, sondern den öffentlichen Beschäftigungssektor. Wir lehnen die Entschließung ab –

Entschuldigung, Frau Grosse! Ihre Redezeit ist beendet!

ich komme zum Schluss –,

[Björn Jotzo (FDP): Gott sei Dank!]

und der Antrag wird von uns im entsprechenden Ausschuss diskutiert, es sei denn, Sie sind so vernünftig und ziehen ihn vorher zurück. – Ich danke Ihnen für Ihr Zuhören!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Grosse! – Für die CDUFraktion hat nun Frau Abgeordnete Kroll das Wort.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei beiden Anträgen handelt es sich um das politisch verständliche, aber völlig nutzlose Ansinnen der FDP, alle Fraktionen in diesem Hause auf ihre Meinung einschwören zu wollen.

[Beifall bei der CDU]

Das halte ich persönlich für gut gewollt, aber vertane Zeit, weil die Standpunkte der hier vertretenen Parteien zu den aufgeworfenen Fragen seit Langem ausgetauscht und bekannt sind. Außerdem bringen die von der FDP for

mulierten Grundsatzerklärungen die praktische Politik in Berlin keinen Schritt voran und lösen kein einziges Arbeitsmarktproblem.

[Beifall bei der CDU, der SPD, der Linksfraktion und den Grünen]

Nun zu dem bereits abgelehnten Antrag 16/1450! Herr Thiel! Sie hätten besser daran getan, Ihre Fraktion von einer erneuten Diskussion dieser unglückseligen Entschließung abzubringen. Ihre Ausführungen von vorhin stehen nicht so in dem Antrag – vielleicht wäre es besser gewesen, den Antrag zurückzuziehen und einen neuen Antrag einzubringen.

Aber noch einmal zu diesem Antrag. Gleich am Anfang kommen Sie mit einer Formulierung, die weder praxis- noch politiktauglich ist. Was ist denn eigentlich ein menschenwürdiges Mindesteinkommen? Was versteht die FPD darunter? Sind das 359 Euro, 1 000 Euro oder 2 800 Euro? Woran orientiert sich die FDP hier – an dem höchsten oder dem niedrigsten Einkommen? Und in welchem Zusammenhang bzw. Gegensatz, Herr Thiel, steht das von Ihnen propagierte menschenwürdige Mindesteinkommen zum als arbeitsplatzvernichtend kritisierten Mindestlohn? – Alles völlig unklar! Im gleichen Atemzug fordern Sie branchenspezifische Lösungen für untere Lohngrenzen – also Mindestlöhne –, ohne die Tarifautonomie anzupassen – völlig richtig! Ist Ihnen aber die in diesem Bereich erfolgte positive Entwicklung auf der Bundesebene entgangen, insbesondere in den letzten Monaten? – Doch auch die nächsten beiden Schwerpunkte für gerechte Teilhabe am Arbeitsleben und mehr Wohlstand durch mehr Netto vom Brutto kommt mir daher vor wie eine Wahlkampfrede. Dazu sollte der Antrag wohl auch dienen, denn er stammt aus dem Jahr 2008. Die CDU wird daher bei ihrer Ablehnung bleiben.

[Beifall bei der CDU]

Was mir jedoch völlig unverständlich ist, meine Damen und Herren von der FDP, Sie machen in dem neuen Antrag 16/3170 vom April 2010 einfach da weiter. Auf der politischen Bühne auf Bundesebene hat sich seither einiges verändert – oder habe ich etwa verpasst, dass die FDP als Regierungspartner ihren Hut genommen hat? – Dieser Eindruck, Herr Thiel, drängt sich beim Lesen Ihrer Drucksache „Keine linke Placebo-Politik“ geradezu auf. Sie fragen, woran man das festmachen kann. – Sie fordern beispielsweise den Senat auf, sich auch auf Bundesebene dafür einzusetzen – ich zitiere –,

eine Politik, die mit dem Erhalt und der Schaffung von regulären Arbeitsplätzen auf dem ersten Arbeitsmarkt eine deutliche Priorität einräumt …

Das erstaunt mich schon, und ich frage Sie ernsthaft: Macht denn das die Bundesregierung nicht? Braucht sie dazu eine Aufforderung vom rot-roten Senat?

