Der Außenminister spricht vollkommen zu Recht davon, sich in der aktuellen Ausnahmesituation primär auf die Hilfe für die befreundete Nation Japan zu konzentrieren. Der tagtägliche Kampf der japanischen Bevölkerung und die Ängste aller, nicht nur in Japan, vor dem Unvorstellbaren, rechtfertigt keinerlei Besserwisserkampagnen oder primitive Instrumentalisierung der Katastrophe für eigene politische Ziele.
Politik muss die Ängste der Menschen ernst nehmen und sie nicht schüren oder mit ihnen spielen. Herr Wolf! Wenn Sie hier von Milliardengewinnen von Atomkonzernen sprechen und das in Kontext setzen, dass Abermillionen Menschen verlieren würden, wenn Atomkraftwerke länger laufen würden, dann ist das genau die Form von Angst, die wir in der Debatte nicht gebrauchen können.
Das gilt auch für Herrn Ratzmann, der zwei Mal davon fabuliert, dass Tokio evakuiert werden muss. Kein Mensch hat in den letzten Tagen darüber gesprochen, dass der Großraum Tokio evakuiert werden muss. Das ist genau die Art und Weise, wie Sie versuchen, mit den Ängsten der Menschen durch das Erzeugen von Bildern zu spielen. Das ist genau das Gegenteil von dem, was Sie gestern noch versucht haben zu erklären, indem Sie sag
Nein! – Politik muss konsequent reagieren, Herr Mutlu, und zwar dann, wenn sachliche Grundlagen sich offensichtlich geändert haben. Die beiden Naturkatastrophen in Japan und die Vorfälle im Atomkraftwerk in Fukushima stellen eine solche Änderung der Sachlage dar. Es haben sich Risiken materialisiert, die von vielen für unmöglich gehalten wurden. Genau deswegen müssen wir auch über die Kernenergie in Deutschland reden, aber nicht in der Art und Weise, wie es hier gemacht wurde: schwarz-weiß zu malen und abgehoben moralisch zu argumentieren.
Es war – und das vergessen Sie immer wieder – allgemeiner Konsens aller Parteien in unserem Land, aus der Kernenergie auszusteigen. Kernenergie wurde als Brückentechnologie definiert, und das haben auch Sie von Rot-Grün mit Ihrem Ausstiegsbeschluss gemacht. Auch Sie haben gesagt, die Atomkraftwerke müssten bis zum Jahr 2020, 2021 weiterlaufen. Auch Sie wollten die Atomkraft weiter als Brückentechnologie verwenden. Das müssen Sie zunächst einmal akzeptieren. Wenn die Diskussion nun nicht darum geht, ob, sondern wie ausgestiegen wird, dann geht es in der Tat um den Zeitplan. Da bin ich schon verwundert, wie man fünf, sechs Tage nach der Katastrophe in Japan hier in einer Art Basta-Politik sagt, wir müssen noch in dieser Woche etwas beschließen, ohne die genauen Ursachen in Japan gekannt und analysiert zu haben. Wir müssen erst auf Grundlage der Erfahrungen in Japan eine Sicherheitsanalyse machen, und erst dann können wir weiterentscheiden.
Zur Ehrlichkeit der Debatte gehört auch – und das haben Sie leider vergessen –, dass die Themen Energiesicherheit, Klimaschutzziele und Kosten für eine Energieversorgung ohne Atomkraft ebenfalls diskutiert werden müssen. Wenn das nicht passiert, bleibt die Forderung „Abschalten“, die hier von zwei Rednern aufgestellt wurde, nichts als purer Populismus, der mit den Ängsten der Bürger spielt.
So einfach macht sich das die schwarz-gelbe Bundesregierung nicht. Deswegen ist es richtig, dass man den Ansatz eines Moratoriums gewählt hat. In diesen drei Monaten muss die Bundesregierung in der Tat ihre Zeit nutzen, um über ihr Energiekonzept nachzudenken und es nach dem Auslaufen des Moratoriums neu zu ordnen. Wenn man die Aufgeregtheit, auch hier im Saal, hört, hat man schon den Eindruck, dass einige politische Akteure Angst haben, dass gegebenenfalls das Thema der weiteren Nut
zung der Atomkraft durch die Entscheidungen der schwarz-gelben Koalition jetzt in eine geregelte Bahn gelenkt werden, die dazu führt, dass deutlich früher Atomkraftwerke abgeschaltet werden, als nach Ihrem eigentlichen Energiekonsens 2001/2002 geplant.
