Vielen Dank, Herr Abgeordneter Gersch! – Das Wort für den Senat hat jetzt die Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz. – Bitte sehr, Frau Lompscher!
Möglicherweise zeigt der aktuelle Dialog, dass das Thema doch aktuell ist, dass das Thema doch die Menschen bewegt. Ich war schon etwas irritiert, dass hier einige Mitglieder des Hohen Hauses meinten, das Thema sei nicht mehr aktuell, nur weil es schon seit einiger Zeit existiert.
[Beifall bei der Linksfraktion und der SPD – Christoph Meyer (FDP): Nein, Sie hinken der Entwicklung hinterher!]
Was mich auch irritiert hat, ist die Logik, die der CDUVertreter hier vorgetragen hat, dass weil anderswo Dioxin gefunden wurde und in Berlin nicht, funktionieren dort die Kontrollen und in Berlin nicht. Was ist denn das für eine Logik? Das ist extrem irritierend.
Der unmittelbare Anlass jedenfalls dieses Skandals mitten während der Grünen Woche ist zu ernst, als dass man darüber lachen könnte. Über 2 000 Tonnen kontaminiertes Tierfutter, Fett, 25 betroffene Mischfutterhersteller, insgesamt 4 700 vorsorglich gesperrte Tierhaltungsbetriebe, aktuell sind es noch rund 450, ein tief erschüttertes Verbrauchervertrauen – das ist die bisherige deutschlandweite Bilanz und vermutlich noch nicht der letzte Stand der Dinge, auch wenn Berlin nach allem, was wir wissen, bisher glücklicherweise nicht betroffen ist. Die Berliner Politik und die zuständigen Behörden haben schnell und zielgerichtet reagiert. Es ist ja hier schon aufgezählt worden, wir haben den einen Betrieb vorsorglich kontrolliert, nichts festgestellt. Wir haben verstärkte Kontrollen der Lebensmittelaufsichtsämter veranlasst, obwohl wir naturgemäß gar nicht wissen können, nach welchen Chargen man guckt, weil wir von den Ländern informiert werden, aus denen diese Chargen kommen. Da bis jetzt nichts gekommen ist, zum Glück, wissen wir es natürlich auch nicht. Wir haben auf der Homepage eine sehr ausführliche Information für die Verbraucherinnen und Verbraucher bereitgestellt, damit sie sich informieren können. Und auch das sollten Sie wissen, das modern ausgestattete Landeslabor Berlin-Brandenburg arbeitet mit Hochdruck an der Analyse von Proben auch und vorwiegend aus anderen Bundesländern, weil dort die Kapazitäten nicht reichen.
Ausgangspunkt des Dioxinskandals war wieder mal das Futter. Auch wenn nach Aussagen von Experten des Bundesinstituts für Risikobewertung derzeit keine unmittelba
re gesundheitliche Gefahr besteht, ist das kein Grund zur Entwarnung. Wir wissen, dass sich das krebserregende Dioxin im Körper anreichert. Deshalb müssen die strengen Grenzwerte zwingend eingehalten werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich natürlich die Frage, wie es sein kann, dass belastete Fette, die für Biodiesel vorgesehen waren, überhaupt in Futtermittel und in Lebensmittel gelangen. Der Verursacher ist mittlerweile identifiziert. Es ist schockierend, mit welcher Dreistigkeit diese Firma systematisch die Verbraucherinnen und Verbraucher um einwandfreie Lebensmittel betrogen hat. Dahinter stecken Gier und eine gehörige Portion krimineller Energie. Man könnte also meinen, wie von manchen absichtsvoll behauptet, es ginge hier nur um einen kriminellen Einzelfall. Aber bei genauerem Hinsehen wird deutlich: Der Fehler steckt im System. Leider gibt es immer wieder solche Lebensmittelskandale: BSE, Gammelfleisch, Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, jetzt Dioxin, Analogkäse, Schichtschinken. Wir hören jetzt damit mal auf, es wird unappetitlich. Es muss dabei unmissverständlich klargestellt werden, Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht auf qualitativ einwandfreie, gesundheitlich unbedenkliche und korrekt gekennzeichnete Produkte. Sie müssen darauf vertrauen können, dass Lebensmittel einwandfrei sind, und dabei darf es keine Rolle spielen, ob Nahrungsmittel biologisch oder konventionell hergestellt werden.
