Protokoll der Sitzung vom 09.09.2010

Entschließungsantrag der SPD und der Linksfraktion Drs 16/3439

Wird den Dringlichkeiten widersprochen? – Das ist nicht der Fall.

Für die Beratung jeweils wieder fünf Minuten. Das Wort für die Grünen hat der Kollege Schäfer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 14. Juni 2000 haben Sozialdemokraten und Grüne mit dem Atomkonsens einen gesellschaftlichen Großkonflikt beendet.

Wir, SPD und Grüne, haben das Sicherheitsrisiko durch AKW begrenzt, den erneuerbaren Energien zum Durchbruch verholfen und begonnen, die Monopolstrukturen in der Energieerzeugung zu brechen.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Wir, Sozialdemokraten und Grüne, haben gemeinsam erreicht, dass die erneuerbaren Energien heute 16 Prozent des Stroms erzeugen. Es gibt schon Zeiträume mit 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien. Noch sind es Minuten, und es könnten bald Stunden und auch Tage sein. Und davor haben die Energiekonzerne Angst, denn das bedeutet, dass sie ihre Energieerzeugungsstruktur umbauen können, ein Atomkraftwerk können sie nicht einfach abschalten, wenn der Wind weht oder die Sonne scheint. Deshalb ist ihre Macht herausgefordert. Ich bin stolz darauf, dass wir es gemeinsam geschafft haben, die Macht der Konzerne herauszufordern.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

Was wir jetzt erleben, das ist: The empire strikes back. CDU und FDP wollen die Atomkraftwerklaufzeiten um 170 Prozent verlängern. Das sind sechs Jahre mehr, als die Konzerne damals im Jahr 2000 überhaupt gefordert hatten. Das ist ein Kniefall, wie es ihn in der deutschen Politik noch nie gegeben hat.

[Beifall bei den Grünen und der SPD]

94 Milliarden Euro stecken Sie den großen Atomkonzernen in den nächsten Jahren in den Hintern, 94 Milliarden Euro auf Kosten der Sicherheit – denn Sie wissen genau, dass ältere Atomkraftwerke störanfälliger sind –, auf Kosten der erneuerbaren Energien, deren Ausbau Sie damit ausbremsen, und auf Kosten der mittelständischen Wirtschaft und der Stadtwerke, die den Preis dafür zahlen müssen. Das ist ein unglaublicher Vorgang, der Widerstand hervorrufen wird, und zwar kräftigen Widerstand.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Meine Damen und Herren von der Unionsfraktion! Mit diesem Beschluss hat sich die Union an eine untergehende FDP gekettet, und das sollten Sie wissen.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Der Bruch des Atomkonsenses durch die Atomkonzerne erfordert eine kraftvolle Antwort. Wir rufen deshalb alle Berlinerinnen und Berliner dazu auf, am 18. September hier in Berlin gegen diesen Beschluss der Bundesregierung auf die Straße zu gehen.

Wir – Sozialdemokraten und Grüne – sollten uns nicht darauf bescheiden, das Erreichte zu verteidigen. Nein, wir sollten den Ausstieg aus der Atomkraft jetzt verschärfen! Denn von den Atomkonzernen ist der Konsens aufgegeben worden. Jetzt muss es darum gehen, den neuen Sicherheitsanforderungen, die sich seit dem Jahr 2000 ergeben haben, gerecht zu werden. Sie alle wissen, im AttaProzess ist deutlich geworden, dass die Terroristen überlegt haben, am 11. September eines der Flugzeuge in ein

Atomkraftwerk in den USA zu fliegen. Dass die Union den Plan von Herrn Röttgen verworfen hat, Sicherheitsvorschriften zu machen, um die Atomkraftwerke in Deutschland auch gegen Flugzeugabstürze zu schützten, ist für eine Partei, die ansonsten jede Telefonzelle überwachen will, wohl ein Armutszeugnis.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Andreas Gram (CDU): Es gibt gar keine Telefonzellen mehr!]

