Warum auch nicht? – Politik besteht in vielen Fällen aus Ideologie und unterschiedlichen Auffassungen, wie unsere Gesellschaft mit Technologien umgehen soll. Wenn sie nutzbar sind, setzt man sie ein. Diese Debatten haben wir in vielen Bereichen, in denen die Wissenschaft uns Politikern Antworten gibt, die jedoch gesellschaftspolitisch nicht zu verantworten sind. Es ist nicht immer eine rein wissenschaftliche oder ökonomische Frage, sie muss sich einreihen in einen Gesamtkonsens einer Gesellschaft.
Da nutzt es nichts, auf Nachbarländer zu schielen und zu sagen: Solange nicht alle etwas machen, lehnen wir uns zurück. – Nur in einem Weltverbund der Abschaffung von Atomkraftwerken sollten wir uns dieser Frage widmen. Nein, wir haben die Verantwortung. Es nutzt nichts, wenn in Frankreich andere Debatten geführt werden. Wir in Deutschland müssen eine Antwort finden, wie wir mit unseren Atomkraftwerken umgehen. Die andere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass diese Debatte europaweit und weltweit geführt wird. Aber Deutschland muss seine eigene Entscheidung treffen und diese Entscheidung muss jetzt getroffen werden!
Selbstverständlich ist das Innehalten gerade im Angesicht einer überhaupt noch nicht abgeschlossenen Katastrophe ein Instrument, um auch noch einmal zu reflektieren. Selbstverständlich sind Moratorien deshalb nicht irgendwelche abstrusen Möglichkeiten. Aber sie müssen einen Sinn machen. Sie müssen zu neuen Erkenntnissen führen, zu Erkenntniszuwächsen innerhalb von drei Monaten. All diejenigen, die heute so vehement für das Moratorium plädieren, wo sind ihre nachdenklichen Stimmen gewesen, als der Konsens im Hinterzimmer aufgegeben worden ist, im Interesse von 60 Milliarden Euro Gewinnchancen für die großen Unternehmen?
Wo war die Forderung nach einem Moratorium? Da hat man ohne Überprüfung festgestellt: Wir können diese Verlängerung machen. Man hat nicht nach den neuesten Sicherheitserkenntnissen den Check gemacht, der heute eingefordert wird. Es wird bis heute nicht gesagt, ob denn die Grundlage für die Überprüfung das kerntechnische Regelwerk des Jahres 2009 sein soll oder ob es noch das alte von vor mehreren Jahrzehnten ist, das heute nicht mehr tragfähig ist. Nach welchen Kriterien soll überprüft werden? Wer überprüft in den drei Monaten? Diese Überprüfung hat für viele Menschen stattgefunden und die Antwort war ganz eindeutig: Es ist gefährlich, es ist grob fahrlässig, wenn man die Laufzeiten verlängert. Es ist unverantwortlich. Deshalb ist es nicht eine Frage eines Moratoriums und einer Überprüfung, sondern ein Gebot der Stunde, endlich zu diesem Kompromiss – es war ein Kompromiss, ja, es war ein Kompromiss zwischen vielen Interessen – zurückzukehren. Deshalb ist es nicht die Frage eines Moratoriums, sondern die von klaren Entscheidungen.
Es ist doch klar, dass ein riesiges Misstrauen gegenüber einer Regierung herrscht, die bislang alle Bedenken weggewischt hat, die selbst den eigenen Umweltminister desavouiert hat bei der Frage der Laufzeitverlängerung. Die hat ihn an die Seite gestellt, die Fachkenntnis war gar nicht gefordert. Wenn dann von heute auf morgen ein Moratorium kommt, dann ist doch der Verdacht naheliegend, dass man Zeit gewinnen will für Entscheidungen, die vielleicht im Angesicht der Bilder aus Japan so nicht mehr zu rechtfertigen sind. Es ist auch merkwürdig, dass das ohne Gesetzesänderung gehen soll. Es ist auch merkwürdig, dass diejenigen, die bislang sehr vehement für die Verlängerung gekämpft haben, relativ zurückhaltend oder in der öffentlichen Wahrnehmung überhaupt gar nicht zu erkennen sind, nämlich die Vertreter der Unternehmen, die es jetzt auf einmal hinnehmen, dass materiell für sie eine Verschlechterung im Raum steht. Es haben sich jetzt einige schon heraus gewagt. Es gibt Fragen über Fragen, aber keine Antworten. Deshalb muss hier eine Korrektur passieren. Diese Ankündigungspolitik der Bundesregierung, es wäre ein guter, es wäre ein mutiger Schritt gewesen in der veränderten Situation, wenn die Kanzlerin nicht nur das Moratorium verkündet, sondern eindeutig gesagt hätte, sie ändere das Gesetz zur Verlängerung der Laufzeiten und sie kehre zurück zu dem Konsens, der bundesweit eine breite Mehrheit hat. Das wäre die richtige Antwort gewesen. Diese müssen wir einfordern!