[Björn Jotzo (FDP): Kann nicht schaden!]

Ich glaube das nicht, und Sie glauben das wohl auch nicht.

[Heiterkeit – Beifall bei der CDU]

Wozu dann diese Parlamentsinitiative?

[Lars Oberg (SPD): Peinlich, peinlich!]

Deshalb, liebe FDP: Lesen Sie Ihren Antrag noch einmal gründlich durch, und Sie werden selbst feststellen, dass durch Ihre unbedachte Gleichstellung von Landes- und Bundesebene gut gemeinte Ratschläge und Forderungen ad absurdum geführt werden. Überarbeiten Sie Ihren Antrag, denn in den vorliegenden Fassungen ist er für die CDU nicht zustimmungsfähig! – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU und der SPD]

Vielen Dank, Frau Abgeordnete Kroll! – Für die Linksfraktion hat nun Frau Abgeordnete Breitenbach das Wort.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Meine Damen und Herren! Die uns vorliegenden Anträge sind ein buntes Potpourri völlig unterschiedlicher Forderungen: Flexibilisierungen arbeitsrechtlicher Regelungen, einfaches Steuerrecht, Repressionen gegen Arbeitslose, wie Herr Thiel gerade noch einmal ausführlich dargestellt hat. Was Sie hier fordern, darauf möchte ich nur noch mal hinweisen, sind Bundesgesetze. Sie sind Teil dieser Bundesregierung – wenden Sie sich bitte da hin, wenn Sie Bundesgesetze ändern wollen.

[Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Burgunde Grosse (SPD)]

Was Ihr Antrag nicht leistet, ist, dass er sich mit der Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik in Berlin auseinandersetzt. Es stellt sich beispielsweise die Frage, ob Sie überhaupt mitbekommen haben, dass die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze in Berlin angestiegen ist. Es stellt sich auch die Frage, ob Sie mitbekommen haben, inwieweit Arbeitslosigkeit in Berlin abgebaut wurde und dass sie weiter zurückgegangen ist als im bundesweiten Durchschnitt. Wirtschaftspolitisch haben wir in Berlin die richtigen Prioritäten gesetzt – das konnte Sie bei der McKinsey-Studie nachlesen, und die Fachkräftestudie Berlin-Brandenburg hat noch mal deutlich gemacht, dass unser Schwerpunkt, Beschäftigte und Arbeitslose zu qualifizieren, genauso richtig ist wie die Strategie, auf die Potenziale von Menschen mit Migrationshintergrund zu setzen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das alles, liebe FDP, ignorieren Sie. Sie fordern Arbeit um jeden Preis, auf jeden Fall im ersten Arbeitsmarkt. Wenn der Lohn nicht zum Leben reicht, dann muss eben über öffentliche Mittel aufgestockt werden. Das ist eine gigantische, öffentlich finanzierte Subventionsmaschinerie für private Unternehmen, die damit über Niedriglöhne Extraprofite erzielen.

[Beifall bei der Linksfraktion]

Das ist bereits Alltag in diesem Land. Viele Menschen – Frau Grosse hat es schon gesagt – können von ihrer Arbeit nicht leben, auch wenn sie Vollzeit arbeiten. Das Problem, liebe FDP, lösen Sie nicht über branchenspezifische Tarifverträge, denn Sie wissen ja, dass die Tarifbindung abnimmt. Wenn Sie jetzt auf einmal auf Tarifverträge insgesamt setzen, dann wissen Sie auch, dass Tarifverträge kein Garant mehr für existenzsichernde Arbeitsplätze sind. Deshalb brauchen wir endlich einen gesetzlichen Mindestlohn.