Wir wollen den Ausstieg aus der Atomkraft jetzt verschärfen. Wir wollen die ältesten Reaktoren zuerst abschalten und auch schneller abschalten, als bisher vereinbart. Diese Vereinbarung gilt nun nicht mehr. Das steht in unserem Antrag. Das steht im Antrag der Koalition leider nicht. Wir appellieren deshalb an die Sozialdemokraten, auch unserem Antrag zuzustimmen und deutlich zu machen, dass Sie mit uns jetzt den Ausstieg aus der Atomkraft forciert umsetzen wollen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank! – Das Wort für die SPD-Fraktion hat der Kollege Buchholz.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was die Inhalte angeht, Herr Schäfer: Sie haben absolut recht! – Das kann ich sehr selten sagen und sage es heute sehr gerne. Denn was die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2000 mit den großen Energiekonzernen vereinbart hat, war ein konsensualer Ausstieg. Das bitte ich CDU und FDP zu würdigen und zu sagen, warum man dies aufgeben muss – ein konsensualer Ausstieg aus der Nutzung von Atomkraft in der Bundesrepublik Deutschland. Das war wirklich ein wegweisender, revolutionärer Beschluss, den damals auch der Bundestag in Gesetzesform gebracht hat.

[Carsten Wilke (CDU): Mit 20 Jahren Laufzeit!]

Herr Wilke! Sie werden wahrscheinlich gleich dazu sprechen. Da frage ich mich: Wieso muss eine CDUgeführte Bundesregierung das heute komplett aufgeben, wenn man damals mit den großen Energieunternehmen diesen Konsens gefunden hat, den die SPD ganz klar mit ihren Nürnberger und anderen Beschlüssen vorangebracht hat? Warum muss man diesen Energiekonsens aufgeben und damit die ganze Energiepolitik von zehn Jahren auf den Müllhaufen der Geschichte werfen?

[Beifall bei der SPD und den Grünen]

Es ist vor allem eines unerklärlich: Was mussten wir dann zwei Tage später lernen? – Frau Merkel hat schon Geheimabsprachen mit den vier großen Energieunternehmen getroffen. Hochinteressant! So wird also die revolutionäre Energiepolitik von Frau Merkel gemacht. Nicht ein klarer, offener Prozess, wie ihn Rot-Grün gemacht hat – nein, die Bundeskanzlerin von der CDU sagt: Ich kann das aus

mauscheln. Ich kann Geheimverträge machen. Ich brauche auch gar keine Endlagerung von Atommüll. Nein! Den können wir doch in den Vorgarten von Herrn Henkel oder anderen Leuten stellen. Wir haben kein Endlagerproblem. – Das ist ein Skandal, wenn so Energiepolitik für 80 Millionen Menschen gemacht wird! Das kann nicht sein!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Und wenn wir uns dann fragen: Was kann das Land Berlin tun, und warum muss es sich einbringen? –, dann ist die Antwort ganz klar: Es geht auch darum, ob die Bundesländer über den Bundesrat beteiligt werden. Sie verweigern sich dieser Beteiligung, wenn es darum geht, die ältesten Schrottmeiler weiterzubetreiben. Ich bitte noch einmal alle, sich dies zu vergegenwärtigen: Wir reden darüber, dass Atommeiler, die vor 20 bis 40 Jahren entworfen und gebaut wurden, jetzt noch eine Restlaufzeit – es ist ja nicht nur ein Rest – von bis zu 40 Jahren im Extremfall haben. Das sind dann mindestens 60 Jahre. Wer von Ihnen möchte mit einem Auto fahren, das 60 Jahre alt ist? Das ist unverantwortliche Energiepolitik, die an dem, was auch die Mehrheit der Deutschen will, komplett vorbeigeht.

Wir als SPD, wir als Koalition, werden das nicht unterstützen. Ich kann Sie nur ermahnen: Kommen Sie auf den Pfad der energiepolitischen Vernunft zurück! Stimmen Sie für unsere Anträge, gern für den von den Grünen, aber vor allem für den von der Koalition! – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]

Vielen Dank! – Das Wort für die CDU-Fraktion hat der Kollege Brauner.

[Zuruf von der SPD: Mit einem strahlenden Lächeln auf den Lippen!]