[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der Linksfraktion – Beifall von Heidi Kosche (Grüne)]
Deshalb wird das Land Berlin mit anderen Ländern zusammen – mit Nordrhein-Westfalen, mit Rheinland-Pfalz und hoffentlich vielen anderen –, morgen im Bundesrat eine Stellungnahme zu dieser Situation abgeben. Die wird im Kern lauten:
Das von der Bundesregierung verkündete dreimonatige Moratorium für die vereinbarte Laufzeitverlängerung deutscher Atomkraftwerke greift zu kurz. Die Ankündigung korrigiert weder die grundsätzlich falschen politischen und gesetzlichen Weichenstellungen noch gibt sie Antworten auf die Frage, wie ein zukunftsfähiges und nachhaltiges Energiekonzept für die Bundesrepublik aussieht.
1. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag auf, die im Elften Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes vom 28. Oktober 2010 beschlossene Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke unverzüglich in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren zurückzunehmen und auf der Grundlage des im Jahr 2002 verabschiedeten Atomenergiebeendigungsgesetzes den vollständigen Ausstieg der Bundesrepublik Deutschland aus der Nutzung der Atomenergie festzuschreiben. Das Energiekonzept
der Bundesregierung ist auf der Grundlage des Atomenergiebeendigungsgesetzes unter Beteiligung des Länder zu überarbeiten.
Der Bundesrat fordert die unverzügliche und endgültige Stilllegung der ältesten und am schlechtesten gegen Flugzeugabsturz geschützten Reaktoren Biblis A, Biblis B, Brunsbüttel, Neckarwestheim 1, Philippsburg 1, Isar 1, Unterweser und Krümmel. Die Stilllegung dieser acht Atomkraftwerke wird die Sicherheit der Stromversorgung nicht gefährden und die Großhandelspreise für Strom nur geringfügig beeinflussen. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die derzeit erfolgende Abschaltung der älteren Atomkraftwerke auf der Grundlage von Anordnung nach § 19 Abs. 3 Atomgesetz der zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder rechtlich nicht tragfähig ist.
Aber es wird auch weiter gefordert – ich will jetzt nicht alles vorlesen –, dass neben diesen konkreten Maßnahmen ein Energiekonzept erarbeitet werden muss, das auch langfristig eine Tragfähigkeit hat. Da haben all diejenigen recht, die sagen: Das ist noch nicht in allen Facetten ausgereift. Das ist noch nicht in der notwendigen Schärfe in der Umsetzung. Da wird es sicherlich Auseinandersetzungen geben. – Wir haben die Auseinandersetzungen über den Einsatz von Kohlekraftwerken geführt, auch in Berlin. Wir haben bei unserer Modernisierung der Kraftwerke miteinander gestritten: Ist das mit Gas zu machen, ist das mit Kohle zu machen, ist das mit Biomasse zu machen? – Es gibt genügend Spielräume für Unterschiede in der politischen Betrachtung von Energiekonzepten und deren Umsetzung, auch der Schnelligkeit dieser Umsetzung. Da können wir uns alle miteinander heftigst streiten und werden es sicherlich auch tun, auch diejenigen, die heute ziemlich eindeutig ihre Positionierung vorgenommen haben: gemeinsam für den Ausstieg aus der Atomenergie. Dies wird unumgänglich sein, das sollten wir auch tun.
Es ist jetzt wirklich an der Zeit, eindeutig Stellung zu beziehen, eindeutig den Ausstieg zu erklären. Dies ist das Gebot der Stunde – nicht weil man politisches Kapital aus einer furchtbaren Katastrophe schlagen will, sondern weil man es auch und gerade den Opfern schuldig ist, die minimalen Lehren aus einer Politik zu ziehen, die in die Irre geleitet worden ist. Dieses muss korrigiert werden, und dafür setzt der Senat sich ein und, wie ich in der Debatte eben mitbekommen habe, auch die Mehrheit dieses Hauses. Ich glaube, es ist der richtige Weg, wieder zum Ausstieg zu kommen.
Vielen Dank, Herr Regierender Bürgermeister! – Weitere Wortmeldungen sehe ich nicht. Dann ist die Aktuelle Stunde damit abgearbeitet.
Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Stärkung der Mitwirkung der Seniorinnen und Senioren am gesellschaftlichen Leben im Land Berlin (Berliner Seniorenmitwirkungsgesetz – BerlSenG)
Ich eröffne die erste Lesung. Für die Beratung stehen den Fraktionen jeweils fünf Minuten zur Verfügung. Das Wort für die Linksfraktion hat Frau Dott.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es fällt mir nicht leicht, nach diesem Thema zu reden, das die Existenz der Menschheit berührt. Aber vielleicht ist gerade ein Gesetz, das Bedingungen für stärkere gesellschaftliche Teilhabe schafft, ein ganz guter Übergang.