Nach Ihrem Energiekonsens aus dem Jahr 2001 würden in diesem Jahr noch 15 Atomkraftwerke laufen. Nach den Entscheidungen der letzten Tage der schwarz-gelben Bundesregierung werden es deutlich weniger sein. Auch das gehört zur Ehrlichkeit der Debatte.
Zu den erneuerbaren Energien: Ihr Anteil an der Stromerzeugung in Deutschland steigt, und das ist gut so. Mittlerweile sind es über 45 Prozent. Das ist eindrucksvolles Indiz dafür, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung keinesfalls den Einstieg in die erneuerbaren Energien bremst oder die Bundesregierungen davor ihn gebremst haben.
Zu Zeiten von Rot-Grün gab es noch einen Anteil der erneuerbaren Energien von 18 Prozent an der Stromversorgung. Am Ende von Rot-Grün waren es fast 30 Prozent. Mittlerweile sind es 46 Prozent. Aber zum Thema erneuerbare Energien – und das hat Herr Henkel zu Recht gesagt – gehört auch immer die Frage: Wie schafft man Speichermöglichkeiten, wie schafft man Trassen? Dazu fehlen die Antworten. Dazu haben auch Sie, vor allem von den Grünen, heute wieder nichts gesagt. Aber das gehört auch zu einer ehrlichen Debatte.
Erneuerbare Energien sind noch nicht grundlastfähig. Der Strom muss irgendwo herkommen, und wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint, gilt das auch. Es nutzt uns nichts, wenn wir an einem Tag doppelt so viel Strom haben, wie die Gesellschaft braucht, und am nächsten Tag gegebenenfalls entsprechend weniger.
Das hat sich in den letzten zehn Jahren nicht verringert, eben deswegen, weil wir die Probleme mit der Speichermöglichkeit und der Trassenführung haben. Auch hierzu hätte Rot-Grün – wenn man ehrlich miteinander hätte debattieren wollen – etwas sagen müssen. Sie hätten auch etwas zu der Frage der Nutzung von fossilen Energieträgern sagen müssen – und auch etwas zu den Kosten. Der „Spiegel“ – nicht unbedingt ein Magazin, das die schwarz-gelbe Bundesregierung und die Frage des Umgangs mit der Atomenergie vonseiten Schwarz-Gelbs in den letzten Monaten positiv begleitet hat – titelt heute in seiner Onlineausgabe, dass ein schneller Ausstieg aus der Atomenergie 230 Milliarden Euro kosten würde.
Wenn man das möchte – und darüber kann man diskutieren –, dann müssten Sie zumindest sagen, wer das Geld bezahlen soll. Das tun Sie nicht, und das ist das Unredliche an der Debatte.
Am Ende noch ein Satz zu Herrn Müller: In der Tat, Sie können lange und viel darüber diskutieren, welcher Energiemix in Deutschland oder in Berlin wichtig ist. Aber wenn Sie es seit Jahren nicht schaffen, ein energiepolitisches Profil und Konzept für das Land Berlin hier zu beraten und zu verabschieden, dann müssen Sie sich zunächst einmal fragen, ob Sie Ihre eigenen Hausaufgaben gemacht haben. Die Antwort darauf ist ganz klar: Nein. – Ich danke Ihnen!
Vielen Dank, Herr Kollege Meyer! – Das Wort für den Senat hat der Regierende Bürgermeister, Herr Wowereit.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle Fraktionen dieses Hauses haben eindeutig, unmissverständlich und in großer Emotionalität die Solidarität Berlins mit den Menschen in Japan, mit den Angehörigen der Opfer und mit den Menschen, die heute in Sorge sind, wie es mit der Zukunft in Japan aussieht, wie Kinder gesund groß werden können, wie die Auswirkungen dieser Katastrophe sein werden, zum Ausdruck gebracht. Diese Solidarität wird nicht nur von den Politikerinnen und Politikern dieses Hauses, sondern auch von den Berlinerinnen und Berlinern tief empfunden.
Diese Solidarität haben wir zum Ausdruck gebracht. Ich habe dem Gouverneur von Tokio, Herrn Ishihara, in einem Brief mitgeteilt, dass Berlin an der Seite der Menschen von Tokio und von ganz Japan stehe. Wir haben angeboten, da, wo Hilfe möglich ist und gefordert wird, Hilfe von Berlin aus zu leisten. Berlin weiß, was Solidarität bedeutet, und insofern gilt unsere ungeteilte Solidarität den Menschen in Japan.