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Um diese Uhrzeit diskutieren wir natürlich gern zu vielen Themen. Manche sind Landesthemen, manche sind bundespolitische Themen. Energiepolitik – zumindest in dieser Art und Weise – ist ein klar bundespolitisches Thema, aber der eine oder andere möchte sich gern profilieren.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Wir sind betroffen!]

Nun zum Antrag: Die CDU-Fraktion begrüßt, dass die Bundesregierung erstmalig ein Energiekonzept erarbeitet hat, das auf einen Zeithorizont bis 2050 geplant ist.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Angesichts der Dimension und Bedeutung von ausreichender Energieversorgung ist es notwendig, über einen

Zeitraum von 40 Jahren zu planen. Für uns erfüllt das Energiekonzept der Bundesregierung drei wesentliche Anforderungen: Versorgungssicherheit, Kostensicherheit und CO2-Reduzierung. An diesem Dreieck müssen sich alle Energieträger messen lassen. Vor diesem Hintergrund sind auch alle Optionen zu bewerten.

Der Vorschlag der Bundesregierung, die Brückentechnologie Kernenergie etwas länger zu nutzen als ursprünglich geplant

[Daniel Buchholz (SPD): 40 Jahre sind eine lange Brücke!]

und durch Abschöpfen von Gewinnen die regenerativen Energien sowie den Netzausbau weiter zu fördern, ist ein intelligenter Weg. Damit können die oben genannten Ziele aus unserer Sicht am Ausgewogensten erreicht werden.

[Wolfgang Brauer (Linksfraktion): Reden wir doch mal über Strompreise!]

Dazu komme ich gleich, Herr Kollege! – Denn wir müssen anerkennen, dass wir in zehn Jahren nicht alles realisieren können: CO2-Reduktion, Technologiesprünge im regenerativen Bereich, massive energetische Optimierungen im Gebäudebestand, finanzielle Ausgewogenheit für die Verbraucher usw. Diese Quadratur des Kreises geht eben nicht so ohne Weiteres auf und lässt sich auch ideologisch nicht befehlen. Dafür sind die Kosten und Risiken zu groß. Sonst hätte die rot-grüne Koalition 2000 eben nicht eine Betriebsgarantie für 19 Jahre gegeben. Das war auch zu kurz gesprungen, wie sich zeigt. Das mit der Laufzeit war einer der handwerklichen Fehler. Es wurden eben nicht alle Aspekte betrachtet.

Kurzum: Die Bundesregierung macht den Ausstieg aus der Atomenergie jetzt richtig. Die Versorgungssicherheit wird gewährleistet, und Energie bleibt bezahlbar. Sprich: Wir handeln pragmatisch und nicht ideologisch –

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Brauner! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schäfer?

Nein! – angesichts der Erfolge im energiepolitischen Bereich, auch wenn ich vielleicht nicht so damit gerechnet hätte. In der Tat: 16 Prozent des Energiebedarfs wird schon über regenerative Energien gedeckt – Tendenz deutlich steigend, trotz der Laufzeitverlängerung auch weiter steigend und dies, glaube ich, auch in dem richtigen Bereich.

Denn kommen wir noch einmal auf unsere Kriterien zurück: Versorgungssicherheit, Kostensicherheit und CO2Reduzierung. In diesem Dreiklang wiegt auch das Thema CO2-Reduzierung. Damit haben wir auch hier in Berlin

Erfahrung. Jeder, der die Diskussion aus dem lompscherschen Klimaschutzgesetz kennt, weiß, dass auch Investitionen außerhalb des Energiesektors getätigt werden müssen, um diesen Bereich zusammenzubringen. Wir kennen das alle: Heizanlagen, Dämmung – vieles davon amortisiert sich eben im Moment noch nicht. Auch das gehört zu der Wahrheit dazu. Durch die Laufzeitverlängerung erhalten wir die Möglichkeit, diese Ziele zu erreichen, ohne die Verbraucher und somit uns alle zu überstrapazieren, aber die Versorgungssicherheit am Ende auch zu gewährleisten.

Folglich: Für uns ist an der Stelle die Diskussion – auch wenn in einem kurzen Antrag – deutlich komplexer, und wir sollten uns besser um die Probleme unserer Stadt kümmern. – Vielen Dank!