Es muss unerheblich sein, ob sie von einem kleinen bäuerlichen Betrieb oder einem großen landwirtschaftlichen Unternehmen stammen. Die große Masse der Lebensmittel – auch das sei hier gesagt – erfüllt diesen Anspruch. Aber offensichtlich sind die Vorgaben und Kontrollen vor allem im Futtermittelsektor nicht eng genug. An der Produktion von Lebensmitteln ist eine Vielzahl von Unternehmen beteiligt. Und das Fehlverhalten eines einzigen in dieser Kette zieht Konsequenzen für alle nach sich. Da ist es unverständlich und wenig hilfreich, wie Lobbyisten und einige Wirtschaftsverbände immer noch argumentieren. Wer Forderungen nach mehr Transparenz bei der Kennzeichnung von Produkten als Pranger kritisiert, wer in diesem Zusammenhang von Diskreditierung und Benachteiligung spricht, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden.
Es ist höchste Zeit, dass die Lebensmittellobby ihr Engagement weniger auf den Schutz vermeintlicher Betriebsgeheimnisse konzentriert und stattdessen den Verbraucherschutz in den Mittelpunkt ihrer Geschäftspolitik stellt.
Natürlich, völlig klar, der Dioxinskandal muss Konsequenzen haben. Wir brauchen klare und strenge Anforderungen für Futtermittel. Die Eigenkontrollen der Unternehmen müssen verschärft und durch eine risikoorientierte amtliche Überwachung wirksam ergänzt werden. Das aktuelle Geschehen und die eindeutige öffentliche Reaktion haben die gesellschaftlichen Voraussetzungen für
echte Fortschritte tatsächlich verbessert. Und das ist der einzige positive Effekt dieses Skandals. Die Großdemonstration am Sonnabend hat den Druck auf die Verantwortlichen dankenswerterweise noch einmal erhöht. Aktionismus, Ankündigungen, Ablenkung – das alles wird nicht durchgehen. Nach anfänglichem Zögern und unzureichendem Krisenmanagement hat auch die Bundesregierung die Brisanz endlich erkannt. Der am letzten Dienstag beschlossene gemeinsame Aktionsplan der Länder und des Bundes weist zweifellos in die richtige Richtung. Ihn schnell und umfassend zu realisieren, dabei ist jetzt vor allem der Bund gefragt. Klare Regelungen auf nationaler Ebene und ernsthafter Einsatz für EU-weite Verbesserungen – das erwarten wir von der Bundespolitik, wobei Skepsis – auch das muss man sagen – angebracht ist. Erinnert sei an das Schicksal früherer Aktionspläne der Bundesregierung. Erinnert sei an die unselige Rolle von Frau Aigner bei der Verhinderung der von der Bevölkerungsmehrheit gewünschten und von Berlin unterstützten Lebensmittelampel. Dennoch, der Aktionsplan ist ein Anfang. Eine gemeinsame Produktion von technischen und Futterfetten darf künftig nicht mehr möglich sein. Es muss eine verbindliche Positivliste erstellt werden, in der klar geregelt ist, womit Tiere künftig gefüttert werden dürfen. Das Ergebnis von Eigenkontrollen muss den Behörden gemeldet werden, so wie es übrigens bis 2005 vorgeschrieben war. Die Bundesregierung hatte diese Regelung abgeschafft. Es wird Zeit, dass sie wieder eingeführt wird.