Die Bilder, die wir sehen, sind geprägt durch dieses nie da gewesene Erdbeben, durch den Tsunami und die Situation des GAUs, den man nicht annehmen konnte und annehmen wollte. Diese Kumulierung der Ereignisse in den Atomkraftwerken macht uns fassungslos. Das prägt heute noch unser Empfinden, wenn wir diese Bilder sehen. Wir wissen alle, dass all die Erklärungsversuche, all die mangelhaften Aufklärungen uns nicht sorgloser machen, wie es in den nächsten Tagen und Wochen, aber vor allem auch über Jahrzehnte weitergehen wird.
Wie hilflos die Bilder von den Maßnahmen sind, die man ergreift – seien es Hubschrauber, die dort Wasser abwerfen, seien es Wasserwerfer, die dort versuchen, irgen
detwas zu retten, was offensichtlich nicht mehr zu retten ist –, dies kann einen schon sehr sorgsam machen. In der Tat, es ist kein Entwicklungsland, es ist kein Sicherheitsstandard von unterentwickelten Wirtschaftsnationen, sondern es ist die Nation Japan, die technologisch in weiten Feldern Europa überholt hatte und wo man sagen konnte: Hier sind Fachleute am Werk. Man sieht, dass diese Atomkraft nicht zu beherrschen ist und dass sie eine Gewalt und Kraft entwickeln kann, die mit normalen Mitteln nicht beherrschbar ist – schon gar nicht, wenn etwas schief gelaufen ist, irgendwie noch unter Kontrolle zu bringen sein wird. Die Schäden werden nachhaltig sein. Die Schäden werden Generationen von Menschen belasten – mit all den gesundheitlichen Problemen, die danach noch kommen. Dies muss uns Warnung sein, dies muss uns Mahnung sein, unser eigenes Verhalten, unsere eigenen Entscheidungsmöglichkeiten zu überprüfen, ob das, was wir bislang verantwortet haben, richtig ist oder falsch. Deshalb wird, gerade im Angesicht dieser Tragödie, die politische Auseinandersetzung über die Nutzung von Atomkraft, über die Zukunft einer Energieversorgung in Europa, in Deutschland aktuell auf der Tagesordnung sein müssen. Es wäre sehr merkwürdig, wenn diese Debatte nicht die Tagesaktualität bekommen würde.
Es geht aber über diese Tagesaktualität hinaus. Die Menschenkette, die am Samstag von Neckarwestheim bis nach Stuttgart gebildet worden ist, ist nicht nach der Katastrophe in Japan organisiert und angekündigt worden, sondern war vorher angekündigt und organisiert. Sie hat eine andere Bedeutung bekommen. Deshalb sind die Menschen in unserer Republik nicht verunsichert, sondern die Menschen haben schon immer Angst und Befürchtungen gehabt, ob diese Technologie die Zukunftstechnologie sein kann, ob sie beherrschbar ist.
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Volker Ratzmann (Grüne)]
Dies ist keine Frage von Parteipolitik. Ich bin relativ überrascht darüber, dass die Ergebnisse der Umfragen zum Thema „Wie geht man mit der Atomkraft um?“ sich im Vergleich zu vorher nicht so wesentlich verändert haben. Es gab immer einen breiten Konsens für das Abschalten der alten Atomkraftwerke. Diesen Konsens hatten die Menschen für sich gefunden,
Die Debatten sind über Jahrzehnte in dieser Republik geführt worden. Selbstverständlich sind sie auch ideologisch geführt worden, Herr Meyer. Sie sind in diesem Zusammenhang ein Musterbeispiel für Ideologie.
Warum auch nicht? – Politik besteht in vielen Fällen aus Ideologie und unterschiedlichen Auffassungen, wie unsere Gesellschaft mit Technologien umgehen soll. Wenn sie nutzbar sind, setzt man sie ein. Diese Debatten haben wir in vielen Bereichen, in denen die Wissenschaft uns Politikern Antworten gibt, die jedoch gesellschaftspolitisch nicht zu verantworten sind. Es ist nicht immer eine rein wissenschaftliche oder ökonomische Frage, sie muss sich einreihen in einen Gesamtkonsens einer Gesellschaft.