Protokoll der Sitzung vom 08.03.2007

d) Antrag

Kein neues Steinkohlekraftwerk für Berlin – Energieversorgung klimafreundlich gestalten

Antrag der Grünen Drs 16/0273

in Verbindung mit

Dringlicher Antrag

Jetzt Chancen für eine klimafreundliche und innovative Energieerzeugung in Berlin

Antrag der FDP Drs 16/0315

Das ist die Priorität der Grünen, der Tagesordnungspunkt 10 in Verbindung mit einem Antrag der Fraktion der FDP.

Zum zuletzt genannten Antrag der Fraktion der FDP wird der Dringlichkeit offensichtlich nicht widersprochen.

Ich eröffne die I. Lesung. Für die Beratung steht den Fraktionen wieder eine Redezeit von bis zu fünf Minuten zur Verfügung. – Für die Fraktion der Grünen hat das Wort die Vorsitzende, Frau Eichstädt-Bohlig! – Bitte schön!

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Heute ist nicht nur Frauentag, den wir schon ausgiebig gewürdigt haben, sondern heute beginnt auch das Gipfeltreffen der EU-Regierungschefs unter der Leitung der Bundeskanzlerin. Wie wir alle wissen, ist das zentrale Thema der Klimaschutz. Doch anstatt dass sich Berlin an die Spitze der Bewegung stellt, reagiert der Senat beim Thema „Klimaschutz“ und beim Thema „grüne Energie“ wie eingeschlafene Füße. Immerhin, auch wenn sie heute nicht da ist, beginnt sich bei Frau Senatorin Lompscher der kleine Zeh etwas zu bewegen und scheint allmählich aufzuwachen.

Es ist offensichtlich: Steinkohle bringt zwar viel CO2, aber keine Wählerstimmen. Insofern sind wir bereit, den weiteren Weckdienst für Rot-Rot zu machen. – Darum, Herr Bürgermeister Wolf – er telefoniert gerade –, übergeben wir Ihnen als Erstes Ihr rot-rotes Wahlversprechen, nämlich die Änderung zum Energiespargesetz, die Sie im letzten Mai eingebracht haben, in der zwar nicht alles steht, was wir Grünen uns energiepolitisch wünschen würden, aber in der doch einiges Sinnvolles und Richtiges steht. Nachdem Frau Senatorin Lompscher in einer der letzten Ausschusssitzungen erklärt hat, dass dieser rotrote Gesetzentwurf nicht in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden soll, wollen wir ihn Ihnen gerne überreichen. – Ich mache es nachher, weil der Senator so beschäftigt ist.

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP – Uwe Doering (Linksfraktion): Lesen Sie doch einmal vor, was drinsteht!]

Wir wünschen uns sehr, dass Rot-Rot endlich anfängt, die Energiepolitik ernst zu nehmen.

Das wichtigste Thema – wir haben es in der letzten Plenarsitzung schon diskutiert – ist das von Vattenfall geplante Kohlekraftwerk. Hier brauchen wir den vereinten Weckdienst, und zwar insbesondere für die SPD, für den Kollegen Müller – der auch nicht dieser Diskussion beiwohnen will, weil er anderes Wichtiges zu tun hat. Dass wir Grünen den vereinten Weckdienst machen, ist klar. Der Kollege Pflüger hat sich mit der CDU schon angeschlossen.

[Gelächter bei der Linksfraktion]

Der Kollege Lindner stellt einen Antrag, wo zwar Energieeffizienz und Energiesparen noch ein Stück weit fehlen, aber immerhin, es geht in die richtige Richtung, da können wir gerne gemeinsam noch ein bisschen üben. Frau Lompscher fängt auch an aufzuwachen. Insofern sagen wir insbesondere in Richtung des Kollegen Müller: Wachen Sie auf, liebe Kollegen von der SPD! Berlin muss alles – und zwar gemeinsam, couleurübergreifend – tun, um dieses Kohlekraftwerk zu verhindern.

[Beifall bei den Grünen und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Es darf nicht sein, dass Berlin Vergangenheitspolitik macht, zurückgeht ins vorige Jahrhundert, statt in die Zukunftsenergien zu investieren und nach vorne zu schreiten. Das hat diese Stadt nicht verdient.