Dabei muss auch der Schutz von Informanten garantiert sein. Das scheint mir auch ganz wichtig zu sein. Und wir brauchen eine verstärkte Forschung für zuverlässige und schnelle Testverfahren. Wir brauchen nicht zuletzt ein neues Verständnis für eine sichere und nachhaltige Produktion von Lebensmitteln. Wir brauchen neues Vertrauen zwischen Verbrauchern und Erzeugern.
Und um auf den Punkt Transparenz zu kommen, der ja im Titel steht: Endlich muss die Bevölkerung schneller und umfassender über Verstöße und Gefahren informiert werden. Dazu ist dringend eine Überarbeitung des Verbraucherinformationsgesetzes notwendig. Was aus dem Hause von Frau Aigner bisher vorliegt, reicht nicht aus. Sich dazu in einem Landesparlament zu äußern, ist durchaus üblich, weil in einem föderalen Staat das Land Berlin an der Gesetzgebung mitwirkt. Und deshalb erlauben Sie mir hier ein paar Details!
Zwar ist es zu begrüßen, dass neben Lebensmitteln künftig auch Produkte vom Verbraucherinformationsgesetz erfasst werden sollen – das finde ich sogar sehr gut –, zwingend vorzusehen sind jedoch Kostenregelungen, die das Informationsbedürfnis nicht abwürgen. Recht auf Information und Aufklärungsinteresse dürfen nicht am Geld scheitern. Da sind die jetzt vorgeschlagenen Regelungen deutlich nachzubessern. Denn Kontrollbehörden muss es künftig nicht nur möglich sein, über die ihnen vorliegenden Erkenntnisse der amtlichen Kontrollen zu
informieren, sie sollen zu aktiver Information ausdrücklich gesetzlich verpflichtet werden. Schließlich muss bundesrechtlich die Voraussetzung geschaffen werden, dass der Berliner Smiley nicht nur für Gaststätten verpflichtend eingeführt werden kann – das können wir im Gaststättengesetz in Berlin –, sondern für alle Lebensmittel verarbeitenden Betriebe und das bundesweit in vergleichbarer Weise.
Schon im Gesetzgebungsverfahren zum Verbraucherinformationsgesetz 2008 hatte Berlin im Bundesrat weitergehende Vorschläge gemacht – der sich auch mit diesen Themen beschäftigt hat –, dafür seinerzeit aber keine Mehrheiten gewinnen können. Mit der jetzt angestrebten Überarbeitung des Gesetzes besteht eine neue Chance, die es im Interesse von Lebensmittelsicherheit und Verbraucherrechten zu nutzen gilt. Dazu liegen dem Bundesrat Vorschläge aus Berlin vor, zum Teil schon aus 2009, zum Teil aktuell. Ich appelliere ausdrücklich auch an die Oppositionsparteien, sich in dieser Sache offensiv bei der Bundesregierung für die Interessen des Landes Berlin und damit der Verbraucherinnen und Verbraucher einzusetzen.
Den Ankündigungen der letzten Tage müssen konkrete Ergebnisse folgen. Wie das geht, demonstrieren Senat und Koalition in Berlin seit Langem. Berlin war 2003 das erste Bundesland mit einem Verbraucherinformationsgesetz. Nach dem Fleischvorfall – Gammelfleischskandal, wie auch immer man es nennt – Ende 2006 haben Senat und Bezirke schnell und nachhaltig gehandelt. Wir haben für schnelle Aufklärung und Transparenz gesorgt. Das Memorandum Lebensmittelsicherheit hat meine Senatsverwaltung mit Expertinnen und Experten erarbeitet und im Frühjahr 2007 vorgelegt. Die darin enthaltenen Handlungsempfehlungen sind systematisch realisiert worden.
