Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hier kommt, Herr Gaebler, überhaupt nicht die hohe moralische Entrüstungskeule! – Ich melde mich zu dem Redebeitrag der FDP. Ich will Ihnen eines sagen: Ich bin über diese ganze Debatte schon verwundert. Da kommen Betroffene aus verschiedenen Verbänden und einzelne Bürgerrechtler und haben hier im Parlament darum gebeten, ob man Ihnen die Teilnahme an dem Berlin-Pass ermöglicht, und zwar einfach wegen des Unterschiedes, dass ein großer Teil von ihnen durch ihre geknickten Biografien ohnehin zum Berechtigtenkreis gehört und es eine kleine Gruppe von anderen Leuten gibt, die vielleicht Niedrigverdiener und gerade außerhalb des Berechtigtenkreises sind. Um diese Gleichstellung ging es ihnen.
Das ist normalerweise eine Sache, von der ich gedacht hätte – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –, dass man sie ziemlich geräuschlos und ohne große Debatte als eine kleine symbolische Anerkennung einfach macht.
Stattdessen erleben wir eine völlige Umkehrung der Situation bis zu einer Plenardebatte, die wir in der Tat zu unser Priorität gemacht haben, nachdem wir schon im Ausschuss erlebt haben, dass man hier einen richtigen Grundsatzstreit um Haushaltssanierung führt und eine Umkehrung der ganzen Verhältnisse macht. Man wolle die Leute, die uns gebeten hätten, herabwürdigen usw.
Vor dem Hintergrund möchte ich meine Vorrednerin fragen: Was halten Sie eigentlich von dem Satz von Herrn Jotzo, der den Hauptausschuss am Ende dieser Debatte verließ und noch schnell sagte: Die FDP sei sowieso gegen die Ausweitung von Transferleistungen, und deswegen werde sie dagegen stimmen. – Er hat sich gar nicht erst die Mühe gemacht, eine derartig verschraubte Begründung zu liefern, wie Sie, Frau Senftleben, das jetzt getan haben. Da möchte ich bitte Klarheit von Ihrer Seite.
Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Senftleben! Ich wollte darauf eingehen, was Sie eben gesagt haben. Ich gehöre einer Partei an, die eine besondere historische Schuld hat und dafür eine besondere historische Verantwortung trägt. Das hatte ich übrigens auch schon im Hauptausschuss gesagt. Diese Verantwortung macht solche Debatten sicherlich nicht einfach für uns. Diese Verantwortung tragen wir. Diese Verantwortung heißt auch für mich, als eine, die aus dem Westen kommt: In dem Moment, als ich diese PDS eingetreten bin, habe ich diese Geschichte der SED als Vorgängerpartei sozusagen mit eingekauft, und ich trage dafür eine Verantwortung.
Eins geht nämlich nicht: Man kann sich hier nicht anmaßen – und das passiert gerade, das haben die Grünen im Hauptausschuss und auch hier noch einmal deutlich gemacht –,
die Anerkennung der Opfer und ihrer Leistungen, die sie erbracht haben und die Anerkennung des Unrechts, das sie erfahren haben, daran zu messen, ob man Ihrem Antrag zustimmt, dass es einen Anspruch auf den BerlinPass gibt, oder nicht. Das geht nicht.
[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Joachim Esser (Grüne): Warum geht das nicht selbstverständlich?]
Man kann unterschiedliche Positionen haben, wer einen Anspruch auf den Berlin-Pass hat oder nicht. Ich habe es im Hauptausschuss zu begründen versucht, übrigens mit mehr als dem einen Satz von Frau Pop. Aber diese historische Verantwortung und die Anerkennung der Opfer daran festzumachen, ob man dem Antrag der Grünen zustimmt, das ist übertrieben.
Ich hoffe, Frau Senftleben, Sie haben verstanden, was ich gesagt habe, auch zu Ihrem Einwand. Wir distanzieren uns von denjenigen, die die DDR verniedlichen, und wir tragen diese historische Verantwortung, die wir haben. Das sehen Sie auch an sehr vielen Beschlüssen meiner Partei.
[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD –‚ Michael Schäfer (Grüne): Aber wie haben Sie die Frage beantwortet, ob Sie der Bitte dieser Verbände nachkommen oder nicht? Wir haben sie hier beantwortet! – Zuruf von Ramona Pop (Grüne)]
Verehrte Kollegin Breitenbach! Es ist richtig, dass Sie sich im Hauptausschuss Ihrer Verantwortung gestellt haben. Ich sage das ganz offen: Ich bin gespannt, was aus dem zukünftigen Parteiprogramm Ihrer Partei herauskommt bezüglich Verantwortung in diesem Punkt.