Ich mache ganz praktische Vorschläge. Der erste Teil: Wir sparen uns deutlich Energie. Liebe Kollegen von der FDP, das steht in Ihrem Antrag leider so noch nicht, und da habe ich einen ganz praktischen Vorschlag: Wenn unser Senat, der politisch so unausgelastet ist, wenn alle, Herr Wowereit und die anderen Senatoren, einmal vier Wochen lang überall die Glühbirnen gegen Energiesparlampen austauschten, dann wären wir schon ein kleines Stück weiter. Dann fallen uns auch noch andere Stromsparideen in dieser Stadt und im öffentlichen Bereich ein.

Deshalb fangen Sie an, die Stadt hat es dringend nötig! Energiesparen ist im Strombereich, im Wärmebereich und letztlich auch im Verkehrsbereich angesagt. Wir reden heute hier über den Stromsektor. Auch da kann die öffentliche Hand sehr viel tun.

[Beifall bei den Grünen]

Der zweite Teil: Berlin setzt endlich auf grüne Energien, auf Sonne, Wind, Erdwärme und Biogas. Da war Berlin in den letzten Jahren eigentlich schon viel weiter. Beispielsweise gab es auf Betreiben der Grünen den Stromliefervertrag mit Lichtblick, wo ein Drittel des Stroms Ökostrom war. Weil der Senat wieder einen Kniefall vor Vattenfall machen musste, ist es – schwupp – verschwunden, und jetzt haben wir wieder 100 % fossilen Strom, ein bisschen angereichert mit Brunsbütteler Atomstrom. Das kann es doch nicht sein, damit kann Berlin doch nicht ins 21. Jahrhundert gehen. Das darf nicht die Zukunft sein.

[Beifall bei den Grünen]

Der letzte Punkt: Auch der Teil, der dann noch für ein Kraftwerk übrig bleibt, muss auf Gasbasis arbeiten, und das Gas muss so schnell wie möglich in Biogas umgewandelt werden. Ein ganz praktischer Vorschlag: Im Umweltausschuss wird derzeit die Abfallwirtschaft diskutiert: Wie mit dem ganzen Bioabfall umgehen? – Machen wir doch endlich aus diesem Bioabfall in Berlin vernünftiges Biogas! Das wird dann da eingespeist, dann haben wir sinnvollen Strom, können unsere Energie vernünftig nutzen und haben trotzdem etwas für den Klimaschutz getan. Man kann sich nicht einfach Kreativ-City nennen, man braucht auch ökologisch kreative Ideen.

[Beifall bei den Grünen]

Vielen Dank, Frau Eichstädt-Bohlig!

Ich komme zum Schluss. – Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Lieber abwesender Herr Müller! Lassen Sie sich nicht von Vattenfall einlullen! Setzen Sie nicht auf Vergangenheitspolitik! Setzen Sie auf grüne Energien und kommen Sie endlich im 21. Jahrhundert an, dann hat Berlin wirklich etwas davon!

[Beifall bei den Grünen – Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Als nächste Wortmeldung – der Kollege Buchholz von der SPD-Fraktion!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine Damen, meine Herren! Es ist immer wieder erstaunlich, wie – wenn Themen einmal ein bisschen in der Zeitung stehen – auch

große wie kleine Parteien plötzlich komplett ihre Meinung ändern können. Ich finde das sehr bemerkenswert und muss das hier insbesondere auf die FDP beziehen, aber auch auf die CDU. Bei den Grünen kann man zumindest sagen, sie haben das Energiethema schon etwas länger vertreten und verstanden.

[Gelächter und Beifall bei den Grünen]

Ja, das kann man ruhig einmal ehrlicherweise sagen. Aber bei den beiden Erstgenannten kann man das überhaupt nicht so sagen. Es ist erstaunlich, was in den neuen Anträgen der FDP-Fraktion dieser Legislaturperiode steht. In der letzten Legislaturperiode, Herr Schmidt – Herr Dr. Lindner ist momentan leider nicht da, Sie müssen sich das anhören –,

[Henner Schmidt (FDP): Ich war in der letzten Legisla- turperiode nicht dabei! ]

hat die FDP-Fraktion sämtliche Anträge abgelehnt, die überhaupt nur ansatzweise Richtung Energiesparen gingen, die für erneuerbare Energien in der Stadt waren. Das ist alles von Ihnen abgelehnt worden. Da muss ich sagen: Wenn Sie sich so schnell um 180 Grad drehen können, dann möchte ich nicht sehen, wofür Sie übernächste Woche sind, wahrscheinlich für zehn Atomkraftwerke in Berlin. – Vielen Dank, meine Damen und Herren von der FDP! – Von Ihnen brauchen wir da keine Belehrung.