Die amtlichen Kontrollstandards und Verwaltungsabläufe sind weiterentwickelt und vereinheitlicht worden. Für den Großmarkt Beusselstraße sind zusätzliche Kontrolleure eingestellt worden. Seit 2008 wird ein jährlicher Lebensmittelbericht veröffentlicht. Die Untersuchungslabore in Berlin und Brandenburg sind modernisiert und 2009 zusammengeführt worden. Die Veröffentlichung der amtlichen Kontrollergebnisse und die Kennzeichnung von Gaststätten werden seit 2009 in Pilotprojekten getestet. Mit den Bezirken ist die flächendeckende Einführung des Smileys in Berlin ab Mitte 2011 verabredet. Auch die Konstituierung der Task-Force Lebensmittelsicherheit hat stattgefunden. Ich habe beim letzten Mal schon erläutert, warum wir sie aktuell nicht brauchen, für den Fall, dass wir sie brauchen, für diesen Fall, von dem wir alle nicht wünschen, dass er eintritt, ist aber für kurze Kommunikationswege und ein funktionierendes Krisenmanagement vorgesorgt.
Die Zielstruktur des öffentlichen Gesundheitsdienstes sieht mittelfristig eine Verbesserung der Personalausstattung der Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämter vor – an dieser Stelle doch noch mal der Hinweis an Herrn
Goetze: Bevor er die mangelnde Kontrolldichte in Berlin beklagt, möchte er sich bitte sachkundig machen, wo wir im bundesweiten Vergleich stehen. Da sind wir in der oberen Hälfte, und die Kontrollen erfolgen risikoorientiert. Das heißt, wo man genau hinschauen muss, da wird auch genau hingeschaut.
[Beifall bei der Linksfraktion – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Uwe Doering (Linksfraktion): Also besser als in Niedersachsen!]
Im Übrigen ist auch klar – das muss man hier betonen: Durch die Kontrollen kann man Verstöße nicht verhindern, man kann sie nur aufdecken. Dann kann man nach den Ursachen suchen. Dann kann man an der Ursache ansetzen, und nicht hinten bei der Wirkung.
Die Verbraucherzentrale – auch das sei hier gesagt – hat mit einem fünfjährigen Rahmenvertrag Planungssicherheit erhalten und seitdem auch größere Handlungsspielräume bei der Verwendung eigener Einnahmen. Seit 2008 werden verbraucherpolitische Projekte aus dem Landeshaushalt gefördert, darunter übrigens auch eines zur Kantinenversorgung – ich weiß gar nicht, was Frau Schneider da hat.
Die verbraucherpolitische Strategie von 2009 und der im selben Jahr gestartete jährliche Verbrauchermonitor vervollständigen das verbraucherpolitische Engagement von Rot-Rot und im Übrigen auch die Informationslage der Opposition.
Diese Anstrengungen werden auch außerhalb Berlins wahrgenommen und anerkannt. Der Verbraucherschutzindex 2010 der Verbraucherzentrale – Bundesverband – sieht Berlin im vergleichenden Länderranking auf Platz 4, während es im Jahr 2008 noch der sechste Platz war. Was die Änderungen der Lebensmittelkontrollen angeht – da haben wir uns schon ausgetauscht –, da hat Frau Schneider einfach die Systematik verwechselt, aber das macht nichts.
Wir haben in dieser Legislatur viel geschafft, aber Verbraucherpolitik ist damit als Thema nicht erledigt. Verbraucherschutz ist mehr als sichere und gesunde Ernährung, auch wenn das ein zentrales Handlungsfeld bleibt. Verbraucher schützen, informieren und stärken, das ist und bleibt unser Leitmotiv, damit Verbraucherinnen und Verbraucher ihre Konsummacht ausbauen und zum eigenen sowie zum allgemeinen Nutzen einsetzen können. – Vielen Dank!
Danke schön, Frau Senatorin! – Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aktuelle Stunde hat damit ihre Erledigung gefunden.
Gesamtkonzept zur Eindämmung von Spielhallen und Spielsucht (I): Bundesratsinitiativen zur Verschärfung der Spielverordnung und Baunutzungsverordnung