Als das Gesetz zur Stärkung der Mitwirkung der Seniorinnen und Senioren am gesellschaftlichen Leben im Land Berlin nach langer Debatte am 18. Mai 2006 im Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen wurde, war es bundesweit das erste seiner Art. Das Land Berlin in seiner ersten rotroten Wahlperiode handelte, da klar war, dass mit einem bundeseinheitlichen Gesetz nicht zu rechnen war. Lange hatte sich besonders die „Volkssolidarität“ um ein Bundesgesetz bemüht, nicht nur weil die Gruppe der Älteren zahlenmäßig steigt, sondern besonders weil sie das Recht und den Anspruch haben, das gesellschaftliche Leben auch im höheren Lebensalter mitzubestimmen und an Entwicklungen mitzuwirken. Diesem modernen Selbstverständnis und diesem Menschenbild fühlten wir uns bei der Entwicklung des Gesetzes verpflichtet.
Die aktive Mitarbeit der Seniorenorganisationen der Stadt, des Landesseniorenbeirats und der Seniorenvertretungen war dabei eine notwendige Basis und auch ein die Politik treibendes Element. Auch Seniorinnen und Senioren aus Zuwandererfamilien hatten aktiv teil an dieser Entwicklung. Das Gesetz beschreibt das jetzt so in seiner Zielvorstellung:
Ziel des Gesetzes ist es, die aktive Beteiligung der Berliner Seniorinnen und Senioren am sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben zu fördern, ihre Erfahrungen und Fähigkeiten zu nutzen, die Beziehungen zwischen den Generationen zu verbessern, die Solidargemeinschaft weiterzuentwickeln sowie den Prozess des Älterwerdens in Würde und ohne Diskriminierung unter aktiver Eigenbeteiligung der Berliner Seniorinnen und Senioren zu gewährleisten.
Warum wollen wir dieses junge Gesetz schon novellieren, ein Gesetz, das den Bedürfnissen der älteren Generation deutlich Rechnung trägt, das allgemein anerkannt ist, den Seniorinnen und Senioren in ihren Aktivitäten den notwendigen Rückhalt gibt und zur gesellschaftlichen Teilhabe ermutigt, ein Gesetz, um das uns andere beneiden, wie immer wieder zu hören ist? – In der Praxis zeigt sich, dass das Gesetz in der Anwendung verbessert werden kann. Da es sich weniger auf den Inhalt als auf die praktische Anwendung bezieht, sahen wir die Lösung zunächst in der untergesetzlichen Präzisierung. An einem Punkt aber kamen wir ohne Gesetzesänderung nicht weiter, nämlich am festgeschriebenen Wahlmodus.
Die Debatte darüber wurde berlinweit geführt und führte im parlamentarischen Raum zu vielen Beratungen und schließlich zu einer großen Anhörung im Ausschuss für Integration, Arbeit, Berufliche Bildung und Soziales. Die Friedrich-Ebert-Stiftung ließ eine Studie anfertigen, die, obwohl sie mir zu oberflächlich war, doch auf verschiedene Schwachpunkte aufmerksam machte. Übrigens stellte diese Studie auch fest, dass nirgendwo sonst in der Republik das Klima für gesellschaftspolitisches Engagement von Seniorinnen und Senioren so günstig wie in Berlin sei.
Die Debatte erbrachte folgende Änderungen. – Ihnen liegt ein Änderungsantrag vor, den ich an dieser Stelle kurz erläutern möchte. – Erstens: Die Mindestanzahl von 13 Mitgliedern in den Seniorenvertretungen bekommt eine Sollformulierung. Sie können sich vorstellen, dass im Laufe von fünf Jahren die Anzahl der Vertreterinnen und Vertreter abnehmen kann. Die Nachberufung ist in der Ausführungsbestimmung geregelt. Dort wird der Hinweis auf die Vorschlagsliste formuliert. Das war auch vorher unklar.
Zweitens: Die Bezirksämter bekommen mehr Zeit für den Aufruf zu Berufungsvorschlägen und auch für die Organisation der Wahlen zu den Seniorenvertretungen, nämlich jeweils zwei Monate statt einem Monat.
Drittens: Die Wahlen erfolgen nicht mehr in einer Versammlung, sondern in drei bis fünf Veranstaltungen an verschiedenen Orten, um mehr Seniorinnen und Senioren die Möglichkeit zur Teilnahme zu geben. Dabei sehe ich auch Seniorenvertretungen in der Pflicht, ihre Bezirksämter aktiv bei der Organisation zu unterstützen.
Viertens: Die Beschränkung auf die Mitwirkung bei der Altenplanung ist gestrichen und durch ein umfassendes Mitwirkungsrecht ersetzt worden. Auch das Rederecht in den BVV-Ausschüssen ist in das Gesetz aufgenommen worden. Festgeschrieben ist nun auch die Tatsache, dass Seniorenvertretungen öffentlich tagen.
Die vorgeschlagenen Änderungen entwickeln das Gesetz weiter. Manches hört sich einfacher an, als es wirklich ist. So konnte zum Beispiel dem Wunsch, die Wahlen zu den Seniorenvertretungen mit den Kommunalwahlen zu verbinden, aus rechtlichen Gründen nicht entsprochen werden. Und die Organisation einer Briefwahl hätte ca. 1 Million Euro gekostet. Auch dazu haben wir uns nicht entschlossen, zumal das Ergebnis unter Umständen fragwürdig gewesen wäre.