Jetzt zum Thema, Herr Esser! Sie haben das Thema heute hier in die Plenardebatte eingebracht. Sie haben es zur Priorität gemacht. Das heißt, Sie wollten ganz bewusst und gezielt dieses Thema – ich hatte es Anfang meiner Rede gesagt –, das ein heikles ist, das auch ein leises Thema ist, in dieses hohe Haus bringen.
Das finde ich auch in Ordnung, das wir darüber diskutieren, wenn es denn schon sein muss. Sie haben vielleicht auch bemerkt, dass ich nicht die Auffassung der Kollegin Radziwill von der SPD vertrete, dass sich die Regimegegner nicht für Freiheit und Menschenrecht eingesetzt haben, weil sie nachher eine Belohnung erwartet haben. – Das finde ich eine krude Begründung, verehrte Frau Kollegin!
Ich habe versucht, das Thema differenziert anzugehen. Wir haben als Fraktion gesagt, nein, wir wollen den Berlin-Pass als Instrument nicht. Wir halten dieses Instrument für nicht geeignet. Die Begründung will ich nicht wiederholen.
Und noch eines zu den Menschen, die Sie angesprochen haben, die Sie gebeten haben, diesen Antrag einzubringen. Auch wir wurden angerufen. Ich wurde gefragt: Frau Senftleben! Wie haben Sie sich in der Abstimmung verhalten? – Ich habe gesagt: Ich habe mich enthalten. –
Warum? – Und ich habe es den Herren begründet. Komischerweise, und darüber habe ich mich sehr gefreut, haben sie diese Begründung akzeptiert. Sie haben sie verstanden. Ich habe mich nicht darum herumgedrückt und gesagt, eigentlich hätten wir ja, und die Fraktion wollte aber nicht. Nein, ich habe ganz klar gesagt, ich habe mich enthalten und habe es begründet. Und dieses fand auch Akzeptanz. Ich glaube, man kann auch ein gewisses Rückgrat zeigen, indem man nicht auf bestimmten Wellen reitet oder zumindest versucht, differenziert an bestimmte Dinge heranzugehen. – Vielen Dank!
Bevor wir zur Abstimmung kommen, hat der Kollege Jotzo um das Wort wegen einer persönlichen Bemerkung nach § 65 gebeten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Esser! Das, was Sie hier eben gemacht haben, unterbietet noch einmal das, was vorher abgelaufen ist. Das muss ich wirklich sagen. Wenn Sie mir hier unterstellen, ich hätte bestimmte Sätze in einer Hauptausschusssitzung gesagt, dann zitieren Sie bitte auch alles, was ich gesagt habe, in einem vernünftigen Zusammenhang. Ich habe Folgendes gesagt, und zwar aus haushalterischer Sicht, weil wir uns im Hauptausschuss befanden, der sich mit Finanzen beschäftigt: Ich finde ihr Anliegen ehrenwert, das Anliegen ihrer Fraktion, diese Opfer hier zu ehren. Ich halte aber den Berlin-Pass für ein völlig falsches Instrument, um das zu tun.
Jetzt kommen wir zu den Transferleistungen. Ja, wie Sie wissen, lehnt die FDP-Fraktion in diesem Haus den Berlin-Pass ab, und zwar aus einem ganz einfachen Grund, weil nämlich Menschen, die mit ihrer Familie wirklich hart arbeiten – Unternehmerinnen und Unternehmer, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – und die wirklich wenig verdienen, gerade über der Schwelle von Hartz IV sind, und deshalb keinen Berlin-Pass bekommen, dann sehen müssen, wie Menschen mit Hartz IV diesen BerlinPass bekommen und mit ihrer Familie dann schön in den Zoo gehen, verbilligt.
Das halten wir für ungerecht, und deswegen lehnen wir auch dieses Instrument ab. Und, Herr Esser, das ist der Zusammenhang auch meiner Äußerung, dass wir die Ausweitung dieses Instruments genauso wie das Instrument selbst für die Gruppe, die Sie hier genannt haben, ablehnen. Und wenn Sie mir hier irgendetwas unterstellen, dann halte ich das für eine Unverfrorenheit. Wenn Sie zitieren, zitieren Sie verdammt noch mal richtig, und stellen Sie auch den Zusammenhang dar! Was Sie hier
Meine Damen und Herren! Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Die Ausschüsse empfehlen mehrheitlich gegen CDU und Grüne und bei Enthaltung der FDP im Fachausschuss die Ablehnung. Wer dem Antrag dennoch zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Grünen und die CDU. Wer ist dagegen? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer enthält sich? – Bei Enthaltung der FDP-Fraktion ist der Antrag abgelehnt.
Gesetz zur Ausführung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (AG-SGB II) und zur Änderung weiterer Gesetze
Ich eröffne die erste Lesung. Zur Beratung hat jede Fraktion eine Redezeit von bis zu fünf Minuten. Es beginnt die Linksfraktion. Das Wort hat Frau Breitenbach.