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion – Bravo! von der SPD]

Jetzt zu den Inhalten der vorgelegten Anträge. Eines steht fest: Wenn man sich die Planung von Vattenfall für dieses Großkraftwerk am Ostrand der Stadt anschaut, ist das – und das ist eindeutig, das sieht man tatsächlich bei allen Fraktionen – das absolut falsche Signal für die Stadt.

[Joachim Esser (Grüne): Der Bürgermeister will das doch!]

Wir brauchen in Berlin kein Kraftwerk, das auf Steinkohlebasis als Monster und Riesenkraftwerk gebaut wird. Wir brauchen dringend die richtigen Alternativen, aber – da müssen wir auch gemeinsam schauen, verehrte Kollegin Eichstädt-Bohlig – da reicht es nicht, wenn Sie in Ihrem Antrag schreiben: „Verstärkte Nutzung von erneuerbaren Energien“, und dann „Ausbau und Energiesparen“. Das steht schon deutlich konkreter im Landesenergieprogramm. Es muss erstens konkret umgesetzt werden, dafür sollten wir gemeinsam werben, und dann brauchen wir dafür auch Geld. Und darum sagen wir von der SPDFraktion eines ganz eindeutig: Wenn die Firma Vattenfall bereit ist, eine Milliarde € für ein Steinkraftwerk dieser Dimension auszugeben, dann sollten sie dieses Geld lieber für andere und effiziente Maßnahmen ausgeben, und zwar für den Energiemix, den die Bundesrepublik auch in Zukunft hier haben will. Übrigens vertritt das – auch an die Damen und Herren von der CDU – sogar die Bundeskanzlerin. Sie sagt: Deutschland muss mindestens 30 % erneuerbare Energieanteile anstreben. Das heißt, 30 % dieses Geldes sollten auch für erneuerbare Energien in Berlin ausgegeben werden.

[Beifall bei der SPD]

Dazu muss sich die Firma Vattenfall auch einmal bekennen, ob das heutzutage möglich ist. Das ist die erste Forderung.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Eichstädt-Bohlig?

Bitte sehr, Frau Kollegin!

Schon das letzte Mal hat der Kollege Müller von einer Milliarde € Investition gesprochen. Glauben Sie wirklich, dass eine Milliarde € Investition in ein Kohlekraftwerk in Berlin bleibt? Tatsache ist, dass die Materialen und die ganze Anlage woanders herkommen, auch Alstom wird nichts davon haben, sondern in Berlin wird allenfalls alles zusammengeschraubt.

[Uwe Doering (Linksfraktion): Woher wissen Sie das?]

Sind Sie wirklich der Meinung, dass wir diese Illusion verbreiten sollten, hier werde eine Milliarde € aus diesem Kraftwerk investiert?

Die Diskussion, Kollegin Eichstädt-Bohlig, müssen wir hier gar nicht führen. Wenn Vattenfall bereit ist, eine Milliarde € mit Material – woher auch immer es kommt – und vorgefertigten Maschinen auszugeben, dann fordern wir Gansler und geben den Ball damit an Vattenfall zurück. Wir fordern: Wenn Ihr bereit seid, eine Milliarde € insgesamt zu investieren, dann gebt sie bitte zeitgemäß und energiepolitisch in die Zukunft gerichtet aus, das heißt, 30 % davon für erneuerbare Energien und mindestens 20 bis 30 % für Energiesparmaßnahmen. Das macht Vattenfall momentan übrigens auch schon, aber in ganz kleinem Maßstab, bei kleinen Energiesparfonds. Dann könnten wir uns noch darüber unterhalten, ob es eine Ersatzinvestition für das Altkraftwerk Klingenberg gibt – das energetisch nicht besonders vorteilhaft ist, wenn man sich die technischen Daten anschaut; es ist eben ein Altkraftwerk, das vielleicht einen Ersatzbau benötigt, aber dann in viel kleinerem Maßstab –, verknüpft mit den Zukunftsenergien und Zukunftstechnologien, die wir in Berlin ganz dringend brauchen. Dann laden wir die Firma Vattenfall ein, das in Berlin exemplarisch zu tun, vielleicht auch mitten auf dem Alexanderplatz ein virtuelles Energiesparkraftwerk zu bauen.

[Vereinzelter Beifall bei den Grünen]

Das sehen wir nicht, das fühlen wir nicht, aber wir merken es alle am Klima, denn es wird uns dann in Berlin und auch darüber hinaus deutlich besser gehen. Das sollten wir durchsetzen!

[Beifall bei der SPD und der Linksfraktion]